Offener Brief von Studierenden verurteilt rechte Offensive an der Berliner Humboldt-Universität

Zum Semesterbeginn wächst die Opposition unter Studierenden gegen die rechte Offensive an der Berliner Humboldt-Universität (HU). In einem offenen Brief an die Leitung der HU verurteilen Studierendenvertreter und Hochschulgruppen aus ganz Deutschland die rechten Angriffe auf die Verfasste Studierendenschaft.

Zu den bisherigen Unterzeichnern gehören neben den IYSSE, die LandesAstenKonferenz Berlin, die Asten der Universitäten Hamburg, Bremen, Potsdam und Hannover, der StuRa der Uni Leipzig, die Grün Alternative Liste an der HU (Grünboldt), die Liste Undogmatische Linke Studierende (huuls), der FSR Sozialwissenschaften an der HU und der freie zusammenschluss von student*innenschaften e.V. (fzs). Sie alle fordern das Präsidium der HU auf, „seine Klage gegen den RefRat, die erzwungenen Satzungsänderungen und die Aufhebung von Beschlüssen des Studierendenparlaments zurückzuziehen“.

Im Juli hatte die Unipräsidentin und SPD-Politikerin Sabine Kunst auf Geheiß der rechtsextremen Alternative für Deutschland (AfD) Klage gegen den Referent_innen-Rat (RefRat), gesetzlich AStA, eingereicht, weil dieser sich weigert, die Namen seiner Referenten an die AfD preiszugeben. Hintergrund ist eine Kleine Anfrage der AfD im Berliner Abgeordnetenhaus, in der diese von allen Berliner Universitäten Auskunft über die Mitglieder der Studentenvertretungen einforderte. Wofür die Rechtsextremen solche Informationen sammeln, ist offenkundig: Sie erstellen antikommunistische und rassistische „Feindeslisten“, mit denen sie Gegner ihrer Politik einschüchtern und verfolgen können.

Während die Präsidien der Technischen Universität und der Freien Universität die AfD-Forderung zurückwiesen, griff die HU-Leitung sie bereitwillig auf. Um die Pflicht zur Offenlegung aller Namen festzuschreiben, drohte Kunst sogar damit, eigenmächtig die Satzung der Verfassten Studierendenschaft zu ändern. Seitdem hat die Unileitung ihre Offensive gegen die eigenen Studenten noch verschärft. Sie stellt nicht nur die Beschlüsse des Studierendenparlaments, sondern die gesamten demokratischen Strukturen und sozialen Errungenschaften der Verfassten Studierendenschaft infrage.

In einem mehrseitigen Schreiben an den RefRat vom 20. August teilte die Rechtsabteilung der HU mit, dass sie umfangreiche Änderungen der Verwaltungsvereinbarung von 2014 fordert. Letztere regelt die Zusammenarbeit zwischen den Studierendenvertretern und der HU.

Zu den zentralen Angriffspunkten gehören die sozialen Angebote des RefRats (darunter die Bafög- und Sozialberatung und die Kinderbetreuung der „Humbolde“), die Fachschaften sowie studentische Initiativen. Von allen genannten Einrichtungen will die Unileitung künftig Miete verlangen. Auch studentische Veranstaltungen wären davon betroffen. Allein die Bafög-Beratung des RefRats ist nach eigenen Angaben „mit rund 1.500 Beratungen pro Jahr die größte Berliner Bafög-Beratung nach dem Studierendenwerk sowie eine der größten Deutschlands“. Die Mietforderung zielt damit gerade darauf ab, Angebote für Studierende, die soziale Unterstützung oder Kinderbetreuung brauchen, zu torpedieren.

Unverhohlen heißt es in dem Brief: „Die HU hat keine Pflicht, die Studierenden in sozialen, wirtschaftlichen, rechtlichen und gesundheitlichen Fragen zu beraten.“ Auch Kinderbetreuung sei „keine Aufgabe der HU“. Außerdem behauptet das Präsidium, die Fachschaftsinitiativen hätten keine Existenzberechtigung. An der HU gibt es sowohl Fachschaftsräte, die offiziell gewählt werden, als auch Fachschaftsinitiativen, die basisdemokratisch organisiert sind und bei denen jeder aktive Student mitmachen kann. Letztere – die Mehrzahl aller Fachschaften – stehen jetzt unter Beschuss.

Auch die Durchführung studentischer Wahlen soll erschwert werden. So schreibt Thomas Eschke von der Rechtsabteilung, die kostenfreie „Versendung von Briefwahlunterlagen“ müsse „zwingend hinterfragt werden“.

Bereits im Frühjahr wurde der E-Mail-Verteiler „HU-an-Studis“ geschlossen, der allen Studierenden als Austauschplattform und Kommunikationsmedium diente. Damit nahm die Unileitung dem RefRat sein wirkungsmächtigstes Sprachrohr, um die Studierendenschaft über die Attacken des Präsidiums zu informieren und sie dagegen zu mobilisieren.

Auch die jüngste Ankündigung der Unileitung, die Stellen von etwa 600 studentischen Beschäftigten zu streichen oder an eine Tochterfirma outzusouren, ist Bestandteil der Offensive gegen die Verfasste Studierendenschaft. Zu den ersten nicht besetzten Stellen gehören nicht zufällig zwei des studentischen Sozialberatungssystems des RefRats.

Die Studierenden „verurteilen“ in ihrem offenen Brief „die eskalativen und skandalösen Eingriffe des Präsidiums der HU in die Autonomie der Verfassten Studierendenschaft und alle Angriffe auf studentische Rechte insgesamt“. Sie zeigten „eine neue Qualität der Politik gegen Studierende, die nur vor dem Hintergrund des allgemeinen Rechtsruck in der Gesellschaft zu sehen ist und sich in viele weitere Angriffe auf die Verfasste Studierendenschaft in Berlin und bundesweit einreiht.“

Wie eng Kunst mit den Rechtsextremen zusammenarbeitet, unterstrich jüngst ein provokativer Auftritt des Berliner AfD-Abgeordneten Martin Trefzer auf dem Bebelplatz, wo 1933 die Bücherverbrennung der Nazis stattfand. In einem Progagandavideo der AfD hetzt Trefzer, der nicht nur wissenschaftspolitischer Sprecher seiner Partei ist, sondern auch den Vorsitz des Ausschusses für Wissenschaft und Forschung im Berliner Abgeordnetenhaus innehat, gegen den RefRat und betont seine enge Kooperation mit der Unileitung: „Die Präsidentin der HU hat mir zugesagt, dass da was passiert, aber der RefRat hat sich bislang quergestellt.“

Kunst geht vor allem auch deshalb so scharf gegen linke Studierende vor, weil sie ein rechtsradikales Netzwerk deckt, dass an der HU existiert. Initiator ist mit dem HU-Professor Jörg Baberowski einer der bekanntesten Ideologen und Strippenzieher der Neuen Rechten. Zu seinem „Rechten Salon“ gehören Figuren wie Thilo Sarrazin, Dieter Stein (Junge Freiheit) oder Michael Klonovsky, persönlicher Referent von AfD-Chef Alexander Gauland.

Schon im vergangenen Jahr hatten Trefzer und die AfD „das Präsidium der Humboldt-Universität“ dafür gelobt, sich „den Verleumdungen gegenüber dem renommierten Osteuropa-Historiker Jörg Baberowski entgegengestellt [zu] haben“. Als „Verleumdung“ denunzieren Kunst und die AfD jede studentische Kritik an den rechtsextremen Positionen Baberowskis und anderer Professoren.

Diese Tatsache hob auch das Referat für Lehre und Studium hervor: „An der Humboldt-Uni arbeiten seit Jahren bekannte und hochrangige AfD-Mitglieder sowie rechtsradikale Intellektuelle“, kritisieren die Studierendenvertreter auf Twitter. „Statt sich von ihnen zu distanzieren, werden sie von der Unileitung immer wieder in Schutz genommen.“

Aufgrund der Unterstützung durch die Unileitung fühlt sich Baberowski ermutigt, seine rechtsradikale Kampagne immer aggressiver voranzutreiben. Behauptete er 2014 im Spiegel, dass Hitler „nicht grausam“ gewesen sei, solidarisiert er sich nun mit den Neonazi-Aufmärschen in Chemnitz. Auf Facebook griff er die 70.000 Teilnehmer des „Rock gegen Rechts“-Konzerts Anfang September mit den Worten an: „Es ist deprimierend, dieses Immer-recht-haben-müssen, diese Gnadenlosigkeit, mit der Abweichendes moralisch diskreditiert und niedergemacht wird.“ Das „Abweichende“ in Chemnitz bestand in Hetzjagden gegen Ausländer und Linke und dem Angriff auf ein jüdisches Restaurant!

Den AStA der Uni Bremen, den er bereits zuvor erfolglos verklagt hatte, beschimpft Baberowski in einem weiteren Posting als „eine Ansammlung besonders widerwärtiger Denunzianten und Analphabeten“. Der Grund für den Wutausbruch: Die Bremer Studierenden führen an ihrer Universität eine Kampagne gegen eine rechtsradikale Studentin, die Kontakte zur NPD pflegt.

Die enge Kooperation zwischen Unileitung und AfD, mit dem Ziel Baberowskis rechtsradikales Netzwerk zu verteidigen und jede studentische Opposition dagegen zu unterdrücken, ist ein gefährlicher Präzedenzfall, der sich gegen alle Studierenden richtet. Das zeigt sich in Nordrhein-Westfalen, wo die AfD ebenfalls Listen von studentischen Vertretern und Abgeordneten fordert und sich dabei explizit auf die HU bezieht. In dem Maße, wie die Bundesregierung und alle etablierten Parteien die AfD integrieren und deren rechtsextreme Politik übernehmen, sollen auch die Universitäten auf dieser Linie gleichgeschaltet werden.

Die IYSSE rufen alle Studierenden dazu auf, gegen diese rechten Angriffe zu protestieren und im neuen Semester eine machtvolle Gegenoffensive zu organisieren. Es darf auf keinen Fall zugelassen werden, dass die HU und andere Universitäten in Deutschland wie vor dem Ersten und Zweiten Weltkrieg in Zentren für rechtsextreme und militaristische Propaganda verwandelt werden.

Wir fordern, dass alle Maßnahmen gegen politisch aktive Studierende sofort zurückgenommen und eine studentische Untersuchung des rechten Netzwerks an der HU eingeleitet werden. Kunst und Baberowski müssen zurücktreten!

Die IYSSE werden im nächsten Semester Protestveranstaltungen an der HU und anderen Universitäten organisieren. Außerdem werden wir Studierende und Arbeiter in ganz Deutschland und international über die gefährlichen Entwicklungen an der HU aufklären und Unterstützung für ein sozialistisches Programm gegen Faschismus, Krieg und Kapitalismus mobilisieren. Kontaktiert uns, um mehr über die geplanten Aktivitäten zu erfahren und Euch daran zu beteiligen! Studiert unser Programm unter iysse.de und werdet Mitglied der IYSSE!

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