Übertreibt die WSWS die Gefahr eines Krieges?

Eine Antwort an die französische Tageszeitung Libération

Am Montag behauptete die französische Tageszeitung Libération in einem Artikel unter der Rubrik „CheckNews“, die World Socialist Web Site würde in ihrer Berichterstattung über die Vorbereitungen der USA auf einen „totalen Krieg“ übertreiben. Die Journalistin Pauline Moullot schreibt auf die Frage eines Lesers: „Tatsächlich haben viele Websites diesen Artikel von der World Socialist Web Site mit dem Titel ,Neuer Pentagon-Bericht: Vorbereitung auf totalen Krieg‘ weiterverbreitet. Der Artikel vermischt mehrere zutreffende Berichte, um dann bei dem irreführenden Titel herauszukommen.“

Die Libération gibt zu, dass die WSWS zutreffend über die militärischen Drohungen und Zwischenfälle zwischen US-Truppen und ihren russischen und chinesischen Gegenspielern berichtet. Sie erwähnt, dass es im Südchinesischen Meer vor kurzem beinahe zu einem Zusammenstoß zwischen chinesischen und amerikanischen Kriegsschiffen gekommen ist. Le Monde bezeichnete den Vorfall als „gefährlich“. Libération weist auch darauf hin, dass die amerikanische Botschafterin bei der Nato, Kay Bailey Hutchison, gedroht hatte, russische Raketen in Europa auszuschalten und damit, in den Worten der Washington Post, einen „diplomatischen Zwischenfall“ ausgelöst hat.

Dennoch beharrt die Libération darauf, dass die WSWS die Kriegsgefahr und vor allem die Bedeutung des Pentagon-Berichts, auf den sich der Artikel stützt, überschätzt.

Sie schreibt: „Sieht der Bericht des Pentagon tatsächlich einen ,totalen Krieg‘ kommen? In Wirklichkeit befasst sich der in dem Artikel zitierte Bericht mit der amerikanischen Rüstungsindustrie.“

Da momentan lediglich ein Handelskrieg zwischen Amerika und China stattfindet, kommt die Libération zu dem Schluss, dass der WSWS-Artikel übertreibt und alle wieder ruhig schlafen können: „Es stimmt also, dass sich die Maßnahmen der USA besonders gegen China richten, aber der zitierte Bericht befasst sich mit der Strategie der amerikanischen Rüstungsindustrie und Chinas Einfluss in dieser Industrie. Er unterstützt die Argumente der USA für einen Handelskrieg gegen China, aber er ist kein Anzeichen für einen ,totalen Krieg‘.“

Tatsächlich ist die Analyse der WSWS zur Gefahr eines Krieges korrekt. Der Pentagon-Bericht will vor allem sicherstellen, dass das US-Militär seine Aktivitäten auch unter Bedingungen „steigern“ kann, in denen die Länder, von denen es wirtschaftlich abhängig ist, den USA „den Zugang verwehren“. Die meisten Menschen (die Redaktion der Libération jedoch offensichtlich nicht) verstehen unter einem „Anstieg“ militärischer Aktivitäten einen Krieg. Um einen solchen „Anstieg“ abzusichern, schlägt der Bericht radikale Veränderungen in der amerikanischen Wirtschaft, dem Bildungssystem und bei den Staatsausgaben vor.

Mit anderen Worten, der Bericht spricht sich für Veränderungen in der gesamten amerikanischen Gesellschaft aus, um einen Krieg führen zu können. Wenn die Libération darin keine Vorbereitung auf einen „totalen Krieg“ erkennt, bestätigt sie nur das alte Sprichwort: „Man kann die Pferde zur Tränke führen, saufen müssen sie selbst.“

Der Pentagon-Bericht mit dem Titel „Bewertung und Stärkung der industriellen und rüstungsindustriellen Basis und der Belastbarkeit der Versorgungskette in den USA“ fordert von den USA eine „Umrüstung“, um sich auf den „Wettstreit der Großmächte“ vorzubereiten. Er beruft sich auf die Nationale Sicherheitsstrategie der USA vom letzten Jahr, in dem „revisionistische Staaten“ wie China und Russland als „zentrale Herausforderung“ für die USA bezeichnet werden.

Das Papier zur Nationalen Sicherheitsstrategie betont, die Vorbereitung auf militärische Konfrontationen und Konflikte mit anderen atomar bewaffneten Großmächten erfordere, „mehrere Elemente nationaler Macht nahtlos miteinander zu verbinden“. Dazu gehören „Diplomatie, Kommunikation, Wirtschaft, Finanzen, Geheimdienste, Strafverfolgung und Militär“.

Es gehört demnach zur Nationalen Sicherheitsstrategie der USA, alle Bestandteile der amerikanischen Gesellschaft in die Pläne für einen totalen Krieg einzubeziehen.

Wie der WSWS-Artikel erklärt, schlägt der jüngste Pentagon-Bericht genau das konkret vor. Er fordert nicht nur eine Wirtschaftspolitik zum Aufbau eines „dynamischen Produktionssektors, einer soliden Basis der Rüstungsindustrie und belastbarer Lieferketten“, sondern auch eine umfangreiche Umgestaltung der amerikanischen Forschungs- und akademischen Einrichtungen, darunter auch Maßnahmen gegen chinesische Studenten. Der Bericht warnt, dass fast ein Viertel der „Absolventen in MINT-[Mathematik, Ingenieurswesen, Naturwissenschaft und Technologie]-Fächern in den USA“ chinesische Staatsbürger seien. Damit würden „die amerikanischen Universitäten den wirtschaftlichen und militärischen Aufstieg Chinas stark befördern“.

Die US-Pläne für einen totalen Krieg haben die anderen Großmächte, sowohl Washingtons Verbündete als auch seine Gegner, zur Vorbereitung ähnlicher Maßnahmen getrieben. Schweden hat letztes Jahr die Wehrpflicht wiedereingeführt, und Deutschland hatte bereits zuvor die Remilitarisierung seiner Außenpolitik angekündigt. Während die Nationale Sicherheitsstrategie der USA den letzten Schliff erhielt, kündigte Russland eigene Pläne für die vollständige Mobilisierung der russischen Wirtschaft für den Krieg an.

Im Rahmen von zahlreichen Militärübungen, mit denen Russland die Truppenverlegungen der Nato an die russische Grenze in Osteuropa ausgleichen will, erklärte der russische Präsident Wladimir Putin: „Die Fähigkeit unserer Wirtschaft, die militärische Produktion und Dienstleistungen jederzeit zu steigern, ist einer der wichtigsten Aspekte der militärischen Sicherheit. Dazu sollten alle strategischen und großen Unternehmen bereit sein, egal wem sie gehören.“

Diese Ereignisse zeigen, dass die eskalierenden neokolonialen Kriege der Nato und der USA im letzten Vierteljahrhundert ein neues und gefährliches Stadium erreichen. Die Konflikte zwischen den kapitalistischen Großmächten treten offen zutage. Sie sind die Grundlage der Versuche des US-Imperialismus seit den 1990er Jahren, Eurasien militärisch zu dominieren, u. a. durch die Kriege im Irak, Afghanistan, Jugoslawien und Syrien. Ein erneuter globaler Zusammenbruch des Kapitalismus wird in Gang gesetzt. Genau wie 1914 und 1939 bereiten sich Washington, Moskau und die anderen großen kapitalistischen Mächte auf einen umfassenden Krieg vor.

Die Libération würde dieser Analyse wahrscheinlich widersprechen. Doch was ergab ihre Analyse im Jahr 2015 von dem Mann, dessen Sieg bei der französischen Präsidentschaftswahl die Libération als Triumph gefeiert hatte? Damals drohte Washington, die ukrainischen Milizen zu bewaffnen, die in der russischsprachigen Ostukraine gegen Russland kämpften, und Russland drohte mit militärischer Vergeltung.

Als der damalige Präsident François Hollande in Paris ein Flugzeug nach Minsk bestieg, um in einem verzweifelten Versuch den späteren Friedensvertrag zur Ukraine auszuhandeln, erklärte er: „Wir sind in nur wenigen Monaten von Differenzen über Konflikte zum Krieg übergegangen. ... Wir befinden uns im Kriegszustand, der zum totalen Krieg werden könnte.“

Natürlich schürte Hollande nach seiner Rückkehr aus Minsk die neokolonialen Kriege des französischen Imperialismus in Syrien und Mali, und wurde darin von der Libération unterstützt.

Die Kritik der Libération an den Versuchen der WSWS, die weltweite Arbeiterklasse vor der Kriegsgefahr zu warnen und im Kampf gegen den imperialistischen Krieg zu mobilisieren, ist völlig unredlich. Genau wie die anderen offiziellen Medien in Frankreich und weltweit ist sie sich bewusst, dass die WSWS eine breite Leser- und Anhängerschaft hat, darunter auch ihre eigenen Leser. Wie andere proimperialistische Publikationen und Organisationen, die aus der Studentenbewegung nach 1968 entstanden sind, u. a. die pablistische Neue Antikapitalistische Partei (NPA), hat sie bisher ein feindseliges Schweigen gegenüber der WSWS gewahrt.

Die Karriere von Pauline Moullot, der Autorin des „Faktenchecks“ der WSWS, zeigt exemplarisch die Rechtsentwicklung der kleinbürgerlichen Schichten, die die redaktionelle Haltung und Perspektive der Libération bestimmen. Die maoistischen Jugendlichen, die die Zeitung im Jahr 1973, während der Bewegung gegen den Vietnamkrieg unter Protektion von Jean-Paul Sartre gründeten, haben einen langen Weg hinter sich. Moullot schreibt auch für die Zeitschriften Slate und das World Policy Journal, das Beziehungen zu Frankreichs imperialistischem Außenpolitikmagazin Politique internationale unterhält.

Diese Schicht der „außenpolitischen Community“ ist in den letzten Jahrzehnten zu Wohlstand gekommen, während blutige Kriege Millionen von Menschenleben forderten. Sie hat mit ihren Kommentaren die zahlreichen imperialistischen Plünderungszüge gerechtfertigt und schöngeredet. Ihre Gehälter, Aktienportfolios und ihre umfassenden sozialen Privilegien entwickelten sich in Abhängigkeit von den Profiten aus den Kriegen und der Vermarktung des Kriegs für die Öffentlichkeit. Sie haben ein finanzielles Interesse daran, die Wahrheit über die Folgen der Pläne für einen totalen Krieg zu verschweigen, obwohl in der breiten Masse der Bevölkerung die Beunruhigung über diese Entwicklung wächst.

Deshalb bestreitet die Libération trotz aller Beweise, dass ein totaler Krieg vorbereitet wird und entscheidet sich bewusst dafür, die Puzzleteile nicht miteinander zu verbinden, obwohl sie direkt vor ihren Augen liegen.

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