Frankfurt: Suizid eines jungen Afghanen

Offenbar aus Angst vor einer Abschiebung hat sich am Samstagabend ein 21-jähriger Afghane aus dem Wetteraukreis das Leben genommen. Am Frankfurter Holbeinsteg sprang er in den Main und ertrank. Wie der Hessische Flüchtlingsrat mitteilt, hatte er kurz zuvor erfahren, dass sein Asylantrag abgelehnt worden war.

Der junge Afghane war mit zwei Freunden in Frankfurt unterwegs gewesen und soll ihnen gesagt haben, er wolle nicht mehr leben. Kurz darauf sprang er in den Fluss. Obwohl seine Freunde noch versuchten, ihn zu retten, geriet er in einen Strudel und ertrank. Die Feuerwehr konnte ihn später nur noch tot bergen.

Es ist nicht der erste Fall der Selbsttötung eines afghanischen Flüchtlings. Schon im Januar hatte sich ein 23-jähriger Geflüchteter aus Afghanistan in Maintal vor einen fahrenden Zug geworfen. Auch nahm sich einer der 69 jungen Menschen, die zu Innenminister Horst Seehofers 69. Geburtstag nach Afghanistan abgeschoben worden waren, in Kabul das Leben.

Nach Angaben des hessischen Sozialministers Stefan Grüttner (CDU) gab es 2016 in den hessischen Erstaufnahmeeinrichtungen 18 Suizidversuche, unter anderem in Hanau, Büdingen, Wiesbaden und Frankfurt, sowie vier weitere mögliche Suizidversuche. 2017 haben sich in Hessen vier Flüchtlinge umgebracht und 70 einen Suizidversuch unternommen.

Über die jüngste Selbsttötung eines geflüchteten Menschen in Frankfurt und andere Fälle berichten die Medien nur spärlich. Aus einem Bericht der Berliner Antirassistischen Initiative über Gewalt gegen Geflüchtete, deren Suizide und Suizidversuche geht jedoch hervor, dass es in den Jahren 2015 bis 2017 unter Flüchtlingen insgesamt 71 Suizide gab, darunter neun Fälle in Abschiebehaft. Für denselben Zeitraum listet die Organisation bundesweit 949 Fälle von Suizidversuchen auf.

Der jüngste Suizid eines afghanischen Geflüchteten in Frankfurt wirft ein grelles Licht auf die Abschiebepraxis der Grünen, die als Juniorpartner in der schwarz-grünen hessischen Landesregierung sitzen. Sie sind für den tragischen Tod mitverantwortlich. Der Umgang mit Flüchtlingen ist weitgehend Ländersache, und Hessen hat überdurchschnittlich hohe Abschiebewerte.

Im Bundestag, wo sie Oppositionspartei sind, treten die Grünen offiziell für einen Abschiebestopp nach Afghanistan ein, aber überall dort, wo sie an der Regierung beteiligt sind, schieben sie gnadenlos auch nach Afghanistan ab.

Die Doppelzüngigkeit der grünen Regierungsmitglieder ist atemberaubend. Als sich Hessen an der Sammelabschiebung vom 15. August nach Afghanistan mit zwei Deportierten beteiligte, distanzierte sich der innenpolitische Sprecher der hessischen Grünen, Jürgen Frömmrich, von der Einschätzung der Sicherheitslage in Afghanistan durch die Bundesregierung, setzte dann jedoch als Rechtfertigung hinzu: „Als Land müssen wir aber Entscheidungen der Bundesbehörden, in diesem Falle des Bamf, umsetzen.“

Die Grünen in Hessen sind als Teil der Regierung für einen wahrhaft menschenverachtenden Umgang mit Flüchtlingen mitverantwortlich. Timmo Scherenberg, Geschäftsführer des hessischen Flüchtlingsrates, prangerte die Schikanen und Drohungen an, mit denen die Landesregierung bei den afghanischen Flüchtlingen einen „enormen Abschiebedruck“ aufbaue. Die Behörden behaupteten selbst gegenüber Familien mit Kleinkindern, dass für sie ein Rückflug schon organisiert sei. So werde systematisch versucht, ein Gefühl der Ausweglosigkeit zu erzeugen.

Tatsächlich gilt in Hessen offiziell die Regelung, nach der nur verurteilte Straftäter und sogenannte Gefährder nach Afghanistan abgeschoben werden dürfen. Zwar ist auch diese Regelung in keiner Weise gerechtfertigt oder nachvollziehbar, da sich Afghanistan ja im Krieg befindet. Doch führt sie dazu, dass die hessischen Behörden eine Großzahl der abgelehnten afghanischen Flüchtlinge momentan gar nicht abschieben können.

Nun hat sich das CDU-geführte Landesinnenministerium in Wiesbaden mit den Grünen auf die Sprachregelung geeinigt, dass bei Rückführungen nach Afghanistan „vorrangig“ ausreisepflichtige Straftäter und Gefährder abgeschoben würden. Obwohl außerhalb dieser Personengruppe bisher niemand deportiert wurde, führt diese Sprachregelung zu großer Verunsicherung unter den abgelehnten Asylbewerbern.

Die Regierung versucht, die Flüchtlinge über massiven Druck dazu zu bringen, dass sie aufgeben und „freiwillig“ ausreisen. Das Land Hessen hat ein spezielles Programm aufgelegt, um den Menschen aus Afghanistan Beratungsgespräche über eine „freiwillige“ Ausreise aufzunötigen. Gleichzeitig wird etwa eine Duldung verweigert, oder die Behörden erteilen sie nur für sehr kurze Zeit. Auch werden Arbeitsverbote erlassen, und viele junge Menschen werden zusätzlich mit Anzeigen wegen illegalen Aufenthaltes eingeschüchtert.

Dies alles führt unter afghanischen Flüchtlingen zu massiver Verunsicherung. Wie der Flüchtlingsrat berichtet, sind in letzter Zeit vermehrt Personen untergetaucht, oder sie versuchen, in anderen europäischen Ländern erneut einen Asylantrag zu stellen.

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) hat im letzten Jahr 2017 knapp 57.000 Asylanträge von afghanischen Staatsangehörigen abgelehnt. Gegen die meisten dieser Entscheidungen wurde Klage vor einem Verwaltungsgericht eingelegt. Allein in Hessen lebten Ende Juni 2018 nach Angaben der Bundesregierung 1414 vollziehbar ausreisepflichtige Afghanen, während sich mehrere Tausend noch im Klageverfahren befanden.

Bundesweit sind mit der letzten Sammelabschiebung, die am 3. Oktober aus München nach Kabul ging, bisher 383 Menschen in dieses Kriegsgebiet abgeschoben worden.

Die Mehrzahl der Flüchtlinge befindet sich in einer verzweifelten Situation. In ihren Heimatländern haben sie die Erfahrung von Armut, Gewalt oder Krieg gemacht und mussten sich, oftmals noch als Jugendliche, von Familie, Freunden und dem gesamten kulturellen Umfeld trennen. Auf dem Fluchtweg wurden die meisten von ihnen durch extreme Gefahren für Leib und Leben traumatisiert.

Anstatt ihnen geordnete Reisemöglichkeiten nach Europa und Hilfe anzubieten, schaffen die europäischen Eliten absichtlich Bedingungen für lebensbedrohliche Situationen auf der Flucht und menschenunwürdige Bedingungen in den Flüchtlingsunterkünften. Sie dulden den Aufbau faschistischer Milizen, die regelrecht Jagd auf Flüchtlinge veranstalteten. In Afrika und im Mittelmeer sind die Flüchtlinge und Migranten Hunger und Durst auf den Todesmärschen, sowie den Folterlagern in Libyen ausgeliefert. Auf der Mittelmeerroute sind allein in diesem Jahr schon nahezu 1800 Menschen ertrunken.

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