Wut der Bayer-Arbeiter über Stellenstreichungen wächst

Nachdem der Chemiekonzern Bayer in der letzten Woche angekündigt hatte, 12.000 seiner 118.200 Arbeitsplätze zu vernichten, wächst die Wut unter den Beschäftigten. Zugleich kommen immer neue Fakten über die Pläne der Konzernleitung an die Öffentlichkeit, die verdeutlichen, dass es sich bei den angekündigten Umstrukturierungen um einen Generalangriff auf die internationale Belegschaft handelt.

Das Manager Magazin berichtete am Montag, dass der Chemiekonzern neben den Stellenstreichungen zusätzlich 10.000 Mitarbeiter in andere Unternehmen ausgliedern will. Arbeiter würden auf dieser Weise ihre Arbeitsverträge und alle damit verbundenen Zusicherungen verlieren. Zudem werden die Beschäftigten von Management und Gewerkschaften darüber im Dunkeln gelassen, wie viele Arbeitsplätze an welchen Standorten auf dem Spiel stehen.

Die Westdeutsche Zeitung schreibt, dass allein in Wuppertal statt der bisher angenommenen 350 Stellenstreichungen bis zu 800 der 3.400 Arbeitsplätze vernichtet werden könnten. Ein ganzes Werk, das gerade erst gebaut worden war, um das Mittel „Faktor VIII“ zur Behandlung von Blutern zu produzieren, soll stillgelegt werden. Auf einer Betriebsversammlung am Montag, zu der fast 1000 Mitarbeiter gekommen waren, erklärte der Wuppertaler Betriebsratsvorsitzende Michael Schmidt-Kießling, dass genaue Zahlen erst am Donnerstag bekannt gegeben würden.

Auch den rund 5200 Beschäftigtem am Berliner Standort wurden bisher keine Informationen über den Umfang der Stellenstreichungen mitgeteilt. Mitglieder der Sozialistischen Gleichheitspartei (SGP) verteilten vor dem Werk in Berlin-Wedding die Erklärung „Verteidigt die Arbeitsplätze bei der Bayer AG“ und diskutierten mit Beschäftigten.

Viele Arbeiter, die täglich die Tore des Werks passieren, sind schon lange nicht mehr bei Bayer, sondern bei einem der zahllosen Subunternehmen und Leiharbeitsfirmen beschäftigt und verdienen nur noch einen Bruchteil der letzten nach Tarif beschäftigten Kollegen. Marcel, der eigentlich ausgebildeter Möbeltischler ist, arbeitet seit sechs Monaten als Leiharbeiter bei Bayer. Er verdient nur 13 Euro brutto die Stunde. An die Gründung einer Familie kann der 29-Jährige dabei gar nicht denken, sagt er.

Ein langjähriger Mitarbeiter im Labor, der aus Angst vor Repressionen lieber anonym bleiben will, erzählt, wie sich die Arbeitsbedingungen in den letzten Jahren immer weiter verschlechtert haben. Die Stimmung in den Abteilungen sei schlecht. „Zuletzt haben sie bei uns Samstagsarbeit eingeführt, was für die Labore bisher nicht galt“, so der Arbeiter, der mal als Chemikant bei Schering angefangen hatte, bei der Übernahme durch Bayer und anderen Umstrukturierungen aber immer wieder versetzt wurde. Dabei seien viele Sonderzahlungen und außertarifliche Verbesserung abgebaut worden.

„Das ist ja nicht die erste Entlassungswelle die wir erleben“, sagt er. Die Unternehmen würden tarifliche Arbeitsplätze abbauen und sie durch Leiharbeiter ersetzen. „Die dürfen nicht mal mehr krank werden“, erklärt der Arbeiter. Die Verantwortung dafür trügen auch die Gewerkschaften und Betriebsräte. „Die machen doch alles mit!“ Auch die Politik habe die Billiglöhne unterstützt.

Über die Folgen von Umstrukturierungen und Entlassungen weiß auch Karsten zu berichten, der seit vier Jahren bei Bayer als Logistiker arbeitet. Zuvor hatte er zwölf Jahre lang im Berliner Werk des Flugzeugherstellers Bombardier gearbeitet und war bis zum Lagerleiter aufgestiegen. Als Bombardier heftige Kürzungen durchsetze, wurde er betriebsbedingt gekündigt. „Jetzt wurde ich bei Bayer fünf oder sechs Tarifgruppen niedriger eingestuft!“

Sein Vater habe sogar 40 Jahre lang bei Bombardier gearbeitet und sei dann in einer früheren Kürzungsaktion betriebsbedingt gekündigt worden. Zwei Jahre später sei der dann als Leiharbeiter wieder eingestellt worden, zu sehr viel schlechteren Bedingungen und als einfacher Logistiker.

Auch Karsten hat kein Vertrauen in Betriebsrat und Gewerkschaft und bezeichnet sie als „falsche Hunde“. Bei Bombardier hätten sie nicht nur den Entlassungen zugestimmt, sondern den betroffenen Arbeitern auch jeden Rechtsschutz verweigert.

Der Kandidat der SGP bei den Europawahlen, Christoph Vandreier, diskutierte mit den Arbeitern und erklärte, dass aus der Rolle der Gewerkschaften als Co-Manager der Unternehmen der Schluss gezogen werden müsse, unabhängige Betriebskomitees aufzubauen. „Die Belegschaften müssen sich international zusammenschließen und einen prinzipiellen Kampf zur Verteidigung aller Arbeitsplätze aufnehmen.“

Christoph Vandreier in Diskussion mit einem Arbeiter am Bayer-Werk in Berlin-Wedding

Insbesondere verwies Vandreier auf Frankreich, wo gegenwärtig hunderttausende Arbeitern gegen die Benzinpreiserhöhung und die Politik im Interesse der Reichen protestieren. Dort sehe man die Kraft der Arbeiterklasse, aber zugleich auch die Notwendigkeit einer sozialistischen Perspektive, die sich auf die historischen Erfahrungen stützt.

Ähnliche Fragen kamen auch in Wuppertal auf, wo die Arbeiter vor der Betriebsversammlung in einer Demonstration durch die Stadt gezogen waren. Ein Teilnehmer erklärte in einer Diskussion mit dem SGP-Kandidaten Philipp Tenter, dass ein umfassender Streik nötig sei. „Also meiner Meinung nach müsste man streiken, wir müssten den Laden hier stilllegen.“

Den Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat macht auch er schwere Vorwürfe. „Die haben einen Maulkorb, dürfen nichts sagen, wollen aber vor allem auch nichts sagen. Und die sind ja auch gut eingekauft. Sie werden für ihre Arbeit im Aufsichtsrat fürstlich entlohnt.“ Er sei selber länger Betriebsrat gewesen, aber habe vor allem versucht, eine Opposition gegen die IG BCE aufzubauen. „Die IG BCE zieht ja schon ewig die gleiche Nummer ab.“

Ein Kampf gegen die Offensive des Konzern müsse vor allem zwei Prinzipien haben, fährt der Arbeiter fort: „Das müsste international koordiniert werden. Und zweitens müsste man dafür sorgen, dass die Belegschaft selbst entscheidet, was produziert wird. Und zum Beispiel die Pharmaforschung müsste so aufgebaut sein, dass wir als Gesellschaft entscheiden, wo wir unsere Kohle reinstecken. Kurz gesagt: Wir müssen den Kapitalismus überwinden.“

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