Frankreich: „Gelbwesten“-Bewegung wächst trotz Unterdrückung durch die Polizei

Am Samstag veranstaltete die „Gelbwesten“-Bewegung ihren ersten Aktionstag im Jahr 2019. Dabei konnte sie deutlich mehr Demonstranten mobilisieren als bei der letzten Veranstaltung im Jahr 2018, obwohl die Polizeigewalt weiter eskalierte. Sogar das Innenministerium gibt in seiner offiziellen Statistik zu, dass im ganzen Land 50.000 Menschen an der achten wöchentlichen Protestveranstaltung der „Gelbwesten“ teilnahmen. Am 29. Dezember waren es nur 32.000.

Diese Zahl widerlegt alle, die den Rückgang der Teilnehmerzahlen während der Feiertage als Beweis dafür angeführt haben, dass die Bewegung am Ende ist. Gleichzeitig ordnete Präsident Macron an, den Sprecher der „Gelbwesten“, Eric Drouet, für zwei Tage in Sicherheitsverwahrung zu nehmen. Drouet war nach Paris gekommen, um an einer privaten Gedenkveranstaltung für „Gelbwesten“-Mitglieder teilzunehmen, die bisher während der Proteste getötet wurden. Außerdem warf Macron den „Gelbwesten“ in seiner Neujahrsansprache vor, sie hätten ihn gezwungen, „Inakzeptables“ anzuhören. Diese durchsichtigen Versuche, die „Gelbwesten“ zu demoralisieren und einzuschüchtern, sind auf ganzer Linie gescheitert.

Stattdessen trotzten die „Gelbwesten“ der massiven Polizeigewalt in Paris und den Provinzen, und demonstrierten weiter gegen die Regierung der Reichen, die ihren Forderungen nach Lohnerhöhungen, Arbeitsplätzen, sozialer Gleichheit und Frieden mit unversöhnlicher Feindschaft gegenübersteht. In Paris demonstrierten 3.500 Menschen, in Toulouse und Rouen jeweils 2.000, in Bordeaux über 5.000. In Lyon gingen Tausende auf die Straße und blockierten kurzzeitig einen Teil der Autobahn A7, die durch die Stadt verläuft.

Die Demonstrationen waren anfangs friedlich, doch aufgrund von Provokationen der Sicherheitskräfte kam es in mehreren großen Provinzstädten zu Zusammenstößen, u.a. in Caen, Nantes und Bordeaux. In Rennes schlug eine Gruppe von Demonstranten eine Tür des Rathauses ein.

In Rouen wurde ein Demonstrant von einem Gummigeschoss am Kopf getroffen; in Montpellier wurden vier Bereitschaftspolizisten und drei Demonstranten bei Zusammenstößen leicht verwundet, fünf weitere wurden verhaftet. In St. Etienne wurden sechs Demonstranten verhaftet, die Gegenstände auf die Sicherheitskräfte geworfen haben sollen.

In Paris begann der Protestmarsch von Tausenden von Demonstranten auf der Champs-Élysées friedlich, bevor es am Nachmittag und Abend zu Zusammenstößen mit Sicherheitskräften kam. Zu ersten Auseinandersetzungen kam es, als der Demonstrationszug der „Gelbwesten“ nach der Ankunft beim Rathaus versuchte, zum Gebäude der Nationalversammlung zu ziehen. In diesem Moment feuerten die Sicherheitskräfte mit Tränengas, und die Demonstranten warfen daraufhin mit Flaschen und Steinen.

Da die „Gelbwesten“ nicht zur Nationalversammlung vordringen konnten, zog eine Gruppe von ihnen auf den nahegelegenen Boulevard St. Germain und skandierte: „Paris, steh auf, Revolte!“ Nach ihrer Ankunft auf dem Boulevard errichteten sie mehrere improvisierte Barrikaden. Roller, Mülltonnen und ein Auto wurden angezündet, über der Hauptstadt stieg dicker schwarzer Rauch auf.

Das zweite wichtige Ereignis bei der Demonstration in Paris war, dass „Gelbwesten“ in das Ministerialgebäude von Regierungssprecher Benjamin Griveaux eindringen konnten. Dieser wurde zusammen mit seinen Beratern von der Polizei aus dem Gebäude evakuiert. Er erklärte, „Gelbwesten“ und „schwarz gekleidete Leute“ seien am Nachmittag mit einem Fahrzeug, das sie von einer nahegelegenen Baustelle entwendet hatten, durch die Tore seines Ministeriums eingedrungen. Danach zerstörten sie im Hof des Gebäudes zwei Autos und mehrere Fensterscheiben und flohen. Die Pariser Staatsanwaltschaft hat Ermittlungen aufgenommen.

Macron und Griveaux, durch den Vorfall in Schrecken versetzt, bezeichneten ihn als Angriff auf die Demokratie und die französische Republik.

Griveaux erklärte: „Nicht ich bin das Ziel, sondern die Republik.“ Die Schuld für den Vorfall gab er „denjenigen, die den Aufstand und den Sturz der Regierung wollen“. Allerdings fügte er hinzu: „Die Republik steht noch. [...] Das ist inakzeptabel, und ich hoffe, dass die Videos der Sicherheitskameras es uns ermöglichen werden, die Verantwortlichen zu identifizieren und zur Rechenschaft zu ziehen, und dass sie harte Strafen erhalten.“

Macron erklärte auf Twitter: „Wieder einmal wurde die Republik mit extremer Gewalt angegriffen – ihre Hüter, ihre Repräsentanten und ihre Symbole. Die Verantwortlichen für diese Taten vergessen, was der Kern unseres Bürgerpaktes ist. Es wird für Gerechtigkeit gesorgt werden. Alle müssen zur Vernunft kommen, damit sich Diskussion und Dialog durchsetzen können.“

Diese Äußerungen über die „Bedrohung“ der Demokratie und der Republik durch die „Gelbwesten“ sind verabscheuungswürdig und absurd. Die Gefahr für die Demokratie geht nicht vom Widerstand der Bevölkerung gegen Macron, den „Präsidenten der Reichen“, aus, sondern von einer Regierung, die der parasitären Finanzaristokratie völlig hörig ist und den legitimen Widerstand der Arbeitermassen gegen Austerität, Krieg und Polizeistaatsmaßnahmen mit Füßen tritt.

Die „Gelbwesten“-Proteste sind Teil eines allgemeinen Wiederauflebens des weltweiten Klassenkampfs, von dem das letzte Jahr geprägt war. Die amerikanischen Lehrer, die deutschen und türkischen Metallarbeiter, die britischen und französischen Bahnarbeiter streikten unabhängig von den Gewerkschaften. Diese Streiks und die Protestwellen im Iran und Tunesien waren allesamt Ausdruck der wachsenden Wut der Arbeiterklasse und des zunehmenden Widerstandes gegen soziale Ungleichheit. Sie stehen den Gewerkschaftsbürokratien mit immer offenerer Feindschaft gegenüber, da diese den Klassenkampf jahrzehntelang unterdrückt haben, um die Austeritätspolitik durchzusetzen.

Diese Kämpfe sind ein Ausdruck der Stimmung in der überwiegenden Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung gegen die Austeritäts- und Kriegspolitik, die von den großen Banken diktiert wird. Die Gefahr für die Demokratie geht vielmehr von der brutalen Unterdrückung durch die kapitalistischen herrschenden Eliten aus.

Macron, der jetzt heuchlerisch behauptet, er verteidige die Republik, hatte im November das Andenken an Philippe Pétain verteidigt. Dieser wurde 1940 von der Nationalversammlung eingesetzt, indem man die Republik abschaffte. Er regierte als Diktator des faschistischen Vichy-Regimes, das im Zweiten Weltkrieg mit den Nazis verbündet war. Gleichzeitig tritt Macron das Recht auf Protest und Streiks mit Füßen, das nach dem Ende des Vichy-Regimes in der Verfassung festgeschrieben wurde.

Macron versucht trotz seiner überwältigenden Unbeliebtheit, ein autoritäres Regime zu errichten, das jeden Ausdruck von echtem Widerstand gegen sein Regime und gegen die Unterdrückung durch die Polizei kriminalisiert. Nach der erneuten zweitägigen Sicherungsverwahrung von Drouet hat die Polizei jetzt eine Fahndung nach einem 37-jährigen Boxchampion begonnen, der sich in Paris zwischen Polizisten und „Gelbwesten“ gestellt hat. Sein „Verbrechen“ bestand darin, dass er Polizisten schlagen wollte, die mit Knüppeln auf ihn und die Demonstranten losgingen.

In den Massen wächst die Wut über die Brutalität der Polizei weiter. Letztes Jahr löste die Polizei in Mantes-la-Jolie einen öffentlichen Skandal aus, weil sie Dutzende von demonstrierenden Schülern verhaftete, in Handschellen niederknien ließ und sie aufs Übelste beleidigte. Der Anblick erinnerte an Résistance-Kämpfer, die kurz davor standen, vom Vichy-Regime erschossen zu werden.

Mittlerweile kursiert ein Video von den Ereignissen in Toulon, auf dem der Polizeikommandant Didier Andrieux, ein Mitglied der Ehrenlegion, einen wehrlosen Demonstranten brutal auf den Kopf schlägt, nachdem dieser bereits verhaftet und an eine Wand gestellt wurde. Am Sonntag verteidigte Andrieux seine Tat gegenüber Nice-Matin. Er erklärte, er hätte während des Videos „nicht gewusst“, ob der Demonstrant noch immer eine Flasche bei sich trug. Allerdings hätte die Polizei ihn durchsuchen können, statt ihn mehrfach auf den Kopf zu schlagen.

Der Staat verteidigt Andrieux. Staatsanwalt Bernard Marchal weigerte sich, ein Verfahren gegen Andrieux zu eröffnen. Sein offensichtlich verlogener Vorwand war, dass in der Stadt ein bewaffneter Aufstand im Gange war: „Vor und nach diesem Video gab es aufrührerische Umstände, deshalb war es nicht möglich, irgendjemanden gewaltfrei zu verhaften. Er handelte im Verhältnis zur Bedrohung.“

Andrieux, der in Toulon 400 Polizisten befehligt, hat vor zwei Jahren einen Polizeimajor geschlagen und damit einen Skandal in der Polizeibehörde ausgelöst. Obwohl er seinem Kollegen die Nase und das Stirnbein gebrochen hatte, erhielt er nur eine leichte Rüge, da er in der höheren Polizeihierarchie Unterstützung genießt.

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