Perspektive

Die Arbeiterklasse und der Sozialismus

Am Dienstag beendete US-Präsident Donald Trump seine Rede zur Lage der Nation mit den Worten: „Wir in den Vereinigten Staaten sind alarmiert über neue Aufrufe, in unserem Land den Sozialismus einzuführen ... Heute bekräftigen wir unseren Entschluss, dass Amerika niemals ein sozialistisches Land werden wird.“

Nur drei Tage nach Trumps Tirade gegen den Sozialismus veröffentlichte die Statistikabteilung des US-Arbeitsministeriums einen Bericht, der deutlich macht, woher diese Angst vor dem Sozialismus rührt: aus dem wachsenden Klassenkampf. Demzufolge war die Zahl der Streikenden im vergangenen Jahr die höchste seit 1986, also seit mehr als 30 Jahren. Im vergangenen Jahr haben mehr als eine halbe Million US-Arbeiter gestreikt, eine Steigerung um das 20-fache gegenüber 2017.

Die größte Arbeitsniederlegung war der Streik von 81.000 Lehrern und Schulangestellten in Arizona im April 2018. Er führte zum Ausfall von 486.000 Manntagen. Der Streik von 20.000 Lehrern in Oklahoma im selben Monat kostete 405.000 Manntage. Weiter heißt es: „Bundesweit gab es auch in West Virginia, Kentucky, Colorado und North Carolina größere Arbeitsunterbrechungen im Bildungsbereich.“

Diese Welle von Kämpfen ist im neuen Jahr weiter angewachsen – in den Vereinigten Staaten, in Nordamerika insgesamt und auf der ganzen Welt. In Los Angeles traten letzten Monat Zehntausende von Lehrern in den Ausstand. Siebzigtausend Arbeiter in den Automobilwerken im mexikanischen Matamoros starteten einen großen Streik, der mittlerweile die Automobilproduktion in den Vereinigten Staaten beeinträchtigt und weitere Teile der Arbeiterklasse erfasst.

Und das ist erst der Anfang.

Seit der Niederschlagung des Fluglotsenstreiks im Jahr 1981 hat die amerikanische herrschende Klasse jahrzehntelang Industriebetriebe geschlossen, Massenentlassungen durchgeführt sowie Lohn- und Sozialabbau betrieben. Die Gewerkschaften haben bei der Umsetzung all dieser Maßnahmen mitgewirkt, jeden Kampf ausverkauft, jede Betriebsschließung unterstützt und jede Niederlage als Sieg bezeichnet.

Dies hat zur drastischsten Umverteilung des Vermögens von unten nach oben in der amerikanischen Geschichte geführt.

Nur drei Personen in den USA besitzen so viel Vermögen wie die untere Hälfte der Gesellschaft zusammengenommen. In den zehn Jahren seit der Finanzkrise 2008 hat sich die Zahl der Milliardäre fast verdoppelt. Alle zwei Tage entsteht ein neuer Milliardär.

Im vergangenen Jahr stieg das Vermögen der Milliardäre der Welt um 2,5 Mrd. Dollar pro Tag, während das Vermögen der ärmsten Hälfte der Menschheit um volle 11 Prozent zurückging.

Nirgendwo im politischen Establishment werden die sozialen und politischen Interessen der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung vertreten. Trump macht sich mit seiner rechtsextremen Politik das wesentliche Merkmal faschistischer Bewegungen zu eigen: den expliziten Hass auf den Sozialismus.

Die Demokratische Partei ihrerseits lehnt jeden Appell an die Arbeiterklasse ab. Stattdessen versucht sie, eine „populistische“ Bewegung zu schaffen, die auf ethnischen und kulturellen Identitäten und auf der Fiktion basiert, dass die grundlegende Spaltung der Gesellschaft nicht durch Klassen, sondern durch Rasse und Geschlecht bestimmt wird. Diese Politik entspricht der oberen Mittelschicht, die untereinander um Macht und Privilegien streitet. Sie ist mit einflussreichen Kreisen der Finanzoligarchie und des Militär- und Geheimdienstapparats abgestimmt.

Im Versuch, der Bevölkerung Sand in die Augen zu streuen, haben die Demokraten den Senator Bernie Sanders und die Kongressabgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez vorgeschickt, um ihrer reaktionären Partei einen linken Anstrich zu geben.

In ihren Reaktionen auf die Trumps Rede zur Lage der Nation machten beide jedoch deutlich, dass sie in Wirklichkeit keine Sozialisten sind. Auf die Frage, ob „Sozialismus“ eine Message sei, mit der man Wahlen gewinnen könne, erklärte Ocasio-Cortez, „am Ende des Tages geht es nicht um einen ,ismus‘. Das ist es ja gerade, was der Präsident versucht. Er verbreitet falsche Bezeichnungen, Anschuldigungen und Verbindungen.“

In seiner 27-minütigen Antwort auf Trumps Rede verwendete Sanders den Begriff Sozialismus ausschließlich im abwertenden Sinne: In den Vereinigten Staaten herrsche ein „Sozialismus für die Reichen“.

Der Kolumnist der New York Times Paul Krugman, ein Apologet für die Demokraten, kommentierte Trumps Beschwörung der „sozialistischen Gefahr“ mit den Worten: „Wen immer die Demokraten als Präsidentschaftskandidaten nominieren, die rechtsgerichteten Medien werden ihn als Reinkarnation von Leo Trotzki darstellen“, und fügte hinzu: „Hoffen wir nur, dass der Rest der Medien über das saubere kleine Geheimnis des amerikanischen Sozialismus berichtet: dass er überhaupt nicht radikal ist.“

Damit hat Krugman allerdings recht. Sanders und Ocasio-Cortez sind „überhaupt nicht radikal“ – und erst recht keine Sozialisten.

Als vor 170 Jahren die moderne sozialistische Bewegung entstand, erklärten Karl Marx und Friedrich Engels im Kommunistischen Manifest: „Es ist hohe Zeit, dass die Kommunisten ihre Anschauungsweise, ihre Zwecke, ihre Tendenzen vor der ganzen Welt offen darlegen und dem Märchen vom Gespenst des Kommunismus ein Manifest der Partei selbst entgegenstellen.“

Heute, da eben dieses „Gespenst des Kommunismus“ die herrschende Klasse erneut heimsucht, müssen Sozialisten klar aussprechen, wofür sie eintreten: Sozialisten fordern nicht einige Reformen, die im Kapitalismus unmöglich sind, sondern die Beschlagnahme des Reichtums der herrschenden Klasse und die vollständige Reorganisation der Gesellschaft. Wir fordern die Umwandlung der großen Konzerne in öffentliche Unternehmen zur Versorgung der Bevölkerung. Sie müssen demokratisch von der Arbeiterklasse kontrolliert werden, um das Grundrecht aller Menschen auf Gesundheitsversorgung, Bildung, einen gut bezahlten Arbeitsplatz und einen sicheren Ruhestand zu gewährleisten.

Die Entwicklung des Klassenkampfs folgt einer objektiven Logik. Bei ihren Kämpfen in einzelnen Betrieben und Städten geraten die Arbeiter in immer direktere Konflikte mit den Gewerkschaften. Deshalb müssen unabhängige Fabrik- und Betriebskomitees gebildet werden, um breitere Schichten der Arbeiterklasse zu vereinen.

Am letzten Samstag veranstalteten das Steering Committee of the Coalition of Rank and File Committees, das Leitungsgremium der Aktionskomitees und der WSWS Autoworker Newsletter  eine Demonstration gegen die geplanten Entlassungen bei General Motors und anderen Automobilunternehmen. Es war ein entscheidender Schritt, um die Arbeiterklasse unabhängig von den Gewerkschaften gegen das Diktat der Unternehmens- und Finanzelite zu mobilisieren.

Die neuen Kämpfe der Arbeiterklasse werden immer klarer in eine antikapitalistische Richtung gehen und einen sozialistischen Charakter annehmen. Wie Trump und die gesamte herrschende Klasse befürchten, führt die Logik dieser Kämpfe zu einem Generalstreik, in dem sich die Frage nach der politischen Macht stellen wird. Dabei geht es um die Reorganisation der Gesellschaft nach Maßgabe sozialer Bedürfnisse und nicht des privaten Profits stellen wird.

Der Sozialismus ist das Programm, das den Interessen der Arbeiterklasse entspricht. Um dieses Programm zu verwirklichen, muss eine politische Führung aufgebaut werden. Die Sozialistische Gleichheitspartei kämpft zusammen mit ihren Schwesterparteien im Internationalen Komitee der Vierten Internationale dafür, die objektive Bewegung der Arbeiterklasse mit einer kompromisslosen revolutionären Strategie und einer sozialistischen Perspektive auszustatten.

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