Perspektive

Rückzug der USA aus INF-Vertrag löst atomares Wettrüsten aus

Ein halbes Jahrhundert nach der Kuba-Krise, die die menschliche Zivilisation an den Rand ihrer Vernichtung brachte, nimmt Washington Kurs auf eine globale Konfrontation mit Atomwaffen, die noch gefährlicher ist.

Letzten Monat hatte das Weiße Haus angekündigt, dass die Vereinigten Staaten den Vertrag über nukleare Mittelstreckenraketen (Intermediate Range Nuclear Forces, INF) aufkündigen werden, der den Einsatz landgestützter Raketen mit Reichweiten von bis zu 5.500 Kilometern verbietet.

Militärstrategen und Think-Tanks haben deutlich gemacht, dass das US-Verteidigungsministerium den Einsatz nuklearer Kurz- und Mittelstreckenraketen in Osteuropa sowie auf Inseln vor der chinesischen Küste plant. Anfang dieses Monats erklärte das Pentagon, es habe seine Planungen für den Einsatz von Waffen beschleunigt, die nach dem Vertrag verboten sind. Eine Vertreterin des US-Außenministeriums erklärte, das Pentagon werde entsprechende Maßnahmen zunächst für „solche Systeme [vornehmen], für die dies zuvor nicht möglich war.“

Am Mittwoch erklärte der russische Präsident Wladimir Putin, Russland werde die Stationierung amerikanischer Raketen in Europa proportional und „asymmetrisch“ beantworten. Putin machte deutlich, dass Russland sowohl US-Startanlagen als auch „Kommandozentralen“ ins Visier nehmen werde, wozu auch Washington und möglicherweise europäische Hauptstädte zählen.

Putin erklärte, die Vereinigten Staaten würden durch die Stationierung solcher Raketen in die Lage versetzt, „Moskau in nur 10-12 Minuten zu erreichen“. Dies sei, so Putin, „gefährlich für Russland“.

Putin warnte, dass die zunehmende Konfrontation der Kubakrise von 1962 immer ähnlicher werde. Die gegenwärtige Situation weist deutliche Parallelen zu diesem Ereignis auf, das von den USA durch die Stationierung ballistischer Raketen vom Typ Jupiter in der Türkei 1961 ausgelöst wurde. Als Reaktion darauf stationierte die Sowjetunion ihre eigenen nuklearen Mittelstreckenraketen auf Kuba und damit nur rund 200 Kilometer von der Küste des US-Bundesstaates Florida entfernt. Zahlreiche der damals beteiligten Akteuren haben später die Tatsache bestätigt, dass ein Atomkrieg nur knapp abgewendet wurde.

Ein Tomahawk-Marschflugkörper beim Abschuss aus einer Senkrechtstartanlage (mark 41) des US-Militärs. Die in Osteuropa installierten Anlagen der USA zur „Raketenabwehr“ greifen auf diese Systeme zurück.

Die Pläne der USA für die Stationierung von Raketen unter Verletzung des INF-Vertrags sind bereits weit fortgeschritten. Putin deutete in seiner Rede darauf hin, dass die Fähigkeiten der in Polen und Rumänien installierten US-Raketenabwehrsysteme auch den Start von Tomahawk-Marschflugkörpern mittlerer Reichweite mit nuklearen Sprengköpfen umfassten. Während Washingtons Behauptungen, dass russische Aktivitäten den INF-Vertrag verletzten, weitgehend unbewiesen bleiben, unterstützte das Bulletin of the Atomic Scientists (Berichtsblatt der Atomwissenschaftler) Putins Darstellung und erklärte: „Öffentlich zugängliche Informationen machen deutlich, dass die auf dem amerikanischen Aegis-System basierenden Anlagen in Osteuropa, sollten sie mit Marschflugkörpern ausgestattet sein, tatsächlich den INF verletzen würden.“

Die Zeitschrift fügt hinzu: „Wenn die auf Aegis basierenden Systeme in Osteuropa mit amerikanischen Marschflugkörpern versorgt würden – entweder den bestehenden Tomahawk oder einer neuen Rakete, von der Russland behauptet, dass sie von den Vereinigten Staaten bereits entwickelt wurde –, würden sie zu furchterregenden Offensivwaffen, stationiert an den Grenzen Russlands. Und für Russland gäbe es kaum einen Weg herauszufinden, ob die Aegis-Systeme mit defensiven Abfangraketen oder nuklear bewaffneten Marschflugkörpern bestückt waren.“

Als das Pentagon zu einer Antwort auf die Frage gedrängt wurde, ob die amerikanischen „Raketenabwehrstandorte“ in der Lage seien, nukleare Marschflugkörper abzufeuern, verneinte das Pentagon und erklärte, dass die in den Anlagen genutzte Software sie daran hindere. Das Bulletin der Atomwissenschaftler bezeichnete auch dies als „falsche Behauptung, die mit dem technischen Design des Systems nicht übereinstimmt.“

Mit anderen Worten: Es wäre nicht viel mehr als ein Software-Update nötig, um diese Anlagen zu Abschussrampen für Marschflugkörper zu machen.

Eine „proportionale“ Antwort Russlands unter Verstoß gegen den INF würde bedeuten, Bodenraketen nur wenige hundert Kilometer von der US-Grenze entfernt zu platzieren: ein Projekt, das geradezu undurchführbar ist. Putin machte deutlich, dass Russland als Antwort auf jegliche Schritte zur Stationierung von Bodenraketen bereit wäre, eine „asymmetrische“ Reaktion in Gang zu bringen: Die russische Marine würde mit Hyperschall-Raketen bestückte Schiffe und U-Boote auf wenige hundert Kilometer an die US-Grenze heranführen.

„Mit den Geschwindigkeiten, zu denen wir in der Lage sind, können wir unsere Schiffe weit weg von den Territorialgewässern oder sogar der ausschließlichen Wirtschaftszone einer bestimmten Nation platzieren. Sie können sich in neutralen Gewässern befinden, weit von der Küste entfernt“, erklärte Putin. „Niemand kann Marineschiffen und U-Booten verbieten, dort zu sein.“

Als Reaktion auf die amerikanischen Pläne, Europa in einen Schießplatz für Atomraketen zu verwandelt, droht Russland, die amerikanische Ostküste zu einer hochgefährlichen Gefechtslinie zu machen – ein Unterfangen, bei dem sich mit Atomraketen bestückte U-Boote, Schiffe und Flugzeuge nur wenige hundert Kilometer um eine der am dichtesten besiedelten Küstenlinien der Welt drängen würden.

Und dies wird nur einer von mehreren Schauplätzen der multipolaren nuklearen Dystopie sein, die das Weiße Haus unter Trump heraufbeschwört. Ähnliche Konfrontationen würden sich täglich in den Gewässern vor der chinesischen Küste abspielen.

Und als wäre das noch nicht genug, würden bei diesen Szenarien nicht die heutigen ballistischen Waffen, sondern Hyperschall-Raketen eingesetzt, die mit 25-facher Schallgeschwindigkeit fliegen. Es bliebe ein „Entscheidungsfenster“ von nur zwei bis drei Minuten, um festzustellen, ob es sich bei einem erkannten Raketenstart um einen Test, einen Fehlalarm oder einen großangelegten thermonuklearen Angriff handelt, was die Chancen auf eine Fehleinschätzung mit tödlichen Folgen für Milliarden von Menschen massiv erhöht.

Vor fast drei Jahrzehnten löste die Auflösung der UdSSR eine Welle des Triumphgeschreis aus. Hinzu kam die Erklärung, dass das Szenario eines Atomkriegs – nun da die „liberalen Demokratie“ auf der ganzen Welt triumphiert habe – der Vergangenheit angehöre. Auf das Ende der UdSSR folgte jedoch nicht etwa eine „Friedensdividende“, sondern endlose Kriege im Irak, in Serbien, Afghanistan, Libyen und Syrien. Jetzt bereiten sich die USA unter der Pentagon-Doktrin des „strategischen Wettbewerbs“ auf einen umfassenden Krieg gegen atomar bewaffnete „Großmächte“ wie Russland und China vor.

Die Vereinigten Staaten und die NATO haben ihre Streitkräfte Hunderte von Kilometern nach Osten bis an die Grenzen Russlands vorgerückt, um das Land auf den Status einer Halbkolonie herabzudrücken. Die russische Oligarchie – unfähig, an die Antikriegsstimmung in den Vereinigten Staaten oder weltweit zu appellieren – schwankt zwischen fruchtlosen Appellen an ihre amerikanischen „Partner“, zur Vernunft zu kommen, und kriegerischen nuklearen Drohungen.

Die Trump-Regierung ist lediglich der aggressivste Akteur in einem universellen Prozess des globalen nuklearen Wettrüstens. Im aktuellen Bericht der Münchner Sicherheitskonferenz heißt es dazu, dass „die Rolle von Atomwaffen“ größer werde. Der Bericht fügt hinzu, dass „über die USA und Russland hinaus alle neun Atommächte ihre Arsenale erweitern oder aufrüsten, offenbar mit dem Ziel, sich in einer Zeit neuer Unsicherheiten einen Vorteil zu verschaffen.“ In Deutschland, das die Entwicklung eigener Atomwaffen bisher scheute, wird die Forderung nach eigenen Atomstreitkräften innerhalb der herrschenden Eliten täglich stärker.

Trump setzt seinerseits die Politik seines Vorgängers Barack Obama, dem Kandidaten von „Hoffnung und Wandel“, fort und intensiviert sie. Obama startete ein Modernisierungsprogramm für Atomwaffen in Höhe von einer Billion Dollar, um kleinere, „einsetzbare“ Atomwaffen herzustellen, von denen in diesem Jahr die ersten vom Band liefen.

Die Allgegenwärtigkeit des neuen globalen Wettrüstens macht deutlich, dass es nicht das Ergebnis politischer Konjunkturen in diesem oder jenem Land ist, sondern Ausdruck eines universellen Prozesses, der das krisengeschüttelte kapitalistische System erfasst hat. Die herrschenden Klassen auf der ganzen Welt sehen Krieg, Plünderung und Eroberung, zusammen mit dem Schüren von Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit, als Mittel, um den starken Klassendruck im Inland, der sich in einer wachsenden Streikbewegung der internationalen Arbeiterklasse ausdrückt, nach außen abzulenken.

Diese wachsende Bewegung der Arbeiterklasse schafft indessen die Grundlage, um den mörderischen Kriegszielen der herrschenden Elite entgegenzutreten. Die Mobilisierung der Arbeiterklasse auf der Grundlage eines sozialistischen Programms ist gleichzeitig die notwendige Voraussetzung, um der Ursache von Krieg, Diktatur und sozialer Ungleichheit, dem kapitalistischen System, ein Ende zu setzen.

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