Klimaproteste: Was Jugendliche über Kapitalismus, Sozialismus und Wissenschaft denken

Mehrere Reporterteams der World Socialist Web Sitesprachen am Freitag in verschiedenen Ländern mit Schülern und Jugendlichen, die an den Klimaprotesten teilnahmen.

Großbritannien

Die 18-jährige Ladan, die in Oxfordshire zur Schule geht, sagte der WSWS: „Meine Freunde und ich machen uns wirklich Sorgen wegen des Klimawandels und wir wollten schon seit Langem etwas dagegen tun. Wenn wir nicht bald etwas machen, werden wir keine Gelegenheit mehr dazu haben.“

Auf die Frage, warum so viele junge Menschen zu der Demonstration gekommen seien, antwortete Ladans Freundin, die 16-jährige Lucy: „Vieles ist den sozialen Medien zu verdanken. Es ist viel einfacher, Zugang zu bekommen und eine Antwort zu finden. Es gibt so viele Accounts, die dazu aufrufen, dass man was tut, wenn etwas falsch läuft. Die Menschen begreifen, dass Kapitalismus und Geld nicht mehr die wichtigsten Dinge sind.

Verantwortlich für den Klimawandel ist der Kapitalismus“, setzte sie hinzu, „denn die Kapitalisten suchen den billigsten Weg, um den Menschen Dinge verkaufen zu können.“

Vier Studenten der Tunbridge Wells Bennett Memorial School trugen Plakate mit der Aufschrift: „We are the revolution for the solution“(Wir sind die Revolution als Lösung) und „Change the government. Not the climate.“ Sie sagten der WSWS, für junge Menschen sei der Klimawandel das größte Problem.

„Das ist auch politisch”, sagte einer der Schüler. „Wir müssen das System und unser Verhalten gegenüber dem Klimawandel ändern. Denn bis jetzt gibt es keine Politik, die es ernst meint.“

„Was der Kapitalismus nicht kapiert: Auf einem toten Planeten gibt es keine Wirtschaft“

Er fuhr fort: „Unsere Schule sagte uns, wir sollten [über den Klimawandel] schreiben, nicht streiken – doch wir haben uns für Streik entschieden. Es macht schon einen Unterschied, hierher zu kommen. Denn hier stehen wir alle zusammen. Junge Menschen werden als an Politik desinteressiert dargestellt, aber heute finden sie doch einen Weg.

Dieser Planet gehört uns allen gemeinsam. Der Kapitalismus ruiniert ihn, um Profite rauszuschlagen. Das ist ein extrem schneller Niedergang.

Sie kümmern sich nicht darum, dass es den einfachen Leuten gut geht. Wir sind an dem Punkt angelangt, wo nur noch Geld und Profitmargen zählen. Es geht nicht mehr um die arbeitenden Menschen, die die Produktion am Laufen halten.“

Einer der Schüler erklärte: „Das Zwei-Parteien-System funktioniert nicht mehr.” Ein anderer sagte: „Ich schlage eine demokratische Form des Sozialismus vor, in dem nicht mehr das oberste Prozent 60 Prozent des Reichtums besitzt.“

Eine weitere Schülergruppe kam ebenfalls zur Demonstration, und ein Mädchen hielt ein Plakat mit der Aufschrift „Kill Capitalism!“ hoch. Ein Schüler sagte, er sei schon bei der vorherigen Demonstration in Großbritannien am 15. Februar dabei gewesen, und er möchte „das Hineinschlittern in die Katastrophe“ verhindern.

„Der Kapitalismus tötet den Planeten. Tötet den Kapitalismus!“ Und: „Offene Grenzen für Klimaflüchtlinge“

Sein Freund erklärte, dass vor kurzem Parlamentsabgeordnete den Antrag gestellt hätten, eine Debatte zum Klimawandel zu führen, doch nur 30 Parlamentarier seien gekommen. „Es war die erste Debatte seit zwei Jahren, und kaum einer kam. Das zeigt, dass es ihnen gleichgültig ist.

Ein Grund, warum die Regierungen sich nicht um den Klimawandel kümmern, ist, dass sie von Ölkonzernen finanziert und beraten werden. Mit Protesten können wir Dinge ändern, aber wir müssen auch öffentliches Eigentum statt privatem Besitz fordern. Unser heutiger Kampf weist in eine gute Richtung, damit wir was ändern können.“

Ein Schüler meinte dagegen: „Es gibt nur wenig, was man als Einzelne machen kann. Letztlich erfordert es internationale Vereinbarungen und die Zusammenarbeit mit anderen Ländern.“

„Es kommt viel mehr auf die Änderung der Besitzverhältnisse an“, sagte sein Freund. „Die Menschen begreifen, dass das System schlimmer geworden ist, und dass es Rechtextremismus hervorbringt. Man muss die Konzerne kontrollieren und dafür sorgen, dass sie in die Hände der Bevölkerung übergehen.“

Frankreich

Lys, eine Gymnasiastin aus Paris, sagte: „Wir sind zu dem Protest gekommen, weil wir zeigen wollen, dass die Jugend eine Chance hat, Dinge zu verändern. Und wir wollen, dass tatsächlich etwas getan wird – und dass nicht einfach nur das Image der Regierung aufpoliert wird.

Die Lobby-Gruppen üben Druck aus“, fuhr sie fort, „und es werden Scheinlösungen propagiert. Hybrid-Autos sind schön und gut, weil sie die Städte nicht so sehr verschmutzen, aber die Batterien verschmutzen immer noch enorm … Ich möchte, dass im Weltmaßstab gehandelt wird, in ganz Europa und der ganzen Welt.

„Einige träumen von einer Bank [banque]. Wir träumen vom Packeis [banquise]“

Heute gibt es in Frankreich 280.000 Soldaten. Sie sind weltweit im Einsatz. Ich finde, dass Frankreichs Aktionsradius bei weitem zu groß ist. Die Kriege dienen privaten Interessen, seien sie finanzieller oder politischer Natur, und nicht humanitären Zielen. Das ist es, was ich gefährlich finde, und wovor ich auch bezüglich des Klimas Angst habe. Es sind die privaten Interessen, welche Politik und Macht kaufen. Deshalb bin ich heute gekommen.

Ich denke, es ist total unfair, Benzinprodukte zu besteuern. Menschen, die in ländlichen Gebieten wohnen, haben keine anderen Transportmöglichkeiten außer ihren Autos. Pariser fahren mit dem Auto zur Arbeit, obwohl sie auch andere Möglichkeiten hätten.“

Ein Gymnasiast vom Lycée Saint-Louis in Paris sagte: „Wir werden die Umwelt nicht mit einer Benzin-Steuer revolutionieren. Wir müssen alles verändern: die Gesellschaft, das Wirtschaftsmodell, das für die Profite der Banken und des Kapitalismus geschaffen wurde. Ich denke, das Wirtschaftssystem muss fundamental geändert werden, um den Planeten zu retten. Zurzeit werden nicht Beschlüsse gefasst, die die Menschheit retten, sondern die die Profite retten.

„Eure Inaktion heute ist ein Verbrechen für morgen“

Soweit ich es sehe, war die Pariser [Klima-]Vereinbarung eine große Show, die den Eindruck vermitteln sollte, dass etwas getan wird.“

Auf die Frage, was er von der Ankündigung Macrons halte, die Wehrpflicht in Frankreich einzuführen, antwortete der Gymnasiast: „Für Macron in den Kampf ziehen? Absolut nicht. Nicht für Frankreich. Ich betrachte mich nicht als ‚Franzosen‘, sondern als Menschen. Meine einzige Heimat ist die Menschheit. So ein Dienst sollte nicht fürs Militär sein, sondern uns Dinge wie erste Hilfe beibringen.“

Deutschland

Arvid und Finn sind Physikstudenten an der Freien Uni Berlin, und beide kannten die IYSSE schon von ihren Kampagnen an den Berliner Universitäten.

Arvid sagte: „Ich bin begeistert über die Mobilisierung, die es in den letzten Wochen für Klimaschutz gab. Aber ich denke, dass es sehr schwierig ist, mit dem jetzigen Wirtschaftssystem, in dem alles auf Konkurrenz ausgelegt ist, diese große Aufgabe des Klimaschutzes anzugehen. In diesem System kämpfen Unternehmen oder Nationen jeder für sich. Der Kapitalismus ist denkbar schlecht geeignet, diese Herausforderung zu meistern.“

Finn fügte hinzu, dass „jeder Einsatz für Klimaschutz in diesem System als ‚Wettbewerbsnachteil‘ betrachtet“ werde.

Liz, Pascal, Valerie und George sind Geographie-Studenten an der Humboldt-Universität.

Pascal sagte: „Die Klimapolitik geht uns alle an. Wir sind selbst Naturwissenschaftler, Geographen. Die Politik verschläft dieses Thema seit Jahren, obwohl wir die Grenze der Erderwärmung von 1,5 Grad kennen, die uns die Naturwissenschaft vorgibt, um eine Naturkatastrophe zu verhindern. Das können wir nicht akzeptieren. Gerade die Generation, die heute auf die Straße geht, wird davon massiv betroffen sein. Es wird unser aller Leben verändern, aber ich glaube, wir können das Ruder immer noch herumdrehen. Aber wir haben nur noch zehn Jahre Zeit und das ist ein extrem enger Zeitraum.“

Schüler- und Studierendenprotest in Berlin

George sagte, er sei nicht gegen das kapitalistische System, aber es müsse „umgebaut“ werden, um den Problemen des Klimawandels begegnen zu können, damit es nicht auf „grenzenloses Wachstum“ fokussiert bleibe.

Pascal ergänzte: „Wir haben in den letzten 25 Jahren etwa ein Viertel unserer Humusböden verloren. Das interessiert keinen aus der regierenden Politik. Es ist dramatisch, wir sehen die Gefahren an allen Enden und Ecken. Die Biodiversität nimmt immer weiter ab. Wir müssen jetzt handeln, und zwar auf allen Ebenen.“

Vereinigte Staaten von Amerika

In Ann Arbor (Michigan) sprachen IYSSE-Mitglieder von der Uni von Michigan mit Studenten und Jugendlichen. Marisol, eine Schülerin an der Community High School, sagte: „Ich habe das Gefühl, wir leben mit einer Wolke über unseren Köpfen. Die Konzerne und Politiker sind absolut nicht bereit, irgendetwas zu ändern. Die Arbeiterklasse muss nur aufwachen, und wir müssen unsere Macht erkennen.“

Isaac und Marisol von der University of Michigan, USA

Sie fügte hinzu: „Dies ist nicht die Schuld der einfachen Menschen, die am unteren Ende der sozialen Leiter stehen. Verantwortlich sind die Reichen und Konzerne und die Politiker.“ Isaac stimmte zu, dass das kapitalistische System die Wurzel des Problems des Klimawandels sei: „Wir müssen ganz klar aus dem Zwei-Parteien-System ausbrechen, denn beide Parteien sind für die Reichen da.“

Nissa und Isaac, beides Studenten an der Universität von Michigan, nahmen an den Protesten teil, weil sie finden, dass der Klimawandel zu den drängendsten Fragen zählt, vor denen die Arbeiterklasse heute steht. Nissa erläuterte: „Ich glaube, es ist eine Systemfrage, das heißt eine Frage des kapitalistischen Systems. Und um sie lösen zu können, müssen wir dies verstehen. Die Eliten dieser Welt sind so weit entfernt von dieser Frage, dass sie sie nicht lösen können. Nichts wurde getan; es wird nur immer schlimmer.“ Isaac ergänzte: „Ich denke, wir sind beide der Meinung, dass die einzigen Menschen, die das lösen können, die einfachen Menschen sind, die Arbeiterklasse.“

An der New Yorker Universität nahmen IYSSE-Mitglieder an mehreren Protesten in der Stadt New York teil. Lucie, eine Studentin der Europäischen und Mediterranen Wissenschaft, sagte: „Mich haben die Demonstrationen in Europa inspiriert, und wir müssen sie unterstützen. Wir haben keinen Planeten B. Wir können nicht sehen, dass der notwendige Wandel vollzogen wird. Die Politiker ändern nicht die Gesetze, die geschrieben wurden, bevor die wissenschaftlichen Ergebnisse vorlagen. Sie agieren, als ob es zu schwierig sei, jetzt einen Wandel herbeizuführen.“ Auf die Frage, ob sie glaube, dass Wandel im Rahmen des Kapitalismus möglich sei, antwortete sie: „Nein! Wir brauchen jetzt radikale Veränderungen. Die Alternative muss zur Norm werden.“

Lucies Freundin Audrey sagte: “Ich verstehe nicht, warum nicht alle an den Protesten teilnehmen. Wir sehen, dass das Thema einige Leute härter anpackt, aber es betrifft jeden. Die Politiker ignorieren uns einfach und tun so als sei alles in Ordnung.“

In New Orleans sprach ein IYSSE-Team mit Darryl. Er sagte: „Ich glaube, diese wachsende weltweite Bewegung, die von den Jugendlichen ausgeht, ist der Schlüssel für wirkliche Taten. Ich denke, wir brauchen einen kompletten Politikwechsel bei Energiefragen. Wir müssen Öl und Gas im Erdreich belassen und uns schnell der Sonnenenergie und erneuerbaren Ressourcen zuwenden.“ Befragt, was notwendig sei, um diese Politik zu realisieren, antwortete Darryl: „Ich glaube, dies bedarf einer politischen Massenbewegung. Auch der Grüne New Deal muss sehr viel weiter gehen als das, worüber im Moment gesprochen wird.“

Kanada

Ein WSWS-Reporterteam sprach mit Studenten in Montreal. Auf die Frage warum Regierungen weltweit inaktiv bleiben, antwortete ein Student: „Wir müssen die Regierung ändern, aber sie wird sich schließlich genauso verhalten wie alle vorher.“ Sein Freund fügte hinzu: „Alle müssen ihrer eigenen Regierung Widerstand leisten“, sonst werde die Konsequenz davon sein, dass „in ein paar Generationen nichts mehr von unserem Planten übrig bleibt“.

Theo, ein High-School-Schüler erklärte, warum er an den Protesten teilnimmt: „Wir sind hier, um gegen den Klimawandel zu protestieren, weil die Regierungen nichts tun, und weil die Konzerne nichts tun.“

Als der WSWS-Reporter den internationalen Charakter der Proteste hervorhob und mehrere Studierende fragte, für wie wichtig sie die Proteste hielten, antworteten sie, indem sie auf ihr Banner zeigten, auf welchem stand: „F**k capitalism!“

„Ein Systemwandel muss her”, sagte einer der Studenten und ergänzte: „Es ist gut, all‘ diese Menschen hier zu sehen, Studenten, Menschen mit Kindern, ältere Menschen, wie sie zusammenkommen, um zu protestieren.“

Fanny, eine Schülerin aus der Schweiz, sagte, sie habe bereits an ähnlichen Demonstrationen in ihrem Heimatland teilgenommen. Ihr sei klar, wie wichtig der internationale Charakter der Demonstrationen sei. Sie betonte die Notwendigkeit globalen politischen Handelns. Außerdem müssten die Versuche, den Klimawandel als persönliches Problem darzustellen, zurückgewiesen werden: „Die Regierungen weichen ihrer Verantwortung aus, wenn sie es [die Umweltmaßnahmen] als individuelles Problem hinstellen.“

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