London: Mehring Books präsentiert „Warum sind sie wieder da?“

Am Sonntag wurde in der Londoner Buchhandlung Foyles die englische Ausgabe von „Warum sind sie wieder da? Geschichtsfälschung, politische Verschwörung und die Wiederkehr des Faschismus in Deutschland“ vorgestellt.

Auf der Präsentation sprachen Christoph Vandreier, stellvertretender Vorsitzender der Sozialistischen Gleichheitspartei (SGP), und David North, internationaler Chefredakteur der World Socialist Web Site, und rund 150 Zuhörer folgten gespannt ihren Ausführungen.

Chris Marsden, Nationaler Sekretär der britischen Socialist Equality Party, erwähnte zur Einleitung das Massaker an 50 muslimischen Moscheebesuchern zwei Tage zuvor, am 15. März, in der neuseeländischen Stadt Christchurch. „Dieses Gemetzel“, so Marsden, „unterstreicht die Bedeutung der Diskussion, die wir heute hier führen.“

Marsden wies darauf hin, dass der Australier Brenton Tarrant in Europa radikalisiert worden sei. Der Titel seines Manifestes, „Der große Austausch“, beziehe sich auf den französischen Rechtsaußenintellektuellen Renaud Camus. Zudem habe der Mörder die Niederlage von Marine Le Pen gegen Emmanuel Macron bei der französischen Präsidentschaftswahl 2017 als entscheidenden „Wendepunkt“ in seinem Leben bezeichnet.

David North spricht zu der Versammlung

Tarrant sei in ein globales rechtsextremes Netzwerk integriert gewesen, betonte Marsden. Tatsächlich lobte Tarrent in seinem Manifest den norwegischen Faschisten Anders Behring Breivik, der am 22. Juli 2011 in Norwegen 77 Menschen getötet hatte, darunter 69 Teilnehmer eines Sommerlagers der sozialdemokratischen Arbeiterjugend. Auch bejubelte er Darren Osborne, der 2017 verhaftet worden war, nachdem er mit einem Lieferwagen in eine Menschengruppe vor der Moschee in Nordlondon gerast war. Wie Tarrant hatte auch Osborne geplant, den Londoner Bürgermeister Sadiq Khan und den Labour-Vorsitzenden Jeremy Corbyn umzubringen. Corbyn wurde vergangenen Monat physisch angegriffen, als er sich im Muslimischen Wohlfahrtszentrum in derselben Moschee aufhielt.

Das Brexit-Referendum geht mit einer Welle des Nationalismus einher. Im Juni 2016, am Vorabend der Volksabstimmung, tötete der Faschist Thomas Mair die Labour-Abgeordnete Jo Cox, indem er auf sie schoss und auf sie einstach. Tarrant selbst unterstützte den Brexit und schrieb: „Damit schlägt das britische Volk zurück gegen Masseneinwanderung, Kulturverdrängung und Globalität, und das ist eine großartige und wunderbare Sache.“

„Das alles ist Ausdruck des vergifteten Klimas, das die herrschende Klasse aufpeitscht, und das Personen wie Osborne, Mair und Tarrant Auftrieb verschafft hat“, sagte Marsden.

Christoph Vandreier

Christoph Vandreier betonte in seinen Ausführungen, dass die Herausgabe von „Warum sind sie wieder da?“ das Ergebnis eines gemeinsamen politischen Kampfs der Sektionen des Internationalen Komitees der Vierten Internationale (IKVI) in Europa und den Vereinigten Staaten sei. Das Buch lenke die Aufmerksamkeit der internationalen Arbeiterklasse auf weitreichende politische Ereignisse: „In Deutschland stellt mit der AfD erstmals seit dem Ende der Nazizeit eine rechtsextreme Partei wieder 90 Abgeordnete im Bundestag. ‚Why are they back?‘ handelt davon, wie diese Rechtswende politisch und ideologisch vorbereitet wurde.“

Er erläuterte: „Im Juni 1986 veröffentlichte der rechte Historiker Ernst Nolte einen Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, in welchem er argumentierte, dass der Holocaust eine verständliche Antwort auf die Gewalt in der Sowjetunion gewesen sei. Viele Intellektuelle verstanden damals die politischen Implikationen dieses historischen Revanchismus und sie haben Dutzende Artikel dagegen in Stellung gebracht.“ Das war der Historikerstreit, und er endete mit einer entscheidenden Niederlage der Revisionisten.

Vandreier erklärte weiter: „Im Zuge der Wiedervereinigung Deutschlands und der Wiederkehr des deutschen Militarismus unternahm die Rechte mehrere Versuche, das Ergebnis des Historikerstreits wieder umzudrehen.“ Einen Höhepunkt hätten diese Versuche im Jahr 2014 erreicht, als „hochrangige deutsche Politiker das Ende der militärischen Zurückhaltung Deutschlands verkündeten“.

Im Februar 2014 „veröffentlichte Der Spiegel einen Artikel, der die Umschreibung der deutschen Geschichte forderte“, fuhr Vandreier fort. In diesem Artikel habe ein Professor der Berliner Humboldt-Universität, Jörg Baberowski, Nolte verteidigt. Baberowski habe nicht bloß behauptet, Nolte habe recht gehabt, sondern: „Er fügte als Rechtfertigung hinzu, dass ‚Hitler kein Psychopath‘ und ‚nicht grausam‘ gewesen sei. Er habe nicht gewollt, ‚dass an seinem Tisch über die Judenvernichtung geredet‘ wurde. Für die Rechtsradikalen wurde Baberowski darauf zum Helden, und rechtsextreme Zeitungen wie Breitbart News und der Daily Stormer zitierten ihn voll des Lobes.“

Vandreier fuhr fort: „Die Interessen der herrschenden Klasse sind nicht mehr mit demokratischen Rechten vereinbar. Das ist der Grund, weshalb die herrschenden Eliten in jedem Land immer mehr zu autoritären Methoden übergehen, und warum der Faschismus sich wieder Gehör verschafft.“

Die einzige Bewegung, die Widerstand dagegen leiste, sei die Sozialistische Gleichheitspartei und ihre Jugendbewegung, die International Youth and Students for Social Equality, und sie gewinne dabei die Unterstützung vieler Studierenden und Arbeiter.

Vandreier betonte: „Die Faschisten sind heute keine Massenbewegung, sondern eine verhasste Minderheit. Aber die herrschende Klasse geht einmal mehr dazu über, Faschismus und rechte Ideologie zu fördern, um die Opposition gegen ihre Kriegsvorbereitungen und die zunehmende soziale Ungleichheit zu unterdrücken … Darum ist die unabhängige Bewegung der Arbeiterklasse die einzige Möglichkeit, diese Gefahr zu bekämpfen.“

In diesem Zusammenhang hob Vandreier die Wiederkehr der internationalen Klassenkämpfe hervor. Arbeiter protestieren in wachsender Zahl in Algerien, den Vereinigten Staaten, Mexiko, Frankreich und vielen anderen Ländern.

„In Deutschland zeigen die Warnstreiks in der Autoindustrie und im öffentlichen Dienst die wachsende Kampfbereitschaft. In unserem Kampf an der Humboldt-Universität erfahren wir starke Unterstützung von Studierenden aus ganz Deutschland und besonders auch von Arbeitern.“

David North empfahl den Zuhörern die Lektüre von „Why Are They Back?“ und erklärte: „Es ist außergewöhnlich, dass die europäische und amerikanische Presse vollständig ausblendet, was in Deutschland vor sich geht. Die Tatsache, dass die politisch einflussreichste Partei im heutigen Deutschland – die offizielle Oppositionspartei AfD – eine Partei von in der Wolle gefärbten, Nazi-freundlichen Hitler-Apologeten ist, wird überwiegend ignoriert, als sei es ein Non-Event.“

North erinnerte daran, wie die SGP in Deutschland im Jahr 2014 auf Baberowski aufmerksam wurde: Damals lud der Humboldt-Professor den prominenten britischen Historiker Robert Service zu einem Vortrag ein, obwohl dessen kurz zuvor erschienene Trotzki-Biographie erheblich in Verruf geraten war. Die Zeitschrift American Historical Review hatte öffentlich Partei ergriffen für Norths akribische Antwort an Service, und sie hatte Services Trotzki-Biographie aufgrund zahlreicher Fälschungen und Verzerrungen als „Machwerk“ bezeichnet. Als Baberowski Service verteidigte und die Kritik unterdrückte, die die SGP und die IYSSE an der Humboldt-Universität vorbrachten, prophezeite North: „Wenn sie heute über Trotzki lügen, dann werden sie morgen über Hitler lügen.“

Die Erfahrung mit dem Faschismus hat praktisch in jeder Familie in Deutschland ein tiefes Trauma hinterlassen. Das emotionale „Nie wieder!“ drückt die tiefe Ablehnung des Faschismus‘ in der deutschen Bevölkerung aus. North erklärte: „Christophs Buch ist so wichtig, weil es deutlich macht, was in Deutschland stattgefunden hat: Es ist eine abgestimmte politische Verschwörung auf höchstem staatlichem Niveau und unter Komplizenschaft einer akademischen Schicht, die sich gegenüber dem Wiederaufleben neonazistischer Kräfte gleichgültig verhält.“

North rekapitulierte die Geschichte der 1930er Jahre und erklärte, dass Hitler nicht an die Macht gekommen wäre, wenn nicht zwei wesentliche Faktoren vorhanden gewesen wären: der vollständige Zusammenbruch der Arbeiterführung sowohl der SPD als auch der KPD, und zweitens die bewusste Entscheidung der deutschen herrschenden Klasse, Hitler an die Regierung zu bringen.

„Nur wir haben dem Anwachsen des Faschismus und den damit verbundenen Gefahren für die Arbeiterklasse die gebotene Aufmerksamkeit geschenkt“, stellte North fest. Er erinnerte an einen Vortrag, den er im Dezember 2018 in der neuseeländischen Hauptstadt Wellington gehalten hatte: „In jener ruhigen und schönen Stadt“ hatte er die Warnung ausgesprochen: „Der Faschismus ist auf der ganzen Welt eine Gefahr.“

Der schreckliche Anschlag, den Brenton Tarrant auf muslimische Gläubige verübte, hat die wahre Ideologie des Faschismus aufgedeckt. North kam auf Tarrants Manifest zu sprechen und hob dessen Aussage hervor, dass man „ausnahmsweise diejenige Person als Faschisten bezeichnet, die tatsächlich ein Faschist ist.“

Tarrant nennt den britischen Faschistenführer Sir Oswald Mosley als „die Person, die meinen Überzeugungen am nächsten kommt“. North erklärte: „Hier in England gibt es eine Menge Diskussion über Antisemitismus. Dieses Thema wurde im Kontext endloser Schmähreden gegen Jeremy Corbyn und seine Unterstützer in der Labour Party aufgeworfen. Das Mantra lautet, dass sie Antisemiten seien und die Labour Party eine Brutstätte des Antisemitismus sei. Jeder weiß, dass wir nichts mit Jeremy Corbyn zu tun haben. Unsere Kritik bezieht sich großenteils gerade auf die Art und Weise, wie er auf diese Verleumdungen reagiert – nämlich gar nicht. Doch der Inhalt dieser Angriffe auf Corbyn und seine Unterstützer in der Labour Party ist eine bösartige Verfälschung der Geschichte und Verzerrung der Realität. Wo die Fähigkeit zum Kampf gegen Faschismus und Antisemitismus tatsächlich existiert, da wird sie durch solche Angriffe untergraben.“

North wies auf die Karriere von Oswald Mosley hin, die illustriert, „was wirklich den Antisemitismus in Großbritannien ausmacht“. Er zitierte Werke britischer Historiker, die zeigen, dass „im Zentrum der Weltanschauung des britischen Faschismus der Antisemitismus stand. Er hatte, nebenbei bemerkt, in Teilen der Tories große Unterstützung.

Die Kampagne der rechten Medien und des rechten Labour-Flügels, der sich viele Akademiker angeschlossen haben, dient dazu, jegliches historische Verständnis dessen, was Faschismus und Antisemitismus wirklich sind, und welche Auswirkungen sie auf die Arbeiterklasse haben, vollständig zu untergraben.“

Christoph Vandreier und David North in der Frage-und-Antwort-Runde

Als die Zuhörer Fragen stellen konnten, wollten viele wissen, warum nach all den Schrecken des Zweiten Weltkriegs der Faschismus wieder wachsen könne. Ob dies einer weit verbreiteten Selbstgefälligkeit entspreche, und warum es in Deutschland und weltweit unter Akademikern keine Reaktion gegen die Versuche gebe, Hitler zu rehabilitieren.

Vandreier erklärte: „Die Frage des Kriegs ist zurück. Aufgrund der tiefen Krise des Kapitalismus ist ein großer imperialistischer Krieg der Vereinigten Staaten gegen China oder Russland oder sogar zwischen den imperialistischen Mächten wieder möglich geworden.“ Damit der deutsche Imperialismus sich global als militärische Großmacht durchsetzen könne, sei es notwendig, die Geschichte umzuschreiben. „Die Zeitungen und Akademiker haben nicht bloß Baberowskis Positionen nicht hinterfragt. Sie verteidigten ihn ausdrücklich, und sie attackierten die IYSSE und die SGP.“

North sagte, es sei falsch, das Wiederauftreten des Faschismus auf individuelles Versagen zurückzuführen. „Menschen verhalten sich zur Welt nicht als Individuen, sondern vermittels der Politik, über politische Handlungen, politische Aktivität …

An der Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts ist wesentlich, dass es eine Epoche beispielloser sozialer und revolutionärer Kämpfe war. Es gab auch andere revolutionäre Jahrhunderte, doch das zwanzigste Jahrhundert zeichnet sich durch die bewusste Anstrengung großer Menschenmassen aus, die versuchten, das kapitalistische System zu überwinden … Die Massen agierten auf einem hohen Verständnisniveau ihrer Klassenzugehörigkeit.“

Christoph Vandreier beim Signieren seines Buchs

Das höchste Ergebnis dieses Kampfs sei die Oktoberrevolution von 1917 in Russland gewesen. Das war das einzige Mal, dass eine politische Führung existierte, die in der Lage war, die historische Aufgabe zu meistern, vor der die internationale Arbeiterklasse stand. Angesichts der nationalistischen Konterrevolution des Stalinismus und der Niederlagen, die die Arbeiterklasse international einstecken musste, breitete sich in Form der Frankfurter Schule eine demoralisierte Reaktion aus.

„Weil ein solides und klares Verständnis des historischen Prozesses und der politischen Fragen fehlte, griff man zu einfacheren Antworten und Erklärungen: Verantwortlich war demnach eine angeblich angeborene menschliche Unzulänglichkeit.“

Schlange am Büchertisch von Mehring Books

Das gesellschaftliche Bewusstsein könne sich sehr schnell verändern, fuhr North fort. In Amerika werde Bernie Sanders immer mehr als Apologet der Demokratischen Partei wahrgenommen. „Die Menschen suchen nach ernsthaften Antworten, und ich denke, man kann sehen, dass die politische Stimmung sich wandelt. Die Diskussionen werden intelligenter, nachdenklicher – und gleichzeitig optimistischer. In dem Maße, wie die Menschen zu verstehen beginnen, spüren sie auch, dass es möglich ist, die politische Reaktion zu bekämpfen und zu besiegen.“

North bemerkte abschließend: „Große soziale Veränderungen werden nicht sofort verstanden. Sie sind komplex. Die Menschen benötigen Zeit, sich an die wesentlichen politischen Lehren anzupassen. Dieser Prozess der Anpassung findet seinen bewusstesten Ausdruck innerhalb der marxistischen Bewegung … Die Erfahrungen der 1930er Jahre demonstrierten die entscheidende Rolle der politischen Führung. Das meinte Trotzki, als er im ‚Übergangsprogramm‘die Alternative Faschismus oder Sozialismus erwähnte: Die Krise der Menschheit stellt sich als Krise der revolutionären Führung dar.“

Im Anschluss an die Versammlung stellten sich viele Anwesende in die Schlange am Büchertisch von Mehring Books, um sich ein von Vandreier signiertes Exemplar zu sichern. Literatur für etwa 1.500 Pfund wurde verkauft, darunter 71 Exemplare von „Why are they Back?“ und 18 Exemplare des neuen Buches „Agents: The FBI and GPU Infiltration of the Trotskyist Movement“ (Agenten: Die Unterwanderung der trotzkistischen Bewegung durch FBI und GPU).

In dieser Woche ist der Mehring Verlag mit einem eigenen Stand auf der Leipziger Buchmesse (21.-24. März) vertreten: Halle 5, Stand K303

Buchvorstellung mit Christoph Vandreier:
„Warum sind sie wieder da? Geschichtsfälschung, politische Verschwörung und die Wiederkehr des Faschismus in Deutschland“
22. März 2019 von 17:00 bis 17:30 Uhr
Forum Sachbuch: Halle 5, Stand F401/G410
https://www.facebook.com/events/434997300581052/

Buchvorstellung mit David North:
„Das Erbe, das wir verteidigen. Ein Beitrag zur Geschichte der Vierten Internationale“
23. März 2019 von 15:00 bis 15:30 Uhr
Forum Sachbuch: Halle 5, Stand F401/G410
https://www.facebook.com/events/1136872546494511/

Zentrale Abendveranstaltung des Mehring Verlags:
„Die Lehren der 1930er und der Kampf gegen die extreme Rechte“
23. März 2019 von 20:00 bis 23:00
Baumwollspinnerei, Halle 18, Gutenberg Verlag und Druckerei (GVD) Spinnereistraße 7, 04179
https://www.facebook.com/events/767874130245894/

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