Berlin: Polizei- und Zollrazzia gegen Seenotretter

Am Samstagabend, den 30. März, ging eine Hundertschaft der Berliner Polizei brutal gegen eine Veranstaltung des „Seebrücke“-Bündnisses vor. Als Vorwand diente eine Zollkontrolle, der eine anonyme Denunziation wegen Schwarzarbeit vorangegangen war. In Wirklichkeit verfolgte der brutale Überfall das Ziel, freiwillige Seenotretter und Flüchtlingshelfer einzuschüchtern.

Am selben Tag hatten mehrere tausend Menschen gegen das neue Abschiebegesetz durch Berlin demonstriert. Sie protestieren gegen Horst Seehofers „Geordnetes-Rückkehr-Gesetz“, das nicht nur Flüchtlinge und Asylbewerber angreift, sondern auch alle, die ihnen helfen. Im Anschluss an diese Demonstration sollte im Club „Mensch Meier“ für die SeaWatch-Helfer eine „Nacht der zivilen Seenotrettung“ mit Diskussion, Konzert und Party stattfinden.

Allerdings wurde die Veranstaltung massiv durch eine Polizeirazzia gestört. Eine halbe Stunde vor Veranstaltungsbeginn versuchten Beamte des Berliner Zollamts, sich Einlass in den Club zu verschaffen. Begleitet waren sie von einem Mobilen Einsatzkommando der Polizei, dessen Beamte jedoch in Zivil auftraten. Der Sicherheitsdienst des Clubs hatte den lebhaften Eindruck, dass es sich um rechtsextreme Gewalttäter handle. Er verschloss die Tür und wehrte die ungebetenen Besucher mit Pfefferspray ab. Daraufhin griff eine Hundertschaft der Polizei an, drang gewaltsam in alle Räume ein und bedrohte, fesselte und verletzte die Anwesenden.

In einem Statement schildern die Clubbetreiber von „Mensch Meier“ die Ereignisse aus ihrer Sicht. Die Sicherheitsleute seien „von mehreren, nicht als Beamt*innen zu erkennende Personen angegangen“ worden. Diese „wirkten auf sie wie angreifende Nazis, woraufhin sie versuchten, die Tür geschlossen zu halten und sich zu verteidigen. Polizei und Zoll gaben sich vor dem Türhäuschen nicht zu erkennen. Eine Hundertschaft der Berliner Bereitschaftspolizei stürmte darauffolgend das Kassenhäuschen und verschaffte sich gewaltsam Zugang.“

Weder Zollbeamte noch Polizisten hätten sich beim Betreten des Gebäudes ausgewiesen. „Innerhalb des Gebäudes wurde erst nach mehrmaligem Nachfragen verschiedener Personen deutlich, dass es sich hier um eine polizeiunterstützte Zollkontrolle handelte“, heißt es in dem Statement.

Im Gebäude wurden die Anwesenden dann auf dem Boden fixiert, mit Handschellen gefesselt und teilweise verletzt. Mehrere Polizisten trugen während des Einsatzes offen ihre Schusswaffen. Polizisten brachen die Türen zu sämtlichen Nebenräumen auf, auch wenn diese gar nicht zum Club gehörten. In dem Statement heißt es weiter: „Alle Personen in den Räumen im ‚Mensch Meier‘ haben sich zu jedem Zeitpunkt kooperativ verhalten. Nach Eintreffen des rechtlichen Beistands wurde der Einsatz abrupt abgebrochen.“

Die Veranstaltung konnte schließlich um Mitternacht, mit dreistündiger Verspätung, als Konzert doch noch stattfinden. Am Eingang waren vier Personen, darunter der verantwortliche Sicherheitsmann, vorübergehend festgenommen worden. Ihm droht nun eine Anklage, da fünf Polizisten Verletzungen durch Reizgas geltend machen.

Zu dem Vorfall erklärte das Hauptzollamt Berlin, gegen den Club sei eine anonyme Anzeige wegen illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit eingegangen. Ungewöhnlich ist allerdings, dass auf eine anonyme Denunziation eine derart brutale Kontrolle folgte, dazu ausgerechnet bei einer Solidaritätsveranstaltung für „SeaWatch&Friends“. Das Ganze hinterlässt ein mehr als ungutes Gefühl.

Das bestätigten auch Mitarbeiter der Organisation „Moabit hilft“ gegenüber der WSWS, die allerdings nicht selbst bei der Veranstaltung dabei gewesen waren. Sie könnten sich „nicht vorstellen, dass die Polizeirazzia ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt mit Schwarzarbeit zu tun hat“, sagten sie. Vielmehr sahen sie einen Zusammenhang mit den ständigen Gesetzesverschärfungen und Kampagnen gegen Asylsuchende und ihre Unterstützer. Eine Flüchtlingshelferin beklagte, dass auch die Arbeit ihrer eigenen Initiative „durch die generellen Versuche, Geflüchtete und ihre Helfer zu kriminalisieren“, immer stärker beeinträchtigt werde.

Tatsächlich richtete sich die Zollrazzia vom Samstag gegen ein linksstehendes und gesellschaftlich engagiertes Projekt, das von seinen Mitarbeitern kollektiv und selbstverwaltet betrieben wird. Hier finden außer Konzerten und Discos auch politische Veranstaltungen und Soli-Abende für NGOs statt. An diesem Abend sollten die Einnahmen der „Nacht der zivilen Seenotrettung“ der Organisation SeaWatch zugutekommen.

Etwa zwei Dutzend Anwesende, hauptsächlich Angehörige des Kollektivs, das die Feier organisiert hatte, äußerten sich im Netz als Betroffene und Zeugen des Polizeiüberfalls. Im Bericht des Kollektivs heißt es: „Wir wissen nicht genau, was sich im Vorfeld an der Tür abspielte, da wir uns alle im Inneren des Clubs aufhielten, doch durch die panischen Rufe wie ‚Naziangriff‘, die wir zu Beginn vernahmen, empfinden wir es als glaubhaft, dass die Türsteher*innen sich durch Nazis angegriffen sahen.“

Weiter heißt es, sie alle hätten den Einsatz als „unverhältnismäßig und in seiner Heftigkeit selbst als einen Überfall“ empfunden. Keiner von ihnen habe die Anwesenheit der Zollbeamten bewusst wahrgenommen. Dass es sich um eine Zollkontrolle handelte, hätten sie erst nach einer guten Stunde und nach mehrmaligem Nachfragen erfahren. Jeder von ihnen habe „ein angsteinflößendes und aggressives Verhalten (gezogene Waffen) beobachtet und in den meisten Fällen auch am eigenen Leib durch gewaltsames Auf-den-Boden-Drücken, Handschellen-Anlegen oder Rumschubsen erlebt … Wir fühlten uns wie Geiseln.“

Ein junger Mann schilderte das Erlebte: „Ich dachte, Nazis würden versuchen, gewaltsam ins Haus zu kommen. Ich nahm die Polizei nicht als Polizei wahr. Es war nicht zu erkennen, dass es sich bei den Eindringlingen um Polizei handelte. Die Beamten traten sehr aggressiv auf.“

Eine Frau berichtete, sie sei der Aufforderung dreier Polizisten, sich im Flur auf den Boden zu legen, nachgekommen. „Ich fand mich jedoch schneller, als ich mich hinknien konnte, auf dem Fußboden wieder. Ein Beamter fixierte mich, obwohl ich keinen Widerstand leistete, und drehte mir mein Handgelenk um.“ Die Frau verlor während der Aktion ihre Brille und berichtete: „Trotz Nachfrage wurde sie mir nicht wieder aufgesetzt. Ohne dass mir etwas vorgeworfen wurde, wurden meine Arme auf dem Rücken fixiert, während sich ein Beamter auf meinen Rücken kniete.“ Sie habe die Maßnahmen als „unverhältnismäßig und über alle Maßen rabiat und verletzend“ empfunden.

Trotz des einschüchternden und gewaltsamen Charakters des Überfalls beeilte sich der rot-rot-grüne Berliner Senat, ihn zu rechtfertigen. Martin Pallgen, Pressesprecher der Senatsverwaltung für Inneres und Sport, behauptete gegenüber der Berliner Zeitung: „Nicht die Veranstaltung war das Ziel der Aktion, sondern die Kontrolle von Schwarzarbeit.“ Offenbar erblicken weder Senatoren noch Verwaltungsbeamte in der Tatsache, dass Polizeibeamte als „Nazis“ wahrgenommen wurden, einen Grund zur Beanstandung.

Tatsächlich unterstützen sie das Vorgehen der Polizei als Signal an jeden, der es wagt, gegen die vorherrschende Abschiebepolitik Widerstand zu leisten. Nicht nur die Große Koalition in der Bundesregierung, sondern auch der Berliner Senat, in dem die Grünen und die Linke mitregieren, setzen mittlerweile diese AfD-Politik um. Erst vor kurzem hatte Innensenator Andreas Geisel (SPD) der Berliner Polizei eine neue „Polizeireform“ versprochen, die ihre Personenstärke, Ausrüstung und Befugnisse massiv ausweitet.

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