Die extreme Rechte in der Europawahl

Prognosen sagen rechtsextremen Parteien bei der Europawahl Ende Mai erhebliche Stimmengewinne voraus.

Den Umfragen zufolge kann die rechtsextreme Fraktion Europa der Nationen und der Freiheit (ENF) mit einem Zuwachs von 37 auf 63 Sitze rechnen. Auf die Fraktion Europa der Freiheit und der direkten Demokratie (EFDD) entfallen wie bisher rund 40 Sitze und auf die Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (ECR), die im Laufe der Legislaturperiode von 70 auf 54 Abgeordnete schrumpfte, 58 Sitze. Die ungarische Fidesz von Viktor Orbán, die kürzlich von der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP) suspendiert wurde, rechnet mit 14 Sitzen.

Insgesamt können damit mehr oder weniger offen rechtsextreme Parteien mit bis zu 175 Sitzen im Europäischen Parlament rechnen, das von 751 auf 705 Abgeordnete schrumpft, falls Großbritannien vor der Wahl aus der EU austritt.

Die ENF umfasst das französische Rassemblement National von Marine Le Pen, die italienische Lega von Matteo Salvini, die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) von Heinz-Christian Strache, die niederländische Partij voor de Vrijheid (PVV) von Geert Wilders sowie mehrere kleinere rechtsextreme Parteien. Die EFDD, der anfangs auch die britische UKIP von Nigel Farage und die italienische Fünf-Sterne-Bewegung von Beppe Grillo angehörten, wird inzwischen von der Alternative für Deutschland (AfD) dominiert. Zur ECR gehören neben der polnischen Regierungspartei PiS von Jaroslaw Kaczynski auch die Dänische Volkspartei, die Schwedendemokraten, die neofaschistischen Fratelli d’Italia sowie – bisher – die britischen Tories.

Das Anwachsen rechtsextremer Parteien wiederspiegelt keine Rechtsentwicklung von breiten Schichten der Bevölkerung. Deren Stimmung tendiert eher nach links, was sich in einer wachsenden Zahl von Protesten und Streiks äußert.

Erstmals seit langem haben Streiks um bessere Löhne und Arbeitsbedingungen nicht nur westeuropäische Länder, sondern auch große Teile Osteuropas erfasst. So kam es in Ungarn zu Massenprotesten gegen das „Sklavengesetz“ der Regierung Orbán und in Polen streikten 300.000 Lehrer wochenlang gegen Hungerlöhne und die PiS-Regierung. In Deutschland stieg die Zahl der Arbeitstage, die wegen Streiks ausfielen, im vergangenen Jahr um das Vierfache auf rund eine Million und die Zahl der Streikteilnehmer um das Zehnfache auf 1,2 Millionen. Hinzu kamen Massenproteste gegen hohe Mieten, Internetzensur und Ausländerfeindlichkeit.

Das Anwachsen der extremen Rechten ist die Antwort der herrschenden Klasse auf diese zunehmende Militanz. Es ist das Ergebnis der systematischen politischen, ideologischen und organisatorischen Förderung der Rechtsextremen durch die Medien, die etablierten Parteien und den Staat. Im Europawahlkampf zeigt sich das besonders deutlich.

Kernforderungen der Rechtsextremen – die hermetische Abschottung der Außengrenzen gegen Flüchtlinge, deren Inhaftierung in Lagern, der Aufbau eines allumfassenden Überwachungs- und Sicherheitsapparats, die Zensur von Presse und Internet, die massive Aufrüstung des Militärs – sind inzwischen offizielle Politik der Europäischen Union.

Der stellvertretende Vorsitzende der Sozialistischen Gleichheitspartei, Christoph Vandreier, hat im Buch „Warum sind sie wieder da?“ im Detail nachgewiesen, wie in Deutschland der Aufstieg der AfD an den Universitäten, in den Redaktionen und im Staatsapparat systematisch vorbereitet und gefördert wurde. Heute gibt die rechtsextreme Partei in der deutschen Politik den Ton an, obwohl sie nur 13,6 Prozent der Wählerstimmen erhielt. Sie ist offizielle Oppositionsführerin im Bundestag, leitet wichtige Ausschüsse und ist in den Medien omnipräsent. Der Verfassungsschutz verfolgt die Kritiker der rechtsextremen Partei als „Linksextremisten“, während er ihr selbst und ihrem Neonazi-Umfeld ein Unbedenklichkeitszeugnis ausstellt.

Ähnliche Bücher ließen sich über jedes andere europäische Land schreiben. Überall verdanken die Rechtsextremen ihren Einzug ins Parlament und ihren Aufstieg in führende Staats- und Regierungsämter der Unterstützung, die sie aus der herrschenden Klasse erhalten. Mittlerweile sitzen sie in zehn von 28 EU-Mitgliedsstaaten in der Regierung. Nicht nur konservative, auch angeblich linke Parteien haben sich mit ihnen verbündet. So schloss die griechische Syriza unmittelbar nach ihrem Wahlsieg im Januar 2015 ein Bündnis mit den rechtsextremen Unabhängigen Griechen, um das Spardiktat der EU gegen die Arbeiterklasse durchzusetzen.

Nun nutzen die Rechtsextremen ihren Zugriff auf den Staatsapparat systematisch, um ihre Agenda voranzutreiben.

So trafen sich der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán (Fidesz) und der italienische Innenminister Matteo Salvini (Lega) am vergangenen Donnerstag in Ungarn, um einen Pakt für ein „neues Europa“ zu schmieden. Orbán feierte Salvini als „Held, der die Migration über das Meer gestoppt hat“. Salvini nannte Orbán „einen Fixpunkt für Europa“. Beide gelobten eine enge Zusammenarbeit, um die Migration zu stoppen. Sie sei, so Orbán, „die größte Herausforderung, die uns die Geschichte stellt“.

Am heutigen Montag wird der österreichische FPÖ-Chef und Vizekanzler Heinz-Christian Strache zum selben Zweck in Budapest erwartet, und am 13. Mai wird Orbán in Washington von US-Präsident Donald Trump empfangen.

Orbán und seine Fidesz sind das Produkt der kapitalistischen Restauration in Ungarn und der jahrzehntelangen Bemühungen der westlichen Mächte, jede Opposition gegen deren verheerenden Folgen zu unterdrücken.

Die Fidesz wurde 1988 als liberale Studentenorganisation mit massiver Hilfe aus dem Westen gegründet. Zu Orbáns Förderern gehörte damals auch der amerikanisch-ungarische Milliardär George Soros, den er inzwischen in einer antisemitisch geprägten Kampagne zum wichtigsten Staatsfeind erklärt hat. Beim Sturz des stalinistischen Regimes im Herbst 1989 spielte Fidesz eine wichtige Rolle.

Nach einer ersten Regierungszeit von 1998 bis 2002 gelang es Orbán aber erst 2010, sich an der Macht festzusetzen. Er verdankte dies vor allem der rechten Politik der poststalinistischen Sozialistischen Partei, die sich durch einen Korruptionsskandal völlig diskreditiert hatte. Seither versucht er, durch einen ultranationalistischen Kurs und die Gleichschaltung von Presse und Justiz ein diktatorisches Regime zu errichten, das jede soziale Opposition unterdrückt.

Unterstützung hat Orbán dabei von der Europäischen Volkspartei (EVP) erhalten, der Fidesz bis heute angehört. Vor allem bei der deutschen CSU und CDU und der Österreichischen Volkspartei war Orbán ein gerngesehener Gast, selbst als seine diktatorischen Neigungen unübersehbar waren. Bundeskanzlerin Angela Merkel widersetzte sich jahrelang Forderungen, ihn aus der EVP auszuschließen. Erst als Orbán eine Plakatkampagne gegen EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker organisierte, der selbst Mitglied der EVP ist, kühlten sich die Beziehungen ab und Fidesz wurde von der EVP suspendiert.

Orbán besteht aber darauf, in der EVP zu bleiben. Auf Salvinis Werben, sich der rechtsextremen ENF anzuschließen, antwortete Orbán mit dem Vorschlag, die Lega in die EVP aufzunehmen. Salvini zeigte sich nicht abgeneigt. Wenn sich die EVP Orbáns Ansichten zu eigen mache, würde es eine Freude sein, mit ihr zusammenzuarbeiten, erwiderte er.

Abwegig ist der Vorschlag nicht. Die EVP hatte nach angeblichem Zögern auch die Forza Italia von Silvio Berlusconi in ihre Reihen aufgenommen. Der Medienzar mit engen Verbindungen zur Unterwelt regierte gemeinsam mit Neofaschisten und der damaligen Regionalpartei Lega Nord, der er zu nationalem Einfluss verhalf, indem er sie in seine Regierung aufnahm.

Im Österreich, das an Ungarn angrenzt, regiert die konservative ÖVP seit eineinhalb Jahren gemeinsam mit der rechtsextremen FPÖ, der er sie das Innen-, das Europa-, das Verteidigungs- und das Arbeitsministerium überlassen hat.

Auch hier nutzt die FPÖ ihre Macht systematisch aus, um Medien und Justiz gleichzuschalten und rechtsextreme Standpunkte zu propagieren. Das unterstreicht der Skandal um Österreichs bekanntesten Fernsehmoderator, Armin Wolf, der seit Tagen die Schlagzeilen beherrscht.

Plakat der FPÖ-Jugendorganisation und Stümer-Karikatur in der Nachrichtensendung ZIB2

Wolf hatte den Spitzenkandidaten der FPÖ zur Europawahl, Harald Vilimsky, in der Nachrichtensendung ZIB2 mit Neonazi-Äußerungen aus den Reihen seiner Partei konfrontiert – einem Gedicht des Bürgermeisters von Hitlers Geburtsort Braunau, das Migranten mit Ratten gleichsetzt, und einem ausländerfeindlichen Plakat der FPÖ-Jugendorganisation, das Wolf mit einer antisemitischen Karikatur des Nazi-Hetzblatts Stürmer verglich. Darauf forderte Vilimsky seinen Rauswurf.

FPÖ-Chef Strache, der Vorsitzende des ORF-Stiftungsrats Norbert Steger und weitere hochrangige FPÖ-Politiker nannten das Interview „widerlich“, „pervers“ oder verglichen es mit dem berüchtigten Volksgerichtshof der Nazis. Steger empfahl Wolf, „eine Auszeit zu nehmen“. Strache hatte schon vorher auf Facebook ein Bild von Wolf mit der Schlagzeile veröffentlicht: „Es gibt einen Ort, an dem Lügen zu Nachrichten werden. Das ist der ORF.“

Kanzler Sebastian Kurz übte sich, wie in solchen Fällen üblich, in salomonischer Weisheit. „So eine Auseinandersetzung nutzt dem Armin Wolf, vielleicht auch der Freiheitlichen Partei.“ Sie sei allerdings „nicht gut fürs Land“, sagte er – und setzte sein Bündnis mit der FPÖ unbekümmert fort.

Die Förderung der extremen Rechten durch den Staat und die etablierten Parteien zeigt, dass nur eine unabhängige Bewegung der Arbeiterklasse die rechte Gefahr stoppen kann. Der Kampf gegen Rechtsextremismus und Faschismus ist untrennbar mit dem Kampf für ein sozialistisches Programm gegen ihre Ursache, den Kapitalismus verbunden.

Dafür kämpft die Sozialistische Gleichheitspartei bei den Europawahlen. In unserem Wahlaufruf heißt es: Die SGP tritt „zur Europawahl an, um dem Aufstieg der extremen Rechten, dem wachsenden Militarismus und der schreienden sozialen Ungleichheit entgegenzutreten. Gemeinsam mit unseren Schwesterparteien in der Vierten Internationale kämpfen wir in ganz Europa gegen die EU und für die Vereinigung des Kontinents auf sozialistischer Grundlage. Nur so kann der Rückfall in faschistische Barbarei und Krieg verhindert werden.“

Loading