Perspektive

Die Arbeiterklasse und die Gefahr einer Diktatur in den USA

Die Konfrontation zwischen dem Weißen Haus unter Trump und dem Repräsentantenhaus, in dem die Demokraten die Mehrheit stellen, hat sich derart zugespitzt, dass die Sprecherin des Repräsentantenhauses letzte Woche von einer „Verfassungskrise“ sprach. Donald Trump, so Nancy Pelosi, setze sich über die in der US-Verfassung festgelegte Gewaltenteilung hinweg.

Jerrold Nadler, der Vorsitzende des Justizausschusses, bestätigte: „Wir befinden uns in einer solchen [Verfassungskrise]. Es ist an der Zeit, zu prüfen, ob wir diese Art von Republik beibehalten können oder ob sie dazu bestimmt ist, sich in eine andere, tyrannische Form der Herrschaft zu verwandeln.“

Niemals zuvor in der Geschichte der USA hat das Weiße Haus derart unbegrenzte präsidiale Vollmachten beansprucht, wie sie heute von Trump geltend gemacht werden. Mit seinen immigrantenfeindlichen Appellen an die extreme Rechte versucht er, ein ganz auf seine Person zugeschnittenes autoritäres Regime zu errichten. Die Demokraten warnen zwar vor einer Diktatur, treten diesem Streben aber nicht ernsthaft entgegen. Ihre Opposition geht von dem reaktionären Standpunkt aus, dass Trump gegenüber den ausländischen „Feinden“ des amerikanischen Imperialismus nicht kriegerisch genug auftrete.

Trump zufolge unterliegt die Macht der Exekutive nicht der parlamentarischen Kontrolle des Kongresses. Unter Berufung auf das sogenannte Exekutivprivileg verweigert er dem Kongress den Zugang zum vollständigen Text des Mueller-Berichts. Dieser Bericht umfasst einschließlich aller Begleitunterlagen mehrere Millionen Seiten. Er bezieht sich auf den gesamten Wahlkampf 2016, also auch auf die Zeit, in der Trump noch nicht Präsident war und für die er daher kein Exekutivprivileg beanspruchen kann. Der Justizausschuss des Repräsentantenhauses bezichtigt Generalstaatsanwalt William Barr der Missachtung des Kongresses, weil er die Dokumente nicht herausgibt. Barr weigert sich auch, einer Vorladung vor den parlamentarischen Ausschuss Folge zu leisten.

Seit die Demokraten im Januar die Mehrheit im Repräsentantenhaus stellen, hat die Regierung die Herausgabe von Dokumenten und die Bereitstellung von Zeugen zu zahlreichen Themen abgelehnt. Das Spektrum reicht von Entscheidungen über die Einwanderungspolitik bis hin zu Trumps Steuererklärungen. Damit weigert sich das Weiße Haus de facto, das Ergebnis der Wahlen vom November 2018 anzuerkennen, die den Demokraten eine Mehrheit im Repräsentantenhaus und somit die verfassungsmäßige Befugnis verschafften, Untersuchungen über die Exekutive anzustellen.

Noch bedrohlicher ist Trumps Notstandserklärung für die US-mexikanische Grenze vom Februar. Er ermächtigte das Pentagon, Mittel aus dem Militärhaushalt in den Bau einer Grenzmauer umzuleiten. Dies ist eine direkte Missachtung des Budgetrechts, wonach nicht die Exekutive, sondern die Legislative über die Verwendung der Haushaltsmittel entscheidet.

Vergangenen Freitag gab der amtierende Verteidigungsminister Patrick Shanahan bekannt, dass er 1,5 Milliarden Dollar, die für Militäroperationen in Afghanistan vorgesehen waren, für die Fertigstellung von 80 Meilen Grenzmauer umwidme. Bereits im März hatte das Pentagon 1 Milliarde Dollar aus seinem Budget zur Verfügung gestellt.

Letzte Woche re-tweetete Trump den Vorschlag eines seiner ultrarechten Anhänger, dass er seine Amtszeit um zwei Jahre verlängern und die Wahlen 2020 absagen solle. Die Demokraten und die Mainstreammedien taten das als Witz ab, aber es ist tödlicher Ernst. Trump schob noch den Vorschlag nach, dass er für „zehn bis vierzehn Jahre“ im Weißen Haus bleiben könne. Dies wäre nur durch seine mehrfache Wiederwahl oder durch die Absage von Wahlen generell möglich. Beides wäre ein klarer Verfassungsbruch. Bei einer Kundgebung in Florida letzte Woche lachte Trump zum grölenden Beifall seines Publikums über den Vorschlag eines Unterstützers, dass die Regierung Einwanderer, die die Grenze überqueren, „erschießen“ sollte.

Trumps faschistischer Appell richtet sich an die Millionen von Polizisten, Grenzschutzbeamten und uniformierten Militärs, die starken Einfluss auf das Kräfteverhältnis in Washington haben.

Seit zwei Jahren drängt er auf eine von Panzern angeführte Militärparade in Washington DC, um die Stärke der US-Armee zu feiern. Regelmäßig befürwortet er die Anwendung von Gewalt gegen Immigranten seitens der Einwanderungs- und Zollschutzbeamten und des Grenzschutzes. Vor Kurzem hat er davon gesprochen, das traditionell unpolitische Feuerwerk am 4. Juli in Washington für eine Ansprache des Präsidenten zu nutzen, die im Lincoln Memorial vor patriotischer und militaristischer Kulisse stattfinden soll.

Trump verstößt mit diesem Verhalten nicht nur gegen seine Amtspflichten, sondern setzt sich auch über die Verfassung als Ganze hinweg. Dennoch beantwortete Pelosi die Frage, ob die Demokratische Partei ein Amtsenthebungsverfahren gegen Trump unterstützen würde, letzte Woche mit Nein: „Wir [die Vereinigten Staaten] sind eins. Wenn wir Entscheidungen treffen, Maßnahmen priorisieren und Optionen in Betracht ziehen, ist diese Einheit, die uns als Nation zusammenhält, ein zwingender Imperativ für mich und die Demokraten im Repräsentantenhaus. Ein Amtsenthebungsverfahren würde zu tiefen Spaltungen führen.“

Die Angst der Demokraten vor einer „Spaltung“ macht erneut deutlich, weshalb sie völlig auf die angebliche Zusammenarbeit Trumps mit Russland fixiert sind und ihm im Zusammenhang mit ihrer antirussischen Kampagne eine Behinderung der Justiz vorwerfen. Seit Trumps Wahl stellen sie seinen Sieg als Ergebnis einer „russischen Einmischung“ dar und bemühen sich um Unterstützung im Militär und in den Geheimdiensten, die jede Abschwächung der Konfrontation mit Russland, insbesondere in Syrien und der Ukraine, verhindern wollen.

Die Demokraten befürchten vor allem, dass die soziale Opposition von unten in Bewegung geraten könnte, falls sie ernsthaft thematisieren, wie Trump mit seinen diktatorischen Manövern demokratische Rechte angreift. Wenn sie Trumps Griff nach der Macht entgegentreten, so die Befürchtung der Demokraten, mobilisiert dieser außerhalb des Parlaments seine rechtsextremen Anhänger. Dies wiederum würde überall Gegendemonstrationen der Arbeiterklasse und Unruhen unter der Jugend auslösen. Es könnte zu Streiks, Universitätsschließungen und gewaltsamen Auseinandersetzungen kommen.

So würde ein Spalt geöffnet, durch den sich die massive Opposition der Arbeiterklasse gegen soziale Ungleichheit, Krieg und Angriffe auf demokratische Rechte Bahn brechen könnte. Die Kontrolle des kapitalistischen Zweiparteiensystems könnte durchbrochen werden und die Opposition einen politisch unabhängigen, antikapitalistischen Ausdruck finden.

Ein solcher Bruch der inneren Einheit würde die unzähligen außenpolitischen Abenteuer des US-Imperialismus im Ausland behindern: im Iran, im Südchinesischen Meer, in Venezuela und in Nordkorea. Wie David Sanger in der New York Times von gestern besorgt feststellte, „wetten Amerikas Gegner darauf, dass Trump weder ein so versierter Verhandlungsführer ist, wie er behauptet, noch so bereit, militärische Gewalt anzuwenden“. Die Demokraten haben sich auch besorgt darüber geäußert, welchen Eindruck von der Stabilität des US-Imperialismus Trump insbesondere bei seinen Verbündeten in Westeuropa hinterlässt.

Mit ihrer Reaktion auf Trump wiederholen die Demokraten auf einer höheren Ebene ihre Reaktion auf die gestohlene Präsidentschaftswahl 2000. Damals verhinderte die rechte Mehrheit am Obersten Gerichtshof der USA eine Neuauszählung der Stimmen in Florida. Die Stimmen der Wahlmänner dieses Bundesstaats und damit die Präsidentschaft gingen damit an George W. Bush, obwohl dieser weniger Stimmen der Wahlberechtigten erhalten hatte als sein Gegenkandidat. Die Demokratische Partei und ihr Präsidentschaftskandidat Al Gore kapitulierten vor dem Staatsstreich der Rechten. Dieses Ereignis war ein Wendepunkt. Es zeigte, wie die World Socialist Web Site damals erklärte, dass es in der herrschenden Elite der USA keine Basis für demokratische Rechte mehr gab.

Die Demokratische Partei sah sich außerstande, ihre Anhänger zu mobilisieren, Sie hatte Angst, dass eine Massenbewegung für demokratische Rechte außer Kontrolle geraten könnte. Vor die Wahl gestellt, die Opposition von unten zu mobilisieren oder den Putsch zu akzeptieren, entschieden sich die Demokraten für den Putsch.

Die Reaktion der Demokraten auf Trump folgt der gleichen reaktionären Logik.

Die amerikanische Demokratie ist in Auflösung begriffen. Einem kriminellen Präsidenten, der sich eine faschistische Unterstützerbasis zu schaffen versucht, steht eine schwache Opposition gegenüber, die im Falle eines Zusammenbruchs das Militär auffordern würde, einzugreifen und die verfassungsmäßige Ordnung zu „retten“.

Selbst in dem höchst unwahrscheinlichen Fall, dass Trump mit verfassungsmäßigen Methoden, d. h. durch ein Amtsenthebungsverfahren aus dem Amt entfernt werden sollte, wäre das Ergebnis eine Regierung unter der Leitung des nicht weniger reaktionären Vizepräsidenten Mike Pence. Wenn die Demokraten einen solchen Wechsel anführen würden, würde er auf eine aggressivere Außenpolitik insbesondere gegenüber Russland hinauslaufen und nichts an der Verteilung des Reichtums oder den Angriffen auf die demokratischen Rechte der Bevölkerung ändern.

Die Arbeiterklasse muss einen unabhängigen Kurs einschlagen, um die Trump-Regierung zu Fall zu bringen. Die Antwort liegt in der Weiterentwicklung des Klassenkampfs.

In Arbeitsplätzen und Arbeitervierteln müssen unabhängige, demokratisch kontrollierte Fabrik- und Nachbarschaftskomitees gebildet werden, die die Interessen der Arbeiter vertreten. Der Aufbau solcher Komitees und die von ihnen geführten Kämpfe müssen von einer neuen politischen Perspektive angeleitet werden: der unabhängigen politischen Mobilisierung der Arbeiterklasse im Kampf für eine Arbeiterregierung und für ein sozialistisches Antikriegsprogramm.

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