Folter bei der Abschiebung

Im ersten Quartal 2019 sind mehr als 5600 Menschen aus Deutschland abgeschoben worden, und laut Warnungen von Flüchtlingshelfern könnte schon in der kommenden Woche erneut eine Sammelabschiebung nach Afghanistan stattfinden. Mit welch brutalen Methoden die Polizeibehörden dabei vorgehen, geht aus dem jüngsten Bericht des europäischen Anti-Folter-Komitees hervor.

Protest am Flughafen Frankfurt gegen Abschiebungen nach Afghanistan

Das Straßburger „Komitee zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe“ (Committee for the Prevention of Torture, CPT) ist ein Gremium des Europarats und besteht aus gewählten, unabhängigen Fachleuten, darunter Ärzten und Rechtsanwälten, aber auch Polizeibeamten.

In seinem Bericht vom 9. Mai schildert das Komitee die Beobachtungen, die drei seiner Mitarbeiter während eines Abschiebeflugs von München nach Afghanistan am 14. August 2018 machten. Er betraf 46 Afghanen im Alter zwischen 18 und 40 Jahren, von denen sich 21 zuvor in Abschiebehaft befunden hatten. Den Charterflug von München nach Kabul überwachten über hundert Polizisten, also mehr als zwei pro abgeschobene Person.

Das CPT-Team beobachtete die Ankunft und Flugvorbereitung am Flughafen München, das Boarding, den sechsstündigen Flug und die Übergabe der Betroffenen in Kabul. Die dabei konstatierten Methoden und Abläufe sind schockierend.

In dem Bericht heißt es: „Im Verlauf des Rückführungsflugs am 14. August 2018 wurden von der Bundespolizei gegen zwei Rückzuführende, die gewaltsam Widerstand gegen ihre Rückführung zu leisten versuchten, Zwangsmaßnahmen angewendet.“ Einem der beiden, der sich weigerte, sich im Flugzeug hinzusetzen, wurde besonders übel mitgespielt.

Wie der Bericht in reinem Beamtendeutsch schildert, geriet er „in Erregung, begann zu schreien und in alle Richtungen zu schlagen und versuchte aufzustehen. Die beiden neben ihm sitzenden Begleitbeamten versuchten, ihn in seinem Sitz zu halten, indem sie seine Arme festhielten. Dabei wurden sie von einem aus vier Begleitpersonen bestehenden Backup-Team unterstützt, wovon sich drei hinter seinem Sitz positionierten. Einer dieser Begleitbeamten legte von hinten seinen Arm um den Hals des Rückzuführenden und zog mit seiner andern Hand dessen Nase nach oben, sodass sein Kollege einen Beißschutz in den Mund des Rückzuführenden einführen konnte.“

Kurz danach habe ein anderer Polizist „den Kopf des Rückzuführenden auf einen Nebensitz [gezogen] und sein Knie auf dessen Kopf platziert, um Druck auszuüben und kooperatives Verhalten zu erreichen, während die Hände des Rückzuführenden hinter dessen Rücken mit einem Klettband gefesselt wurden. Ein weiterer Begleitbeamter drückte mit seinem Daumen auf die Schläfe des Rückzuführenden. Ein weiteres Klettband wurde unterhalb der Knie des Rückzuführenden angebracht, um seine Beine zusammenzubinden. Dem Rückzuführenden wurde außerdem ein Helm aufgesetzt, und an seinen Armen und Beinen wurden weitere Klettbänder angebracht … Ein sechster Beamter kniete auf den Knien und Oberschenkeln des Rückzuführenden, um ihn mit seinem Gewicht in seinem Sitz zu halten. Nach etwa 15 Minuten griff der sechste Begleitbeamte mit seiner linken Hand die Genitalien des Rückzuführenden und drückte mehrmals länger zu, um den Rückzuführenden dazu zu bringen, sich zu beruhigen …“

Auch gegen einen zweiten afghanischen Mann wurde Gewalt eingesetzt. In dem Bericht heißt es über ihn, er habe „am Tag der Abschiebemaßnahme versucht, sich selbst zu verletzen und Suizid zu begehen, indem er sich die Unterseite seines linken Unterarms aufschnitt und Medikamente schluckte. Er wurde in einem örtlichen Krankenhaus behandelt“, worauf man ihn fesselte und zur Abschiebung schleppte.

Während des Transports zum Flughafen soll er versucht haben, „sich erneut selbst zu verletzen, u. a. indem er seine Wunden wieder eröffnete“. Im Terminal geriet er während der „vollständigen körperlichen Durchsuchung“ in starke Erregung. „Darüber hinaus waren die Wunden an seinem linken Unterarm wieder aufgegangen, weshalb er von einem Arzt versorgt werden musste. Der Rückzuführende wurde vorübergehend von den andern Rückzuführenden getrennt und separat an Bord gebracht, wobei physische Gewalt vonnöten war, um ihn ins Innere des Flugzeugs zu befördern.“

Auch bei der Ankunft in Kabul sei er „fixiert und von einem aus bis zu sieben Begleitbeamten bestehenden Team aus dem Flugzeug getragen“ worden.

Wie der Bericht zeigt, werden die Abschiebungen mit aller Gewalt durchgesetzt, wobei Zwangsmaßnahmen wie „Handschellen, Hand- und Fußfesseln und Festhaltegurten (‚Body Cuffs‘)“ zum Einsatz kommen. Dabei geht es um Menschen, die sich offensichtlich bereits in einer psychischen Ausnahmesituation befinden.

Schon die brutale Art und Weise der Festnahme trägt zweifellos zur Traumatisierung bei. So ist es offenbar gängige Praxis, die Menschen mit Polizeigewalt bei Nacht und Nebel aus ihren Betten zu holen, sie von der Arbeit und aus ihrem gewohnten Umfeld herauszureißen und völlig unvorbereitet abzuschieben.

Die 25 Afghanen, die bis zur Abschiebung noch in Freiheit lebten, erfuhren erst am Tag, als die Polizei sie „einzeln an ihrem jeweiligen Wohnsitz in Gewahrsam“ nahm, dass die Abschiebung unmittelbar bevorstand.

Im Bericht heißt es: „Die Abholung fand üblicherweise in den frühen Morgenstunden statt und wurde von einer oder mehreren Polizeistreifen mit je zwei Polizeibeamten durchgeführt. Einige Rückzuführende äußerten der Delegation gegenüber, dass ihnen nicht genügend Zeit gegeben worden sei, sich auf ihre Abschiebung vorzubereiten, andere wiederum seien in der Nacht abgeholt worden. So beschwerten sich mehrere Personen darüber, dass sie nicht alle ihre persönlichen Gegenstände und Dokumente hätten zusammenpacken können. Eine weitere Person habe ihren Arbeitgeber nicht über ihre Situation informieren können.“

Ein Betroffener hatte seine Abschiebungsandrohung bereits fünf Jahre zuvor, im September 2013, zugestellt bekommen. Obwohl sich seither seine gesamte Lebenssituation verändert hatte, wurde auch er ohne Vorwarnung festgenommen und abgeschoben. Diesen besonders skandalösen Fall erwähnt der Bericht nur am Rande.

Das Anti-Folter-Komitee hatte vor dem Flug auch Einblick in die Vorbereitung, das Abholen und den Transport von sechs Gefangenen aus der bayrischen Justizvollzugsanstalt Eichstätt. In dieser Einrichtung, die erst vor kurzem in eine Abschiebehafteinrichtung verwandelt worden ist, herrschen offenbar schlimmere Bedingungen als im Gefängnis. Wie berichtet, hatten die Männer dort nicht einmal eine Stunde Bewegung im Freien pro Tag. Alle sechs Afghanen wurden erst unmittelbar vor ihrem Abtransport über ihre bevorstehende Abschiebung informiert.

Einer der sechs beklagte sich bei dem Komitee, er habe während seiner gesamten Haft bis zur Abholung keine Möglichkeit erhalten, sich an einen Rechtsanwalt zu wenden, und es sei ihm überhaupt verboten gewesen, zu telefonieren. Andere sagten aus, dass sie keinerlei Möglichkeit bekommen hätten, Angehörige oder Dritte über ihre Anreise nach Afghanistan zu informieren. Von mehreren „Rückzuführenden“ erfuhr die Delegation, dass sie „ihre Ersparnisse nicht von ihrem Bankkonto hätten abheben können, und sie auch nicht darüber informiert worden seien, wie sie später auf diese Guthaben zugreifen könnten“.

Das Abholen, der Transport nach München, die Durchsuchungen und die stundenlange Wartezeit können nur als Tortur bezeichnet werden. Dazu heißt es in dem Bericht: „Nach ihrer Ankunft am Flughafen München wurden alle Rückzuführenden zunächst zu einem gesicherten Parkbereich gebracht, wo sie bis zu mehreren Stunden in den Transportfahrzeugen warten mussten“, wobei einige von ihnen dauerhaft gefesselt waren. „Die meisten Gefangenen wurden nicht mit Essen oder Wasser versorgt.“ Dabei handelte es sich um Männer, die bereits „in den frühen Morgenstunden in Gewahrsam genommen worden waren und seitdem weder Essen noch Wasser bekommen hatten“.

Die medizinische Untersuchung ist offensichtlich eine Farce. Theoretisch darf eine Person, bei der eine „lebensbedrohende oder schwerwiegende Erkrankung“ vorliegt, nicht abgeschoben werden. Vor der Abschiebung ist eine ärztliche Untersuchung vorgeschrieben, die Anzeichen für gesundheitliche Probleme oder Risiken ausschließen soll, „etwa akute Verletzungen, ansteckende Krankheiten oder eine Suizidgefahr“. Wie es aussieht, setzen die Staatsorgane sich darüber hinweg.

Während eine akut suizidgefährdete Person in das psychiatrische Krankenhaus zurückgebracht wurde, aus dem sie nie hätte abgeholt werden dürfen, wurden drei weitere gefährdete Menschen zum Flug gezwungen. Alle drei hätten, wie es heißt, „in den Tagen vor oder am Tag der Abschiebungsmaßnahme einen Suizidversuch unternommen oder mit Suizid gedroht“.

Ein weiterer Mann aus der Abschiebehaftanstalt Büren wurde als „reisetauglich“ erachtet, obwohl er „infolge eines Sturzes aus erheblicher Höhe eine komprimierte Fraktur eines Lendenwirbels“ erlitten hatte, „als er versuchte, aus dem Fenster zu springen, um sich … dem Zugriff der Polizei zu entziehen“. Sein Lendenwirbel war in einem Krankenhaus notdürftig fixiert worden. Den Flug überstand er nur im Liegen und unter großen Schmerzen. Während in seiner Krankenakte stand, „eine weitere ärztliche Behandlung [sei] notwendig, um die Fäden und später die interne Fixierung zu entfernen“, ist es höchst zweifelhaft, ob dies in Afghanistan für ihn überhaupt möglich ist.

Das ganze Prozedere am Abflughafen kann nur als menschenunwürdig bezeichnet werden. Theoretisch sind die Behörden verpflichtet, vor Ort einen Arzt zuzulassen, der vor der Abschiebung untersucht, ob die Menschen überhaupt reisetauglich sind. Die Schilderungen der Kommission legen jedoch nahe, dass es keine unabhängigen Ärzte vor Ort gab, und dass die für die ärztliche Untersuchung genutzten Bereiche unzureichend ausgestattet waren.

Wie es heißt, waren die Bedingungen „einer echten Arzt-Patient-Beziehung nicht zuträglich“. Die den „Rückzuführenden“ zugeordneten Polizisten (bis zu drei Beamte pro Person!) waren die ganze Zeit bei der medizinischen Untersuchung dabei, und die Ärzte waren Angestellte des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge. Die Untersuchung „erfolgte in zwei Bereichen innerhalb der Abflughalle, die mit einem Sichtschutz in Form von temporären Trennwänden abgetrennt waren … So gab es weder eine Untersuchungsliege noch ein Waschbecken, sondern lediglich einen Stuhl und einen Stehtisch.“

Aus dem Bericht geht klar hervor, dass die Abschiebepraxis des BAMF und der deutschen Regierung in offenem Gegensatz zu den UNHCR-Richtlinien steht. „Das UNHCR ist insbesondere der Auffassung“, heißt es dort, „dass angesichts der derzeitigen Sicherheits-, Menschenrechts- und humanitären Lage die Möglichkeit verfolgter Personengruppen, in ein anderes, sicheres Gebiet innerhalb Afghanistans zu ziehen (d.h. eine interne Fluchtalternative) in Kabul grundsätzlich nicht gegeben ist.“

Allerdings geht es den Anti-Folter-Experten nicht darum, die Abschiebungen an sich zu verurteilen. Wie sie schreiben, bestand der Hauptzweck ihres Besuchs darin, „zu prüfen, wie ausländische Staatsangehörige während einer Abschiebung auf dem Luftweg behandelt wurden.“ Ihr Bericht ist wohlwollend und voller Verständnis für die „schwierige“ Situation der Bundesregierung und der Ausländer- und Polizeibehörden abgefasst. Er ist äußerst zurückhaltend und in beinahe servilem Ton gehalten.

Mehrmals betonen die Verfasser des Berichts, dass die Zusammenarbeit mit der Bundespolizei und den deutschen Behörden „hervorragend“ gewesen sei, und dass sich die Polizisten den „Rückzuführenden“ gegenüber „professionell und respektvoll“ verhalten hätten. Nur in ganz sanften, schwachen Ausdrücken werden Verbesserungen angemahnt („Ganz allgemein gesprochen wäre es wünschenswert …“, etc.).

Nirgendwo verwendet diese Anti-Folter-Kommission den Begriff „Folter“, um Vorgänge wie das Abdrücken der Atemluft oder das Quetschen der Genitalien als das zu bezeichnen, was es wirklich ist. Dennoch erfüllt der Bericht jeden Leser mit kaltem Grauen.

Die Sozialistische Gleichheitspartei weist diesen schändlichen Umgang mit Geflüchteten voller Abscheu zurück. Er betrifft Menschen, die nach Deutschland gekommen sind, weil sie Schutz vor Krieg und Verfolgung suchen. Die Methoden, die heute gegen Flüchtlinge und Migranten zur Anwendung kommen, werden schon morgen gegen alle Arbeiter eingesetzt werden.

Die SGP fordert ausdrücklich den Stopp von Abschiebungen und die Schließung aller Ankerzentren und Abschiebehaftanstalten. In ihrem Aufruf zur Europawahl („Gegen Nationalismus und Krieg! Für Sozialismus“) erklärt die SGP: „Wir verteidigen das Asylrecht und das Recht aller Arbeiter, im Land ihrer Wahl zu leben und zu arbeiten. Die Arbeiterklasse darf sich nicht spalten lassen. Um ihre eigenen Rechte zu verteidigen, müssen sich Arbeiter mit den Flüchtlingen solidarisieren und einen gemeinsamen Kampf gegen Ausbeutung und Krieg führen.“

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