Le Pens rechtsextremer Rassemblement National gewinnt Europawahl in Frankreich

Das Ergebnis der Europawahl in Frankreich von Sonntag verdeutlicht, dass unter Arbeitern und Jugendlichen ein außergewöhnlicher Maß an Feindschaft gegen und Entfremdung vom gesamten kapitalistischen politischen Establishment herrscht.

Die offiziellen „Linken“ und Pseudolinken der Sozialistischen Partei (PS) und von Jean-Luc Mélenchons Unbeugsamem Frankreich (La France Insoumise, LFI) sind indessen derartig bankrott, dass sich der rechtsextreme Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen einen knappen Sieg sichern konnte. Le Pen nutzte die Wut über das soziale Elend aus, inszenierte sich als Tribunin „des Volks“ gegen das Establishment und die Eliten und machte Migranten und Flüchtlinge auf demagogische Art und Weise für die soziale Krise verantwortlich, deren Ursache im Kapitalismus liegt.

Die Partei von Präsident Emmanuel Macron, die seit sechs Monaten mit Massenverhaftungen, Tränengas, Gummigeschossen und dem Einsatz des Militärs auf die Proteste der „Gelbwesten“ reagiert, wurde mit 22,41 Prozent der Stimmen zweitstärkste Kraft hinter dem RN (23,3 Prozent).

Der größte Teil der Wähler (laut einer Ipsos-Umfrage 48,7 Prozent) weigerte sich, überhaupt für irgendeine Partei abzustimmen. Von den Wählern mit einem monatlichen Einkommen von weniger als 1.200 Euro enthielten sich 58 Prozent. Bei Personen mit einem Monatseinkommen von 1.200 bis 2.000 Euro waren es 52 Prozent. Eine deutliche Mehrheit der jungen Erwachsenen enthielt sich. Mehr als 60 Prozent der unter 34-jährigen gab keine Stimme ab.

Dass relativ viele Arbeiter für Le Pens Partei stimmten, war kein Ausdruck von Unterstützung für ihre Politik, sondern Protest gegen die Politik der Regierung und des „Präsidenten der Reichen“. Macron hatte im Wahlkampf Zehntausende von Flugblättern verteilen lassen, auf denen nur sein Gesicht abgebildet war, obwohl er gar nicht kandidierte. Der RN erhielt 26 Prozent der Stimmen von Wählern, die erklärt hatten, sie würden keine Partei unterstützen; das ist mit Abstand der größte Prozentsatz von allen Wahllisten.

Die beiden traditionellen kapitalistischen Parteien, die Frankreich seit dem Algerienkrieg in den 1950ern und frühen 1960ern regiert haben, die Sozialistische Partei (PS) und die Republikaner, wurden völlig dezimiert und erhielten zusammen nur 14 Prozent der Stimmen.

Die gaullistischen Republikaner fielen auf knapp über acht Prozent. Laut Ipsos sind fast ein Drittel der Wähler, die im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen 2017 für den republikanischen Kandidaten Francois Fillon gestimmt hatten, zu Macron übergewechselt.

Die PS erzielte mit sechs Prozent der Stimmen das schlechteste Ergebnis in ihrer Geschichte und schaffte es nur knapp über die Fünf-Prozent-Hürde. Ihr Stimmenanteil bei den Europawahlen fiel dramatisch von 28,9 Prozent im Jahr 2004 auf 16,5 Prozent im Jahr 2009 und 14 Prozent im Jahr 2014. Laut Ipsos erhielt sie unter den employés (Verwaltungs-, Dienstleistungs- und Gaststättenbeschäftigte) lediglich drei Prozent und unter Industrie- und Produktionsarbeitern nur acht Prozent der Stimmen.

Die Partei ist als Werkzeug des Großkapitals verhasst. Über mehrere Jahrzehnte hat sie eine Politik im Sinne der Unternehmen durchgesetzt und damit das Leben von Arbeitern und ihren Familien zerstört. Macron, der zuvor der PS angehörte und unter seinem Amtsvorgänger François Hollande Finanzminister war, hat dessen Austeritätspolitik fortgesetzt und verschärft. Die Zerschlagung des Arbeitsrechts, um den Konzernen Massenentlassungen zu erleichtern, war dabei nur eine von vielen Maßnahmen.

Im Zusammenbruch der PS spiegelt sich die international verbreitete Ablehnung der Arbeiterklasse gegenüber den kapitalistischen Parteien „links der Mitte“, einschließlich der Sozialdemokratie, u.a. in Deutschland, Großbritannien und vor Kurzem bei der Parlamentswahl in Australien.

Die Grünen haben am direktesten vom Niedergang der PS profitiert. Sie erhielten 14 Prozent der Stimmen und übertrafen damit alle Prognosen vor der Wahl. Dies ging vor allem auf die Jungwähler zurück. 28 Prozent der 25- bis 34-jährigen und ein Viertel der 18- bis 24-jährigen stimmten für die Grünen. Sie sind damit unverdienterweise die Nutznießer einer zunehmenden Politisierung breiter Schichten der Jugend, die sich in den „Fridays for Future“-Demonstrationen und dem Widerstand gegen die Untätigkeit der korrupten Regierungen im Kampf gegen die Erderwärmung äußert.

Die Grünen werden nichts gegen den Klimawandel unternehmen, weil sie dessen Ursache unterstützen: das kapitalistische Profitsystem und die Unterordnung der Gesellschaft unter die Interessen der Konzerne. Sie sind eine Partei des Big Business, die Kriege und Angriffe auf die Arbeiterklasse unterstützt hat, als sie selbst in der Regierung war. Vor allem ihre Regierungsbeteiligung in Deutschland von 1998 bis 2005 und in Australien von 2012 bis 2015 zeigen dies deutlich.

Die deutlichste Niederlage unter allen Parteien verzeichnete Jean-Luc Mélenchons Unbeugsames Frankreich. Sie sackte von 19,58 Prozent bzw. sieben Millionen Menschen im Jahr 2016 auf sechs Prozent ab. Obwohl die Wähler, die Mélenchon bei der Präsidentschaftswahl unterstützt hatten, etwas häufiger der Europawahl fernblieben als die Wähler aller anderen Parteien, stimmten 64 Prozent von ihnen einfach für andere Kandidaten.

Die letzten 18 Monate haben Mélenchons Politik auf deutliche Weise entlarvt. Er hat sich geweigert, irgendetwas zu unternehmen, um den Forderungen der „Gelbwesten“ nach sozialer Gleichheit nachzukommen. Stattdessen lehnte er jede Perspektive zur Vereinigung der Arbeiterklasse im Kampf für den Sozialismus ab und beharrte darauf, dass es eine „institutionelle Lösung“ für die Proteste geben müsse. Im April äußerte er sich noch deutlicher, als er zu einer „Volksföderation“, d.h. einer Koalition mit der verhassten PS aufrief.

Mélenchons nationalistische Forderungen nach einer Bewegung „des Volkes“ stärkte die populistischen Demagogie des RN. Im Vorfeld der Wahl erklärte Andréa Kotarac, eines der führenden LFI-Mitglieder, seine Unterstützung für den RN. Er erklärte, der RN würde mit seinem Nationalismus und der Ablehnung von Zuwanderung am konsequentesten die Ansichten vertreten, die er selbst seit Langem hegt und öffentlich geäußert hat. Le Pen bedankte sich nach den Wahlen öffentlich bei Kotarac.

Ebenso wie der britische Labour-Vorsitzende Corbyn, die spanische Podemos und die griechische Syriza erscheint Mélenchon mehr und mehr als das, was er wirklich ist: ein treuer Diener der Kapitalistenklasse, der bereit ist, das Profitsystem um jeden Preis vor jeder Herausforderung durch die Arbeiterklasse zu schützen. Seine wesentliche Rolle besteht dabei darin, Arbeiter und Jugendliche zu desorientieren und zu verhindern, dass sie eine wirklich sozialistische Perspektive finden.

Das Resultat besteht darin, dass die politischen Nachkommen des Vichy-Regimes, das mit den Nazis kollaborierte, vom sozialen Elend profitieren und 29 Prozent der Stimmen unter Arbeitslosen, 40 Prozent unter Arbeitern und 27 Prozent unter Angestellten erhalten konnten und damit deutlich mehr als jede andere Partei. Le Pen konnte Macron in allen Einkommensklassen unterhalb von 3.000 Euro pro Monat schlagen und, wie schon 2014, in ländlichen und deindustrialisierten Gebiete im Norden und Osten des Landes gewinnen, in denen es während der letzten drei Jahrzehnte zu Massenentlassungen kam. Prozentual ging Le Pens Stimmanteil jedoch im Vergleich zu 2014 leicht zurück.

Die Macron-Regierung hat bereits deutlich gemacht, dass sie auf die Wahl mit einem weiteren Rechtsruck reagieren wird. Am Sonntagabend versuchte Premierminister Edouard Philippe, die Verantwortung seiner Regierung für den Sieg des RN zu leugnen, während er die neofaschistische Partei gleichzeitig legitimierte. Er erklärte, man könne nicht einfach von „Wut“ oder „Zurückweisung“ bei der Wahl zu sprechen. Der RN sei „eine der großen politischen Kräfte“ geworden, und „alle politischen Vertreter müssen diese Botschaft der Franzosen wahrnehmen. ... Wir haben sie laut und deutlich gehört.“

Damit setzt die Regierung ihre Bemühungen fort, die extreme Rechte zu fördern. Macron hatte bereits im letzten November den Nazi-Kollaborateur Marschall Philippe Pétain gewürdigt und Le Pen direkt nach seiner Amtseinführung einen „republikanischen Gruß“ gesandt. Macron, die PS und die Grünen haben ihren Wahlkampf gegen den RN auf der Basis von Nationalismus und Militarismus geführt. Sie vertraten die Ansicht, dass die Opposition des RN gegen eine europäische Armee ein Hindernis für die aggressive und weltweite Durchsetzung der Interessen des französischen Imperialismus sei.

Dies unterstreicht die Tatsache, dass es im bürgerlichen politischen Establishment keinerlei fortschrittliche Fraktion gibt. Während die Arbeiterklasse mit Streiks und Protesten eine erste Offensive gegen Macron beginnt, zu der auch die Bewegung der „Gelbwesten“ gehört, wendet sich die herrschende Klasse der Diktatur zu. Gleichzeitig bereitet sie sich auf Kriege vor und verschärft ihre Angriffe auf Arbeiter und Jugendliche.

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