Perspektive

Warum schweigen die Demokratischen Sozialisten Amerikas über die Verfolgung von Julian Assange?

Vor einer Woche kündigte das US-Justizministerium an, WikiLeaks-Gründer Julian Assange unter dem US-Spionagegesetz anzuklagen. Diese Entscheidung machte deutlich, dass die Verfolgung von Assange darauf abzielt, die Meinungs- und Pressefreiheit, die im ersten Zusatzartikel der US-Verfassung verankert ist, auszuhebeln und echten Journalismus zu kriminalisieren.

Dieser Angriff auf die demokratischen Rechte ist so dreist, dass selbst Zeitungen, die Internetzensur und Kriegsverbrechen verteidigt haben und sogar am Rufmord gegen Assange beteiligt waren und die Anklage wegen Hackerangriffen unterstützt haben, sich jetzt gezwungen sehen, die neuen Anklagepunkte gegen Assange zu kritisieren. So warnten die New York Times, die Washington Post und das Wall Street Journal in Leitartikeln davor, dass die Anwendung des Spionagegesetzes gegen ein Medium, das Regierungsgeheimnisse veröffentlicht hat, einen gefährlichen Präzedenzfall schaffen würde.

Die Demokratischen Sozialisten Amerikas hüllen sich hingegen in Schweigen. Das Nationale Politische Komitee der DSA hat keine Erklärung abgegeben. Das offizielle DSA-Magazin Democratic Left, die DSA-nahe Zeitschrift Jacobin und deren Herausgeber Bashkar Sunkara haben nichts über die Anklage gegen Assange unter dem Spionagegesetz veröffentlicht. Das einzige war ein Twitterpost, in dem über die Anklage berichtet wird.

Das Schweigen der DSA über die grausame Verfolgung von Julian Assange sollte alle Mitglieder und Anhänger beunruhigen, die der Meinung waren, die DSA seien sozialistisch und müssten sich folglich gegen Imperialismus und für die Verteidigung der demokratischen Rechte einsetzen. Warum, sollten sie sich wundern, schweigt die DSA über die Verfolgung von Julian Assange und Chelsea Manning?

Doch das ist kein politisches Versehen oder Fehler. Am 17. Mai, fünf Tage bevor die neuen Anklagepunkte vorgebracht wurden, hatte ein interner Ausschuss, das Internationale Komitee der DSA, gefordert, dass Assange auf die erfundenen Vergewaltigungsvorwürfe der schwedischen Behörden antwortet. Wegen dieser Vorwürfe war Assange gezwungen gewesen, in der ecuadorianischen Botschaft in London Zuflucht zu suchen.

Nach Assanges brutaler Verhaftung und der Überstellung in das Belmarsh-Gefängnis im vergangenen Monat haben die schwedischen Staatsanwälte ihre zuvor abgeschlossenen Ermittlungen und ihren Auslieferungsantrag wieder eröffnet. Es ist völlig klar, dass eine Überstellung Assanges nach Schweden der Auftakt zu seiner Auslieferung an die USA wäre. Dort drohen ihm ein Standgericht und lebenslange Gefängnishaft, wenn nicht sogar der Tod.

Berichte der Vereinten Nationen belegen, dass Schweden den US-Behörden vollumfängliche Machtbefugnisse gegeben hat, um illegale Überstellungen und Folter durchzuführen. In den Berichten heißt es, dass „Schweden US-Militärangehörigen erlaubt hat, Häftlinge auf schwedischem Boden zu misshandeln (einschließlich Ausziehen, Augen verbinden, Kapuzen überziehen, Fesseln, gewaltsame Ruhigstellung durch Zäpfchen, Fesselung in speziell konstruierten Stresspositionsgurten usw.) und sie zu Folter in Drittstaaten auszuliefern“.

Die stillschweigende Zustimmung der DSA zu Assanges Verfolgung ist typisch für die Organisationen der bürgerlichen Pseudolinken im weiteren Sinne. International Viewpoint, die Online-Zeitung des pablistischen Internationalen Sekretariats, hat keinen einzigen Artikel mit dem Wort „Assange“ in der Schlagzeile veröffentlicht. Sein Name wird nur wenige Male nebenbei erwähnt. Socialist Alternative in den USA hat den Namen von Assange im vergangenen Jahr überhaupt nicht erwähnt. Der britische Socialist Worker hat gefordert, dass Assange an Schweden ausgeliefert wird.

Wie lässt sich die Reaktion dieser Organisationen – von Schweigen bis hin zu offener Unterstützung der Verfolgung Assanges – erklären? In den Jahren 2010 und 2011, als die konstruierten Vergewaltigungsvorwürfe gegen Assange erstmals vorgebracht wurden, hatte die bürgerliche Linke ihn noch verteidigt. Es ist „unmöglich, die Anschuldigungen gegen Assange für bare Münze zu nehmen“, erklärte der Socialist Worker, die Zeitung der inzwischen nicht mehr existierenden International Socialist Organization (ISO). Doch diese Standpunkte wurden bald aufgegeben.

2012 hatte die ISO ihre Position bereits geändert. Zwischenzeitlich fanden in Tunesien und Ägypten revolutionäre Aufstände statt, auf die der US-Imperialismus mit den Regimewechsel-Kriegen in Libyen und Syrien reagierte. Die ISO erklärte jetzt, es „ist sicherlich möglich, diese Vergewaltigungsvorwürfe gegen Assange ernst zu nehmen und nicht an der typischen patriarchalischen Verunglimpfung von Frauen, die über Vergewaltigungen berichten, teilzunehmen, aber gleichzeitig die US-Bedrohung gegen Assange ernst zu nehmen und die Versuche, sich dagegen zu wehren, zu unterstützen“.

Aber das erwies sich als unmöglich ­– und die ISO ließ jeden Widerstand gegen Assanges Verfolgung ab 2012 bis zu ihrer Auflösung Anfang dieses Jahres fallen.

Während sich die Pseudolinken von Assange abwandten, unterstützten sie gleichzeitig die imperialistischen Kriege im Nahen Osten und rechtfertigten die aggressive Politik gegen Russland und China. Socialist Alternative in Australien verurteilte öffentlich den „reflexartigen Antiimperialismus“.

Im ISO-Verlag Haymarket Books erschien letztes Jahr das Buch Indefensible: Demokratie, Konterrevolution und die Rhetorik des Anti-Imperialismus von Rohini Hensman, der darin Assanges „Affinität zu Putin“ anprangert und gegen alle ausholt, die sich gegen die Regimewechsel-Operation der USA in Syrien gewandt haben, darunter das Internationale Komitee der Vierten Internationale und der Journalist John Pilger.

Während die DSA bei der Forderung nach einer US-Intervention in Syrien etwas vorsichtiger geblieben ist, hat sie mit den gleichen Lügen hantiert, die von der CIA und ihren Verbündeten verbreitet wurden. Sie hat zum Beispiel behauptet, dass der von den USA unterstützte islamistische Aufstand in Syrien eine „Volksrevolution“ sei. Außerdem hat sie die Behauptungen der USA wiederholt, dass die syrische Regierung Chemiewaffen eingesetzt habe.

Die DSA konzentriert ihre politischen Aktivitäten auf die Vorbereitung der Präsidentschaftskandidatur von Bernie Sanders für 2020, der sein Engagement für den US-Imperialismus wiederholt bekräftigt hat. Er erklärte 2016, dass eine Sanders-Präsidentschaft Spezialoperationen im Ausland und „Drohnen – all das und mehr“ unterstützen würde.

Das Schweigen der Demokratischen Sozialisten Amerikas über Assange zeigt die politischen Folgen ihrer Unterordnung unter die Demokratische Partei. Die Demokraten haben Assange in den letzten zwei Jahren zu ihrem Feindbild gemacht und ihn als zentrales Bindeglied in einer imaginären Verschwörung zwischen dem Weißen Haus unter Trump und dem Kreml dargestellt.

Die Demokratische Partei hat ihre Wahlniederlage 2016 – für die in Wirklichkeit ihre Kandidatin Hillary Clinton, eine verhasste Kriegstreiberin und Wall-Street-Marionette, verantwortlich ist – auf WikiLeaks’ Enthüllungen während des Wahlkampfs geschoben. WikiLeaks hatte zum einen Clintons unterwürfige Reden vor der Wall Street veröffentlicht und zum anderen offengelegt, wie die Führung der Demokraten versucht hatte, die Vorwahlen zu manipulieren, um Sanders zu stoppen.

Sunkara und seine Mitstreiter in der DSA-Führung wissen sehr wohl, dass eine Kampagne zur Verteidigung von Assange für Bernie Sanders und andere falsche „progressive“ Imperialisten in der Demokratischen Partei unannehmbar wäre. Sie wissen auch, dass die Verteidigung von Assange für die Teile der DSA, die sich der Identitätspolitik verschrieben haben, inakzeptabel ist. Dieses rechte Milieu hat das Komplott gegen Assange rund um die falschen Vergewaltigungsvorwürfe voll und ganz unterstützt.

In ihrer pro-imperialistischen Politik und ihrem Schweigen über die Verfolgung von Assange kommt der gesellschaftliche Charakter der DSA zum Ausdruck. Sie ist eine Organisation der wohlhabenden Mittelschichten, die gegenüber grundlegenden demokratischen Fragen grundsätzlich gleichgültig ist.

Die bedingungslose Verteidigung von Julian Assange und Chelsea Manning ist eine fundamentale Klassenfrage und eine Pflicht. All jene, die versuchen, sich dieser politischen Verantwortung zu entziehen oder sie zu sabotieren, haben mit Sozialismus nichts zu tun.

In der Arbeiterklasse, unter jungen Menschen und in Teilen der Mittelschicht gibt es eine breite Unterstützung für Assange und die inhaftierte Whistleblowerin Chelsea Manning. Millionen in den USA und auf der ganzen Welt sehen Assanges Aufdeckung der US-Kriegsverbrechen als einen großen Dienst an der Menschheit. Es ist notwendig, diese Mehrheit in Opposition zur Demokratischen Partei und für die Freilassung Assanges und Mannings zu mobilisieren – als Teil des Kampfes gegen das kapitalistische System, der Wurzel von Krieg, sozialer Ungleichheit und Diktatur.

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