Schauprozess gegen Julian Assange

Richterin Emma Arbuthnot lehnt Rücktritt wegen Befangenheit ab

Die Entscheidung der britischen Richterin Emma Arbuthnot, im Auslieferungsverfahren gegen WikiLeaks-Gründer Julian Assange nicht wegen Befangenheit zurückzutreten, ist lupenreine Klassenjustiz.

Die Oberste Friedensrichterin und Oberste Bezirksrichterin von England und Wales Arbuthnot missachtet juristische Prinzipien, um sicherzustellen, dass sie einen Schauprozess gegen Assange führen kann. Er soll nächstes Jahr am 25. Februar vor dem Amtsgericht von Westminster beginnen. Falls Assange ausgeliefert wird, droht ihm eine Anklage wegen Verstößen gegen den Espionage Act und damit eine Haftstrafe von 175 Jahren. Dazu könnten weitere Anklagen kommen, die mit einer Todesstrafe verbunden wären.

Der „Guide to Judicial Conduct“ in England und Wales, der 2018 veröffentlicht wurde, legt fest: „Die juristische Unabhängigkeit ist ein Grundpfeiler unseres Regierungssystems in einer demokratischen Gesellschaft und eine Absicherung der Freiheit und der Rechte von Bürgern in einem Rechtsstaat. Die Justiz muss, als Individuen und als Ganzes, als unabhängig von der Legislative und der Exekutive der Regierung angesehen werden.“

Nach diesen Regeln hätte Arbuthnot automatisch wegen Befangenheit zurücktreten müssen.

Ihr Gatte James Norwich Arbuthnot sitzt für die Tories im House of Lords. Er hat enge Beziehungen mit den britischen Streitkräften und Sicherheitsdiensten, deren kriminelle Operationen WikiLeaks enthüllt hatte.

Als Tory-Abgeordneter war Arbuthnot zwischen 2005 und 2014 Vorsitzender des Defence Select Committee, das die Aufsicht über die britischen Streitkräfte und das Verteidigungsministerium führt. In dieser Zeit war er für die Militäroperationen in Afghanistan und dem Irak sowie für die Kriege zum Regimewechsel in Libyen und Syrien verantwortlich.

Momentan ist er Co-Vorsitzender der britischen Beratungskommission des Rüstungskonzerns Thales, und Mitglied der Beratungskommission des Royal United Services Institute for Defence and Security Studies (RUSI). Lord Arbuthnot ist außerdem ein ehemaliger Direktor der Sicherheits- und Geheimdienstberaterfirma SC Strategy, bei der er zwei Jahre lang mit den Co-Direktoren Lord Carlile und Sir John Scarlett zusammenarbeitete.

Carlile ist ein prominenter Verteidiger des MI5 und hat den Investigatory Powers Act von 2016 (Spitzname: „Snoopers Charter“ oder Schnüffelgesetz) unterstützt. Dieses Gesetz erlaubt dem britischen Staat den Zugriff auf Internetverbindungsdaten ohne richterlichen Beschluss. Carlile bezeichnete die Enthüllung illegaler staatlicher Massenüberwachung durch Edward Snowden als „kriminellen Akt“. Er war für die Umsetzung von Antiterror-Gesetzen verantwortlich und bewertete die Verfahren zur nationalen Sicherheit in Nordirland.

Scarlett ist ein ehemaliger Chef des MI6 und Vorsitzender des Joint Intelligence Committee (JIC) der Regierung. Er war für die Erstellung einer Studie verantwortlich, in der argumentiert würde, Geheimdienste sollten „in großen Mengen Kommunikationsdaten sammeln“ können. Er war außerdem verantwortlich für die Zusammenstellung des Dossiers über Massenvernichtungswaffen im Irak.

WikiLeaks hat tausende von Dokumenten über die Aktivitäten von Lord Arbuthnot veröffentlicht. Thales wird in der Datenbank von WikiLeaks fast 2.000-mal erwähnt, RUSI, fast 450-mal. Lord Arbuthnot selbst findet sich in über 50 Einträgen.

Wie Assanges Anwälte und der UN-Berichterstatter für Folter, Nils Melzer, erklären, muss Lady Arbuthnot schon aufgrund dieses „starken Interessenkonflikts“ von Assanges Fall zurücktreten. Ihr Ehemann hat seine ganze politische Laufbahn damit verbracht, die Transparenz und Rechenschaft zu beseitigen, für die sich WikiLeaks einsetzt.

Im „Guide to Judicial Conduct“ heißt es ausdrücklich: „Wenn ein enges Familienmitglied des Richters politisch aktiv ist, muss der Richter die Möglichkeit berücksichtigen, dass die politische Aktivität in einigen Verfahren zu Bedenken wegen der Unparteilichkeit und Distanziertheit des Richters vom politischen Prozess führen kann. Der Richter sollte daher entsprechend handeln.“

Weiter heißt es: „Persönliche Abneigung gegenüber einer Partei ist ebenfalls ein gültiger Grund für eine Disqualifikation.“

Emma Arbuthnots Abneigung gegenüber Assange ist allgemein bekannt. Als der Herausgeber und Journalist am 11. April vor ihr stand, um sein Urteil zu vernehmen – nur wenige Stunden nachdem er in der ecuadorianischen Botschaft verhaftet worden war – beschimpfte sie ihn als Narzissten. Diesen offensichtlich voreingenommenen Eindruck konnte sie unmöglich im Verlauf des juristischen Verfahrens gewonnen haben. Sie behauptete auch zu Unrecht, er sei in Schweden wegen Vergewaltigung „angeklagt“, woraufhin Assange sie korrigieren musste: Er wurde nie angeklagt.

Als Assange letztes Jahr Berufung gegen einen ausstehenden britischen Haftbefehl (wegen der bereits eingestellten Voruntersuchungen in Schweden) einlegte, machte sich Arbuthnot über das Urteil der UN von 2015 lustig, laut dem Assange das Opfer „illegaler“ und „willkürlicher Inhaftierung“ war. Sie behauptete bösartigerweise auch, er habe Zugang zu „Sonnenlicht“ und einem „offenen Balkon“: Beides war gelogen.

Arbuthnot wird sich durch keinerlei juristische Argumente zum Rücktritt bewegen lassen. Ihre familiären Beziehungen zu den Sicherheitsdiensten sind genau der Grund, weswegen sie für diesen Fall zugeteilt wurde. Die herrschende Klasse Großbritanniens braucht einen Beamten, der Assanges Auslieferung in die USA absegnet, obwohl diese einer außerordentlichen Überstellung gleichkommt.

Zwei frühere Fälle, in denen Richter in englischen Gerichtsverfahren wegen Befangenheit zurückgetreten waren, liefern einen deutlichen Kontrast zum Fall des WikiLeaks-Gründers.

Am ersten davon ist Arbuthnot selbst beteiligt. Im August 2018 musste sie in einem Verfahren gegen Uber zurücktreten, nachdem der Observer enthüllt hatte, dass ihr Mann über SC Strategy und dessen Klienten, die Qatar Investment Authority, ein wirtschaftliches Interesse an dem Beförderungsunternehmen hat. Ein Sprecher der Justiz erklärte: „Als sie auf diese Verbindung hingewiesen wurde, übertrug sie den Fall an einen anderen Richter. Es ist wichtig, dass Richter nicht nur absolut unparteiisch sind, sondern auch so angesehen werden.“

In Assanges Fall gibt es keine solchen Erwägungen. Die Mainstreammedien haben mit keinem einzigen Artikel über den eklatanten Widerspruch zwischen Arbuthnots Vorgehen 2018 und dem heutigen berichtet.

Der zweite Fall ist der eines Richters, der im Jahr 1998 während des Versuchs, den ehemaligen chilenischen Diktator, Folterer und Henker Augusto Pinochet zu einer Anklage nach Spanien zu bringen, nicht zurückgetreten ist.

Lord Hoffmann wurde angegriffen, weil er seine Beziehungen zur Menschenrechtsorganisation Amnesty International nicht erwähnte, die eine Partei in dem Verfahren war. Hoffmann war freiwilliger Vorsitzender der Spendensammelabteilung der Organisation. Er war außerdem einer der drei von fünf Law Lords, die gegen ein Urteil des High Court stimmten, Pinochet Immunität vor Strafverfolgung zu gewähren, weil er zum Zeitpunkt seiner Verbrechen ein Staatsoberhaupt war. Das Urteil des House of Lords gegen Pinochet (an dem Hoffmann beteiligt war) wurde von fünf Law Lords außer Kraft gesetzt und erst ein Jahr später wieder in Kraft gesetzt, wobei ein Großteil der Anklagepunkte gegen Pinochet als ungültig wegfiel.

Die Law Lords unter Führung von Lord Browne-Wilkinson brachten Argumente vor, die es absolut notwendig gemacht hätten, dass Arbuthnot vom Fall Assange zurücktritt. Bis dahin wurde ein Richter automatisch von einem Fall disqualifiziert, wenn er ein finanzielles Interesse an seinem Ergebnis hatte. Durch die Entscheidung von Lord Browne-Wilkinson wurde das Prinzip der automatischen Disqualifikation auf die viel unklareren Kategorien nicht-finanzieller „Interessen“ oder Unterstützung für „Anliegen“ ausgeweitet.

Das neue Urteil akzeptierte Pinochets Behauptung, ihm sei das Recht auf einen fairen Prozess laut Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention verweigert worden. Darin heißt es: „Jeder Richter, bei dem es berichtigte Gründe zur Annahme von fehlender Unparteilichkeit gibt, muss zurücktreten.“

Die Kritik an Hoffmann war brutal. Der Guardian berichtete am 16. Januar 1999, fünf Law Lords hätten „Lord Hoffmann vorgeworfen, er verstoße gegen das Grundprinzip, dass ‘die Justiz nicht nur Entscheidungen fällen muss, sondern dass man es auch sehen muss’. Die vernichtende Kritik hat Zweifel an Lord Hoffmanns Zukunft als Law Lord gesät.“

Der Guardian schrieb weiter: „Die Richter werfen Lord Hoffmann vor, er ignoriere einen juristischen Grundsatz, den jeder Jurastudent im ersten Studienjahr lernt. Lord Hope erklärte, diese Regel sei so allgemein bekannt, dass kein Zivilgericht in Großbritannien in diesem Jahrhundert dazu einen entsprechenden Urteilsspruch parat hat ... ‘Richter sind sich bewusst, dass sie in keinem Fall entscheiden sollten, an dem sie auch nur das geringste persönliche Interesse haben, weder als Angeklagter noch als Ankläger‘, erklärte Lord Hope.“

Weiter heißt es: „Lord Hutton erklärte, das öffentliche Vertrauen in die Integrität der Justizverwaltung würde erschüttert werden, wenn Lord Hoffmanns entscheidende Stimme für eine Anklage gegen General Pinochet Bestand hätte.“

Im Januar 2000 intervenierte der Innenminister der Labour-Regierung von Tony Blair, Jack Straw, zum Schutz des Massenmörders Pinochet. Er setzte sich über das House of Lords hinweg und erklärte, das Auslieferungsverfahren sollte wegen Pinochets angeblich schlechtem Gesundheitszustand eingestellt werden. Pinochet traf am 3. März wieder auf dem Flughafen von Santiago de Chile ein und erhob sich aus seinem Rollstuhl unter dem Jubel seiner faschistischen Anhänger.

Offensichtlich ist „juristische Unparteilichkeit“ so lange wichtig, so lange es darum geht, einen brutalen Diktator und langjährigen Verbündeten des US- und britischen Imperialismus zu verteidigen. Sie ist jedoch nicht wichtig, wenn es darum geht, einen weltweit anerkannten Journalisten zu verfolgen, der die Verbrechen der herrschenden Klasse aufgedeckt hat.

Assanges Kopf muss um jeden Preis rollen, damit der Imperialismus seine kolonialen Eroberungskriege und den globalen Krieg gegen die Arbeiterklasse führen kann. Um Assange für immer zum Schweigen zu bringen, setzt sich nicht nur die Justiz über alle demokratischen und liberalen Fassaden hinweg, sondern der ganze Staatsapparat und seine Verteidiger in den Medien.

Die britische Socialist Equality Party unterstützt die Forderung nach einem Rücktritt Arbuthnots wegen Befangenheit. Wir weisen jedoch darauf hin, dass nur eine Kraft in der Lage ist, Assange zu befreien: die internationale Arbeiterklasse. Sie muss in einem kollektiven politischen Kampf mobilisiert werden, der sich gegen die herrschende Klasse und ihren Justizapparat wendet.

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