Perspektive

75 Jahre seit dem Bretton-Woods-Abkommen

In dieser Woche jährte sich zum 75. Mal der Abschluss der Konferenz von Bretton Woods. Das Treffen vom 1. bis zum 22. Juli 1944 spielte eine Schlüsselrolle dabei, die kapitalistische Weltwirtschaft nach den verheerenden Auswirkungen zweier Weltkriege und der Großen Depression der 1930er Jahre wieder zu stabilisieren und ihr ein neues Fundament zu geben. Die Konferenz machte damit den Weg für den Boom des Kapitalismus in der Nachkriegszeit frei.

Ein Dreivierteljahrhundert später steht das globale kapitalistische System vor einem erneuten Ausbruch eben jener Katastrophen, die es damals in seinen Grundfesten erschütterten und gleichzeitig die revolutionären Kämpfe der Arbeiterklasse hervorbrachten, deren Startschuss mit der russischen Oktoberrevolution im Jahr 1917 fiel.

An der Konferenz nahmen Vertreter der Alliierten teil, die zum Zeitpunkt des Treffens bereits die Endphase des Kriegs gegen Deutschland und Japan begonnen hatten. Die Teilnehmer waren sich darüber bewusst, dass bei ihren Überlegungen über den Aufbau einer neuen globalen Wirtschaftsordnung nicht weniger als der Fortbestand ihrer Herrschaft auf dem Spiel stand.

Der amerikanische Finanzminister Henry Morgenthau fasste in seiner Rede zum Abschluss des Treffens die Schlussfolgerungen zusammen: „Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass der weiseste und effektivste Weg zum Schutz unserer nationalen Interessen über internationale Zusammenarbeit führt – das heißt, über die gemeinsame Anstrengung zum Erreichen gemeinsamer Ziele.“

Die Befürchtungen, die hinter dieser Strategie standen, brachte der amerikanische Staatssekretär im Wirtschaftsministerium William Clayton in seiner Rede vor dem Kongress im März 1945 zum Ausdruck. In warnendem Ton wandte sich Clayton an diejenigen Abgeordneten, die für hohe Zölle eintraten. Er erklärte, dass „jene Art von Handelskrieg, der in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen so erbittert geführt wurde, den Weltfrieden stets in gefährlicher Weise aufs Spiel setzt.“ Weiter betonte er, dass „die Demokratie und die freie Wirtschaft … einen weiteren Weltkrieg nicht überleben“ würden.

Das ist eine präzise Beschreibung des Kurses, auf dem sich die weltweite Entwicklung heute befindet: die Eskalation wirtschaftlicher Konflikte und von Krieg, die maßgeblich vom US-Imperialismus unter Präsident Donald Trump vorangetrieben wird.

In seiner Antrittsrede erklärte Trump: „Wir müssen unsere Grenzen vor den Verheerungen schützen, die andere Länder anrichten, wenn sie unsere Produkte herstellen, unsere Unternehmen stehlen und unsere Arbeitsplätze vernichten. Die Schutzmaßnahmen werden zu großem Wohlstand und großer Stärke führen.“ In den zwei Jahren, die seither vergangen sind, haben die USA den Wirtschaftskrieg verschärft und ihre Verbündeten und Rivalen gleichermaßen mit der Einführung oder der Androhung von Strafzöllen im Namen der „nationalen Sicherheit“ attackiert.

Niemand sollte sich jedoch der Illusion hingeben, dass nun gerade die Maßnahmen, vor deren katastrophalen Auswirkungen die Architekten des Bretton-Woods-Abkommens gewarnt haben, einfach das Produkt von Trumps Präsidentschaft sind. Tatsächlich sind die Demokraten in den USA noch aggressiver. Sie haben einer Resolution ihren Segen gegeben, die gegen den chinesischen Telekom-Riesen Huawei gerichtet ist und sicherstellen soll, dass Trump die verheerenden Sanktionen gegen den Konzern, etwa im Rahmen eines Handelsabkommens, nicht aufheben kann.

Dass diese Maßnahmen von beiden Parteien unterstützt werden, verdeutlicht die Tatsache, dass es sich bei dem eskalierenden Handelskrieg und der Gefahr eines Weltkriegs nicht einfach um Auswüchse der psychologischen Beschaffenheit oder der Gemütsverfassung einer bestimmten Gruppe von kapitalistischen Politikern handelt, die man mit irgendeiner Art von „Kurskorrektur“ in den Griff bekommen könnte. Diese Entwicklungen wurzeln vielmehr in der tiefsitzenden und unlösbaren Krise des US-Imperialismus, die selbst das Produkt der historischen Evolution des kapitalistischen Weltsystems im Verlauf der 75 Jahre seit Bretton Woods sind.

Das Bretton-Woods-Abkommen stützte sich im Wesentlichen auf zwei tragende Elemente – ein politisches und ein wirtschaftliches.

Der politische Pfeiler des Abkommens, der es den Führern des Weltkapitalismus überhaupt ermöglichte, für den Aufbau einer neuen Weltwirtschaftsordnung zusammenzukommen, wurde durch den Verrat der stalinistischen Bürokratie in der Sowjetunion bzw. der stalinistischen Kommunistischen Parteien auf der ganzen Welt an den revolutionären Kämpfen der Arbeiterklasse geschaffen, die im Verlauf der 1920er und 30er Jahre ausgebrochen waren. Die Stalinisten setzten diesen Verrat bei den erneuten antikapitalistischen Kämpfen fort, die von Arbeitern in weiten Teilen Europas und einem Großteil Asiens aufgenommen wurden als sich der Krieg auf sein blutiges Ende zubewegte.

Bevor der Krieg ausbrach, hatte das stalinistische Programm der Volksfront, dessen Inhalt in einem Bündnis mit den vermeintlich demokratischen Teilen der herrschenden Klasse bestand, zum Verrat an der Arbeiterklasse in Frankreich 1936 und zur politischen Enthauptung der Arbeiterklasse in Spanien während des Bürgerkriegs von 1936-1939 geführt. Die stalinistische Bürokratie, die als Folge der von der europäischen Arbeiterklasse erlittenen Niederlagen und der so verursachten Isolation des ersten Arbeiterstaats nach der Oktoberrevolution entstanden war, war zur Hauptstütze des Weltimperialismus geworden.

Im Jahr 1943 gab die stalinistische Bürokratie gegenüber dem Weltimperialismus ein klares Bekenntnis hinsichtlich der Rolle ab, die sie in der Nachkriegsordnung zu spielen beabsichtigte: sie löste die Kommunistische Internationale auf. Diese Rolle bekräftigte Stalin bei seinem Zusammentreffen mit dem britischen Premierminister Churchill und US-Präsident Roosevelt auf der Konferenz von Jalta im Februar 1945. Stalin machte deutlich, dass die Sowjetunion die Wiederauferstehung kapitalistischer Regierungen im Westeuropa der Nachkriegszeit unterstützen werde. Diese Zusicherung wurde mit dem Eintritt der stalinistischen Parteien in die bürgerlichen Regierungen Frankreichs und Italiens nach der Niederlage der Nazis und mit ihrer Unterdrückung von Arbeitern, die für eine sozialistische Revolution kämpften, eingelöst.

Der wirtschaftliche Pfeiler des Abkommens bestand in der Stärke des amerikanischen Kapitalismus. Die Kapazität der amerikanischen Industrie war im Verlauf des Krieges derartig gewachsen, dass sie im Jahr 1945 rund die Hälfte der Weltproduktion ausmachte.

Die stalinistischen Parteien wurden von Arbeitern massenhaft unterstützt, weil sie von ihnen fälschlicherweise als diejenigen gesehen wurden, die das Erbe der Oktoberrevolution weiter fortsetzen würden, und weil die Rote Armee eine so zentrale Rolle bei dem Sieg über die Nazis gespielt hatte. In dem sich die USA der Kooperationsbereitschaft dieser Parteien versicherte, waren sie in der Lage, ihre wirtschaftliche Stärke zum Wiederaufbau des Weltkapitalismus zu nutzen.

Die USA handelten jedoch keineswegs aus Selbstlosigkeit. Vielmehr diente die Restabilisierung des Kapitalismus in den vom Krieg verwüsteten Teilen Europas und Asiens den Interessen des amerikanischen Imperialismus. Die herrschenden Kreise in den USA hatten zur Kenntnis genommen, dass der amerikanischen Wirtschaft, die von einer Expansion des Weltmarktes abhängig war, eine Katastrophe ins Haus stand, wenn man Europa und den Rest der Welt in die Zustände der 1930er Jahre zurückfallen ließe. Die Folge wäre der Ausbruch revolutionärer Kämpfe in Europa und den USA selbst, woran dann auch die politische Rolle des Stalinismus nichts mehr würde ändern können.

Seit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs im Jahr 1914 hatte die marxistische Bewegung das Ausbrechen von Weltkriegen als das Ergebnis des Widerspruchs zwischen der Entwicklung der Weltwirtschaft und der Aufteilung der Welt in rivalisierende Nationalstaaten analysiert, der zu immer aggressiveren Konflikten zwischen den imperialistischen Mächten führte. Mit ihren Versuchen, ihre eigenen Interessen insbesondere durch den Kampf um Märkte, Profite und Rohstoffe zu verteidigen, strebten alle diese Mächte danach, den Widerspruch zwischen Weltwirtschaft und Nationalstaaten dadurch aufzulösen, dass sie sich zur führenden Weltmacht aufschwangen. Diese Versuche mündeten letztlich in einen Krieg aller gegen alle.

Dieser Widerspruch drückte sich auch in den Plänen von Bretton Woods für ein neues Geldsystem aus, die dazu bestimmt waren, die Konflikte zwischen den großen kapitalistischen Mächten zu minimieren. Bei seinen Bemühungen, die Interessen des britischen Imperialismus zu verteidigen, schlug der Ökonom John Maynard Keynes zur Finanzierung des globalen Handels und von Investitionen die Etablierung einer internationalen Währung vor, den sogenannten „Bancor“. Das Hauptanliegen von Keynes‘ Plänen bestand darin, die USA zur Abschwächung ihrer Dominanz der gleichen Disziplin unterzuordnen, der sich auch die anderen Großmächte fügen sollten.

Die „Bancor“-Strategie erhielt eine klare Absage und der US-Dollar wurde zur Grundlage einer Neuauflage des internationalen Finanzsystems. Trotz aller Rhetorik über die Notwendigkeit internationaler Zusammenarbeit, wurde die Hegemonie der USA mit dem Bretton-Woods-Abkommen in Stein gemeißelt. Die einzige Einschränkung bestand darin, dass der Kurs des Dollars mit 35 Dollar pro Feinunze an den Goldpreis gekoppelt wurde.

Der Widerspruch zwischen Weltwirtschaft und Nationalstaatensystem wurde durch das Bretton-Woods-System nicht überwunden, sondern lediglich unterdrückt. Er sollte bald wieder zum Vorschein kommen.

Das Bretton-Woods-Abkommen befeuerte, zusammen mit anderen Maßnahmen wie dem General Agreement on Tariffs and Trade (Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen) und dem Wiederaufbau der Weltwirtschaft durch die Einführung fortgeschrittener Produktionstechnologien aus den USA, eine wirtschaftliche Expansion in allen großen Volkswirtschaften der kapitalistischen Welt. Im Verlauf des folgenden Nachkriegsbooms herrschte die gängige Meinung, dass der Kapitalismus die Katastrophen des vergangenen halben Jahrhunderts hinter sich gelassen habe und dass die Weltwirtschaft mit Erfolg gesteuert werden könne.

Doch das Währungssystem von Bretton Woods trug einen inhärenten Widerspruch in sich. Je mehr es die Expansion des Weltmarktes und die Entwicklung anderer kapitalistischer Volkswirtschaften – Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Japan – förderte, desto mehr untergrub es die relative und absolute wirtschaftliche Vorherrschaft der USA, auf der das System letztlich basierte.

Dieser Widerspruch, der schon in den frühen 1960er Jahren identifiziert wurde, brach am 15. August 1971 an die Oberfläche durch, als US-Präsident Richard Nixon, der sich mit einer Erosion der Goldbestände konfrontiert sah, in einer Fernsehansprache im Alleingang erklärte, dass die USA fortan keine Dollar mehr in Gold einlösen würden.

Nixons Maßnahmen, die ein Einfrieren der Löhne von Arbeitern in den USA und einem zehnprozentigen Zuschlag auf Importe beinhalteten, zielten darauf ab, die Dominanz des amerikanischen Imperialismus über die Weltwirtschaft und ihr Finanzsystem aufrecht zu erhalten. Doch der Niedergang der wirtschaftlichen Vorherrschaft der USA nahm in den Folgejahren sowohl relativ als auch absolut nur noch mehr Fahrt auf. Die Etablierung einer Fiatwährung, die nicht länger an den Goldwert gekoppelt und praktisch nicht durch reale Werte gedeckt war, war einer der wesentlichen Faktoren beim ständigen Aufstieg des Finanzkapitals im Verlauf der letzten vier Jahrzehnte.

Die überragende Rolle der USA in der Industrieproduktion wurde ständig kleiner, bis an den Punkt, an dem sie heute sowohl hinter China als auch hinter der EU rangiert, und die Akkumulation von Profit wurde von Spekulationen und Finanzmarktoperationen immer abhängiger.

Der Fall Huawei – eines der Hauptziele der Trump-Regierung und der Militär- und Geheimdienstkreise in den USA – bringt diesen Prozess anschaulich zum Ausdruck. Der Konzern geriet ins Fadenkreuz der USA, weil er bei der Entwicklung von 5G-Mobilfunktechnologie, die bei der Entwicklung von Industriekapazitäten mit Hilfe des Internets weitreichende Folgen haben wird, eine Vorreiterrolle einnahm.

Huawei wird nun von einem Land, aus dem seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert die größten technologischen Fortschritte kamen, als existenzielle Bedrohung angesehen, weil es kein vergleichbares Unternehmen in den USA gibt. Der Grund für die Abwesenheit eines solchen Konzerns liegt vor allem darin, dass die Profitwirtschaft in den USA in wachsendem Maße von kurzfristigen Gewinnen und Finanzmanipulationen abhängig wurde – zum Nachteil von Investitionen und der Entwicklung der Produktivkräfte.

Ein Dreivierteljahrhundert nach dem Bretton-Woods-Abkommen bahnen sich alle Widersprüche des weltweiten kapitalistischen Systems, zu deren Unterdrückung das Abkommen dienen sollte, krachend ihren Weg zurück an die Oberfläche. Ihre explosivste Form nehmen sie in den Versuchen des US-Imperialismus an, seine Hegemonie durch die Einführung jener Art von Strafzöllen und protektionistischen Maßnahmen zu behaupten, die zu den Katastrophen der 1930er Jahre geführt haben und heute durch die Strafmaßnahmen gegen Technologie nur verschärft werden. Schließlich manifestiert sich diese explosive Form in den Versuchen der USA, ihre Vormachtstellung durch das Mittel des Kriegs durchzusetzen.

Das Problem, mit dem die internationale Arbeiterklasse heute konfrontiert ist, wurde von Leo Trotzki in den frühen Tagen der imperialistischen Epoche, kurz nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs, bereits dargelegt. Trotzki schrieb im Jahr 1915, dass die Perspektive der sozialistischen Weltrevolution und die Reorganisierung der Wirtschaft nach sozialistischen Prinzipien zum praktischen Tagesprogramm werden müsse, das die Arbeiterklasse in ihren Kämpfen anleitet. Diese Analyse ist heute, da die Widersprüche des kapitalistischen System in einen erneuten Weltbrand zu münden drohen, zutreffender als je zuvor.

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