Algerier stirbt unter unklaren Umständen in Polizeigewahrsam

Erneut ist ein junger Einwanderer unter völlig dubiosen Umständen in einer deutschen Polizeizelle ums Leben gekommen. Der Fall zeigt deutliche Parallelen zu denen von Amad Ahmad und Oury Jalloh, die ebenfalls in den Händen der Justiz- bzw. Strafvollzugsbehörden unschuldig ums Leben kamen.

Der 32-jährige Algerier wurde am Freitag, dem 19. Juli, aufgrund eines angeblichen versuchten Diebstahls in Erfurt festgenommen und in eine Zelle der Bundespolizei am Hauptbahnhof gesperrt. Der Mann führte wichtige Drogenersatzmedikamente mit sich und war offenbar so schwer krank, dass ein Notarzt gerufen werden musste.

Dieser bestätigte jedoch, dass der Algerier in die Gewahrsamzelle gesperrt werden könne. Die Medikamente, auf die er angewiesen war, wurden ihm vorenthalten. Daraufhin wurde der Mann ohnmächtig.

Unterdessen stellten die Beamten der Bundespolizei wegen des angeblichen versuchten Diebstahls bei der Staatsanwaltschaft Erfurt einen Antrag auf ein beschleunigtes Verfahren. Die Staatsanwaltschaft wies diesen Antrag jedoch sofort ab und ordnete stattdessen die Freilassung des Gefangenen an.

Die Polizeibeamten machten keine Anstalten, dieser Anordnung nachzukommen. Als Begründung hieß es später, dass der 32-Jährige nun einmal „so fest geschlafen“ habe, dass man ihn nicht habe wecken wollen, um ihn freizulassen. Stattdessen ließen die Polizisten ihn – ohnmächtig wie er war und ohne Zugriff auf seine Medikamente – die ganze Nacht in der Zelle, wo sein lebloser Körper am frühen Samstagmorgen aufgefunden wurde. Er verstarb schließlich wenig später in einem Krankenhaus.

Mehr als sieben Tage nach dem Tod des jungen Mannes ist in der Öffentlichkeit noch immer nicht das Geringste über den Algerier bekannt. Es existieren weder sein Name, noch ein Bild von ihm, noch eine Diagnose seiner Erkrankung. Auch die Todesursache sei noch unklar, so die ermittelnde Staatsanwaltschaft. Man führe chemisch-toxikologische Untersuchungen sowie eine Untersuchung des Gewebes des Toten durch, was allerdings „einige Zeit“ in Anspruch nehmen werde.

Der Hergang der Ereignisse wirft eine Menge Fragen auf. Gibt es unabhängige Zeugen für den angeblichen Diebstahl? Kam es bei der Verhaftung zu Gewaltanwendung? Unter welchen Bedingungen und mit welcher Begründung befand der Notarzt den offensichtlich schwer kranken Mann für „gewahrsamstauglich“? Wurde ein Dolmetscher für die Verständigung mit dem Algerier hinzu gezogen? Davon ist in keinem Bericht die Rede.

Klar ist nur, dass die Staatsanwaltschaft am Freitag explizit die Freilassung des Algeriers angeordnet hatte. Dieser Anordnung kamen die Beamten der Bundespolizei bewusst nicht nach. Dennoch ist völlig offen, ob die Polizisten sich je wegen Freiheitsberaubung und unterlassener Hilfeleistung mit Todesfolge werden vor Gericht verantworten müssen. Es bestehe „kein Anfangsverdacht für strafrechtlich relevantes Handeln“, sagte der Oberstaatsanwalt Hannes Grünseisen am Dienstag gegenüber der Presse.

Wie ein Sprecher der Partei Die Linke mitteilte, wollen die Fraktionen der Linken und der SPD den Fall im Justizausschuss der Regierung zur Sprache bringen. Die Linke will, wie es heißt, ihren Koalitionspartnern von der SPD und den Grünen einen Fragenkatalog vorlegen. In Thüringen regiert Die Linke seit Dezember 2014 mit SPD und Grünen zusammen unter Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke).

Tatsächlich drängt sich die Frage auf, ob die Regierungsparteien Linke und SPD deshalb darauf bestehen, den Fall zum Thema im Justizausschuss zu behandeln, um ihn strikt unter Kontrolle zu behalten, die Hintergründe zu vertuschen und die Bundespolizei vor Kritik zu schützen.

Dass in der Bundespolizei rechtsradikale Gesinnungen weitverbreitet sind, ist seit langer Zeit bekannt. So hatte der CDU-Politiker Friedrich Merz erst vor kurzem seine Partei dazu aufgefordert, sich aus diesem Grund noch stärker als zuvor hinter die Behörde zu stellen. „Wir verlieren Teile der Bundespolizei an die AfD”, sagte er im Juni gegenüber der Bild am Sonntag. Viele Polizisten fühlten sich „von ihren Dienstherren im Stich gelassen“.

Das Land Thüringen ist auch unter der rot-rot-grünen Regierung in dieser Hinsicht keine Ausnahme. In Thüringen hat die rechte Politik der Linkspartei dazu beigetragen, dass die AfD in den letzten Jahren ihr Ergebnis fast verdreifachen und in den vergangenen Europawahlen zur zweitstärksten Kraft werden konnte. Die Regierung des „linken“ Ministerpräsidenten Bodo Ramelow organisiert brutale Deportationen von Flüchtlingen und weist deutschlandweit die zweithöchste Abschiebequote auf.

Im Frühling dieses Jahres wurde bekannt, dass die Staatsanwaltschaft Gera auf Initiative der AfD 17 Monate lang wegen angeblicher „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ gegen die Künstlervereinigung „Zentrum für politische Schönheit“ ermittelt hatte, ohne dass ihr Dienstherr, Ramelows Justizminister Dieter Lauinger (Grüne), dagegen einschritt. Anlass zur Verfolgung der Künstler war ausgerechnet ein Projekt, das sich kritisch mit dem thüringischen AfD-Führer Björn Höcke auseinandersetzte, dessen völkisch-nationalistischer „Flügel“ gegenwärtig auf Bundesebene mehr und mehr Einfluss in der rechtsextremen Partei gewinnt.

Unter diesen Bedingungen – und in Anbetracht der Bilanz der rot-rot-grünen Koalition – ist zu befürchten, dass die thüringische Landesregierung im Fall des ermordeten Algeriers ebenfalls alles in ihrer Macht Stehende tun wird, um die Beamten der Bundespolizei nicht „im Stich zu lassen“.

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