UN-Sonderberichterstatter Nils Melzer: An Julian Assange soll ein Exempel statuiert werden

Die größte überregionale Tageszeitung in Deutschland, die Süddeutsche Zeitung, veröffentlichte am Freitag ein ganzseitiges Interview mit dem UN-Sonderberichterstatter für Folter Nils Melzer über Wikileaks-Gründer Julian Assange. Der Schweizer Jurist, der auch die schwedische Staatsbürgerschaft besitzt, ist seit 2016 in diesem Amt. Zuvor hatte er das Internationale Komitee vom Roten Kreuz beraten.

Melzer, der Assange anfangs skeptisch gegenüberstand, hatte seine Meinung nach einer gründlichen Beschäftigung mit den Fakten rasch geändert. Im Mai hatte er nach einem Besuch von Assange im Gefängnis erklärt, er „habe noch nie zuvor erlebt, dass sich eine Gruppe demokratischer Staaten zusammenschließt, um ein einzelnes Individuum so lange Zeit und unter so geringer Berücksichtigung der Menschenwürde und der Rechtsstaatlichkeit bewusst zu isolieren, zu verteufeln und zu missbrauchen“.

Von der Süddeutschen gefragt, ob er diese Einschätzung inzwischen für „zu harsch“ halte, antwortet Melzer, die ihm vorliegenden Beweise ließen „keinen anderen Schluss zu, als dass die betroffenen Staaten in diesem Fall ihre Macht und Institutionen systematisch missbraucht haben, um an Assange ein abschreckendes Exempel zu statuieren“.

Assange habe öffentlich gemacht, „dass westliche Regierungen Aggressionskriege führen, dass sie foltern und Wehrlose massakrieren. Wenn nun aber das Aufdecken von Verbrechen zum Verbrechen wird, dann haben wir ein ganz fundamentales Problem: Denn dann leben wir fortan unter Zensur und Tyrannei.“ Sein damaliges Urteil, so Melzer, sei daher „wohl eher zu milde formuliert“ gewesen.

Assange sitzt seit April im britischen Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh, nachdem britische Polizisten ihn aus der ecuadorianischen Botschaft in London gezerrt hatten, in der er sieben Jahre lang ausgeharrt hatte, um einer Auslieferung in die USA zu entgehen. Die Regierung Ecuadors hatte ihm kurz zuvor das politische Asyl entzogen.

Im Februar soll ein britisches Gericht über den Auslieferungsantrag der USA entscheiden. Bei einer Überstellung an die USA würde der Wikileaks-Gründer für den Rest seines Lebens in einem Hochsicherheitsgefängnis verschwinden, so Melzer, „gewissermaßen als lebende Vogelscheuche für jeden, der künftig mit dem Gedanken spielen sollte, die schmutzigen Geheimnisse der Mächtigen aufzudecken und sie für ihre Verbrechen zur Rechenschaft zu ziehen“.

In dem Interview mit SZ-Redakteur Frederik Obermaier geht Melzer auf zahlreiche Details des Vorgehens der schwedischen Behörden gegen Assange ein, die wegen sexueller Nötigung und Belästigung von zwei Frauen gegen ihn ermittelt haben. Seine Schilderung lässt kaum Zweifel, dass es sich dabei um ein Komplott handelt.

Unstrittig sei lediglich, dass Assange mit beiden Frauen einvernehmlichen Sex hatte, so Melzer. Eine der Frauen habe später behauptet, Assange habe bei einer Gelegenheit das Kondom zerrissen. Assange bestreite das und „auch das gerichtsmedizinische Institut fand auf dem angeblich benutzten und zerrissenen Kondom keine DNA, weder von Assange noch von der Frau“.

Die zweite Frau habe Assange vorgeworfen, er habe versucht, „ohne Kondom in sie einzudringen, als sie schlief“. Sie habe ihn aber „weitermachen lassen, nachdem er ihr zugesichert hatte, kein HIV zu haben“. Später sei sie zur Polizei gegangen, um sich zu erkundigen, ob sie ihn zu einem HIV-Test zwingen könnte.

Von dort, so Melzer, habe sie dann in einer ominösen SMS-Nachricht geschrieben, „sie habe keinerlei Absicht, Assange anzuzeigen, doch die Polizei sei geradezu erpicht darauf, ihn ‚in die Finger‘ zu bekommen“. Als ihr dann eröffnet worden sei, man werde Assange wegen Vergewaltigung verhaften, habe sie die polizeiliche Befragung sofort abgebrochen und ihre Unterschrift verweigert. Trotzdem habe die schwedische Staatsanwaltschaft umgehend die Presse informiert, Assange werde der Vergewaltigung verdächtigt.

„Wir wissen heute“, fährt Melzer fort, „dass die Aussagen einer der Frauen von der Polizei im Nachhinein eigenmächtig abgeändert wurden, um eine Wiederaufnahme des Verfahrens zu erreichen, nachdem dieses mangels Tatverdachts eingestellt worden war“. Die Frau sei nach eigenen Angaben massiv unter Druck gesetzt worden, möglicherweise sogar vom eigenen Anwalt.

Auf den Einwand der Süddeutschen, Assange hätte doch vor Gericht alles erklären und das Gericht als freier Mann verlassen können, schließlich sei Schweden „ein EU-Mitglied, eine Demokratie, ein Rechtsstaat“, erwiderte Melzer: „Das müsste man eigentlich meinen, aber die Wirklichkeit sieht anders aus.“ Für Assange sei die größte Bedrohung eine Auslieferung an die USA gewesen. „Und gerade in diesem Bereich gibt es sehr prominente Fälle, wo die schwedische Sicherheitspolizei 2001 zwei registrierte Asylbewerber ohne jedes rechtsstaatliche Verfahren gekidnappt und in Stockholm an die CIA übergeben hat, worauf sie in Ägypten gefoltert wurden.“

Melzer geht in dem Interview auch auf den Vorwurf ein, „Assange und Wikileaks hätten mit der Veröffentlichung geheimer E-Mails aus der Partei der Demokratin Hillary Clinton die Wahl beeinflusst und Donald Trump zum Sieg verholfen“.

Zunächst erinnert er daran, dass „die USA selber nicht gerade zimperlich [sind], wenn es um politische Einflussnahme in anderen Ländern geht“. Zweitens habe nicht Assange manipuliert. „Wenn etwas die amerikanischen Wahlen manipuliert hat, dann sind es die undemokratischen Machenschaften der demokratischen Partei, welche Assange aufgedeckt hat.“

Die World Socialist Web Site und die Sozialistischen Gleichheitsparteien des Internationalen Komitees der Vierten Internationale führen eine weltweite Kampagne, um Assange und die Whistleblowerin Chelsea Manning, die im Gefängnis sitzt, weil sie nicht gegen Assange aussagen will, ihre Freiheit zurückzugeben.

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