Daimler-Benz-Arbeiter unterstützen streikende Autobauer von GM und rechnen mit Konzernleitung und IG Metall ab

In der Autostadt Stuttgart stößt der Streik von 46.000 Arbeitern bei General Motors in den USA auf große Unterstützung. Der gegen den Willen der Gewerkschaft United Auto Workers durchgesetzte Streik wird als mutiges Beispiel angesehen.

WSWS-Reporter verteilten gestern beim Schichtwechsel des Mercedes-Benz-Werkes in Mettingen bei Untertürkheim den Artikel „US-Autoarbeiter legen General Motors lahm“ und diskutierten mit Beschäftigten über die internationale Bedeutung des Streiks.

Stuttgart ist die zweitgrößte Stadt Süddeutschlands und eines der Zentren der europäischen Autoindustrie. Neben Werken von Porsche und großen Zulieferbetrieben befindet sich hier auch die Konzernzentrale der Daimler AG.

In dem Werk im Esslinger Stadtteil Mettingen werden Metallteile für Daimlers Hauptproduktionsstandort in Untertürkheim bearbeitet. Auf über zwei Millionen Quadratmetern Fläche produzieren 19.000 Arbeiter Motoren, Achsen, Getriebe und andere Komponenten für die Automobilindustrie. Insgesamt arbeiten knapp 300.000 Menschen an 16 Produktionsstätten überall auf der Welt für den Daimler-Konzern und erwirtschafteten im Jahr 2018 einen Umsatz von über 167 Milliarden.

Orkan

Orkan, ein junger Daimler-Arbeiter aus dem Mettinger Werk, zeigte sich begeistert über den Streik der amerikanischen GM-Autoarbeiter. „Krass, fast 50.000 Leute – davon hört man hier in Deutschland überhaupt nichts. Die müssen echt nervös sein! Wenn es Möglichkeiten gibt, die streikenden US-Kollegen zu unterstützen, müssen wir das auf jeden Fall tun!“

Sein Kollege Ibo, der später hinzukommt, sieht das ähnlich: „Es ist klar, warum man von dem GM-Streik hier nichts hört – die haben kein Interesse daran, dass das bekannt wird! Da drin“ – er zeigt auf das Werk – „wird so vieles verheimlicht, glaub mir. Letztes Jahr haben sie schon begonnen, Leute zu entlassen, dieses Jahr auch. Mich wollen sie auch rauswerfen, glaube ich. Mit der Umstellung auf E-Antriebe wird das noch schlimmer werden.“

Auch Orkan misst den neuen elektrischen Antrieben große Bedeutung bei. Die Umstellung der Produktion werde weitreichende Auswirkungen auf die Entwicklung in Deutschland und Europa haben, auch auf die politische Entwicklung, vermutet er.

„Ich glaube aber nicht, dass es den Unternehmen oder der Regierung dabei um den Schutz der Umwelt geht. Die Probleme mit dem Klima sind groß, aber hier geht es nur um Geld und Macht. Genau wie beim Waffenhandel im Nahen Osten. Freunde von mir waren in Dubai, die haben mir erzählt von den Machenschaften und geheimen Deals, die dort laufen.

Die saudischen Herrscher und ihre Leute arbeiten eng zusammen mit den Amerikanern, und auch mit der deutschen Wirtschaft und Regierung. In den Chefetagen wird ausschließlich Englisch gesprochen – da geht es um große Geschäfte. Länder wie Saudi Arabien sind nicht wie andere Länder in der Region. Ihre Regierungen haben kein Interesse daran, die Lage im Land zu verbessern oder die Kriege zu beenden. Ganz im Gegenteil. Dieser Angriff auf die Ölfabrik gestern – ich glaube, da stecken die Saudis selbst mit drin.“

Ibos Kollege Süleyman betont, dass der Zusammenhang zwischen Geld und Macht nicht nur im Nahen Osten oder den USA besteht, sondern gerade auch hier in Deutschland außerordentlich eng ist: „Bei uns in der Heimat gibt es viel Korruption – aber hier genauso. In der Türkei hat Erdogan alles in der Hand, aber hier – hier hat die Industrie alles in der Hand.“

„Wem glaubst du, dient Merkel?“, fragt Süleyman ironisch und deutet nach oben, in Richtung Werksführung. „Nicht die Bundekanzlerin hat das sagen. Sondern sie kriegt diktiert, was die Leute hier bei Daimler und Co. haben wollen. Es wird einfach gemacht, was die Aktionäre sehen wollen. Das ist nicht viel besser als daheim in der Türkei – glaub mir, wir kennen das.“

Diskussion am Werkstor

Auch Thomas ist dieser Meinung. „Die Konzerne haben die Macht in diesem Land – sonst niemand. Sobald die Umstellung auf Elektromobilität kommt, werden sie versuchen, eine Menge Leute zu entlassen. Das zeichnet sich jetzt schon ab. Man geht davon aus, dass dann nur noch ein Drittel der Belegschaft benötigt werden wird.“

In den Gesprächen mit den Daimler-Arbeitern wird deutlich, dass der US-Streik bei General Motors als richtungweisend und Ermutigung gesehen wird. „Was die Leute bei GM getan haben, ist wirklich sehr mutig. Das sollte hier auch mal wieder getan werden!“, sagt Thomas und fügt hinzu, der Korruptionsskandal bei der UAW überrasche ihn überhaupt nicht. „Die Gewerkschaften haben keine Macht mehr wie früher. Der Grund dafür ist, dass sie einfach nichts mehr für die Arbeiter tun – deshalb will auch niemand mehr bei ihnen Mitglied werden.“

Er schildert, wie die IG Metall die Arbeiter spaltet. „Wenn’s drauf ankommt, gilt zwischen Leiharbeitern und Festangestellten: Wer Mitglied in der Gewerkschaft ist, bleibt, wer nicht Mitglied ist, geht. So entsteht eine Menge Druck im Betrieb.“

Joachim, ein weiterer Arbeiter, sagt: „Die Korruption in den Gewerkschaften hat System. Da geht es nicht um einzelne Leute, es geht um Interessenskonflikte, um sogenannte ‘Sachzwänge’. Das führt dazu, dass dort ein richtiger Klüngel herrscht. Ich habe es selbst erlebt, ich war lange Zeit Mitglied bei der IG Metall – jetzt nicht mehr.

Auf menschlicher Ebene habe ich sicherlich ein gewisses Verständnis dafür, wenn jemand vor eine schwierige Entscheidung gestellt wird und sich für sein berufliches Fortkommen entscheidet. Aufsteigen, Gehaltserhöhung, Gewerkschaftspolitik hängen eng zusammen – aber irgendwann war es mir einfach zu viel. Und wenn dann versucht wird, das eine oder andere wieder geradezurücken – glaubwürdig ist das nicht und ein unangenehmer Beigeschmack bleibt trotzdem. Irgendwann wurde mir das Gemauschel um Gehälter und Posten zu viel und ich bin ausgetreten.“

Ein Arbeiter, der anonym bleiben möchte, zeigte erst dann Interesse an einem Gespräch, als wir erklärten, dass wir in Opposition zur IG Metall stehen. Dass die Gewerkschaften auf Seiten der Unternehmensleitung stehen „ist ja bekannt“, sagte er. Seine ehrliche Meinung zur IG Metall wolle er aber lieber nicht äußern. „Ich habe zwei Kinder, weißt du, ich muss aufpassen was ich sage. Aber ihr könnt mir glauben, ich weiß, wie es den Amerikanern geht.“

Auf die Aussage, dass die Gewerkschaften auf Seiten der Konzernleitung stehen, reagierte auch ein anderer Kollege namens Klaus: „Genau richtig – das ist mittlerweile auch ziemlich offensichtlich. Mit denen [der IG Metall] kann man gar nichts erreichen. Die meisten Leute im Betrieb, die mal länger über diese Frage nachdenken, wissen das auch. Aber noch gibt es nur wenige von uns, und wir sind isoliert. Die Frage ist doch: Was sind jetzt die nächsten Schritte?“

Auf die Perspektive des WSWS-Artikels angesprochen, in dem vorgeschlagen wird, sich unabhängig zu organisieren und Aktionskomitees aufzubauen, um mit den amerikanischen Arbeitern Kontakt aufzunehmen, reagierte Klaus sehr nachdenklich und interessiert.

Die Diskussion am Werkstor wurde von Mitarbeitern des Werksschutzes unterbrochen, die anfänglich die WSWS-Reporter aufforderten, das Werksgelände sofort zu verlassen. Ein Arbeiter erklärte daraufhin, er wolle aber das Gespräch fortsetzen, und zwar hier. Nach einem längeren Wortwechsel erschien ein leitender Sicherheitsbeauftragter und erklärte, er habe das Flugblatt gelesen, wollte sich aber inhaltlich nicht äußern. Nachdem die WSWS-Reporter betonten, dass es sich zwar um Privatgelände aber mit öffentlicher Nutzung handele und sie ihr demokratisches Recht auf Information in Anspruch nähmen, wurde das akzeptiert.

Der Arbeiter, der die WSWS-Reporter verteidigt hatte, berichtete anschließend, dass es im Betrieb große Unsicherheit und in der Belegschaft große Sorge gebe, weil niemand wisse, wie es weitergehe und wie die Zukunft aussehe, angesichts der bevorstehenden Umwälzung der Produktion.

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