Rom: Macron und Steinmeier diskutieren über neue Maßnahmen gegen Flüchtlinge

Der französische Präsident Emmanuel Macron und der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier trafen am Mittwoch, bzw. Donnerstag in Rom ein, um mit dem italienischen Präsidenten Sergio Mattarella und Ministerpräsident Giuseppe Conte über Flüchtlingspolitik und den Krieg in Libyen zu diskutieren.

Die Besuche sind ein Hinweis darauf, dass sich die traditionelle EU-Achse Berlin-Paris an die neue italienische Regierung annähert. Vor zwei Wochen wurde Contes bisherige Regierung aus Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) und der neofaschistischen Lega von Matteo Salvini durch eine Koalition aus M5S und Partito Democratico (PD) ersetzt. Das hat die Beziehungen von Berlin und Paris zu Rom verbessert. Steinmeier versuchte, die heftigen diplomatischen Konflikte zu glätten, die insbesondere zwischen Paris und Rom wegen Libyen ausgebrochen waren.

Das Abkommen, das in Rom ausgehandelt wurde, zeigt jedoch, dass das Ausscheiden der Neofaschisten aus der italienischen Regierung keine weniger militaristische oder weniger flüchtlingsfeindliche Politik zur Folge hat. Vielmehr versuchen die drei größten Mächte der Eurozone, sich auf eine Aufteilung der Beute aus der Plünderung Libyens und eine Verschärfung der Unterdrückung von Flüchtlingen in ganz Europa zu einigen.

Am Mittwochabend erklärten Macron und Conte, sie hätten eine Grundsatzvereinbarung für einen Automatismus ausgehandelt, durch den Flüchtlinge auf die verschiedenen EU-Staaten verteilt werden sollen. Derzeit sind Flüchtlinge aufgrund des Dubliner Übereinkommens gezwungen, in dem EU-Staat Asyl zu beantragen, in dem sie zuerst eintreffen. Deshalb erhalten süd- und osteuropäische Staaten wie Italien oder Griechenland derart viele Asylanträge von Flüchtlingen, die vor den imperialistischen Kriegen im Nahen Osten und Nordafrika fliehen. Manche andere EU-Staaten weigern sich, überhaupt Flüchtlinge aufzunehmen.

Allerdings wollen Conte und Macron die Flüchtlinge nicht in das Land ihrer Wahl einreisen lassen, sondern die Maschinerie der EU benutzen, um sie schneller zu erfassen und wieder aus Europa hinauszuwerfen. Im Mittelpunkt ihres Vorschlags steht die Forderung nach einer „effektiveren“ Methode, um Flüchtlinge abzuschieben, sobald ihnen die EU das Asyl verweigert. In einer Situation, in der viele EU-Staaten selbst Flüchtlinge aus Afghanistan in ihr kriegsgebeuteltes Land zurückschicken, ist das ein Blankoscheck für die massenhafte Abschiebung von Flüchtlingen aus Europa.

Macron erklärte, Paris und Rom würden jetzt eine gemeinsame Position vertreten, damit alle EU-Staaten in der einen oder anderen Form bei der Aufnahme von Flüchtlingen mitmachen würden. Andernfalls würden sie finanziell bestraft werden. Die Europäische Union habe nicht genug Solidarität mit Erstaufnahmestaaten gezeigt, vor allem mit Italien. Frankreich sei bereit, seine Position in dieser Frage zu ändern und nochmals über das Dubliner Übereinkommen nachzudenken. „Und ich will, dass wir alle zusammen nach einer stärkeren, gerechteren Lösung suchen.“

Conte und Macron versprachen, diesen Vorschlag für eine neue Flüchtlingspolitik auf dem Treffen der EU-Innenminister, das am Montag in Malta stattfindet, gemeinsam zu vertreten.

Conte betonte, Italien werde nicht zulassen, dass „Schleuser entscheiden, wer in unser Land kommt“. Im Gegensatz zu Salvinis früheren Versuchen, einfach jedem Flüchtlingsboot aus dem Mittelmeer das Anlegen in Italien zu verbieten, sei es notwendig, „das Problem geschickter anzugehen“.

Mit seinem Besuch signalisierte Macron, dass es keine nennenswerten Differenzen zwischen seiner Flüchtlingspolitik und derjenigen der Conte-Salvini-Regierung gibt. Macrons Regierung betrachtete Salvinis Methoden lediglich als zu grobschlächtig und befürchtete, dass sie zu viel Widerstand in der Bevölkerung auslösen könnten. Als Salvini Flüchtlingsbooten das Anlegen in Italien verbot, kam es in italienischen Städten zu Massenprotesten und zu gerichtlichen Auseinandersetzungen mit den Kapitäninnen der Schiffe. Diese ignorierten Salvinis Befehle und ließen trotz des Verbots Flüchtlinge in Italien an Land gehen.

Das zweite wichtige Thema bei Macrons Besuch war der erbitterte Konflikt zwischen Paris und Rom wegen Libyen angesichts des blutigen Bürgerkriegs, den der Nato-Krieg 2011 dort ausgelöst hat.

Während sich die französischen und italienischen Ölkonzerne Total und ENI um den Ölreichtum des Landes streiten, versorgen Paris und Rom rivalisierende Fraktionen in Libyen mit Waffen. Frankreich und der ägyptische Diktator Abdel Fattah al-Sisi unterstützen die Libysche Nationale Armee des Militärherrschers Chalifa Haftar, Italien und die Türkei die von den UN anerkannte Nationale Einheitsregierung (GNA) von Fajis al-Sarradsch in Tripolis.

Macron rief zu einem Kompromiss beim Thema Libyen auf; Conte unterstützte den Vorschlag einer Versammlung aller am Libyenkrieg interessierter Parteien, den Macron zuvor auf dem G7-Gipfel in Biarritz vorgebracht hatte. Conte erklärte: „Das Ziel ist es, Libyen zu stabilisieren. Es ist von grundlegender Bedeutung, mit Frankreich zusammenzuarbeiten. Mit Präsident Macron werden wir über strategische Fragen wie Libyen sprechen, und es ist von grundlegender Bedeutung, dass wir zusammenarbeiten. Wir müssen günstige Bedingungen für eine inter-libysche Konferenz schaffen.“

Der italienische Außenminister Luigi di Maio wird womöglich nächste Woche am Rande der UN-Vollversammlung in New York zu einem separaten Minigipfel mit seinem französischen Amtskollegen Jean-Yves Le Drian zusammenkommen.

Bundespräsident Steinmeier bestätigte am Donnerstag bei seinem Besuch in Rom den Kurs, den Berlin und Paris zusammen mit der neuen italienischen Regierung entwerfen. Vor seiner Abreise erklärte er gegenüber dem Corriere della Sera: „Mit der Bildung der neuen Regierung hat Italien innerhalb Europas die Lager gewechselt. Die Zeit ist reif.“

In Rom betonte Steinmeier auch, dass die EU-Mächte bei der Verfolgung von Flüchtlingen eng zusammenarbeiten werden. Nach einem Treffen mit Mattarella erklärte er, es sei wichtig, dass Italien in dieser Frage nicht allein gelassen werde. Europa müsse die Initiative ergreifen und eine europäische Lösung finden, die Italien entlastet.

Steinmeier kündigte außerdem an, dass Berlin in Sachen Libyen Schritte ergreifen werde. Er erklärte gegenüber dem Corriere della Sera: „Die Migrationsfrage ist eng mit Libyen verbunden, wo die Lage neue europäische Anstrengungen erfordert, wenn wir den Zerfall des Staates aufhalten wollen. Italien und Deutschland können eine solche Initiative zusammen mit Frankreich vorbereiten.“ Die Bundesregierung schlage für Oktober ein internationales Gipfeltreffen zu Libyen in Berlin vor.

Die Pläne von Steinmeier, Macron und Conte müssen von den Arbeitern in Europa und der Welt als Warnung verstanden werden. Die Absetzung eines faschistischen Politikers wie Salvini ändert nichts am Kurs der kapitalistischen Mächte auf fremdenfeindlichen Nationalismus, Unterdrückung und imperialistischen Krieg. EU-freundliche Politiker haben Salvini zwar mehrfach verurteilt, und Macron bezeichnete seine Regierung gar als „Lepra“. Doch diese Kritik war zutiefst verlogen und heuchlerisch, da die EU-freundlichen Politiker Salvinis immigrantenfeindlichen und militaristischen Kurs im Wesentlichen teilen.

Der Kurs der EU auf imperialistische Plünderung und faschistisch-autoritäre Herrschaft hat viel tiefere Ursachen als die Pläne individueller Politiker. Die europäische Bourgeoisie ist entschlossen, Nationalismus zu schüren und ein Polizeistaatsregime zu schaffen, um die Arbeiterklasse zu spalten und zu unterdrücken. Hintergrund sind die wachsenden sozialen und politischen Unruhen und die vielen Millionen Flüchtlinge, die die imperialistischen Kriege im Nahen Osten und Afrika hervorgebracht haben, seitdem die Stalinisten vor dreißig Jahren in der Sowjetunion den Kapitalismus restaurierten. Ein erfolgreicher Widerstand dagegen erfordert die internationale Mobilisierung der Arbeiterklasse auf der Grundlage eines sozialistischen Programms.

Macron, der Salvini letztes Jahr noch für seine Angriffe auf Flüchtlinge verurteilt hatte, kündigte an, dass er die medizinischen Leistungen und Geldleistungen für Asylbewerber zusammenstreichen werde. Auf diese Weise will er mit den neofaschistischen Kandidaten bei der Präsidentschaftswahl 2022 konkurrieren.

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