Perspektive

Trudeaus „Blackface“-Fotos: Wie man den Kampf gegen die liberale Regierung Kanadas führen sollte – und wie nicht

Am Mittwochabend rief der kanadische Premierminister Justin Trudeau eine außerordentliche Pressekonferenz in seinem Wahlkampfflugzeug ein, nachdem das Time-Magazin ein Foto veröffentlicht hatte, das ihn in einem Aladdin-Kostüm und mit einem dunkel geschminkten Gesicht zeigt. Das Foto aus dem Jahr 2001 entstammt dem Jahrbuch einer Privatschule, in der Trudeau damals lehrte.

Reumütig entschuldigte sich der Premier bei den Kanadiern für sein damaliges Verhalten. Er sei sich über dessen rassistischen Charakter damals nicht bewusst gewesen. Er gab auch zu, dass es ein zweites „Blackface“-Foto von ihm gebe. Darauf sei er als Teenager bei einer Talentshow in einer High School zu sehen.

Die Fotos haben in Politik und Medien für jede Menge Furore gesorgt. Am Donnerstag hat Trudeau seine Kampagne für die Parlamentswahlen am 21. Oktober ausgesetzt.

Auf einer eilig einberufenen Pressekonferenz – ebenfalls auf einem Rollfeld – erklärte Trudeaus Hauptgegner Andrew Scheer, der Parteichef der Konservativen, er sei „extrem schockiert und enttäuscht“ und Trudeau sei „nicht geeignet, dieses Land zu führen“. Scheer tat so, als gebe es keine engen Verbindungen seiner Partei zu rechtsextremen Kräften und zur Hetze gegen Flüchtlinge, die vor Trump fliehen. Scheinheilig säuselte er: „Sich das Gesicht braun anzumalen ... ist 2001 genauso rassistisch wie 2019“.

Gestern bezeichnete er Trudeau dann als „Lügner“, nachdem Global News einen kurzen Videoclip aus den frühen 90er Jahren veröffentlicht hatte, der ihn ebenfalls mit brauner Schminke zeigte. Anschließend gab Scheer zu, dass seine Konservative Partei das Video letzte Woche selbst an den Nachrichtensender Global News weitergeleitet hatte.

Seitdem überschlagen sich die Medien mit Vorwürfen. Trudeau habe, es versäumt, „reinen Tisch zu machen“ und die Existenz dieser Bilder von sich aus zuzugeben. Er sei ein reiner Heuchler. Viele, die früher vor Trudeau katzbuckelten und ihn als Premierminister der „Diversität“ feierten, setzen nun demonstrativ eine schockierte Miene auf.

Die Arbeiterklasse hat allen Grund, sich gegen Trudeau und seiner von den Gewerkschaften unterstützten liberalen Regierung zu stellen. Es ist eine reaktionäre Regierung der Großkonzerne, die eine brutale Sparpolitik betreibt. Sie hat Milliarden beim Gesundheitswesen gekürzt, eine Erhöhung der Militärausgaben um mehr als 70 Prozent bis 2026 angeordnet und Kanada weiter in Washingtons militärisch-strategische Offensiven gegen China, Russland und den Nahen Osten integriert, die allesamt Weltkriegspotenzial haben.

Aber die Arbeiterklasse muss sich der Trudeau-Regierung aus ihrer eigenen Klassenperspektive widersetzen, ohne sich in die Intrigen und Provokationen der rechten Gegner der Liberalen verwickeln zu lassen.

Der „Blackface-Skandal“ ist eine politische Provokation auf Bestellung. Er wurde aus Ereignissen fabriziert, die Jahrzehnte zurückliegen. Er zielt darauf ab, die Identitätspolitik der „linksliberalen“ Fraktion der herrschenden Klasse und das sensationsgierige, moralinsaure Klima auszunutzen, das durch die reaktionäre #MeToo-Kampagne erzeugt wird.

Dieser Pseudoskandal ist eine Waffe in den Händen einer Fraktion der Bourgeoisie, die genug von Trudeau hat und ihn loswerden möchte. Sie hält ihn für untauglich, um ihre Klassenkriegspläne durchzusetzen. Daher versucht sie, die Regierung durch Skandale zu destabilisieren und die Politik noch weiter nach rechts zu treiben. Gleichzeitig möchte sie die Wahl zu einem Referendum über die Korruption der Liberalen machen. Deshalb wirft sie Trudeau vor, das Gesetz umzuschreiben und zu manipulieren, um eine Strafverfolgung des großen Bau- und Anlagenbauunternehmens SNC-Lavalin zu vereiteln.

In den letzten 15 Monaten hat die herrschende Elite Kanadas bereits in drei der vier bevölkerungsreichsten Provinzen des Landes – Ontario, Quebec und Alberta – Rechtspopulisten an die Regierung gebracht, die öffentliche Dienstleistungen zusammenstreichen und Arbeiterrechte abbauen. Die Regierung von Quebec, die von der rechten Coalition Avenir Québec (CAQ) geführt wird, hat chauvinistische Gesetze gegen Muslime und andere religiöse Minderheiten verabschiedet.

Der Grund, weshalb der „Blackface-Skandal“ eine solche Sprengkraft entwickelt, liegt darin, dass Trudeaus selbst auf die Karte der Identitätspolitik gesetzt hat. Während er das Diktat des Big Business durchsetzte, präsentierte er seine Regierung als Inbegriff von Geschlechtergerechtigkeit und ethnischer „Vielfalt“: im Kabinett, im Militär, in anderen Institutionen des kapitalistischen Staates, in der Wissenschaft und in den Chefetagen der Unternehmen Seine Außenministerin Chrystia Freeland betreibt „feministische Außenpolitik“, indem sie sich mit US-Vizepräsident Mike Pence und Außenminister Mike Pompeo verbündet, um den Sturz der gewählten Regierung Venezuelas herbeizuführen.

Die vermeintlich progressive identitätspolitische Agenda der Liberalen zielt darauf ab, eine Wählerbasis in der oberen Mittelschicht zu kultivieren, die sich innerhalb der obersten 1 bis 10 Prozent mehr Macht und Privilegien verschaffen will. Sie richtet sich vor allem gegen die Arbeiterklasse und zielt darauf ab, sie zu spalten. Denn wie überall auf der Welt beginnen die Arbeiter auch in Kanada, ihre eigenen Klasseninteressen in sozialen Massenkämpfen geltend zu machen.

Die Arbeiter müssen auf der Hut sein. Der fabrizierte Skandal gegen Trudeau wird auch dazu benutzt, die Verbindungen der Konservativen zu rechtsextremen Kräfte zu bagatellisieren. Die Liberalen wiederum prangern für ihre eigenen Wahlzwecke die Social-Media-Postings der Konservativen an, die Fremdenfeindlichkeit und Rassismus verbreiten und gegen Abtreibung hetzen. Jetzt argumentieren die Medien, oder zumindest ein Großteil davon, dass all dies angesichts der „Sünden“ Trudeaus verblasse.

In Wirklichkeit ist es so, dass in Kanada, wie in allen fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern, aus den Reihen der etablierten Parteien extrem rechte Kräfte hervorgehen. Der Wahlkampfleiter der Konservativen und ehemalige Organisator von Scheers Kandidatur für den Parteivorsitz 2017, Hamish Marshall, war zuvor Mitglied der Geschäftsführung der rechtsextremen Rebel Media aus Calgary, die den britischen Neofaschisten Tommy Robinson fördert. Ein weiteres Beispiel ist Maxime Bernier, der Scheer bei allen Abstimmungen im Rennen um die Führung der Konservativen geschlagen hatte, bevor er ihm in der letzten, 13. Abstimmung unterlag. Bernier stellt sich nun zur Wiederwahl als Vorsitzender der neu gegründeten People‘s Party of Canada, die die „Masseneinwanderung“ als Bedrohung für die kanadische Gesellschaft verteufelt. Scheers Mentor, der ehemalige konservative Premierminister Stephen Harper, veröffentlichte im vergangenen Herbst ein Buch, in dem für einen „Dialog“ mit rechtsextremen Parteien plädiert, um das zu bekämpfen, was er als die eigentliche Bedrohung bezeichnet: „den Sozialismus“.

Trudeau behauptet, den Rechtspopulismus zu bekämpfen. Aber der „liberale“ Flügel der herrschenden Elite hat den Rechten mit seinen Kriegen und ständigen Angriffen auf die Arbeiterklasse den Boden bereitet. Darüber hinaus wendet er sich in ähnlicher Weise autoritären Herrschaftsmethoden zu.

Trudeau hat nichts unversucht gelassen, um mit Trump zusammenzuarbeiten, und seine engsten Verbündeten bei der Verteidigung der „freiheitlich-demokratischen Ordnung“ sind der französische Präsident Emmanuel Macron und die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel. Ersterer hat den Ausnahmezustand zum Normalzustand gemacht und greift zu massiver Polizeigewalt, um gegen die Arbeiterklasse vorzugehen. Merkel ihrerseits setzt die flüchtlingsfeindliche Politik der neofaschistischen AfD um und kehrt zur „Weltmachtpolitik“ des deutschen Imperialismus zurück, die zu den schrecklichsten Verbrechen des letzten Jahrhunderts führte.

Vor dem Hintergrund eines beschleunigten Zusammenbruchs des Weltkapitalismus würde die Trudeau-Regierung im Fall ihrer Wiederwahl sehr bald einen Frontalangriff auf die Arbeiterklasse starten. Wie die Kriminalisierung des Postarbeiterstreiks 2018 und die Ausweitung der Befugnisse der Geheimdienste zeigen, werden die Liberalen zu Repressionen greifen, sollten sich die mit ihr verbündeten Gewerkschaften als unfähig erweisen, die Opposition der Arbeiterklasse zu kontrollieren.

Die Gewerkschaften und die sozialdemokratische Neue Demokratische Partei (NDP) sind zutiefst diskreditiert, da sie den Klassenkampf jahrzehntelang systematisch unterdrückt, massive Lohn- und Stellenstreichungen durchgesetzt und am beim Abbau öffentlicher Dienstleistungen mitgewirkt haben.

Immer mehr Kämpfe brechen außerhalb ihrer Kontrolle aus. Beispiele sind die zahlreichen Proteste gegen die Ford-Regierung in Ontario, der „illegale“ Streik der Kranführer in Quebec 2018 und Arbeitsniederlegungen, die gegen den Willen der Gewerkschaft Unifor ausbrachen, als die bevorstehende Schließung des GM-Montagewerks in Oshawa angekündigt wurde.

Die entscheidende Aufgabe besteht darin, dem beginnenden Aufschwung der Arbeiterklasse eine sozialistische, internationalistische Perspektive zu geben. Die vielfältigen Kämpfe von Arbeitern und Jugendlichen gegen Kürzungen und Krieg müssen zu einer geschlossenen industriellen und politischen Offensive der Arbeiterklasse werden. Diese Offensive muss darauf abzielen, eine Arbeiterregierung an die Macht zu bringen, die eine sozialistische Politik durchführt. Es geht darum, die Kämpfe der kanadischen Arbeiter mit der zunehmenden Bewegung der internationalen Arbeiterklasse zu vereinen, nicht zuletzt mit dem aktuellen Streik von fast 50.000 amerikanischen GM-Arbeitern.

Um diesen Kampf fortzusetzen, muss eine revolutionäre Arbeiterpartei als Teil des Internationalen Komitees der Vierten Internationale aufgebaut werden: die Socialist Equality Party von Kanada.

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