Türkei beginnt Offensive gegen kurdische Kräfte in Syrien mit Unterstützung der USA

Am Sonntag entzog Washington den kurdisch-nationalistischen Milizen, die bisher die wichtigsten Stellvertreterkräfte der Nato im Syrienkrieg waren, seinen Schutz. Am Mittwoch begannen türkische Streitkräfte daraufhin ihren Angriff auf die kurdischen Streitkräfte entlang der türkisch-syrischen Grenze. Am Nachmittag wurden Städte, militärische und zivile Ziele in einem etwa 100 Kilometer breiten Gebiet entlang der Grenze, von Tal Abyad bis Ras al-Ain, mit Artillerie und Flugzeugen angegriffen. Am Donnerstagmorgen erklärte das türkische Verteidigungsministerium, es habe am ersten Tag seines Überfalls auf Syrien 181 Ziele getroffen.

Während Militäreinrichtungen, Städte und das Umfeld des strategisch wichtigen Bouzra-Staudamms, der hunderttausenden Menschen im Norden Syriens mit Wasser versorgt, von türkischen Kampfflugzeugen und schwerer Artillerie angegriffen wurden, häuften sich die Berichte über zivile Todesopfer. Bei einem türkischen Luftangriff auf das Dorf Misharrafa westlich von Ras al-Ain wurden zwei Zivilisten getötet und zwei weitere verwundet. In dem Dorf Sikarkah im Gebiet Qamishli wurden mehrere zivile Wohngebäude schwer beschädigt.

Ein Offizier der türkischen Armee dirigiert am 8. Oktober 2019 einen Kameraden im Panzer auf seine neue Position, nachdem der Panzer in der türkischen Provinz Sanliurfa an der syrisch-türkischen Grenze von einem Lkw abgeladen wurde. Der drohende Einmarsch des türkischen Militärs in Syrien hat die Spannungen an der Grenze verschärft. (Quelle: AP Photo/Lefteris Pitarakis)

CNN-Journalisten vor Ort berichteten, wie verängstigte Zivilisten versuchten, dem türkischen Artilleriebeschuss zu entkommen: „Chaotische Szenen spielen sich ab. Die Straßen sind voll mit flüchtenden Familien, Motorrädern mit fünf oder sechs Personen darauf, Autos mit Matratzen auf den Dächern. Aus mindestens einem Gebiet, das offenbar brennt, steigt Rauch auf. Die Leute wissen nicht, wo sie hinsollen, wo sie heute Nacht schlafen werden, oder was sie von dieser türkischen Operation zu erwarten haben.“

Die kurdisch geführte Miliz Demokratische Kräfte Syriens (Syrian Democratic Forces, SDF), die bis zum Wochenende noch eng mit amerikanischen und europäischen Spezialkräften zusammengearbeitet hatten, kündigten an, „sich den Türken entgegenzustellen und sie daran zu hindern, die Grenze zu überschreiten“ und „alle unsere Möglichkeiten gegen die Aggression der USA einzusetzen.“ Berichten zufolge haben die SDF ihre Streitkräfte im ganzen von ihnen kontrollierten Nordosten Syriens angewiesen, schnellstmöglich zur syrisch-türkischen Grenze zu gelangen, um den türkischen Einmarsch abzuwehren.

Doch am Mittwochabend bestätigte das türkische Verteidigungsministerium, dass seine Bodentruppen nach den ersten Artilleriesalven in Regionen Syriens eingedrungen sind, die von den SDF kontrolliert wurden. Auf Twitter hieß es: „Die türkischen Streitkräfte und die Syrische Nationale Armee haben die Bodenoperation im Osten des Euphrat im Rahmen der Operation Friedensquelle begonnen“.

Die Hauptverantwortlichen für das blutige Vorgehen der Türkei sind Washington und seine imperialistischen Verbündeten, die seit dem Golfkrieg gegen den Irak 1991 jahrzehntelang Krieg im Nahen Osten geführt haben. Dazu gehört auch der Stellvertreterkrieg für einen Regimewechsel in Syrien seit 2011.

Trump, der die kurdischen Stellvertreter der Nato hintergangen und dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan grünes Licht für seinen Angriff gegeben hat, ist direkt für die Folgen verantwortlich. Jedoch ist das gesamte politische Establishment in den USA und Europa mitverantwortlich für den blutigen Angriff, den Trump am Sonntag mit seinem Telefonat mit Erdoğan in die Wege geleitet hat. In diesem Gespräch zog er seine Schutzgarantie gegenüber den kurdischen Milizen zurück. Die Versuche der herrschenden Eliten Amerikas und Europas, sich von diesem Einmarsch zu distanzieren, riechen nach Heuchelei.

Am Mittwoch veröffentlichten zahlreiche europäische Mächte Stellungnahmen, in denen sie die türkische Offensive kritisierten. Nachdem der britische Premierminister Boris Johnson mit Trump telefoniert hatte, erklärte die Downing Street, Großbritannien habe „ernsthafte Bedenken wegen des türkischen Einmarschs im Nordosten Syriens und der drohenden humanitären Katastrophe in der Region.“ Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, der zu Gesprächen mit Erdoğan in die Türkei reiste, rief die Türkei zur „Mäßigung“ auf.

Die wohl abstoßendste Stellungnahme kam vom französischen Außenminister Jean-Yves Le Drian, der eine zentrale Rolle bei den außergerichtlichen gezielten Tötungen des französischen Staates gespielt hat und dem blutbesudelten ägyptischen Diktator General Abdel Fattah al-Sisi nahesteht. Er behauptete dennoch, er sei moralisch empört über das Blutvergießen des türkischen Militärs und schrieb auf Twitter: „Ich verurteile die einseitige Operation der Türkei in Syrien“. Weiter schrieb er, das Vorgehen der Türkei gefährde „die sicherheitspolitischen und humanitären Bemühungen“ der Nato-Mächte gegen terroristische Gruppen in Syrien.

Die französische Europaministerin Amélie de Montchalin fügte am Mittwochabend hinzu Großbritannien, Deutschland und Frankreich bereiteten eine gemeinsame Erklärung vor, die „sehr deutlich betonen wird, dass wir das Berichtete nachdrücklich und entschieden verurteilen.“ Außerdem rufen sie zu einer gemeinsamen Geheimsitzung des UN-Sicherheitsrates auf.

Diese Stellungnahmen verbreiten den Gestank von Heuchelei. Der Stellvertreterkrieg, den die Nato-Mächte seit acht Jahren in Syrien führen, hat nichts mit „humanitären Bestrebungen“ zu tun. Sie müssen sich bei der Ausarbeitung ihrer Politik zum Angriff der Türkei auch nicht auf angebliche „Berichte“ verlassen, weil sie eng mit der türkischen Regierung zusammengearbeitet haben, als diese ihre blutige Offensive gegen die kurdischen „Verbündeten“ der Nato in Syrien begann.

Am Mittwochnachmittag wurden Abgesandte der USA, Russlands, Deutschlands, Großbritanniens, Frankreichs, Italiens, der Nato und der UN im türkischen Außenministerium über den bevorstehenden Angriff informiert.

Die Offensive begann um 16 Uhr Ortszeit, Erdoğan kündigte den Angriff auf Twitter an: „Unsere türkischen Streitkräfte und die Syrische Nationale Armee haben die Operation Friedensquelle gegen die Terrororganisationen PKK/YPG und IS im Norden Syriens begonnen. Unser Ziel ist es, den Terrorkorridor zu zerstören, der an unserer Südgrenze errichtet werden sollte, und Frieden und Sicherheit in die Region zu bringen. ... Wir werden die territoriale Integrität Syriens schützen und die Bevölkerung der Region vor den Klauen des Terrors retten.“

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, der am Donnerstag vom italienischen Ministerpräsidenten Giuseppe Conte aus zu Gesprächen mit Erdogan in der Türkei gereist ist, unterstützte den Einmarsch. Er behauptete, die Türkei habe „legitime Sicherheitsinteressen“ in Syrien und erklärte: „Ich bin mir sicher, dass jede Aktion der Türkei im Norden Syriens verhältnismäßig und angemessen ist.“

Angesichts der wachsenden Empörung über den türkischen Einmarsch in Syrien und der zunehmenden Aufrufe zu Protesten vor den türkischen Konsulaten sind hohe Vertreter der US-Regierung zurückgerudert und haben sich von der Offensive distanziert. Nachdem Trump den Angriff als „schlechte Idee“ bezeichnet hatte, stritt US-Außenminister Mike Pompeo die Verantwortung der USA für den türkischen Angriff ab. Er log: „Die Vereinigten Staaten haben der Türkei kein grünes Licht gegeben“. Gleichzeitig wiederholte Pompeo Stoltenbergs Behauptung, Ankara habe „legitime Sicherheitsinteressen“, die Kurden zu bombardieren.

Trumps Entscheidung, die Sicherheitsgarantien der USA für die syrisch-kurdischen Milizen aufzugeben und so einem türkischen Einmarsch in Syrien faktisch grünes Licht zu geben, wird katastrophale Folgen haben. Doch sie ist letztendlich das Produkt der jahrzehntelangen Kriege, die eine US-Regierung nach der anderen, auch die von Trumps Kritikern aus der Demokratischen Partei, gemeinsam mit ihren imperialistischen Verbündeten aus Europa geführt haben. Der Golfkrieg im Irak 1991 und der Nato-Überfall auf Afghanistan 2001 waren der Auftakt zu jahrzehntelangen Kriegen im Nahen Osten, die Millionen von Menschenleben gefordert, weitere Millionen zu Flüchtlingen gemacht und ganze Gesellschaften zerstört haben.

Die Regierung des Demokraten Obama in Washington begann den Syrienkrieg im Jahr 2011 mit Unterstützung durch Deutschland, Großbritannien, Frankreich und die anderen imperialistischen Mächte. Anfangs benutzten sie Milizen, die al-Qaida nahe stehen, als Speerspitze. Diese verübten Autobombenanschläge und Angriffe im Krieg gegen das Regime von Präsident Baschar al-Assad. Erst als diese islamistischen Milizen besiegt wurden und die Miliz Islamischer Staat im Irak und Syrien (IS) 2014 gegen das US-Marionettenregime im Irak aktiv wurde, machte Washington die kurdisch geführten Milizen zu seiner wichtigsten Stellvertreterkraft in Syrien.

Die kurdisch-nationalistische Bourgeoisie hat die kurdische Bevölkerung verraten, indem sie deren Kampf für demokratische Rechte den Manövern des US-Imperialismus untergeordnet hat, der den Nahen Osten dominieren will.

Während die amerikanischen und europäischen Medien die SDF als demokratischen Verbündeten der Nato-Mächte feierten, brachten sich diese auf Linie der Kriegspolitik der Nato-Mächte. In dem von ihnen kontrollierten Gebiet haben die SDF 11.000 Menschen ins Gefängnis gesteckt, weil sie angeblich unbelehrbare IS-Kämpfer waren. Am Mittwoch kündigten Vertreter der SDF an, dass die Kräfte, die sie zur Bewachung von inhaftierten IS-Personen abgestellt hatten, von diesen Posten abgezogen und zum Kampf gegen den türkischen Einmarsch eingesetzt wurden.

Nur wenige Jahre nachdem sich die kurdischen Nationalisten zur wichtigsten US-Stellvertreterkraft in Syrien entwickelt hatten, hat Washington sie in seinem jüngsten Kurswechsel in der Nahostpolitik geopfert. Stattdessen sind die USA näher an die türkische Regierung gerückt, die den kurdischen Nationalismus in Syrien und der Türkei vehement bekämpft.

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