Nach dem Anschlag in Halle: Bundesregierung baut Polizeistaat auf

Auch zwei Wochen nach dem Anschlag auf eine Synagoge in Halle macht die Bundesregierung keine Anstalten, die seit Jahren bekannten rechtsextremen Netzwerke in Polizei, Justiz und Bundeswehr trockenzulegen. Stattdessen nimmt sie den faschistischen Terroranschlag zum Vorwand, um den Staatsapparat weiter aufzurüsten und ihre seit langem gehegten Pläne zur umfassenden Bespitzelung von Journalisten und Internet-Nutzern in die Tat umzusetzen.

Das neue Geheimdienste-Ermächtigungsgesetz, das bisher in den Schubladen des Innenministeriums schlummerte, soll dazu zum Einsatz kommen. „Monatelang blieb der Entwurf (...) einfach liegen“, titelte die Frankfurter Allgemeine Zeitung am Sonntag, „jetzt könnte es schnell gehen“. Eine Sprecherin des Justizministeriums hatte der Zeitung mitgeteilt, dass sich das „Gesetz zur Harmonisierung des Verfassungsschutzrechtes“ nun bereits in der Ressortabstimmung mit dem Justizministerium befinde. „Seehofers alter Gesetzentwurf“, schreibt die Zeitung weiter, erscheine „auf einmal wie eine aktuelle Antwort auf die Tat von Halle“.

Wie die World Socialist Website bereits im März erklärt hatte, handelt es sich bei dem Gesetz um einen umfassenden Angriff auf die Pressefreiheit und demokratische Grundrechte. Es sieht unter anderem vor, dem Verfassungsschutz den Einsatz von Staatstrojanern zur Bespitzelung von Journalisten und Redaktionen zu gestatten – ohne richterliche Genehmigung und ohne, dass die Betroffenen eine Straftat begangen hätten. Anbieter verschlüsselter Messenger-Dienste sollen außerdem gezwungen werden können, die Kommunikation ihrer Kunden mitzuschneiden und den Behörden auf bloßen Verdacht hin zu übermitteln.

Anfang letzter Woche nahmen Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang und BKA-Chef Holger Münch den Anschlag von Halle zum Anlass, für das Gesetz zu werben und zugleich die Aufstockung ihrer Behörden um 300 bzw. 440 neue Planstellen anzukündigen. Sie sollen dem Aufbau „neuer Einheiten“ zur Bekämpfung von Extremismus dienen. Laut MDR fordern die beiden Bundesbehörden außerdem eine „stärkere Beobachtung im Internet“, „weitere Vereinsverbote“ sowie Maßnahmen gegen rechte „Festivals“ und „Konzerte“. Der deutsche Inlandsgeheimdienst soll künftig außerdem Kinder unter 14 Jahren überwachen und Videospiel-Plattformen infiltrieren dürfen.

Einem Bericht der Deutschen Welle zufolge haben die Innenminister auf ihrer Konferenz in Kiel bereits beschlossen, das Waffenrecht zu verschärfen und „Plattformen in die Pflicht“ zu nehmen, „strafrechtlich relevante Inhalte“ umgehend zu melden, damit sie gelöscht oder verfolgt werden können. Außerdem sollen die Polizei- und Verfassungsschutzbehörden Hamburgs und Schleswig-Holsteins künftig – auch im norddeutschen Verbund – noch stärker zusammenarbeiten.

Zur selben Zeit kündigte Familienministerin Franziska Giffey (SPD) gegenüber der Osnabrücker Zeitung an, noch in diesem Jahr ein neues Gesetz gegen die Radikalisierung von Jugendlichen auf den Weg zu bringen. „Bestimmte Interaktionsrisiken“ im Netz müssten „von vornherein durch technische Einstellungen verhindert oder minimiert werden“, zitiert die Zeitung die Familienministerin. Das „gezielte Ansprechen junger Menschen im Netz“ müsse „so weit wie möglich verhindert werden“. Dazu wolle man „die Anbieter“ digitaler Plattformen „stärker in die Pflicht nehmen“.

Lange Erfahrungen zeigen, dass sich solche Maßnahmen – einmal eingeführt – vor allem gegen links richten werden. So hatte der damalige Innenminister Thomas de Maizière vor zwei Jahren die antifaschistische Webseite „linksunten.indymedia“ verboten und deren Redaktion kurzerhand zu einem eingetragenen Verein erklärt, um das Recht auf Pressefreiheit zu umgehen. Zwei Jahre später stellte die Staatsanwaltschaft Karlsruhe sämtliche Strafverfahren gegen die mutmaßlichen Betreiber der Website ein, weil sie ihnen keine Straftat nachweisen konnte. Im vergangenen Jahr hat der sächsische Verfassungsschutz das gegen die rechtsextremen Ausschreitungen in Chemnitz gerichtete Konzert „Wir sind mehr“ in seinem Jahresbericht unter der Rubrik „Linksextremismus“ aufgeführt.

Schon seit 2017 zensiert Google in enger Absprache mit deutschen Regierungskreisen die World Socialist Website. Und die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) wird seit zwei Jahren im Verfassungsschutzbericht aufgeführt, weil – wie es in der Antwort der Bundesregierung auf die SGP, die dagegen geklagt hat, heißt – das „Streiten für eine demokratische, egalitäre, sozialistische Gesellschaft“ und die „Agitation gegen angeblichen ‚Imperialismus’ und ‚Militarismus’“ verfassungswidrig sei.

Bereits wenige Wochen nach dem Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke hatte Giffeys Ministerium zahlreichen linken Programmen die Mittel gekürzt. Betroffen waren mindestens 120 Organisationen, darunter die antirassistische Amadeo-Antonio-Stiftung und das bekannte Rechtsextremismus-Aussteigerprogramm „Exit“, dessen Finanzierung für die Zeit nach 2020 nun unklar ist. Insgesamt werden zivilgesellschaftlichen Projekten künftig acht Millionen Euro fehlen.

Unterdessen arbeiten alle Bundestagsparteien daran, den von Rechtsextremisten durchsetzten Staatsapparat in einer fieberhaften Aufrüstungskampagne weiter zu stärken. Das Budget des Innenministeriums steigt im neuen Bundeshaushalt um 720 Millionen auf 15,3 Milliarden Euro. Alleine 6,4 Milliarden Euro sollen in die Hochrüstung der Bundespolizei, des BKA und der Cyberbehörden fließen. Schon während der Haushaltsdebatte im Bundestag hatte Seehofer – fast vier Wochen vor dem Anschlag in Halle – die Schaffung neuer BKA- und Verfassungsschutzeinheiten mit „hunderten Planstellen“ angekündigt.

Ein Bericht des Spiegels verdeutlicht das Ausmaß der inneren Aufrüstung. Demnach ist das BKA seit 2013 um knapp 50 Prozent gewachsen, von 5012 auf 7562 Beamte im Jahr 2020. Die Bundespolizei wuchs im selben Zeitraum von 38.297 auf 46.848 Planstellen im laufenden Jahr. Für 2020 sind laut Haushaltsentwurf noch einmal rund 2000 zusätzliche Stellen eingeplant.

Gleichzeitig soll sich die Mitarbeiterzahl des Bonner Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) fast verdreifachen – über 1400 Beamte sollen im kommenden Jahr für die Cyberkampfbehörde arbeiten. Zusätzlich soll die in München angesiedelte Zentrale Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich (ZITiS) von 190 auf 232 Mitarbeiter wachsen. Die im Jahr 2017 ins Leben gerufene digitale Waffenschmiede entwickelt für die Sicherheitsbehörden des Bundes laut eigenen Angaben Werkzeuge zur „Kryptoanalyse“ und „Telekommunikationsüberwachung“.

Die Haushaltsdebatte im Bundestag im September zeigte, dass es dort keinerlei Opposition gegen die Errichtung eines Polizeistaats gibt. Wenn es Kritik an den Plänen von Innenminister Seehofer gab, dann kam sie von rechts.

Burkhard Lischka, innenpolitischer Sprecher der SPD, erklärte: „Eine gute Innenpolitik setzt auf einen starken Staat. Was wir im Bereich der Inneren Sicherheit auf den Weg gebracht haben, das kann sich wirklich sehen lassen.“ Stefan Ruppert von der FDP sagte: „Man hört wenig vom Innenministerium. Wir finden: zu wenig, weil die Aufgaben nach wie vor sehr groß sind.“ Er forderte eine konsequentere Abschiebung von Flüchtlingen.

Irene Mihalic, innenpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, griff die Pläne des Innenministers ebenfalls von rechts an und hielt ein aggressives Plädoyer für eine weitere Stärkung der Sicherheitsbehörden.

„7500 neue Stellen wollen Sie bei den Sicherheitsbehörden schaffen“, rief sie dem Innenminister zu, „so weit so gut. Das tragen wir auch alles mit, aber neue Stellen heißt noch nicht neue Mitarbeiter. Anspruch und Wirklichkeit klaffen hier meilenweit auseinander! Tausende Stellen sind noch nicht besetzt.“ Dem Plenum rief sie zu: „Bei den Sicherheitsbehörden hat man zehn Jahre lang nicht investiert, sondern im Personalbereich massiv gespart, das ging richtig an die Substanz!“ Einen „solchen Rückzug des Staates auf Kosten der Sicherheit“ dürfe es „nicht wieder geben“.

André Hahn, der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linkspartei, stieß ins selbe Horn. Nachdem er ebenfalls auf „tausende Dienstposten“ hingewiesen hatte, die nicht besetzt werden könnten, rief er dem Innenminister zu: „Was Sie hier machen, Herr Seehofer, ist purer Aktionismus, der kein einziges Problem löst.“

Die atemberaubende Aufrüstung des Staatsapparates und die massive Ausweitung der Befugnisse der Sicherheitsbehörden richtet sich gegen die weitverbreitete Opposition unter Arbeitern und Jugendlichen, die Militarismus, Krieg, Staatsaufrüstung und Sozialkürzungen ablehnen.

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