Corbyn buckelt vor britischen Wirtschaftsbossen

„Manchmal heißt es, ich sei unternehmerfeindlich. Das ist völliger Unfug.“

Die meisten ihrer Reden halten Labour-Parteichef Jeremy Corbyn und sein Schattenkanzler John McDonnell vor einem empfänglichen Publikum aus Arbeitern. Dort dreschen sie freigiebig linke Phrasen gegen die Unternehmer und bezeichnen ihre Politik gelegentlich sogar als Sozialismus.

Doch nun, während des Wahlkampfs, müssen sich beide vor Bankern und Unternehmern um die von ihnen angestrebten Staatsämter bewerben. Dabei lassen sie alle „radikalen“ Masken fallen und bekunden ihr Verantwortungsbewusstsein für den britischen Kapitalismus.

Jeremy Corbyn [Quelle: commons.wikimedia.org]

Am Montag stellte Corbyn auf der Jahreskonferenz des Unternehmerverbands Confederation of British Industry (CBI) die Pläne der Labour Party vor. Dabei stand er in Konkurrenz mit dem Chef der Konservativen, Boris Johnson, und der Vorsitzenden der Liberaldemokraten, Jo Swinson.

„Weil diese Wahl unser Land für eine ganze Generation prägen wird, ist es richtig, dass die Parteichefs Ihnen unsere Pläne direkt vortragen“, erklärte Corbin. „Und eines möchte ich gleich klarstellen: Manchmal heißt es, ich sei unternehmerfeindlich. Das ist völliger Unfug.“

Corbyn beschwor sein Publikum, sich vor Augen zu führen, dass die Exzesse der Konzerne und Finanzparasiten das Profitsystem in den Augen von Millionen Arbeitern diskreditiert haben. Er bat sie, einige minimale Einschränkungen auf sich zu nehmen, und betonte: „Es ist nicht unternehmerfeindlich, wenn man sagt, dass die Großkonzerne ihre Steuern genauso zahlen sollen wie die kleineren Unternehmen ... Es ist nicht unternehmerfeindlich, wenn man Wohlstand für alle Teile unseres Landes will, statt nur für die City of London.“

Er versprach den Konzernvorständen, sie würden bei seinen Plänen für den Brexit „die Garantie einer Zollunion und Zugang zum europäischen Binnenmarkt haben, wie Sie es seit Langem fordern“.

Weiter erklärte er, angesichts des eskalierenden, von den USA ausgehenden Handelskriegs seien Veränderungen in der Regierung unabdingbar, vor allem für anfällige Branchen: „Labour ... wird die Brexit-Frage schnell lösen und die Unsicherheit für die Unternehmen sofort beenden. Wir werden unsere wichtigsten Handelsbeziehungen nicht zerstören, denn große britische Industriezweige, wie die Stahlindustrie, werden große Schwierigkeiten haben, den von Johnson geplanten Deal mit Trump zu überleben.“

Er versprach: „Sie und Ihre Unternehmen können viel Gutes von einer Labour-Regierung erwarten. Sie werden mehr Investitionen bekommen, als Sie je zu träumen gewagt haben. Sie werden die am besten ausgebildeten Arbeitskräfte bekommen, die Sie sich nur wünschen können. Sie werden die weltbeste Infrastruktur bekommen, die Sie seit langem fordern, einschließlich Vollfaser-Breitbandinternet. Sie werden die schnellen, zuverlässigen Verkehrsverbindungen nutzen können, die Sie immer wollten.“

Außerdem sollten die Unternehmenssteuern reformiert werden, „denn wir wissen, wie viel Schaden sie momentan unseren Einkaufsstraßen und Kommunen zufügen. Die neue Postbank soll außerdem eine Agentur zur Geschäftsentwicklung erhalten, um den Zugang zu Krediten zu erleichtern.“

Im Vorfeld von Corbyns Rede hatten die Torys und die Medien gegen die Pläne von Labour gewettert, British Telecom teilweise zu verstaatlichen und der Bevölkerung für zehn Jahre kostenloses Breitbandinternet zur Verfügung zu stellen. Johnson bezeichnete den Vorschlag gar als „Breitbandkommunismus“.

Der Unternehmerverband CBI erklärte in einer Pressemitteilung: „Schnelle, zuverlässige Breitbandverbindungen sind eine absolute Priorität für Privathaushalte und Unternehmen und müssen ausgebaut werden. Allerdings ist Labours Plan der falsche Weg ... Eine Wiederverstaatlichung wird nur zur Verlangsamung eines Prozesses führen, der beschleunigt werden muss.“

CBI warnte: „Statt kurzsichtiger Ideologien muss auf vorausschauende öffentlich-private Partnerschaften gesetzt werden, die Ergebnisse liefern, statt sie zu verzögern.“

Matthew Fell, der wirtschaftspolitische Experte der CBI, erklärte: „Da sich Labours radikale Pläne zur Wiederverstaatlichung nahezu täglich ausweiten, verlieren die Unternehmen im Rest der Welt das Vertrauen in Großbritannien als Investitionsstandort. Manche dürften sich fragen, ob sie als Nächste dran sind ... Es ist Zeit, dass alle Parteien mit der Wirtschaft zusammenarbeiten, statt gegen sie.“

Diese Botschaft kam bei Corbyn an. Ein Großteil seiner Rede hätte von Tony Blair stammen können, die Worte „Kapitalismus“ oder gar „Sozialismus“ kamen darin nicht vor. Corbyn betonte, seine Politik sei „kein Angriff auf die Grundlagen einer modernen Wirtschaft, sondern das genaue Gegenteil. In vielen europäischen Ländern ist sie die Norm.“ Er bezeichnete sie als notwendig, um „die ersten Schritte beim Aufbau einer wirklichen Mischwirtschaft für das 21. Jahrhundert zu machen“.

Erneut flehte er seine Kritiker an: „Ich verstehe, dass Sie einigen unserer Pläne misstrauisch gegenüberstehen. Aber auch wenn Teile der Presse es manchmal so darstellen, glaubt Labour nicht, dass der Staat die Wirtschaft alleine modernisieren kann.“

In der Hauptstadt eines Landes mit einer der am stärksten polarisierten Gesellschaft der Welt erklärte Corbyn, sein einziges Ziel sei es, alle Menschen für eine „anständige Gesellschaft“ zusammenzubringen und „die Plattform zu erhöhen, auf der unsere ganze Gesellschaft steht, damit Unternehmen und Einzelne immer höher aufsteigen und ihre Träume erfüllen können“. Weiter versprach er, eine Labour-Regierung werde „immense wirtschaftliche Möglichkeiten für die Unternehmen schaffen“.

Und was verlangt Corbyn als Gegenleistung? „Labour wird diejenigen an der Spitze bitten, einen fairen Anteil an den Steuern zu zahlen.“

Wie hoch dieser „faire Anteil“ ist, hat Schattenkanzler McDonnell letzte Woche in einer Rede enthüllt. Unter Labour wird es nur „für die obersten fünf Prozent“ eine Steuererhöhung geben. „Wir werden die Obergrenze von 45 Prozent ab 80.000 Pfund verringern und die Spitzensteuersatz von 50 Prozent ab 125.000 Pfund wieder einführen.“

Dies hatte Corbyn bereits im Wahlkampf 2017 vorgeschlagen. Ursprünglich stammt der Vorschlag von Blairs Finanzminister Gordon Brown, der ihn 2010 aufbrachte.

McDonnell hakte am Dienstag in seiner Rede dort ein, wo Corbyn aufgehört hatte: „Wir erklären unsere Hochachtung vor allen Unternehmen, die das Rückgrat unserer Wirtschaft bilden und einen wichtigen Beitrag zu unserer Gesellschaft leisten.“

Unter Verweis auf die Insolvenzen von Carillion, BHS und Thomas Cook warnte der Schattenkanzler: „Allzu oft gewinnen aus Gründen der Gier kurzfristige Profitinteressen die Oberhand über gutes Geschäftsgebaren ... Wir wollen gute Unternehmen, die langfristige Entscheidungen treffen und gute Arbeitsplätze schaffen.“

McDonnell bekräftigte: „Unternehmen sollten eine Partnerschaft zwischen Beschäftigten, Kunden, Management und Aktionären für den langfristigen Erfolg des Unternehmens sein.“ Labours Eintreten für den „Aufbau einer Aktionärswirtschaft“ [ein Ausdruck, der direkt von Blair stammt] sei wichtig, da „vieles darauf hindeutet, dass dies nicht nur die langfristige Entscheidungsfindung begünstigt, sondern auch die Produktivität steigert“.

Des Langen und Breiten erklärte McDonnell, dass Labours Vorschlag, Unternehmen sollten einen Teil ihrer Aktien – derzeit 1 Prozent – in „einen Arbeitnehmerfonds einzahlen, bis dieser zehn Prozent des Unternehmens besitzt“ nicht im Geringsten radikal sei. Die Beschäftigten würden „jährlich nur höchstens 500 Pfund erhalten. In den USA schlägt Bernie Sanders einen Transfer von zwanzig Prozent vor.“

Dann erläuterte der Labour-Schattenkanzler noch einen weiteren Programmpunkt: Labour wird nichts daran ändern, dass „das durchschnittliche Gehalt des Vorstandschefs eines FTSE-100-Unternehmens vom 60-fachen des durchschnittlichen Gehalts eines Beschäftigten auf das 150-fache im Jahr 2017 angestiegen ist“. Man wolle lediglich eine „Unternehmensabgabe für exzessive Gehälter“ einführen. Er erklärte, Labour wolle „ein Verhältnis von 20:1 bei der höchsten und der niedrigsten Einkommensstufe im öffentlichen Dienst“. Dies bedeute beispielsweise, „wenn jemand das Existenzminimum von knapp über 16.000 Pfund pro Jahr verdient, könnte ein Vorstandsmitglied fast 350.000 Pfund bekommen“.

Während Corbyn und McDonnell das Großkapital beruhigten und vor der Kapitalistenklasse buckelten, verloren sie kein Wort über die fortdauernde Offensive der Wirtschaftselite gegen die Arbeiterklasse. Nur wenige Tage vor Corbyns Rede hatte der Oberste Gerichtshof (High Court) einen Streik von 100.000 Postbeschäftigten verboten, ohne dass Corbyn auch nur mit einem Tweet darauf reagiert hätte. Am Samstag streikten die Schaffner bei West Midland Trains aus Protest gegen die geplante Einführung von schaffnerlosen Zügen. Die meisten Lokführer weigerten sich aus Solidarität, die Streikposten der Schaffner zu durchqueren. Auch dazu äußerte sich Corbyn nicht.

Corbyns Äußerungen belegen, dass er eine prokapitalistische Partei anführt, die jeden Widerstand der Arbeiter gegen die Angriffe der Unternehmer ablehnt. Die Socialist Equality Party tritt mit eigenen Kandidaten zur Wahl an, um gegen den Widerstand aller Parteien der herrschenden Elite, einschließlich der Labour Party, Arbeiter und Jugendliche zu einem politischen Kampf gegen das Großkapital, gegen Sozialkürzungen, autoritäre Herrschaft, Militarismus und Krieg zu mobilisieren.

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