Wahlabschlussversammlung der britischen SEP in London

„Wir kämpfen für eine sozialistische und internationale Perspektive. Arbeiter müssen sich auf die Lehren der Geschichte stützen.“

Arbeiter, Jugendliche und Studierende aus ganz Großbritannien nahmen am vergangenen Sonntag an einer erfolgreichen Wahlversammlung der Socialist Equality Party (SEP) in London teil. Die SEP-Kandidaten Chris Marsden, Thomas Scripps und Dennis Leech erläuterten das Programm der Partei.

Peter Schwarz, Sekretär des Internationalen Komitees der Vierten Internationale, und Alex Lantier, Nationaler Sekretär der Parti de l’égalité, überbrachten der Versammlung internationale Grüße.

Peter Schwarz überbringt der Versammlung internationale Grüße

Wie Thomas Scripps zu Beginn erklärte, bestand eine zentrale Säule des SEP-Wahlkampfes in dem Kampf um die Freilassung des WikiLeaks-Gründers Julian Assange.

Scripps bezeichnete Assange als „den wichtigsten investigativen Journalisten des 21. Jahrhunderts“. Er sagte: „Der Rachefeldzug gegen ihn dauert für Leute meiner Generation schon die ganze Zeit unseres bewussten Lebens. Niemand, der heute noch jung ist, kann sich an eine Zeit erinnern, in der Assange nicht gesetzwidrig inhaftiert, isoliert, verleumdet und gefoltert worden wäre.“

Scripps erklärte: „In den letzten Wochen ist das Lügengewebe um Assange herum mehr und mehr zerrissen. Damit steht das ganze Ausmaß der Kriminalität der herrschenden Klasse unverhüllt da.“ Die Tatsache, dass die schwedischen Staatsanwälte ihre Ermittlungen wegen angeblicher sexueller Übergriffe am 19. November eingestellt hatten, sei der endgültige Beweis dafür, dass der schwedische Fall von Anfang an bloß ein durchsichtiger Vorwand war, um Assange festzunehmen.

Thomas Scripps

Scripps ging auf die jahrzehntelange Hetzjagd auf Assange ein: „Was die herrschende Klasse vor allem beschäftigte, das ist einem Dokument des Verteidigungsministerium zu entnehmen, das Buzzfeed veröffentlicht hat. Darin wurde die Sorge geäußert: ‚Die Presse oder unsere Gegner könnten das [die WikiLeaks-Enthüllungen über Kriege im Irak und in Afghanistan] aufgreifen‚ um die Unterstützung für laufende Operationen in der Region negativ zu beeinflussen‘. Das heißt, sie haben befürchtet, WikiLeaks könnte der Funke sein, der auf der ganzen Welt die Stimmung gegen Krieg entzünden könnte.“

Scripps fuhr fort: „Die schiere Boshaftigkeit, mit der sie Assange verfolgen, entspringt nicht der Stärke der herrschenden Klasse. Es ist ein Eingeständnis ihrer eigenen, von Angst erfüllten Isolation … Sie sind mit einer wachsenden Flut von Arbeiterrevolten konfrontiert: in Chile, Kolumbien, Ecuador, Puerto Rico, Haiti, Frankreich, Algerien, Sudan, Ägypten, Libanon, dem Irak, dem Iran und in den Vereinigten Staaten selbst. Die Regierungen können ihre Raubkriege nur fortsetzen, wenn sie die demokratischen Rechte unterdrücken und sich auf immer extremere autoritäre Gewalt stützen.“

Wie Scripps betonte, steht Jeremy Corbyn seit vier Jahren an der Spitze der Labour Party, und in diesen vier Jahren war Assange die ganze Zeit über inhaftiert und isoliert.

„Jederzeit hätte Corbyn einen Aufruf an die Massen richten können, um Hunderttausende für Assanges Befreiung auf die Straße zu bringen. Das hätte Assanges Situation verändern können. Aber das ist nicht Corbyns Politik.“

Corbyn hatte behauptet, dass Assanges Auslieferung an die USA „Sache der Gerichte“ sei, und er hatte hinzugefügt, falls Schweden seine verlogenen Anschuldigungen gegen Assange aufrechterhalten würde, müsse Assange sich dort rechtfertigen. Das ist auch die Position, die Corbyns Cheerleaders von den Pseudolinken (die Socialist Workers Party und die Socialist Party) einnahmen, um zu rechtfertigen, warum sie sich weigerten, zu Assanges Verteidigung aufzurufen.

Seit einigen Wochen steigt jedoch die Welle der Solidarität und weltweiten Unterstützung für Assange merklich an. Das drückte sich z.B. in dem offenen Brief von über 65 herausragenden Ärzten an die britische Innenministerin Priti Patel aus. Die Ärzte verurteilen die Verweigerung einer angemessenen medizinischen Versorgung für Assange durch Großbritannien, und sie fordern, ihn unverzüglich in ein Universitätsklinikum zu verlegen.

Alex Lantier sprach über Skype zu der Versammlung, da er aufgrund der Streiks der französischen Transportarbeiter nicht persönlich anwesend sein konnte.

Er bezeichnete „die Kampagne der SEP, britische und europäische Arbeiter im Kampf gegen die Europäische Union und die Brexit-Fraktion der herrschenden Elite zu vereinen“, als „von historischer Bedeutung“. Sie sei Bestandteil eines internationalen Wiederauflebens des Klassenkampfs. „Damit wird die Frage nach der internationalen Vereinigung der Arbeiterklasse auf die Tagesordnung gestellt. Eisenbahner, Postangestellte und breitere Schichten von Arbeitern und Jugendlichen gehen sowohl in Großbritannien als auch in Frankreich auf die Straße. Weltweit hat die Welle von Streiks und Protesten im gerade vergangenen Jahr Hunderte Millionen von Arbeitern erfasst.“

Massenprotest in Paris während des Generalstreiks gegen die Regierung Macron

Lantier erklärte: „Der Eisenbahnverkehr in Frankreich kommt zum Erliegen, viele Stadtzentren sind wie ausgestorben, die meisten Schulen sind geschlossen und Flüge werden gestrichen. Aufgrund von Raffineriestillständen ist in Teilen des Landes ein Mangel an Treibstoff entstanden. Den Protesten schließen sich viele Jugendliche an, und mehrere Universitätsverwaltungen haben ihre Einrichtung geschlossen, um zu verhindern, dass Studierende sie besetzen.“

Lantier fuhr fort: „Die Arbeiterklasse beweist einmal mehr ihre enorme soziale Macht und ihr revolutionäres Potenzial.“ Die Tatsache, dass der Klassenkampf wieder auflebe, stelle jedoch die Arbeiterklasse vor komplexe politische Herausforderungen. „Die wichtigste Aufgabe besteht jetzt darin, eine neue sozialistische Führung aufzubauen.“

Lantier berichtete über die massive Gewalt, die jetzt in Frankreich gegen Demonstrierende und Gelbwesten eingesetzt wird. Er sagte: „Am letzten Donnerstag hat Macron gepanzerte Wagen, Wasserwerfer, Soldaten und Bereitschaftspolizisten eingesetzt, die mit Sturmgewehren und Gummigeschossen bewaffnet waren … Wie wir auf der World Socialist Web Site geschrieben haben, entpuppt sich der kapitalistische Staat erneut als schwach verhüllte Diktatur der Finanzelite.“

Im Gegensatz zum Programm von Jean-Luc Mélenchon, dem Vorsitzenden der Partei La France Insoumise (Unbeugsames Frankreich), kämpfe die Parti de l'égalité socialiste (PES), wie Lantier erklärte, für den Aufbau einer sozialistischen Führung. „Der Weg vorwärts für die Arbeiter erfordert einen vollständigen und kompromisslosen, organisatorischen und politischen Bruch mit den Gewerkschaften und den mit ihnen verbündeten Parteien. Die PES und ihre Schwesterparteien im IKVI bestehen darauf, dass jetzt der Kampf der Arbeiterklasse für den Sozialismus auf der Tagesordnung steht.“

Darauf erklärte Peter Schwarz: „Auch heute, wo der Klassenkampf wiederauflebt, bleibt es die dringendste Aufgabe der Vierten Internationale – wie bei ihrer Gründung im Jahr 1938 – die Krise der Führung zu lösen.“

Das Anwachsen des Klassenkampfs schaffe „die Voraussetzungen für ein enormes Wachstum des IKVI als Weltpartei der sozialistischen Revolution“, fügte Schwarz hinzu. „Aber das ist kein automatischer Prozess. Die Arbeit unserer Partei ist von entscheidender Bedeutung für die politische Orientierung der revolutionären Bewegung, die jetzt in der Arbeiterklasse entsteht.“

Schwarz wies darauf hin, dass „die Bourgeoisie sich der Bedeutung des IKVI sehr wohl bewusst ist“. 2018 hat die deutsche Regierung die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) im Jahresbericht des Verfassungsschutzes als „linksextremistische“ Organisation und als „Beobachtungsobjekt“ eingestuft.

„Die Entscheidung, die SGP auf die Liste zu setzen, war eindeutig eine Reaktion auf unsern wachsenden Einfluss, insbesondere unter den Studierenden, die gegen rechte Ideologie und Militarismus an den Universitäten kämpfen.“

Der Verfassungsschutz wirft der SGP keinerlei kriminelle Handlungen oder Gesetzesverstöße vor. Er begründet seine Einschätzung ausschließlich mit den sozialistischen Ideen, welche die Partei vertritt, weil sie „das Denken in Klassenkategorien“ statt in nationalen Kategorien begünstigen könnten. Der SGP wird vorgeworfen, dass sie danach strebt, in der Arbeiterklasse das Bewusstsein für ihre gesellschaftlichen Interessen zu wecken, dass sie „den Kapitalismus als Ganzes ablehnt“, dass sie sich gegen Imperialismus und Militarismus richtet, und dass sie es ablehnt, Kompromisse mit der Sozialdemokratie, den Gewerkschaften und der Partei Die Linke einzugehen.

Diese Angriffe des Verfassungsschutzes erinnern an die Sozialistengesetze unter Bismarck, als die SPD von 1878 bis 1888 verboten war. Sie erinnern auch an das Verbot der KPD und der Sozialdemokraten während der nationalsozialistischen Herrschaft.

Wie Peter Schwarz erklärte, richten sich die Berichte des Verfassungsschutzes nicht nur gegen die SGP, sondern drücken „in pseudo-juristischer Form die heftige Feindschaft gegen den Sozialismus aus. Sie wurzelt in der Angst vor zunehmender Unzufriedenheit der Arbeiterklasse und ihrer politischen Radikalisierung. Das steckt hinter den Bemühungen, faschistische Ideen wieder hoffähig zu machen.“

Schwarz erläuterte die Rolle des rechtsextremen Akademikers an der Humboldt-Universität, Jörg Baberowski. „Trotz der Tatsache, dass die großen Medien und die Wissenschaft weiterhin geschlossen hinter Baberowski stehen, erkennen immer mehr Studierende und Arbeiter seine Rolle als faschistischer Ideologe.“

Schwarz berichtete über eine Versammlung, an der Ende November Vertreter der ASten von vier Universitäten in Berlin teilgenommen hatten. „Dort sprachen ein Vertreter der deutschen IYSSE und Thomas Scripps von der britischen IYSSE, und sie warnten vor der rechten Gefahr an den Universitäten.“

Heute sei keine Kompromisspolitik mehr möglich, fuhr Schwarz fort. Ein Wachstum der Rechtsextremisten sei zu beobachten, und die Gewerkschaften und reformistischen Organisationen verwandelten sich in rechte bürgerliche Kräfte. „Heute geht es um Sozialismus oder Barbarei. Entweder Kapitalismus, Krieg und Diktatur – oder proletarische Revolution und Sozialismus. Das erfahren immer mehr Arbeiter und Jugendliche in ihrem täglichen Leben.“

Chris Marsden

Chris Marsden zitierte in seiner Rede den Guardian, der befürchtet, dass das „Jahrzehnt der Sparsamkeit eine Debatte über Spaltungen in der britischen Gesellschaft eröffnet“ habe. „Seit 2016 haben solche Argumente eine bisher nicht gekannte Schärfe erreicht.“

Andere Publizisten hätten davor gewarnt, dass „die sozialen und politischen Spannungen auf dem Siedepunkt sind, und dass der Rahmen der Demokratie dadurch zusammenbricht“.

Die SEP verstehe die immensen politischen Spannungen in Großbritannien, fuhr Marsden fort: „Sie beruhen auf einer historisch beispiellosen sozialen Polarisierung zwischen den Klassen, was sich nun in einem globalen Ausbruch des Klassenkampfs ausdrückt.“

Er wies auf das empörte Aufheulen in den Medien hin, als der Labour-Abgeordnete Lloyd Russell-Moyle im Radio sagte: „Ich glaube nicht, dass jemand in diesem Land ein Milliardär sein sollte.“ Daraufhin hatte Corbyn versucht, den Schaden zu begrenzen, und der BBC versichert, dass Milliardäre keinen Grund hätten, „aus Großbritannien zu fliehen, wenn Labour an die Macht kommt“.

Marsden sagte: „Diese Parasiten können der Arbeiterklasse weiter das Blut aussaugen.“ Er berief sich auf Untersuchungen des Equality Trust, denen zufolge „die sechs reichsten Milliardäre des Vereinigten Königreichs gesellschaftlichen Reichtum in Höhe von 39 Milliarden Pfund [47 Milliarden Euro], wenn nicht mehr, geplündert haben. Das entspricht dem, was etwa 13,2 Millionen britische Arbeiter besitzen. Gleichzeitig leben 14 Millionen Menschen in Armut und 1,5 Millionen Menschen sind völlig mittellos.“

Corbyn habe alles versucht, um der herrschenden Klasse seine Harmlosigkeit zu versichern, fuhr Marsden fort. „Aber die herrschende Klasse hält ihn für ungeeignet, Premierminister zu werden. Sie stützt ihre Kampagne auf die CIA und nährt sie mit Behauptungen über Antisemitismus. Während der US-Außenminister Mike Pompeo offen über ein „Push-back“ [Zurückdrängen] spricht, wird sichergestellt, dass Corbyn niemals an die Regierung kommt.“

Das eigentliche Ziel, erklärte Marsden, sei jedoch „die Bedrohung von unten, durch die Arbeiterklasse“.

Er fuhr fort: „Die Sozialistische Gleichheitspartei stützt ihre Perspektive auf den zunehmenden Klassenkampf, der jetzt in einem Land nach dem anderen ausbricht – nach Jahrzehnten, in denen die Labour- und Gewerkschaftsbürokratie ihn unterdrückte.

Überall ist das Wachstum sozialer Ungleichheit die treibende Kraft für einen neuen Aufschwung revolutionärer Kämpfe … Seit vier Jahren, seitdem Corbyn die Labour-Führung übernommen hat, kämpft die Socialist Equality Party gegen die ständigen Versuche der britischen pseudolinken Gruppen, der Labour Party die Chance der Erneuerung anzudichten und zu behaupten, sie werde die überholte national-reformistische Politik wieder aufleben lassen.“

Wie er sagte, sei die SEP gleichzeitig ständig mit den Illusionen in eine neue nationale Entwicklung durch den Brexit konfrontiert worden. Dieselben pseudolinken Tendenzen, die Corbyn förderten, hätten behauptet, dass der Brexit die Grundlage für eine linke Labour-Regierung bilden könne, die sich von den Zwängen der EU und des globalen kapitalistischen Marktes befreien werde.

„Wir kämpfen für eine sozialistische und internationale Perspektive“, sagte Marsden. „Arbeiter müssen sich auf die Lehren der Geschichte stützen. Wir stützen uns nicht auf die Illusionen, die ein angeblich neuer ‚britischer Weg zum Sozialismus‘ unter Corbyn weckt, sondern auf die Realität der Weltkrise des Kapitalismus und darauf, dass ein Ausbruch des globalen Klassenkampfs unweigerlich bevorsteht.

Um das grundlegende Problem der Epoche und die Krise der revolutionären Führung zu lösen, orientieren wir uns an den fortschrittlichsten Elementen der Arbeiterklasse und der jüngeren Generation.“

Schließlich erklärte Marsden, dass die Parlamentswahlen vom 12. Dezember unabhängig von ihrem Ergebnis eine neue Etappe im politischen Leben Großbritanniens einleiten würden.

„Wenn Corbyn es nicht schafft, eine Mehrheit zu gewinnen, oder wenn keine klare Mehrheit zustande kommt, dann werden die Tories inmitten der Krise, in der sich ihre Brexit-Politik befindet, eine soziale und politische Offensive der ungezügelten Grausamkeit gegen die Arbeiterklasse entfesseln.“

Falls es Pompeos „Push-back“ nicht gelingen werde, eine Labour-Regierung zu verhindern, dann werde Labour unter Druck das Notwendige tun und die Diktate der Großkonzerne und der City of London umsetzen. „Und Corbyn wird sein Bestes tun, dem nachzukommen. Es wird auf schmerzhafte Weise dafür sorgen, dass sämtliche Illusionen der ‚Linken‘ zerplatzen.“

Die Blair-Anhänger würden jedoch alles tun, um die Partei zu spalten und die Grundlage für eine politische Neuordnung auf der Rechten zu schaffen, wie sie es seit Monaten vorbereiten.

Marsden sagte: „Es geht nicht nur um schmutzige parlamentarische Intrigen. Führende Vertreter der Streitkräfte und der Sicherheitsdienste haben erklärt, dass eine Corbyn-Regierung eine Bedrohung für die nationale Sicherheit darstelle, und sie haben vor einer ‚Meuterei‘ gewarnt.“

Er schloss seinen Beitrag mit den Worten: „Die britische herrschende Klasse bereitet sich auf konterrevolutionäre Gewalt gegen die Arbeiterklasse vor. Unter Labour wird es keine neue Periode des sozialen Friedens und der ‚nationalen Einheit‘ geben … Die Arbeiter werden früher oder später gezwungen sein, sich zu wehren und sich der Bewegung anzuschließen, die sich jetzt auf der ganzen Welt entfaltet. Sie werden nach einer Partei suchen, die bereit ist, zu kämpfen, und die die nötigen Antworten geben kann.“

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