Perspektive

Die Libyen-Konferenz und der neue Wettlauf um Afrika

Am Sonntag findet in Berlin eine hochrangige Libyen-Konferenz statt. Unter der Schirmherrschaft der deutschen Bundesregierung und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) kommen die Führer der zentralen imperialistischen Mächte Europas und der USA zusammen, um über das weitere Schicksal des rohstoffreichen Landes und letztlich des gesamten Kontinents zu bestimmen. Erwartet werden neben den Präsidenten Russlands und Chinas und der wichtigsten Regionalmächte – darunter Ägypten, Algerien und die Türkei – auch die Kontrahenten im libyschen Bürgerkrieg, Premierminister Fayiz as-Sarradsch und General Chalifa Haftar, sowie Vertreter der Afrikanischen Union.

Bereits der Ort und der Name der Zusammenkunft sind kein Zufall. Aber das Treffen erinnert auch in seiner Form an die berüchtigte Kongo-Konferenz, die auf Einladung des damaligen deutschen Reichskanzlers Bismarck vom 15. November 1884 bis zum 26. Februar 1885 in Berlin stattfand. Damals verabschiedeten Vertreter der USA, des Osmanischen Reichs, der europäischen Mächte und Russlands die sogenannte „Kongoakte“. Sie beschleunigte die Aufteilung Afrikas in Kolonien und verschärfte letztlich die Spannungen zwischen den imperialistischen Mächten, die im August 1914 schließlich im Massenschlachten des Ersten Weltkriegs gipfelten.

Bereits vor der Kongo-Konferenz war der Wettlauf um Afrika voll entbrannt. Frankreich besetzte 1881 Tunesien und 1884 Guinea. 1882 marschierten britische Truppen in Ägypten ein, das damals offiziell zum Osmanischen Reich gehörte. Italien unterwarf in den Jahren 1870 und 1882 Teile von Eritrea. Das Deutsche Reich verleibte sich im April 1884 Deutsch-Südwestafrika (heute Namibia) ein. Im Juli des gleichen Jahres folgten Togo und Kamerun, die ebenfalls zu sogenannten „Schutzgebieten“ deklariert wurden.

Mit der Kongo-Konferenz nahm die koloniale Unterwerfung Afrikas, die mit einem bis dato nicht gekannten Ausmaß an imperialistischer Barbarei einherging, an Tempo zu. Innerhalb weniger Jahre war der Kontinent nahezu komplett aufgeteilt. Der Kongo fiel an Belgien, der größte Teil der Sahara an Frankreich, Berlin sicherte sich Deutsch-Ostafrika (die heutigen Länder Tansania, Burundi und Ruanda, sowie ein Teil Mosambiks) und Großbritannien eroberte durch die endgültige Niederschlagung des Mahdi-Aufstands 1899 den Sudan. Es folgte die Unterwerfung Südafrikas durch Großbritannien im Zweiten Burenkrieg (1899 bis 1902), die Aufteilung Marokkos durch Frankreich und Spanien und die Eroberung Libyens durch Italien 1912.

Wie Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts geht es unter dem Deckmantel von „Diplomatie“ und „Frieden“ auch heute um die Durchsetzung nackter imperialistischer Interessen. In einem Kommentar zur Libyen-Konferenz im Tagesspiegel heißt es ganz unverblümt: „Die strategische Bedeutung Libyens ist der Grund, warum dort so viele mitmischen wollen – obwohl es doch generell nicht attraktiv ist, Soldaten oder Söldner sowie Milliarden in einen Bürgerkrieg mit ungewissem Ausgang zu investieren. Libyen hat Öl. Wer Libyen beherrscht, kontrolliert die derzeit bedeutsamste Migrationsroute nach Europa – und wird damit zum unverzichtbaren Partner der EU.“

Der Autor, Christoph von Marschall, dessen adlige Vorfahren bezeichnenderweise hochrangige Außenpolitiker des Deutschen Reichs waren, spricht offen aus, an welche Traditionen Berlin wieder anknüpft. „Deutschland braucht jetzt den realpolitisch kühlen Blick eines Otto von Bismarck. Und sein diplomatisches Geschick als ‚ehrlicher Makler‘“, fordert er. Dabei bedeute „die Rolle des Maklers nicht, dass er altruistisch sein muss und keine eigenen Interessen vertreten darf. Die hat Deutschland: Stabilität in Libyen, Reduzierung des Drucks auf Europa durch unkontrollierte Migration.“

Damals wie heute ist der „ehrliche Makler“ in Wirklichkeit ein imperialistischer Räuber, der einen „Platz an der Sonne“ erstrebt. Hatte sich die Bundesregierung beim Nato-Bombardement Libyens 2011 noch zurückgehalten, mischt sie seit der außenpolitischen Wende 2013/14 auch in Afrika umso aggressiver mit. Deutschland beteiligt sich mit mehr als 1000 Soldaten an der von Frankreich geführten Besatzung Malis, unterhält einen Militärstützpunkt im benachbarten Niger und formuliert immer offener seine imperialistischen Gelüste auf dem ganzen Kontinent.

Im vergangenen März aktualisierte die Bundesregierungen ihre „Afrikapolitischen Leitlinien“, die erstmals im Mai 2014 beschlossen worden waren. Das Papier beschwört die „wachsende Relevanz Afrikas für Deutschland und Europa“, die sich unter anderem aus der wachsenden, dynamischen Wirtschaft und den „reichen natürlichen Ressourcen“ des Kontinents ergebe. Die Bundesregierung wolle deshalb „das politische, sicherheitspolitische und entwicklungspolitische Engagement Deutschlands in Afrika gezielt“ stärken, „früh, schnell, entschieden und substanziell“ handeln und „ressortübergreifend … das gesamte Spektrum ihrer vorhandenen Mittel einsetzen“.

Die anderen imperialistischen Mächte verfolgen ähnliche Ziele und haben in den letzten Jahren ebenfalls ihr militärisches und politisches Eingreifen auf dem Kontinent verstärkt. Frankreich hat sein Engagement in der Sahel-Zone massiv ausgeweitet, und auch die USA intervenieren stärker in Afrika, vor allem um den russischen und chinesischen Einfluss zurückzudrängen. Neun Jahre nach dem Nato-Bombardement Libyens, das weite Zeile der Infrastruktur des Landes zerstörte, tausenden Zivilisten den Tod brachte und zur brutalen Ermordung des Staatsoberhaupts Muammar al-Gaddafi führte, steht das nordafrikanische Land erneut im Zentrum einer imperialistischen Intrige. Allerdings unter weitaus verschärften Bedingungen. Nun stehen sich die damaligen Kriegsmächte teilweise direkt gegenüber und kämpfen um die Kontrolle der Beute.

Im vergangenen Jahr unterstützte Frankreich im Bündnis mit Russland, Ägypten und den Vereinigten Arabischen Emiraten zumindest inoffiziell Haftar, während Italien und Katar eng mit der international anerkannten Übergangsregierung (GNA) von as-Sarradsch zusammenarbeiteten. Die Türkei begann am 5. Januar mit der Entsendung von Soldaten nach Tripolis, um die GNA gegen Haftars Militäroffensive zu stärken. Die Entscheidung wurde neben den offenen Verbündeten des Generals auch von US-Präsident Trump und der deutschen Regierung kritisiert. Vor allem Berlin versucht, seine Kontakte zu beiden Bürgerkriegsparteien zu nutzen, um die Konfliktparteien zusammenzubringen und den eigenen Einfluss zu erhöhen.

Vieles deutet darauf hin, dass Berlin und Brüssel hinter den Kulissen eine umfassende Militärintervention vorbereiten. Am Freitag schloss der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell einen Militäreinsatz der Europäischen Union in Libyen nicht aus. „Zentral ist, dass wir unsere Interessen stärker und notfalls auch robust durchsetzen“, erklärte er in einem Interview mit dem Spiegel. „Wenn es einen Waffenstillstand in Libyen gibt, dann muss die EU bereit sein, bei der Umsetzung und der Überwachung dieses Waffenstillstandes zu helfen – eventuell auch mit Soldaten, etwa im Rahmen einer EU-Mission.“

Borrell ließ keinen Zweifel daran, dass ein solcher Militäreinsatz schnell auf weite Teile Nordafrikas ausgeweitet werden könnte und auch dazu dient, die europäischen Interessen stärker gegen Russland, China und die USA durchzusetzen. „Die Lage in der Sahelzone ist nicht besser – im Gegenteil. Im vergangenen Jahr wurden allein in Mali, Burkina Faso und Niger 1500 Soldaten im Kampf gegen Terroristen getötet.“ Die gesamte Region sei „ein Pulverfass“.

Europa habe jedoch „viele Möglichkeiten, Macht auszuüben. Wir müssen es nur wollen. Ich rede ja nicht von militärischer Macht, jedenfalls nicht nur. Das neue Jahr hat kaum begonnen, und fast scheint es, als gäbe es überall nur Krisen. Da sollten wir wissen, was unsere Ziele sind. Und wir müssen notfalls bereit sein, diese Ziele auch dann zu verteidigen, wenn sie denen unserer Verbündeten zuwiderlaufen.“

Schon die Konfliktsituation gepaart mit den Drohgebärden am Vorabend der Konferenz bestätigen die Analyse, die Lenin in seinem klassischen Werk „Der Imperialismus“ gemacht hat: „Unter dem Kapitalismus ist für die Aufteilung der Interessen- und Einflusssphären, der Kolonien usw. eine andere Grundlage als die Stärke der daran Beteiligten, ihre allgemeinwirtschaftliche, finanzielle, militärische und sonstige Stärke, nicht denkbar.“

Bündnisse zwischen imperialistischen Mächten, so Lenin, sind daher „notwendigerweise nur ‚Atempausen‘ zwischen Kriegen – gleichviel, in welcher Form diese Bündnisse geschlossen werden… Friedliche Bündnisse bereiten Kriege vor und wachsen ihrerseits aus Kriegen hervor, bedingen sich gegenseitig, erzeugen einen Wechsel der Formen friedlichen und nicht friedlichen Kampfes auf ein und demselben Boden imperialistischer Zusammenhänge und Wechselbeziehungen der Weltwirtschaft und der Weltpolitik.“

Arbeiter und Jugendliche müssen die Libyen-Konferenz genauso als Warnung verstehen wie die völkerrechtswidrige Ermordung des iranischen General Qassim Soleimani und die US-Kriegsvorbereitungen gegen den Iran. Die tiefe Krise des kapitalistischen Systems treibt die Mächte immer tiefer in den Abgrund imperialistischer Kriegspolitik und Barbarei. Die Vorbereitung neuer neokolonialer Angriffskriege in Afrika und im Nahen und Mittleren Osten, die die Gefahr eines dritten Weltkriegs heraufbeschwören, kann nur durch die Mobilisierung der internationalen Arbeiterklasse auf der Grundlage eines sozialistischen und revolutionären Programms verhindert werden.

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