Italien: Spontane Streiks fordern Produktionsstopp in den Fabriken

In Italien steigt die Zahl der Corona-Infizierten unaufhaltsam weiter. Am Sonntag wurden fast 25.000 Erkrankte und über 1.800 Tote gezählt. Gleichzeitig kam es überall auf der Halbinsel zu spontanen Streiks für einen Produktionsstopp in den Fabriken und für eine bessere Bekämpfung der tödlichen Krankheit.

Als Ministerpräsident Giuseppe Conte Angestellte aufforderte, möglichst zuhause zu bleiben und per Homeoffice zu arbeiten, griffen Fabrikarbeiter diese Forderung auf und verlangten ihrerseits die Stilllegung von Industriebetrieben, die für die Bekämpfung des Virus nicht von Bedeutung sind.

Damit widersetzen sie sich auch der korrupten italienischen Gewerkschaftsbürokratie, die eng mit den Banken und der Conte-Regierung zusammenarbeitet. Diese unterstützt die Fortsetzung der Produktion, obwohl die Krankheit Millionen Todesopfer fordern könnte. Die spontanen Streiks sind Teil einer wachsenden internationalen Streikwelle der Arbeiterklasse gegen die kriminelle Gleichgültigkeit der Finanzaristokratie in Zeiten der Coronavirus-Pandemie. Auch die Postbeschäftigten in London, die privaten Busfahrer in Paris und die Fiat-Chrysler-Arbeiter in Kanada haben die Arbeit niedergelegt.

Fiat-Chrysler-Werk Pomigliano bei Neapel (Photo: Ra Boe)

Die Streikwelle begann offenbar im Fiat-Chrysler-Werk in Pomigliano bei Neapel, in dem 6.000 Arbeiter beschäftigt sind. Autoarbeiter, die weiterhin luxuriöse Alfa-Romeos für die Superreichen bauen sollten, legten am letzten Dienstag zu Beginn der Spätschicht um 14 Uhr spontan die Arbeit nieder, um gegen ihre unsicheren Arbeitsbedingungen zu protestieren.

Am Mittwoch kündigte FCA die Schließung des Werks in Pomigliano und weiterer Werke in Melfi, Atessa und Cassino bis Samstag an. Allerdings behauptete das FCA-Management, es werde die Werke „grundreinigen“ lassen, um die Arbeiter danach wieder an die Arbeit zu zwingen. Damit demonstriert es seine kriminelle Verachtung gegenüber der Gefahr, dass sich Arbeiter und andere Angestellte in den Werken untereinander anstecken.

Am gleichen Abend musste Ministerpräsident Conte weitere Notfallmaßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie ankündigen. Er gab die Schließung aller Restaurants, Museen und nicht lebensnotwendigen Läden, das Verbot von öffentlichen Versammlungen und weitere Reiseeinschränkungen bekannt. Zudem müssen im Prinzip alle Bürger zu Hause bleiben.

Das soll indessen nicht für die großen Konzerne gelten; ihnen wurden keine Einschränkungen auferlegt. Sie lassen die Arbeiter weiterhin dicht gedrängt an Produktionsstraßen arbeiten, damit die Profite nicht geschmälert werden. Das bedeutet, dass jeden Tag weitere Arbeiter sich und ihre Familien an einer Krankheit anstecken, die nicht behandelbar und potenziell tödlich ist.

Von Mittwoch bis Freitag breitete sich die Streikwelle auf alle wichtigen Industriezweige in ganz Italien aus. Der Corriere della Sera schrieb: „Die Arbeiter streiken gegen das Coronavirus, bzw. gegen die Regierung, die trotz des Coronavirus die Fabriken offenhält.“

Die internationalen Mainstreammedien blenden die Streikwelle fast vollkommen aus. Die herrschende Klasse befürchtet, dass sich die gleiche explosive Wut überall Bahn bricht, und dass das Beispiel der italienischen Arbeiter weltweit Schule machen könnte.

Am Donnerstag schrieb die Zeitung Secolo d’Italia, in Brescia „haben die Arbeiter in mehreren Fabriken spontane Streiks aufgenommen“. Brescia ist die Region in der Lombardei, die am stärksten von der Krankheit betroffen ist. Weiter heißt es: „Ein Streikausbruch wurde auch aus Grottaglie, im apulischen Tarent, gemeldet.“

Die Schiffsbauer bei Fincantieri in Ligurien legten die Arbeit nieder, nachdem ein Arbeiter positiv auf das Coronavirus getestet wurde. Ihr Streik breitete sich schnell auf andere Schiffswerften auf der ligurischen Halbinsel aus.

Laut der stalinistischen Gewerkschaftszeitung Rassegna Sindicale haben am Donnerstag die Arbeiter des Kühlaggregatherstellers Scotsman Ice in Pogliano Milanese und beim Autozulieferer Bitron in Cormano die Arbeit niedergelegt.

Am Freitag weigerten sich in Solaro mehr als 700 Electrolux-Beschäftigte, überwiegend Frauen, an die Arbeit zurückzukehren. Auch in einer Schraubenfabrik in Lobo di Cornaredo und bei Tecnomagnete in Lainate wurde gestreikt. In Mantua legten mehr als 450 Beschäftigte des Bekleidungsunternehmens Corneliani die Arbeit nieder. Wie die Zeitung Voce di Montova schrieb, wollten sie damit „gegen die Unfähigkeit der Regierung protestieren … die Stilllegung von Unternehmen durchzusetzen, die nicht am Kampf gegen das Virus beteiligt sind“. Im toskanischen Pistoia begannen Arbeiter des Eisenbahnkonzerns Hitachi einen einwöchigen Streik bis zum 21. März.

Die ganze italienische Stahlindustrie ist von Arbeitsniederlegungen betroffen. Die meisten metallverarbeitenden Betriebe haben die Produktion bis zum 22. März eingestellt. Angesichts der wachsenden Rebellion der Belegschaften war die wichtigste nationale Metallarbeitergewerkschaft am Freitag gezwungen, vor Streiks in der ganzen Branche bis zum 22. März zu warnen, wenn die Unternehmen den Betrieb nicht freiwillig einstellten.

WieIl Riformista schrieb, hat die Gewerkschaft die vage Forderung aufgestellt, die Löhne sollten „hauptsächlich mit vertraglichen Maßnahmen oder sozialen Sicherheitsnetzen abgedeckt werden, wie es das Gesetz vorschreibt“. Das bedeutet, die Arbeiter haben keine glaubwürdige Garantie, dass sie während der Pandemie den vollen Lohn erhalten.

Die Gewerkschaftsbosse haben dabei geholfen, Arbeiter in den Betrieben zu halten, bis die ersten Streiks ausbrachen. Sie haben erst zu Streiks aufgerufen, als die Arbeiter von sich aus die Arbeit niederlegten. Die Bürokraten haben genauso große Angst vor den Streiks wie die Regierung und die Unternehmen, und sie sind entschlossen, sie schnellstmöglich zu beenden. Die Generalsekretärin der stalinistischen italienischen Metallarbeitergewerkschaft FIOM, Francesca Re David, rief die Regierung zu Notfallgesprächen mit den Unternehmern und den Gewerkschaften auf, um die weitere Ausbreitung der spontanen Streiks einzudämmen.

Am Freitag veranstaltete Ministerpräsident Conte eine Notfall-Videokonferenz mit den Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden. Danach lobte die Regierung in ihrer Erklärung die Vertreter der Gewerkschaften und des Managements für ihre „maximale Zusammenarbeit, um eine gemeinsame Lösung zu finden“. Conte „wusste das Verantwortungsbewusstsein aller Sozialpartner sehr zu schätzen und betonte die sehr konstruktive Atmosphäre bei der Konferenz“. Am Freitagabend fand eine weitere Konferenz statt, und Conte äußerte sich „zuversichtlich, dass alle bereit sind, die Arbeit schnellstmöglich zu erledigen“.

Die Regierung, die Gewerkschaften und die Konzerne wollen „konstruktiv“ zusammenarbeiten, um Arbeiter zu zwingen, während der Pandemie in den Fabriken zu verbleiben. Sie sollen ihr Leben riskieren, um die Forderung der Superreichen zu erfüllen, dass auch während der Pandemie nichts ihre Vermögen gefährden darf. Wie die World Socialist Web Site es am Freitag in ihrer Perspektive formulierte: „Die kapitalistischen Oligarchen handeln getreu dem Motto: ,Wenn Millionen sterben müssen, damit wir Milliarden scheffeln können – so sei es.‘“

Arbeiter dürfen diese schmutzigen Manöver nicht länger akzeptieren. Um die Gesundheit und das Überleben der Bevölkerung zu gewährleisten, muss die Arbeiterklasse den Unternehmern, der Conte-Regierung und ihren Lakaien in den Gewerkschaftszentralen die Kontrolle entziehen. Die Entscheidung, welche Werke während der Corona-Pandemie in Betrieb bleiben, darf sie nicht den Finanzmärkten und ihren korrupten Vertretern in Politik und Gewerkschaften überlassen.

Dies erfordert den Aufbau von Aktionskomitees, die unabhängig von den Gewerkschaften agieren und von Arbeitern kontrolliert werden. Sie müssen die Kämpfe der Arbeiterklasse koordinieren, Versuche abwehren, Arbeiter zur Weiterarbeit zu zwingen, die Stilllegung von Werken durchsetzen und sicherstellen, dass Arbeiter in Selbstisolation ihren vollen Lohn erhalten. Letzten Endes können sie auch die Wiedereröffnung und den sicheren Betrieb der Werke nach der Pandemie überwachen.

Um dies gegen den Widerstand der Gewerkschaften und der herrschenden Klasse durchzusetzen, brauchen sie eine revolutionäre Perspektive gegen die Conte-Regierung und ihre Hintermänner aus den internationalen Finanzmärkten und in der Europäischen Union.

Die Coronavirus-Pandemie ist der ultimative Beweis dafür, dass die Kapitalistenklasse unfähig ist zu regieren. Am Samstagmorgen versprach ein in Panik geratener Conte „persönliche kostenlose Schutzausrüstung und Masken für alle Arbeiter“, um sie zurück an die Arbeit zu zwingen. Er erklärte, alle Arbeiter der betroffenen Werke, die zur Arbeit gehen und damit ihr Leben und das ihrer Familien, Freunde und Angehörigen aufs Spiel setzen, würden „große Verantwortung für die ganze nationale Gemeinschaft“ auf sich nehmen.

Was für ein Unsinn! Dieser „Akt großer nationaler Verantwortung“ würde gewährleisten, dass die Banken weiter ihre Profite erhalten und die Gewerkschaftsbürokraten ihre aufgeblähten Gehälter, während die Arbeiter den Tod ihrer Angehörigen riskieren.

Es ist Zeit für eine Revolution. Es ist Zeit, die Austeritätspolitik der EU und der ganzen Welt umzudrehen. Jahrzehntelang hat die Kapitalistenklasse die Ausgaben für das Gesundheitswesen, die Löhne und die Lebensbedingungen drastisch zusammengestrichen. Nun müssen die unrechtmäßig erworbenen Reichtümer der Finanzaristokratie enteignet werden, um die notwendige Infrastruktur aufzubauen und zu finanzieren.

In Italien und im Rest der Welt sind zig Millionen Menschenleben davon abhängig, dass die politische Macht an die Arbeiterklasse übergeht, und dass der Kapitalismus durch den Sozialismus abgelöst wird.

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