„Diese Konzerne sind bereit, uns am Band zu töten“

USA: Arbeiter von Fiat-Chrysler und Lear trotzen UAW und Werksleitung

Die Gewerkschaft United Auto Workers (UAW) gab am Dienstagabend bekannt, dass sie angesichts der Coronavirus-Pandemie mit den drei großen Autokonzernen lediglich „rotierende Teilabschaltungen“ vereinbart habe. Damit widersetzt sie sich den weit verbreiteten Forderungen der Autoarbeiter nach einer sofortigen Einstellung der Produktion.

„Wir haben heute Abend stundenlang mit der Führung der Big Three gesprochen und von ihnen verlangt, das Richtige für unsere Mitglieder zu tun“, schrieb die UAW in ihrer Erklärung. „Alle drei Unternehmen haben sich auf neue Maßnahmen geeinigt, die die Einhaltung der CDC-Empfehlungen zur sozialen Distanzierung am Arbeitsplatz erhöhen werden. Am wichtigsten ist, dass alle drei Unternehmen zugestimmt haben, die rotierende Teilabschaltung von Einrichtungen, die umfassende Tiefenreinigung der Maschinenparks zwischen den Schichten, längere Zeiträume zwischen den Schichten und umfangreiche Pläne zur Vermeidung von Mitgliederkontakten zu prüfen und umzusetzen.“

Die Vereinbarung zwischen der UAW und den Autofirmen, die Autoarbeiter am Band zu halten und zu Hunderten und Tausenden in die Fabriken zu pferchen, ist gesellschaftlich kriminell. Sie wird die weitere Verbreitung der Krankheit und unzählige weitere Todesfälle und chronische Krankheiten nach sich ziehen.

Autozulieferer Lear Corporation in Hammond, Indiana

Die Arbeiter sind mit Entscheidungen auf Leben und Tod konfrontiert, die sie nicht den steinreichen Führungskräften und ihren bestochenen Agenten von der UAW überlassen dürfen. Die Beschäftigten müssen unverzüglich handeln, sie müssen sich zusammenschließen und gemeinsame Maßnahmen zum Stopp der Autofabriken beschließen, um sich und die Bevölkerung vor COVID-19 zu schützen. Solche Aktionen müssen mit der Forderung verbunden werden, Vollzeit- und Zeitarbeitskräfte für alle Einkommensverluste voll zu entschädigen und die Ressourcen massiv umzulenken, weg von der Wall Street und hin zur Bekämpfung der Pandemie.

Auf die Facebook-Mitteilung der UAW reagierten viele Arbeiter mit bitterem Zorn:

RW: Es tut mir leid, dies zu sagen, aber wenn irgendwelche Mitglieder oder unsere Familien sterben, weil sie bei der Arbeit mit dem Coronavirus in Kontakt gekommen sind, wird ihr Blut an den Händen unserer Arbeitgeber kleben. Ihnen geht es nur um den Profit. Wir sind mehr als nur Zahlen! Wir haben Familien. So lang werden immer neue Menschen krank werden, bis niemand mehr die Bänder bedienen kann, und was dann? Wir können jetzt entschieden zusammenstehen. Oder langsam und individuell einem Virus zum Opfer fallen, der nicht geheilt werden kann.

DF: In unserem Pausenbereich gibt es noch nicht einmal Handdesinfektionsmittel. Die Bedingungen in der Anlage sind bereits unter allen Standards, und das Unternehmen unternimmt nichts. Inakzeptabel!

DL: Auch hier wird also nichts unternommen und die Arbeiter sind nicht geschützt.

Arbeiter des FCA-Montagewerks Sterling Heights bei Detroit

Unter dem starken Druck der Produktionsarbeiter versucht die UAW, jede unabhängige Aktion zur Abschaltung der Werke zu verhindern. Am vergangenen Wochenende schlossen sich UAW-Präsident Rory Gamble und drei Gewerkschaftsvizepräsidenten einer Arbeitsgruppe der Betriebsleitung sowie den Vorstandsvorsitzenden von GM, Ford und Fiat Chrysler an, die in einer gemeinsamen Erklärung behaupteten, dass alles getan werde, um die Sicherheit der Beschäftigten zu gewährleisten.

Als der Ärger in den Werken wuchs und die Arbeiter begannen, die Sache selbst in die Hand zu nehmen, gab Gamble am Dienstagmorgen eine Erklärung heraus, in der es hieß, dass die Gewerkschaft „eine zweiwöchige Betriebsschließung zum Schutz unserer Mitglieder, unserer Familien und unserer Gemeinden gefordert“ habe. Allerdings hat sie diese Forderung, wie nicht anders zu erwarten, seither wieder aufgegeben.

Hunderte von Autoarbeitern versammelten sich am Dienstagnachmittag vor den Toren des Tipton-Getriebewerks von Fiat Chrysler in Indiana. Sie weigerten sich, die zweite Schicht aufzunehmen, weil es keine ernsthaften Maßnahmen zum Schutz gegen das Coronavirus gibt. Die Arbeiter berichten, dass bis zu sechs Beschäftigte in dem Werk infiziert sein könnten. Das Werk liegt nur etwa zwanzig Kilometer vom Getriebewerk Kokomo entfernt, wo letzte Woche der erste Fall von COVID-19 in einem Autowerk gemeldet wurde.

Am Tag zuvor hatten 17 Arbeiter in der Lackiererei des Lkw-Montagewerks der FCA in Warren, einem Vorort von Detroit, wegen der Gefahr für ihre Gesundheit die Arbeit niedergelegt und die Produktion verzögert. Schließlich verhinderten Funktionäre der UAW mit dem Management zusammen die Ausbreitung der Aktion auf das gesamte Werk, das fast 2200 Arbeiter beschäftigt. In der vergangenen Woche legten die Arbeiter des FCA-Montagewerks im kanadischen Windsor mit 6.000 Arbeitern die Arbeit nieder, nachdem sie von dem Fall im Werk Kokomo gehört hatten. Auch dort war es so, dass die Gewerkschaft Unifor sie zurück an die Arbeit schickte.

Die Protestaktionen sind Teil einer wachsenden Bewegung von Arbeitern in den Autofabriken und anderen Industriezweigen. Sie zielen darauf ab, die nicht lebensnotwendige Produktion zu stoppen. In Italien und in ganz Europa waren Fiat Chrysler und andere Autofirmen nach einer Welle spontaner Streiks gegen die Ausbreitung der tödlichen Krankheit gezwungen, ihre Betriebe zu schließen. In Spanien setzten sich am Montag die Arbeiter eines Mercedes-Werks in Vitoria-Gasteiz an das Ende des Fließbands und stellten die Produktion ein.

In den USA versucht die UAW verzweifelt, die Arbeiter bei der Stange zu halten, damit die Autokonzerne trotz der weltweiten Konjunkturabschwächung weiterhin Gewinne erzielen können.

Am Dienstag gab Fiat Chrysler bekannt, dass ein Arbeiter im FCA-Montagewerk Sterling Heights in einem Vorort von Detroit positiv getestet worden sei. Das ist damit der erste Fall in Michigan, dem Zentrum der US-Autoindustrie. Das Werk, das mehr als 7.500 Arbeiter beschäftigt, produziert den hochprofitablen Pickup Ram 1500.

General Motors und Ford bestätigten am Dienstag auch, dass zwei Angestellte in Entwicklungszentren positiv getestet worden waren: einer im Tech Center von General Motor in Warren, Michigan, und einer in der Ford-Produktentwicklung in Dearborn, ebenfalls Michigan. Die Autohersteller haben Anordnungen für Führungskräfte und Angestellte erlassen, von zu Hause aus zu arbeiten, bestehen aber darauf, dass die Arbeiter in den infizierten Betriebsteilen weiterschuften.

Rory Gamble, UAW-Präsident (AP-Foto/Paul Sancya)

In Hammond, Indiana, verließen zahlreiche Arbeiter des Autozulieferers Lear das Werk, nachdem ein Vorgesetzter der Autositzfabrik positiv auf das Coronavirus getestet worden war. Das zwang das Unternehmen, das Werk zu schließen und die Arbeiter nach Hause zu schicken, bis sie, wie es hieß, die Montagehallen durch „Abspritzen“ gesäubert hätten.

„Das ist kompletter Bull Shit“, sagte ein Lear-Arbeiter der WSWS. „Sie kümmern sich nicht um die einfachen Leute, ihnen geht es nur ums Geld.“ Als die Lieferungen von Autositzen aus diesem Werk unterblieben, führte dies sofort zum Stillstand des nahe gelegenen Chicago-Montagewerks von Ford.

Am Dienstag, als die Arbeiter sich vor dem FCA-Getriebewerk Tipton, Indiana, versammelten, berichteten Autoarbeiter laufend dem WSWS-Autoworker Newsletter über die Protestaktion.

Einer rief an und sagte: „Ich bin in der zweiten Schicht, und die Arbeiter versuchen gerade, sich in der Lobby zu versammeln. Sie weigern sich, die Arbeit aufzunehmen. Management und Gewerkschaft versuchen es zu vertuschen, aber hier im Tipton-Getriebewerk gibt es sechs infizierte Fälle. Sie haben uns gerade gesagt, dass wir sofort entlassen werden, wenn wir jetzt gehen. Rick Ward und Jerry Price [Präsident und Vizepräsident von UAW Local 865] sind mit dem Unternehmen einer Meinung. Laut unserm Vertrag ist ‚Gefahr im Verzug‘ der einzige Grund, warum Gewerkschaftsmitglieder die Arbeit verweigern können, und das hier ist eine unmittelbare Gefahr.“

„Es stehen gerade 300 Menschen vor dem Werk, und uns wurde gesagt, dass wir gekündigt werden, wenn wir nicht zur Arbeit gehen“, berichtete ein anderer Arbeiter. „Die Firma sagt, das sei eine Arbeitsniederlegung. Aber niemand interessiert sich für die Arbeiter des Tipton Getriebewerks. Es ist ein Witz, zu versuchen, Ward und Price dazu zu bringen, für uns einen Finger zu rühren. Die sind beide in der freiwilligen Selbstquarantäne, während der Rest von uns und unsere Familien COVID-19 ausgesetzt werden. Das muss dem Letzten die Augen über die UAW öffnen, und wir sollten aufhören, Beiträge zu zahlen.“

Da sich die Beschäftigten weigerten, die Arbeit aufzunehmen, hielten die Gewerkschaft und die Unternehmensleitung eine Betriebsversammlung ab, auf der die Arbeiter aus den verschiedenen Hallen sie wütend anprangerten. Als die Beschäftigten versuchten, die Konfrontation mit der Gewerkschaft und der Unternehmensleitung auf Video aufzunehmen, wurden sie mit Entlassung bedroht.

Am Montag hatte der Bundesstaat seinen ersten Todesfall durch die COVID-19-Krankheit bekannt gegeben. Der Gouverneur von Indiana, Eric Holcomb, sagte darauf alle Versammlungen von mehr als 50 Personen ab und schloss Bars, Clubs und Restaurants. Am Dienstag sagte er alle nicht unbedingt notwendigen öffentlichen Meetings ab und aktivierte die Nationalgarde des Bundesstaates.

Aber die keineswegs systemrelevante Produktion in den Fabriken, in denen Tausende von Arbeitern die Krankheit auf sich und ihre Familien übertragen können, geht weiter.

Ein junger Ford-Arbeiter im Lastwagenwerk Dearborn sagte der WSWS: „Es ist an der Zeit, dass wir aus den Werken herauskommen, denn diese Konzerne sind bereit, uns am Band zu töten. Die Aktienkurse sind nicht unsere Priorität. Wir haben ein kapitalistisches System, das die Arbeiter und ihre Familien bekämpft. Das ist ein echter Weckruf. Sie senken die Zinssätze für die Investoren und sagen uns, dass für Tests und Gesundheitsfürsorge nicht genügend Geld da sei. Die Menschen werden krank und kommen zur Einsicht, dass wir die Dinge selbst kontrollieren müssen, denn dieses System achtet nicht auf uns.“

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Die WSWS berichtet täglich über die Erfahrungen, die Arbeiter auf der ganzen Welt mit der Corona-Pandemie und der völlig unzureichenden Reaktion der herrschenden Klasse darauf machen. Schickt uns Eure Erfahrungen, damit wir sie anderen Arbeitern zugänglich machen können! Lest die Erklärung der amerikanischen Schwesterorganisation der Sozialistischen Gleichheitspartei: Ein Aktionsprogramm für die Arbeiterklasse.

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