Zahl der Toten durch Coronavirus in Europa steigt, Italien lässt Särge vom Militär abtransportieren

Überall in Europa werden Schulen, Universitäten und Betriebe geschlossen. In Italien, Frankreich und Spanien wurden Ausgangssperren für die Bevölkerung verhängt. Dennoch stieg die Zahl der Todesopfer durch das Coronavirus am Freitag in Europa kontinuierlich an. Von den zu diesem Zeitpunkt 259.215 Coronavirus-Fällen weltweit entfielen 129.216 Erkrankte und 6.066 Tote auf Europa. 1.044 der 1.324 Todesopfer vom Freitag stammten aus Europa, davon 24 in Deutschland, 33 in Großbritannien, 78 in Frankreich, 261 in Spanien und 627 in Italien.

In China, dem ursprünglichen Epizentrum der Pandemie, gab es insgesamt 3.248 Tote und 80.967 Erkrankte, von denen über 70.000 wieder genesen sind. Die Zahl der akuten Fälle sinkt dort zudem stetig, da die Ausbreitung der Krankheit durch drastische Quarantänemaßnahmen und aggressive Behandlungen weitgehend aufgehalten werden konnte. Doch in Europa, dem neuen Epizentrum, verbreitet sie sich noch immer unkontrolliert und überlastet die Krankenhäuser zusehends mit Patienten, die an der durch das Virus ausgelösten Lungenentzündung sterben.

In Italien gibt es 47.021 Erkrankte und 4.032 Todesopfer – mehr als in China, dessen Bevölkerung 23-mal so groß ist. Das Gesundheitssystem in Norditalien, dem europäischen Epizentrum der Krankheit, ist so überlastet, dass es sich weder um die Leichen der Opfer kümmern, geschweige denn alle Kranken behandeln kann. Am Feitag erreichte Italien mit 627 die höchste Zahl an Todesopfern an einem Tag von sämtlichen Ländern, die von der Pandemie betroffen sind. In den Tagen zuvor waren es jeweils mehr als 400 Tote.

Ein Patient in einer Bioabdichtungseinheit wird auf einer Trage von einem Krankenwagen in das Columbus Covid 2 Hospital in Rom gebracht. (AP Photo/Alessandra Tarantino)

In Italien spielt sich eine Tragödie von ungeheuerlichen Ausmaßen ab. Die italienische Regierung hat einen Konvoi aus 15 Militärlastern nach Bergamo geschickt, wo die Zahl der Todesfälle schneller steigt, als die Behörden und Kirchen sie beerdigen oder verbrennen können. Die Lastwagen wurden mit Särgen beladen, die zur Bestattung in andere Städte gebracht werden. Als sie nachts durch die leeren Straßen von Bergamo fuhren, filmten die unter Ausgangsverbot stehenden Einwohner den Konvoi aus ihren Wohnungen.

Die Ärzte werden von der italienischen Regierung im Stich gelassen und bitten in den sozialen Netzwerken verzweifelt um Hilfe. Dr. Stefano Fagiuoli vom Papa-Giovanni-Krankenhaus in Bergamo erklärte in einem kurzen Video auf Englisch: „Ich habe zwei Botschaften. Die erste Botschaft an die Bevölkerung lautet: Bleiben Sie bitte zu Hause. Die zweite ist für alle, die uns helfen wollen: Wir brauchen dringend Pflegekräfte und Ärzte, außerdem Beatmungsgeräte und Schutzausrüstung.“

Dr. Romano Paolucci aus Cremona erklärte: „Wir sind am Ende unserer Kräfte. Das hier ist ein kleines Krankenhaus, und wir nehmen dennoch viele Leute auf.“ Die Zahl der Patienten mit schwerer Lungenentzündung ist deutlich größer als die Zahl der verfügbaren Beatmungsgeräte. Ärzte müssen die schreckliche Entscheidung treffen, bei wem sie einen Rettungsversuch unternehmen und wen sie zum Sterben verurteilen. Paolucci fügte hinzu, es belaste das Personal sehr, wie Patienten „alleine sterben, ohne einen Angehörigen. Oft konnten sie sich nur über eine schlechte Handy-Verbindung von ihren Familien verabschieden.“

Da die Zahl der Erkrankten und Todesfälle in Europa steigt, werden solche Zustände sukzessive auf dem gesamten Kontinent eintreten. In Spanien wurden am Freitag 3.433 neue Fälle und 261 Tote gemeldet. Die Krankenhäuser in Madrid, einer der am stärksten betroffenen Regionen des Landes, stehen laut den Beschäftigten kurz vor dem Zusammenbruch. Mehrere Patienten sind in Einzelzimmern zusammengepfercht, Intensivpflegebetten in den Gängen aufgestellt und alle verfügbaren Geräte voll ausgelastet. Ein Arzt erklärte der Zeitung El Diario: „Wir befinden uns in einer furchtbaren Lage. Am Mittwoch hatten wir auf der Intensivstation 200 Menschen, die wir nicht behandeln konnten. Die Leute weinten.“

Mit ähnlichen Verhältnissen rechnet man auch in Paris. Am Dienstag, als die Ausgangssperre in ganz Frankreich in Kraft trat, erklärten Epidemiologen gegenüber dem Management der öffentlichen Krankenhäuser von Paris (AP-HP), sie bräuchten nicht Hunderte, sondern 4.000 Intensivpflegebetten, um auf den prognostizierten weiteren Anstieg der Fälle in den Wochen nach Beginn der Ausgangssperre zu reagieren. Nach dem Schock, den diese Ankündigung auslöste, begann das Personal, alle vorhandenen Plätze in den Pariser Krankenhäusern für die Behandlung von Coronavirus-Patienten herzurichten. Allerdings berichten die Ärzte weiterhin von kritischen Engpässen, u.a. bei Beatmungsgeräten und Schutzmasken.

Dr. Nicolas Van Grunderbeeck erklärte in Arrasgegenüber Le Monde: „Wir alle haben Angst davor, was noch kommen wird.“ Ein weiterer Arzt aus Paris verurteilte die Unfähigkeit der Behörden, schneller zu handeln: „Das Material wird zwar endlich geliefert, aber es wird wahrscheinlich nicht reichen. Wir hätten vor drei Wochen anfangen müssen, Quarantänen einzuführen, die Krankenhäuser zu leeren und alle zur Behandlung von COVID-19 auszubilden. Ich befürchte, ohne echte Quarantäne und strenge Ausgangssperren wird es noch viel mehr Tote geben.“

Diese Ereignisse verdeutlichen den kriminellen Charakter der Politik des europäischen Kapitalismus. Das Spardiktat der Europäischen Union (EU) während der letzten Jahrzehnte, vor allem seit dem Crash der Wall Street 2008, hat zur Zerstörung wichtiger medizinischer und sozialer Infrastrukturen geführt und die Ungleichheit drastisch verschärft. Als die Zahl der Fälle Ende Februar in die Höhe schoss, lehnten die EU-Regierungen Ausgangssperren ab und versuchten, die Beschäftigten zur Weiterarbeit zu zwingen. Sie hofften darauf, eine Schließung der Fabriken zu vermeiden und den aufgeblähten Aktienmärkten weiterhin massive Rettungspakete zur Verfügung stellen zu können.

Führende Vertreter der EU forderten, dass die Beschäftigten weiterarbeiten und akzeptieren, dass Dutzende oder Hunderte Millionen Menschen in Europa erkranken. Bundeskanzlerin Angela Merkel erklärte, 60 bis 70 Prozent der deutschen Bevölkerung (49 bis 57 Millionen Menschen) würden erkranken. Der oberste wissenschaftliche Berater der britischen Regierung, Sir Patrick Vallance, sprach sich sogar gegen Bemühungen aus, die Ausbreitung des Coronavirus aufzuhalten: „Es ist nicht möglich, alle davor zu schützen, und es ist auch nicht wünschenswert, weil man eine gewisse Immunität in der Bevölkerung haben möchte, um uns in Zukunft zu schützen.“ [Hervorhebung hinzugefügt]

Einschränkungen der Sozialkontakte und Ausgangssperren für große Teile der arbeitenden Bevölkerung sind notwendig, um die Ausbreitung einer so ansteckenden Krankheit zu verhindern. Doch viele führende EU-Vertreter rücken von ihrer Politik nicht ab. Am Mittwochabend schloss Merkel in einer weiteren Rede eine landesweite Ausgangssperre weiterhin aus und nannte keine Maßnahmen, um zusätzliches Personal auszubilden oder medizinische Geräte zu produzieren. Auch der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte lehnte Ausgangssperren am Montag als nicht praktikabel ab, obwohl 2.994 Niederländer mit dem Virus infiziert sind.

Es wird immer deutlicher, dass die Zahl der Toten weltweit am Ende den Folgen eines größeren bewaffneten Konflikts gleichkommen wird.

Die Krankenhäuser in Europa sind bereits mit den derzeit fast 130.000 Fällen völlig überlastet. Patienten in kritischem Zustand wird die lebensrettende Versorgung verweigert, und die Pandemie fordert Tausende Todesopfer. Wenn 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung der EU-Staaten (305 bis 356 Millionen Menschen) am Coronavirus erkranken, würden sich die schrecklichen Szenen aus Mailand und Madrid tausendfach in ganz Europa wiederholen. Die Krankenhäuser würden völlig überwältigt, Dutzende Millionen würden keine Behandlung erhalten oder sterben.

Das unabhängige politische Eingreifen der Arbeiterklasse in Europa und der Welt gegen die reaktionäre Politik der Finanzaristokratie ist jetzt eine Frage von Leben und Tod. Erst der Ausbruch von spontanen Streiks in Fabriken in Italien während der letzten Woche zwang die italienische Regierung dazu, ihren Widerstand gegen Ausgangssperren aufzugeben. Die Vorgehensweise wurde später von Frankreich, Mailand und auch dem Baskenland in Spanien übernommen.

Doch um die Krankheit erfolgreich zu bekämpfen, darf die politische Macht nicht in den Händen der herrschenden Klasse bleiben. Die EU-Regierungen weigern sich weiterhin, Massentests der Bevölkerung zu organisieren, um die Träger der Krankheit zu identifizieren, die Notfallproduktion wichtiger medizinischer Ausrüstungen zu organisieren und die Bevölkerung während der Quarantäne zu unterstützen. Dies untergräbt den langfristigen Nutzen jeglicher Quarantänepolitik, die bisher eingeführt wurde.

Gemessen an dem Rettungspaket in Höhe von 750 Milliarden Euro für die EU-Finanzmärkte, das die Europäische Zentralbank (EZB) diese Woche beschlossen hat, sind Behauptungen, es gäbe keine Mittel für solche Maßnahmen, absurd. Die Mittel existieren, und es darf nicht zugelassen werden, dass der von der Arbeiterklasse produzierte Reichtum aus Rücksicht auf private Vermögen oder Profite nicht zur Rettung von Menschenleben verwendet wird.

Das Aufflammen von Streiks in ganz Italien und überall auf der Welt verdeutlicht die Macht der Arbeiterklasse, unabhängig von den Gewerkschaften die Kontrolle über Fabriken zu übernehmen und die Vermögen der Finanzaristokratie zu beschlagnahmen. Nur ein solcher Kampf auf Grundlage einer sozialistischen Perspektive kann die toxische soziale Ungleichheit aus der Welt schaffen und die Mittel für einen koordinierten internationalen Kampf gegen das Virus verfügbar machen.

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