Zahl der Coronavirus-Toten in Europa steigt weiter – Regierungen verschärfen Maßnahmen

Die Coronavirus-Pandemie breitet sich weiter aus und die Zahl der Todesopfer steigt in ganz Europa nach wie vor steil an. Am schlimmsten ist die Lage in Italien. Dort stieg die Zahl der Toten gestern erneut um 651 und die Zahl der Erkrankten auf 59.138. Offizielle Stellen meldeten fast 1400 Tote innerhalb von 48 Stunden. Insgesamt verzeichnet Italien mit 5476 Toten die höchste Zahl an Opfern weltweit. Dort sind inzwischen mehr Menschen gestorben als in China. Der Zustand von etwa 3000 Patienten in Italien wird als „ernst oder kritisch“ eingestuft.

Die Lokalzeitung Eco di Bergamo veröffentlicht in ihrer Ausgabe vom 17. März 2020 in Mediglia, Italien, mehrere Seiten mit Nachrufen. (AP Photo/Luca Bruno)

In Spanien starben von Samstag auf Sonntag fast 400 weitere Menschen, ein Anstieg um rund 30 Prozent innerhalb von 24 Stunden. Dort sind offiziell 28.603 Infizierte gemeldet. Besonders stark betroffen ist die Hauptstadt Madrid. Mittlerweile helfen Spezialisten des Militärs bei der Desinfektion von Pflegeheimen. In der Region Madrid starben mehr als 50 Menschen in Altenpflegeeinrichtungen durch das Virus.

In Frankreich stieg die Zahl der Todesopfer am Wochenende auf 562. Laut der Generaldirektion Gesundheit verdoppelt sich die Zahl der Coronavirus-Infektionen in Frankreich alle vier Tage. Die Gesamtzahl der Fälle stieg auf 14.485. In Großbritannien erhöhte sich die Zahl der Toten um 48 auf 281. Die Zahl der neu Infizierten stieg um 665 auf 5683. In den Niederlanden stieg die Zahl der Todesopfer um 43 auf 179, in Belgien um 8 auf 75. Dazu kommen in den Niederlanden über 4200 und in Belgien über 3400 Infizierte.

Auch in Deutschland steigt die Zahl der neuen Fälle rasant an und hat – Stand Sonntagabend – 24.806 erreicht. Die Zahl der Todesopfer nimmt ebenfalls zu und steht mittlerweile bei 94. Allein in einem Pflegeheim in Würzburg für Senioren erlagen in den letzten Tagen neun Menschen dem Virus. Experten gehen davon aus, dass sich die Lage in den nächsten Wochen dramatisch verschärfen wird. So warnt der Leiter des Robert-Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, vor bis zu zehn Millionen Infizierten in zwei bis drei Monaten. „Wir haben ein exponentielles Wachstum. Wir sind am Anfang eine Epidemie, die noch viele Wochen und Monate unterwegs sein wird“, erklärte er in der vergangenen Woche auf einer Pressekonferenz.

Während das Virus in China durch eine Massenquarantäne weitgehend eingedämmt wurde, kommen die Maßnahmen in Europa nach Auffassung vieler Experten zu spät. In Deutschland verkündete die Bundesregierung gestern zwar neue Regeln, um das soziale Leben weiter einzuschränken, das wirtschaftliche Leben und der öffentliche Verkehr laufen jedoch nahezu uneingeschränkt weiter. In Italien, dem Epizentrum der Pandemie in Europa, entschied die Regierung erst gestern, die nicht lebensnotwendige Produktion zu schließen. Zuvor waren auch in Norditalien, wo die Infektions- und Todesraten am höchsten sind, täglich noch Millionen gezwungen, auf die Arbeit zu gehen.

Die Folgen dieser Politik sind katastrophal. Sky News veröffentlichte am Freitag eine fünfminütige Videoreportage, die eindrücklich die Schrecken der COVID-19-Pandemie zeigt. Die Journalisten waren die ersten, die im zentralen Krankenhaus der norditalienischen Stadt Bergamo filmen durften, wo die Zahl der Toten so schnell angestiegen ist, dass die Behörden und Kirchen sie nicht mehr schnell genug beerdigen oder kremieren können.

In dem Video sind erschütternde Szenen von schwer kranken Patienten zu sehen, die in einem überfüllten Krankenhaus mit dem Tod ringen, während die wenigen Pflegekräfte alles in ihrer Macht Stehende tun, um sie zu retten. Ein erschütterter Reporter erklärt: „Sie befinden sich hier im Krieg, und sie verlieren ihn. Die schiere Zahl von Toten durch das Coronavirus überlastet alle Krankenhäuser in Norditalien.

Das Personal arbeitet rastlos, um zu verhindern, dass sich der Zustand der Patienten verschlechtert. Sie versuchen, sie vor dem Tod zu retten.“ Man sieht, dass „die am schwersten erkrankten Patienten Plastikblasen über dem Kopf tragen, die den Luftdruck in den Lungen ausgleichen sollen. Das Personal hat deshalb Schwierigkeiten, mit den Patienten zu kommunizieren.“

Der Reporter erklärt dazu: „Es sieht aus wie eine Intensivstation, aber es ist nur die Notaufnahme. Die Intensivstation ist bereits voll.“ Neue Patienten erhalten nur noch eine Behandlung, wenn sie nicht nur schwer krank sind, sondern wenn sie kurz vor dem Sterben stehen. In dieser Pandemie ist ,schwer krank‘ ein annehmbarer Zustand. Es ist wirklich so schlimm.“

Solche Bilder verdeutlichen das Versagen eines ganzen Systems – des Kapitalismus – und sie zeigen den kriminellen Charakter der herrschenden Klasse. Mit ihrer rabiaten Austeritätspolitik hat sie in den letzten Jahren systematisch die Grundlage für die Katastrophe gelegt, die nun Millionen von Menschenleben bedroht. Vor allem nach der Finanzkrise 2008/2009 wurden unter dem Diktat der deutschen Regierung die Sozial- und Gesundheitssysteme in ganz Europa zerstört. Gleichzeitig wurden die Vermögen der Banken und Superreichen gerettet und zig Milliarden und Billionen auf die Konten der Superreichen transferiert.

Es zeichnet sich immer deutlicher ab, dass die europäischen Eliten auch die Coronakrise als Chance sehen, ihre brutale Klassenpolitik zu verschärfen. Statt die notwendigen Krankenhäuser zu bauen, Schutzausrüstung und Atemgeräte zu beschaffen und die arbeitende Bevölkerung zu versorgen, werden erneut hunderte Milliarden den Banken und Großunternehmen zur Verfügung gstellt. In der vergangenen Woche verkündete die Europäische Zentralbank (EZB) ein Rettungspaket in Höhe von 750 Milliarden Euro für die Finanzmärkte. Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) arbeitet gegenwärtig an einem Gesetz, das den deutschen Großunternehmen Hilfsgelder von bis zu 600 Milliarden Euro zusichert.

Die herrschende Klasse fürchtet eine massive soziale und politische Gegenreaktion, da bereits Hunderttausende von Arbeitern entlassen oder ihre Löhne und Arbeitszeiten um bis zu 50 Prozent gekürzt wurden. Deshalb versucht sie überall, Maßnahmen gegen die Coronakrise zum Aufbau eines Polizei- und Überwachungsstaats zu nutzen.

Die Coronakrise hat die im Kern faschistische Haltung der herrschenden Klasse gegenüber der arbeitenden Bevölkerung offengelegt. So hatte die konservative Regierung von Boris Johnson in Großbritannien ursprünglich beabsichtigt, nahezu nichts gegen die Pandemie zu unternehmen und stattdessen eine Infektion der ganzen Bevölkerung anzustreben, um eine „Herdenimmunität“ aufzubauen. Angesichts der Eskalation der Ereignisse in wenigen Tagen hat sie jedoch umgeschwenkt und zunächst Maßnahmen der sozialen Kontaktvermeidung eingeführt. Am Freitag ordnete sie schließlich die Schließung aller Cafés, Bars, Pubs, Restaurants, Nachtclubs, Theater, Fitnessstudios, Kinos und Freizeitzentren an.

Die gesamte weltweite Erfahrung zeigt, dass ein erfolgreicher Kampf gegen das Virus das unabhängige Eingreifen der Arbeiterklasse auf der Grundlage eines sozialistischen Programms erfordert. Nur so können eine soziale und politische Katastrophe verhindert und die notwendigen Ressourcen verfügbar gemacht werden, um alle Erkrankten auf dem höchsten Niveau medizinisch zu versorgen. Nicht der kapitalistische Polizeistaat, sondern unabhängige Arbeiter- und Nachbarschaftskomitees müssen die notwendigen Quarantänemaßnahmen durchsetzen und auch sicherstellen, dass Menschen mit Symptomen umgehend getestet werden.

Mehrere Studien, die während der Pandemie durchgeführt wurden, zeigen, dass eine Eindämmung des Virus umfassende Quarantänen und rigorose Tests erfordert. Diese Woche wurde gemeldet, dass es in der Kleinstadt Vò nahe Venedig aufgrund von doppelten Tests aller 3.300 Bewohner keine Neuinfektionen mehr gab. In Vò starb am 22. Februar das erste italienische Opfer des Coronavirus.

Die Financial Times schrieb, durch Tests aller Einwohner „egal, ob sie Symptome zeigten, und rigorose Quarantänen ihrer Kontaktpersonen nach Bestätigung der Infektion“ hätten die Gesundheitsbehörden „die Ausbreitung der Krankheit dort vollständig eindämmen können“.

Bei den ersten Tests Ende Februar waren drei Prozent der Bevölkerung infiziert, allerdings zeigte die Hälfte der Infizierten keine Symptome. Nachdem sie isoliert wurden, ergab ein zweiter Massentest zehn Tage später, dass die Infektionsrate auf 0,3 Prozent gesunken war. In diesem zweiten Test wurden mindestens sechs Personen identifiziert, die das Virus zwar hatten, aber keine Symptome zeigten und deshalb unter Quarantäne gestellt werden konnten.

Diese Tatsache hat schwerwiegende Folgen und birgt Lehren für alle Länder. Professor Andrea Crisanti, ein Experte für Infektionen am Imperial College in London, der an der Studie in Vò teilnimmt, stellte diese Herangehensweise der britischen gegenüber. In Großbritannien wurden landesweit nur 66.976 von 66 Millionen Menschen getestet. Er erklärte: „In Großbritannien gibt es eine Menge Infektionen, die völlig ignoriert werden... Wir konnten den Ausbruch hier eindämmen, weil wir die ,untergetauchten‘ Infektionen identifiziert und isoliert haben. Darin liegt der Unterschied.“

Siehe auch:

Merkels Corona-Rede an die Nation: kriminelle Verantwortungslosigkeit

[19. März 2020]

Wie die COVID-19-Pandemie zu bekämpfen ist: Ein Aktionsprogramm für die Arbeiterklasse

[18. März 2020]

Was im Kampf gegen die Coronavirus-Pandemie getan werden muss

[7. März 2020]

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