IYSSE-Intervention auf Studentenkongress in Istanbul stößt auf große Resonanz

Vom 5. bis 7. März 2020 fand in Istanbul der 18. Unabhängige Wirtschaftswissenschaftliche Studentenkongress der Türkei statt, an dem mehr als 150 Studierende von teilnahmen. Die Veranstaltung wird jedes Jahr von studentischen Gruppen verschiedener Universitäten und Städte des Landes organisiert. Das diesjährige Thema lautete: „Die Globalisierung und die Suche nach Auswegen“. Dazu zählten Unterthemen wie „Von der Wirtschaftskrise zu Volksaufständen“, „Internationale Handelskriege“, sowie „Die Kriegswirtschaft und ein Naher Osten, der nicht zusammenkommt“.

Unterstützer der International Youth and Students for Social Equality (IYSSE) und Sosyalist Eşitlik (Sozialistische Gleichheit) – der sympathisierenden Gruppe des Internationalen Komitees der Vierten Internationale (IKVI) in der Türkei – griffen in diesem Jahr politisch in die Konferenz ein. Unter dem Titel „Dreißig Jahre Krieg – Amerikas Griff nach der Weltherrschaft“ präsentierte ein Unterstützer von Sosyalist Eşitlik eine trotzkistische Perspektive, die auf großes Interesse stieß und eine intensive Diskussion auslöste.

Gestützt auf das Buch Ein Vierteljahrhundert Krieg: Amerikas Griff nach der Weltherrschaft 1990-2016 von David North sowie die Perspektiven des IKVI skizzierte der Referent eine historische Analyse der imperialistischen Kriegsentwicklung und stellte eine sozialistische Perspektive vor, die sich auf die internationale Arbeiterklasse stützt.

Wie der Referent erklärte, sind die gegenwärtigen Kämpfe zwischen der Türkei und Syrien das Endprodukt der brutalen Kriege, die Washington und seine europäischen Verbündeten im Nahen Osten seit der stalinistischen Auflösung der Sowjetunion im Jahr 1991 führen. Sie sind die jüngste Episode in dem seit 2011 andauernden imperialistischen Stellvertreterkrieg gegen das Regime des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad. Die türkische Regierung fungiert in diesem Krieg als Werkzeug der imperialistischen NATO-Mächte.

Die Auflösung der Sowjetunion, so betonte der Referent, bedeutete nicht das „Scheitern des Sozialismus“, sondern des nationalistischen Programms des Stalinismus. Sie spiegelte eine existenzielle Krise des gesamten nationalstaatlichen Systems der Nachkriegszeit wider. Der Redner zitierte aus dem Vorwort des Buches „Ein Vierteljahrhundert Krieg“:

Das IKVI sah voraus, „dass der Zusammenbruch des Nachkriegsgleichgewichts binnen Kurzem zum Wiederaufleben des imperialistischen Militarismus führen werde“. In einer Erklärung des IKVI vom August 1990 hieß es, der Krieg der Bush-Regierung gegen den Irak kennzeichne „den Beginn einer weiteren imperialistischen Neuaufteilung der Welt“.

Die imperialistischen Kriege, militärischen Interventionen und Stellvertreterkriege, die den amerikanischen Griff nach der Weltherrschaft kennzeichneten, brachten in den darauffolgenden drei Jahrzehnten eine Katastrophe nach der anderen hervor. Der Referent verwies auf die Kriegsvorbereitungen Washingtons gegen den Iran, Russland und China und erklärte, dass andere imperialistische Mächte bei der Verfolgung ihrer Interessen nicht weniger rücksichtslos vorgehen. So hat die deutsche herrschende Klasse im Versuch, zu einer aggressiven Außenpolitik zurückzukehren, systematisch rechtsextreme Kräfte gefördert, um sie gegen die tief verwurzelte Antikriegsstimmungen in der Arbeiterklasse zu mobilisieren. Der Referent griff in seinen Ausführungen auf die Analysen zurück, die Christoph Vandreier in seinem Buch „Warum sind sie wieder da?“ detailliert herausgearbeitet hat.

Anschließend zeigte der Sprecher drei Phasen auf, die den Krieg in Syrien und die anhaltende Kollaboration zwischen Ankara und al-Qaida-nahen Kräften charakterisieren. Letztere dient dazu, einen Regimewechsel in Syrien herbeizuführen und zugleich die Bildung eines kurdischen Staates an der Südgrenze der Türkei zu verhindern. Ankaras jüngste Invasion hatte zuletzt Hunderttausende überwiegend kurdische Zivilisten aus ihrer Heimat vertrieben. Sie zielte dabei auf die YPG – Washingtons wichtigste Stellvertretertruppe in Syrien. Die Bilanz sowohl der türkischen als auch der kurdischen Bourgeoisie zeige jedoch, so der Sprecher, dass keine Fraktion der Kapitalistenklasse den imperialistischen Krieg im Nahen Osten grundsätzlich ablehne. Beide seien reaktionäre Komplizen des US-Imperialismus.

Am Ende des Vortrags erklärte der Referent: „Nun, da sich alle imperialistischen und kapitalistischen Staaten auf einen Weltkrieg vorbereiten, der dieses Mal mit Atomwaffen geführt werden würde, ist die Frage, wie diese enorme Gefahr gestoppt werden kann, von größter Bedeutung.“ Zu den Wurzeln der Kriegsgefahr zitierte er die Erklärung „Sozialismus und der Kampf gegen Krieg“ des IKVI von 2016: „Die wesentliche Ursache für Militarismus und Krieg liegt in folgenden grundlegenden Widersprüchen des kapitalistischen Weltsystems: 1) im Widerspruch zwischen der globalen Integration und Verflechtung der Wirtschaft und ihrer Aufspaltung in Nationalstaaten mit gegensätzlichen Interessen; und 2) im Widerspruch zwischen dem gesellschaftlichen Charakter der globalen Produktion und ihrer Unterordnung unter das Privateigentum an den Produktionsmitteln und unter die Akkumulation privaten Profits durch die herrschende Kapitalistenklasse.“

Wie der Referent erklärte, gibt es für kein einziges großes Problem eine „nationale Lösung“ – sei es der Krieg im Nahen Osten oder die Kurdenfrage. Stattdessen plädierte er für eine internationalistische sozialistische Perspektive auf der Grundlage von Leo Trotzkis Theorie der permanenten Revolution und nannte als Grundlage für den Aufbau einer neuen internationalen Antikriegsbewegung vier Prinzipien, die in der IKVI-Erklärung von 2016 vorgestellt werden.

Die Präsentation löste viele Fragen aus dem Publikum aus. Sie betrafen u. a. den Stalinismus und den Kampf Leo Trotzkis und der Vierten Internationale, die das Erbe und die Traditionen der Oktoberrevolution von 1917 gegen die stalinistische Entartung der Sowjetunion und der Kommunistischen Internationale verteidigt hatten.

Eine andere Frage betraf die Perspektive der „Sozialistischen Föderation des Nahen Ostens“, die der Redner als einzige fortschrittliche Antwort der Arbeiterklasse auf den imperialistischen Krieg und die reaktionären bürgerlichen Fraktionen in der Region vorgebracht hatte. Der Referent betonte, dass die Geschichte der Türkei Trotzkis Theorie der permanenten Revolution eindrücklich bestätigt. Wie Trotzki erklärt hatte, können die Probleme, vor denen Arbeiter und unterdrückte Massen stehen – sei es die Unabhängigkeit vom Imperialismus oder demokratische Fragen wie die Kurdenfrage – auf nationaler Ebene nicht gelöst werden.

Während die Präsentation beim Publikum auf großes Interesse stieß, löste sie auch eine hektische Reaktion von Studenten aus, die mit der Albanisch-Stalinistischen Arbeiterpartei (EMEP) in Verbindung standen. Sie hatten zuvor versucht, den trotzkistischen Verlag Mehring Yayıncılık daran zu hindern, einen Bücherstand außerhalb der Veranstaltung aufzustellen. Sie wiederholten diskreditierte stalinistische Lügen, behaupteten fälschlicherweise, dass die stalinistische Theorie des „Sozialismus in einem Land“ im Jahr 1916 von Wladimir Lenin entwickelt worden sei und leugneten gar, dass Leo Trotzki von einem stalinistischen Agenten ermordet wurde.

Der Redner widerlegte all diese stalinistischen Lügen und bekräftigte den historischen Kampf Leo Trotzkis und der trotzkistischen Bewegung gegen den Stalinismus und für die anhaltende Bedeutung des Marxismus. Als die Provokateure daraufhin versuchten, den Bücherstand zu blockieren, wurde klar, dass sie den Mehring-Verlag aufgrund seiner trotzkistischen Haltung zensieren wollten. Es ist kein Zufall, dass die EMEP bei den türkischen Kommunalwahlen im vergangenen Jahr in den größten Städten der Türkei die Kandidaten der oppositionellen bürgerlichen Republikanischen Volkspartei (CHP) unterstützt hat.

Unter Berufung auf demokratische Prinzipien verteidigte Sosyalist Eşitlik ihr Recht auf politische Aktivität und Redefreiheit gegen diese Zensur. Ihre prinzipielle Haltung wurde von Mitgliedern der Kongressleitung und von der Mehrheit des Publikums unterstützt. Als ein EMEP-Anhänger wütend auf einen Unterstützer von Sosyalist Eşitlik losging, verteidigten ihn mehrere Studierende und verurteilten öffentlich das Vorgehen der EMEP-Anhänger. Der Bücherstand des Mehring-Verlags blieb bis zum Ende des Kongresses geöffnet.

Das Ereignis ist ein Zeugnis der enormen Kraft der trotzkistischen Perspektive, wie sie vom IKVI und der World Socialist Web Site entwickelt wurde. Es unterstreicht, dass die trotzkistische Bewegung durch die unversöhnliche Verteidigung des sozialistischen Internationalismus und demokratischer Rechte im Kampf gegen pseudolinke Parteien der wohlhabenden Mittelklasse die breite Unterstützung von Jugendlichen und Arbeitern gewinnen kann.

Weiterführende Lektüre:

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