COVID-19: Amazon weigert sich trotz erkrankter Mitarbeiter, die Verteilzentren zu schließen

In den USA, Spanien, Italien und Frankreich sind in verschiedenen Amazon-Zentren schon Fälle von COVID-19 aufgetreten. Deshalb kommt es an immer mehr Standorten zu Protesten und spontanen Streikaktionen. Der Weltkonzern weigert sich, die notwendige Quarantäne einzuhalten und die Arbeiter wirksam zu schützen.

Im von COVID-19 besonders betroffenen Italien erzwang am Mittwoch, 18. März, ein spontaner Streik der Mailänder Amazon-Arbeiter die Schließung des Betriebs, in dem zwei Arbeiter positiv getestet worden waren. In Spanien, ebenfalls einem Epizentrum der Pandemie, sind in den Logistikzentren bei Madrid und Barcelona bisher mindestens drei Fälle aufgetreten.

Auch in Frankreich sind in der letzten Woche Amazon-Arbeiter in den spontanen Streik getreten. Am 17. März protestierten die Belegschaften der Standorte Montélimar, Chalon sur Saône und Douai, weil die Abstandsregeln nicht eingehalten wurden, keine Desinfektionsmittel vorhanden waren und von einer Reinigung der Arbeitsbereiche keine Rede sein konnte. Bis zu 300 Amazon-Arbeiter streikten auch im französischen Saran, weil die Hygienemaßnahmen ebenfalls völlig unzureichend waren und die Arbeiter in keiner Weise gegen das Coronavirus geschützt wurden.

Arbeiterin in einem Amazon Fulfillment Center (AP Photo/David McNew)

Im US-Bundesstaat Kentucky wurden vor zwei Tagen, am Montag, 23. März, mindestens drei Amazon-Arbeiter des Logistikzentrums Shepherdsville positiv auf das Coronavirus getestet, was zu der zweitägigen Schließung des Lagers führte. Die Arbeiter seien „vor Ort“ positiv getestet worden, ging aus einer Voicemail-Nachricht an die Beschäftigten hervor. Alle Arbeiter, die „in engem Kontakt“ mit den Erkrankten standen, wurden zur „Selbstquarantäne“ aufgefordert.

Gleichzeitig hat die Unternehmensleitung ihre Absicht erklärt, die Arbeit nach 48 Stunden wieder aufzunehmen. Da zweifellos viele Arbeiter nach Kontakt mit dem Virus schon ansteckend sind, aber noch keine Symptome zeigen, kommt diese Anweisung einem Glücksspiel mit dem Leben der Arbeiter gleich. Der Konzern weigert sich, die gesamte Belegschaft zwei Wochen lang unter Quarantäne zu stellen. Das ist umso ungeheurer, da in diesem Warenhaus hauptsächlich bloß Retour-Sendungen bearbeitet werden.

Das Unternehmen begründet die zweitägige Schließung mit der Sorge um die Gesundheit der Beschäftigten: „Aus einer Fülle von Vorsichtsmaßnahmen“, so die Erklärung von Amazon, „und zusätzlich zu unserer verstärkten täglichen Tiefenreinigung schließen wir den Standort Shepherdsville, Ky. vorübergehend für weitere Desinfektionsmaßnahmen.“

Die Amazonenarbeiterin Jennifer Bohannon sagte einem Fernsehreporter in der nahegelegenen Stadt Louisville, sie sei „entsetzt und enttäuscht“ über die Pläne, das Lager nach nur zwei Tagen wieder zu öffnen. „Die Sorge bleibt: Wie viele Infizierte, die nur noch keine Symptome zeigen, werden jetzt auf dem Gelände herumlaufen?“

Auch in Florida wurde am Dienstag ein Amazon-Arbeiter positiv auf das Coronavirus getestet. Er hatte noch bis zum 18. März im Logistikzentrum gearbeitet, ehe er erkrankte. Dennoch bleibt das betroffene Verteilerzentrum offen, und nur diejenigen Kollegen, die offensichtlich in „engem Kontakt“ mit dem Erkrankten standen, wurden in eine zweiwöchige Quarantäne geschickt.

Ebenfalls am Dienstag wurde ein Amazon-Arbeiter in einem Sortierzentrum in Brownstown, Michigan, positiv getestet. Dieser Mann hatte bis zum 16. März in der Einrichtung gearbeitet. Fünf weitere Arbeiter wurden unter Quarantäne gestellt.

Schon am 18. März war in New York ein Arbeiter von Amazon in Queens positiv getestet worden. Das führte zu einer wütenden Konfrontation mit den Arbeitern, die auf Video aufgezeichnet ist. „Wir sehen jetzt, dass unser Leben überhaupt nichts zählt“, sagte ein Arbeiter einer Vertreterin der Geschäftsleitung ins Gesicht.

Bei Amazon wie in anderen Teilen der Industrie wächst die Wut der Beschäftigten über die absolut jämmerlichen oder nicht-existenten Sicherheitsmaßnahmen der Unternehmen. Diese Wut findet beispielsweise im Hashtag #NotDying4WallStreet [nicht für die Börse sterben] ihren Ausdruck, der bisher schon hunderttausende Male getwittert worden ist. Er ist mittlerweile der drittbeliebteste Hashtag in den Vereinigten Staaten.

Amazon empfiehlt als Sicherheitsmaßnahmen „die Aufforderung an die Mitarbeiter, zu Hause zu bleiben und einen Arzt aufzusuchen, wenn sie sich unwohl fühlen“, sowie „das Auseinanderschieben von Stühlen und Tischen in den Pausenräumen“. Darüber hinaus sollen die Arbeiter „ihren Arbeitsplatz oder ihr Fahrzeug zu Beginn und am Ende jeder Schicht mit Desinfektions-/Reinigungstüchern desinfizieren und reinigen“, ihre Hände „mindestens 20 Sekunden lang“ waschen und „nicht-notwendige Reisen“ aufschieben.

Diese allzubilligen Ratschläge passen zu der Verachtung, mit der Amazon sich schon immer verletzten und kranken Arbeitern gegenüber verhalten hat. Vor der Pandemie wurden verletzte Arbeiterinnen und Arbeiter, auch wenn sie sich in der Halle ernstlich verletzt hatten, angewiesen, sich an AmCare zu wenden, Amazons firmeneigenen medizinischen Dienst, anstatt einen richtigen Krankenwagen zu rufen. Bei AmCare wurden sie dann mit Schmerzmitteln ruhig gestellt oder angewiesen, sich auf ein Heizkissen zu setzen.

Eine ernste Rückenverletzung? – „Setzen Sie sich 15 Minuten lang auf dieses Heizkissen.“ Coronavirus? – „Hier sind einige Reinigungstücher, waschen Sie sich die Hände.“ Eine andere Antwort ist von diesem Unternehmen nicht zu erwarten.

Da ein Teil der Amazon-Beschäftigten aufgrund der Schulschließungen jetzt gezwungen ist, zu Hause zu bleiben, und andere sich weigern, ihr Leben dem Coronavirus auszusetzen, hat Amazon die Stundenlöhne um 2 Euro angehoben und die Einstellung von 100.000 zusätzlichen Arbeitern angekündigt. Damit wird de facto ein beträchtlicher Teil der bestehenden Belegschaft ohne Bezahlung entlassen.

Ein wichtiger Faktor, der das Risiko für die Beschäftigten dramatisch verschärft, ist das Fehlen systematischer und flächendeckender Tests. Viele Arbeiter könnten sich mit dem Virus infiziert haben, auch wenn sie bisher keine Symptome zeigen. Weil aber Testmöglichkeiten völlig fehlen, wird jede Arbeitsschicht bei Amazon zum russischen Roulette.

Zwar kann man das Coronavirus nicht von bloßem Auge sehen, aber die Risiken sind sehr real. Im Jahr 2019 hatte Amazon 750.000 Beschäftigte, und gerade werden weitere 100.000 eingestellt. Sollte die Hälfte dieser Arbeiter sich letztlich an dem Virus anstecken, werden das Zehntausende von ihnen mit dem Leben bezahlen.

Überall auf der Welt verlangen die Konzerne, dass die Arbeiter in infizierten Fabriken, Lagerhäusern und Arbeitsplätzen weiterarbeiten. Nur dort, wo die Beschäftigten die Sache selbst in die Hand nehmen und spontane Streiks aufnehmen – was in US-amerikanischen und europäischen Autofabriken und in anderen Industriezweigen immer häufiger passiert – können sie die Schließung der unsicheren Arbeitsplätze erzwingen. Die Amazon-Beschäftigten müssen sich in Aktionskomitees zusammenschließen, um ähnliche kollektive Maßnahmen durchzusetzen.

Solange die Logistikzentren nicht sicher sind, müssen Amazon-Arbeiter ihre Schließung fordern. Alle Versandhäuser müssen systematisch und professionell unter der Aufsicht von Gesundheitsexperten gereinigt werden. Die Beschäftigten müssen die modernste persönliche Schutzausrüstung erhalten. Systematische kostenlose Tests für alle Arbeiterinnen und Arbeiter müssen durchgeführt werden. In der Zwischenzeit müssen alle Beschäftigten für die verlorene Zeit finanziell vollständig entschädigt werden.

Arbeiterinnen und Arbeiter von Amazon haben klargemacht, dass sie sehr wohl bereit sind, ihre Arbeit zur Verfügung zu stellen, wenn es für Transport und Lieferung von Masken, medizinischer Ausrüstung und anderen lebenswichtigen Gütern zur Pandemie-Bekämpfung notwendig ist. Sie sind bereit, täglich ihr Zuhause zu verlassen und sich dieser Aufgabe mutig zu stellen, und sie verdienen den bestmöglichen Schutz, den moderne Wissenschaft und Medizin bieten kann.

Das Geld dafür ist reichlich vorhanden. Beispielsweise hat der Finanz- und Investitions-Ratgeber The Motley Fool Amazon am Dienstag folgendermaßen beschrieben: „Das ist eine Top-Aktie, die man während des Coronavirus-Abverkaufs kaufen kann.“ Weiter heißt es dort: „Rechnet man die grundsolide Bilanz des Unternehmens – mehr als 55 Milliarden Dollar an Bargeld und marktgängigen Wertpapieren und nur 23 Milliarden Dollar an langfristigen Verbindlichkeiten – hinzu, dann hat man eine Vielzahl von Gründen, Amazon zu kaufen, bevor der Markt zur Vernunft kommt.“

Mit anderen Worten, das Management dieses Billionen-Dollar-Konzerns sitzt auf einem Geldschatz im Wert von Dutzenden Milliarden, und seine Aktie wird den milliardenschweren Spekulanten und Hedge-Fonds-Manager, die einen Weg aus der globalen Finanzkrise suchen, als hervorragendes Mittel zur Gewinnerzielung angepriesen.

Bezos selbst, dessen derzeitiger Reichtum sich auf rund 131 Milliarden Dollar beläuft, hat im Februar eine neue Villa in Beverly Hills zum Preis von 165 Millionen Dollar gekauft. Inmitten der Pandemie erzielte die als Warner Estate bekannte Immobilie den höchsten je im Bundesstaat Kalifornien für ein Haus bezahlten Preis.

Die Art und Weise, wie Amazon sich angesichts der Pandemie verhält, zeigt wie notwendig es ist, die wichtige globale Logistik-Infrastruktur in ein öffentlich kontrolliertes Unternehmen zu verwandeln. Die lebenswichtigen Bedürfnisse der großen Mehrheit der menschlichen Bevölkerung müssen Vorrang vor den Launen und Vorrechten der Milliardäre haben. Unter demokratischer Kontrolle werden sowohl das riesige logistische Netzwerk als auch die Ressourcen von Amazon zu einer mächtigen Waffe im Kampf gegen die Pandemie werden.

Loading