EU-Gespräche über „Corona-Rettungspaket“ scheitern erneut

Zwei Wochen nach dem Scheitern eines ersten Eurogruppen-Gipfels der EU-Finanzminister zur COVID-19-Pandemie ist gestern auch ein zweiter Notfall-Gipfel auf Grund der heftigen Spannungen zwischen den europäischen Staaten zusammengebrochen. Die Europäische Union, die davon besessen ist, den Wohlstand der Superreichen zu retten, hat keine Politik zur Bekämpfung der tödlichsten Pandemie seit der Spanischen Grippe von 1918.

Für Arbeiter in Europa und international stellt die Pandemie eine beispiellose soziale und wirtschaftliche Krise dar. Am Dienstag, als der Gipfel der Eurogruppe scheiterte, wurden in Europa 34.487 neue Fälle diagnostiziert und 4.599 Menschen starben in Krankenhäusern. Die Gesamtzahl der registrierten Erkrankten stieg damit auf 709.125 und die Zahl der Todesfälle auf 57.245. Die verzweifelten Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus haben in der vergangenen Woche bereits über elf Millionen Arbeitsplätze gekostet und damit die tiefste Wirtschaftskrise in Europa seit der Großen Depression in den 1930er Jahren ausgelöst.

Nach Schätzungen der UNO sind 80 Prozent der weltweit 3,3 Milliarden Arbeiter von vollständigen oder teilweisen Arbeitsniederlegungen betroffen. Seit Veröffentlichung der Zahlen sind in Spanien eine Million weitere Arbeitsplätze verloren gegangen, 1,8 Millionen in Frankreich und weitere Millionen in ganz Europa.

Der Ärger unter Arbeitern und medizinischen Fachleuten wächst, da die EU die Koordinierung durch die Gesundheitsbehörden blockiert und ihre medizinische Reaktion den Profitinteressen der Banken und Unternehmen unterordnet. Diese Politik hat zur Ausbreitung der Pandemie und in eine Katastrophe geführt. Während Maßnahmen zur sozialen Distanzierung erst nach Massenstreiks und Arbeitsniederlegungen von Arbeitern in Italien und ganz Europa getroffen wurden, verfolgen die EU-Mächte eine extrem nationalistische Politik nach dem Motto „Jeder ist sich selbst der Nächste“. Bezeichnend war die Entscheidung von Berlin und Paris, den Export wichtiger medizinischer Güter in andere europäische Länder zu verbieten.

Am Dienstag trat der Präsident des Europäischen Forschungsrates (ERC), Mauro Ferrari, der Leiter von Europas führender wissenschaftlicher Einrichtung, aus Protest gegen den Umgang der EU mit der Pandemie zurück.

„Ich bin extrem enttäuscht von der europäischen Reaktion auf COVID-19“, sagte Ferrari gegenüber der Financial Times in London. „Ich kam als glühender Befürworter der EU in den ERC, aber die COVID-19-Krise hat meine Ansichten völlig verändert, obwohl ich die Ideale der internationalen Zusammenarbeit weiterhin mit Begeisterung unterstütze.“ Ferrari verurteilte das „völlige Fehlen einer Koordinierung der Gesundheitspolitik zwischen den Mitgliedsstaaten, den immer wiederkehrenden Widerstand gegen Initiativen zur finanziellen Unterstützung und die allgegenwärtigen einseitigen Grenzschließungen.“

Diese Einschätzung wurde auch von Janez Lenarcic, dem EU-Kommissar für Krisenmanagement, geteilt, der die Reaktion der EU auf den ersten Ausbruch in Italien kritisierte: „Es gab eine unzureichende Reaktion auf das italienische Hilfeersuchen anderer EU-Mitgliedsstaaten“.

Dennoch waren die EU-Finanzminister erneut nicht in der Lage, eine koordinierte Politik zur Finanzierung der grundlegenden Gesundheitsfürsorge und der Hilfe für Arbeiter und Kleinunternehmer zu erarbeiten. Auf dem Gipfel kam es zu erbitterten Konflikten zwischen den führenden EU-Mächten darüber, wer von den Bankenrettungspaketen profitieren und wer über welche Sparmaßnahmen entscheiden sollte.

Das Treffen begann mit einer Verspätung von 90 Minuten um 16.30 Uhr, inmitten von Differenzen über die Tagesordnung des Gipfels. Die Minister sagten eine geplante Pressekonferenz um 20 Uhr ab und stritten die ganze Nacht weiter. Eine geplante Pressekonferenz am Mittwochmorgen um 10 Uhr wurde erneut abgesagt, da keine Einigung erzielt werden konnte. Schließlich gab der Präsident der Eurogruppe, der portugiesische Finanzminister Mario Centeno, das Scheitern der Konferenz bekannt und kündigte an, dass die Gespräche heute Nachmittag wieder aufgenommen würden.

In Wirklichkeit handelt es sich bei dem von den EU-Mächten vorgeschlagenen Paket nicht um ein Corona-„Rettungspaket“ – es enthält keine Notfallfinanzierung für medizinische Maßnahmen oder die Herstellung wichtiger medizinischer Güter (Masken, Beatmungsgeräte oder wichtige Medikamente). Das 540-Milliarden-Euro-Paket beinhaltet lediglich 100 Milliarden Euro, die angeblich zur Finanzierung von Lohnkürzungen für die während der Pandemie entlassenen Arbeiter vorgesehen sind; der Rest besteht aus Subventionen für Banken und Großunternehmen.

Offenbar scheiterten die Gespräche an Forderungen der niederländischen Regierung, die teilweise von Berlin unterstützt wurde. Berichten zufolge bestand Den Haag darauf, dass Länder wie Italien, die EU-Hilfe erhalten, Haushaltskürzungen und anderen Sparmaßnahmen zustimmen, die dann von der EU über den so genannten Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) diktiert werden. Italienische Beamte lehnten ein solches Abkommen nach dem Vorbild der Plünderung Griechenlands durch die EU während der Eurokrise ab.

Es blieb dem deutschen Finanzminister Olaf Scholz (SPD), der eng mit seinem französischen Amtskollegen Bruno Le Maire zusammenarbeitet, überlassen, eine offizielle Erklärung zu den Gesprächen abzugeben. In einer Presseerklärung am Mittwochvormittag behauptete Scholz, dass der Einsatz des ESM „nicht wie vor zehn Jahren“ mit „einer Troika verbunden ist, die in die Länder einreist und Programme entwickelt für die weitere Zukunft“.

Dies ist eine offensichtliche Lüge. Schon in seinen weiteren Ausführungen ließ Scholz keinen Zweifel daran, dass die Milliarden wieder durch brutale Sparmaßnahmen aus der deutschen und europäischen Arbeiterklasse herausgepresst werden sollen.

„Man sieht an den Entscheidungen, die wir in Deutschland getroffen haben, dass man schon jetzt sehr kluge Programme für die Zukunft entwickeln kann“, erklärte Scholz. „Unsere Entscheidung ist z.B., dass wir die zusätzlichen Schulden, die wir aufnehmen über die Regeln, die wir uns in unserem eigenen Grundgesetz gegeben haben ab 2023 bis 2043 zurückführen.“ Das könne „man schaffen und so geht es auch anderswo“, fügte er zynisch hinzu.

Solche Aussagen müssen Arbeiter in Deutschland und ganz Europa als Warnung verstehen. Die europäische Bourgeoisie besteht nicht nur auf der Beibehaltung der Sparpolitik, die in ganz Europa eine soziale Katastrophe verursacht hat, sondern will diese inmitten eines historischen wirtschaftlichen Zusammenbruchs sogar noch verschärfen. Der Verweis von Scholz auf die 2009 in der deutschen Verfassung festgeschriebene Schuldenbremse zeigt dies deutlich. Im vergangenen Jahrzehnt diente die so genannte Politik der „Schwarzen Null“ dazu, massive Angriffe auf die Arbeiterklasse durchzusetzen.

Es spricht Bände über den Klassencharakter der Europäischen Union, wenn Scholz damit prahlt, bereits die Unterstützung fast aller europäischen Regierungen sicher zu haben. „Wir wissen uns als Bundesregierung nicht nur im Einklang mit unseren französischen Freunden, sondern auch z.B. mit Portugal und Spanien und allen anderen, die sich zu Wort gemeldet haben“, behauptete er.

Tatsächlich erschüttert die tiefste Gesundheits- und Wirtschaftskrise seit einem Jahrhundert die EU in ihren Grundfesten und bringt die unlösbaren und historisch gewachsenen Widersprüche des europäischen Kapitalismus zurück an die Oberfläche. Wenige Tage vor dem EU-Gipfel schaltete eine Gruppe italienischer Bürgermeister eine ganzseitige Anzeige in der rechten Frankfurter Allgemeinen Zeitung, in der sie Hilfe für die italienischen Schulden forderten. Dabei bezogen sie sich auf das Londoner Schuldenabkommen von 1953 als Deutschland ein Großteil seiner Kriegsschulden erlassen wurde.

Gleichzeitig diskutieren Strategen der Finanzelite darüber, die EU-Länder, die nach einem Jahrzehnt der Bankenrettungen hoch verschuldet sind, in den Staatsbankrott zu treiben. Die Staatsverschuldung von Italien beläuft sich mittlerweile auf über 150 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) und die Frankreichs auf 100 Prozent des BIP. Hinzu kommt der europaweite Aufschwung von Streiks und Protesten, der die Finanzaristokratie überall in Angst und Schrecken versetzt.

Die französische Tageszeitung Le Monde veröffentliche am Mittwoch einen Kommentar, der vorschlug, sich durch die Ausgabe von „Senior Corona Bonds“ (SCB) auf Ausfälle von Staatsschulden europäischer Länder vorzubereiten. Investoren könnten SCBs kaufen, da sie wüssten, dass eine Regierung, die „in Konkurs geht, zuerst die Inhaber der SCBs ausbezahlen wird“. Die Gläubiger könnten dann verlange, dass bankrotte Staaten drastische Angriffe auf Löhne, Sozialausgaben, Gesundheitssysteme und öffentliche Schulen organisieren.

Die EU-Rettungspakete und die nationalen Notfallpakete sind reaktionär und müssen zurückgewiesen werden. Umfangreiche Maßnahmen, die für die Eindämmung der Pandemie unerlässlich sind, aber von der europäischen Bourgeoisie abgelehnt werden, erfordern Billionen von Euro. Die Löhne, Arbeitsplätze und Renten von Millionen Arbeitern müssen vollständig geschützt werden. Krankenhäuser müssen gebaut und Beatmungsgeräte, Medikamente und Schutzausrüstung beschafft und produziert werden, um Leben zu retten und die Pandemie zu besiegen. Die Bereitstellung der notwendigen Summen erfordert die Enteignung der Banken und der obszönen, milliardenschweren Vermögen der europäischen Finanzaristokratie.

Die einzige Kraft, die dieses Programm durchsetzen kann, ist die europäische Arbeiterklasse. Sie muss auf der Grundlage einer internationalen sozialistischen Perspektive mobilisiert werden und die kapitalistische EU durch die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa ersetzen.

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