Hungerstreik in der Flüchtlingsunterkunft Halberstadt

Seit dem vergangenen Samstag, dem 4. April, befinden sich rund 100 Geflüchtete in Sachsen-Anhalt im Hungerstreik. Sie kämpfen gegen die unsäglichen Bedingungen, unter denen sie trotz Corona-Pandemie in der Unterkunft von Halberstadt eingesperrt werden.

In der Zentralen Anlaufstelle für Asylbewerber (ZASt) in Halberstadt werden rund 850 Personen ohne Schutz gegen das Coronavirus regelrecht eingesperrt. In der Unterkunft sollen bisher mehr als 20 Personen positiv auf Covid-19 getestet worden sein. Deshalb befindet sich die ZASt seit dem 28. März offiziell in Quarantäne. Allerdings machen die Bedingungen es den Eingeschlossenen unmöglich, sich vor Ansteckung zu schützen.

Als die Coronafälle im Lager bekannt wurden, versuchte eine Gruppe von Geflüchteten am letzten Samstag, einzelne Absperrgitter und Zäune niederzureißen. Sofort schickten die Behörden mehrere Mannschaftswagen der Polizei mit etwa 50 Polizisten, die gemeinsam mit der örtlichen Security brutal gegen die Menschen vorgingen. Laut einer Reportage von perspektive-online, die sich auf Berichte der Bewohner stützt, soll ein Sicherheitsmann eine schwangere Frau mit einem Schlagring geschlagen und verletzt haben.

Darauf trat eine große Gruppe der Geflüchteten in den Hungerstreik. Sie richteten sich in einem Brief an die Öffentlichkeit, in dem sie „Würde für Flüchtlinge“ fordern und in dem es heißt, die Bewohner des Lagers ZASt in Halberstadt hätten „in keiner Weise Zugriff auf irgendetwas, was nötig wäre, um uns vor Infektionen zu schützen … Die Infizierten wurden aus dem Lager genommen, aber sie haben alles hier berührt, deswegen kann sich das Virus hier schnell verbreiten.“

Ihre Forderungen richten sich außer auf Hygieneartikel zum Schutz gegen die Infektion auch auf die „Schließung des großen Halberstadt-Gefängnisses“ und eine „schnelle und bedingungslose Suche für Unterbringung … für die Älteren, Schwangeren und die, die sich um Kinder kümmern …“

Holger Stahlknecht, Innenminister von Sachsen-Anhalt, weist alle Forderungen nach dezentraler Unterbringung weit von sich. „Eine sofortige dezentrale Unterbringung, wie nun gefordert, bleibt aus fachlicher Sicht ausgeschlossen“, behauptet der CDU-Politiker. „Die Diskussion halte ich momentan für deplatziert.“

Dies liegt ganz auf der Linie der deutschen Bundesregierung und der Länderregierungen. An der Art und Weise, wie sie mit den geflüchteten Menschen umgehen, bringen sie ihre wirkliche Haltung gegenüber der gesamten Arbeiterklasse zum Ausdruck. Trotz geschlossener Grenzen halten die Innenministerien an Rückführungen fest und halten Menschen, die keinerlei Verbrechen begangen haben, weiterhin in Abschiebehaftanstalten eingesperrt.

Dabei bereiten sich Erreger in Zeiten einer Pandemie gerade in Massenunterkünften besonders schnell aus. Massenunterkünfte seien „epidemiologisch gesehen eine Katastrophe“, betonte der Caritas-Experte Kai-Gerrit Venske gegenüber dem Portal watson. Für die Menschen dort gebe es keine Möglichkeit, frühzeitig auf das Coronavirus getestet zu werden. „Da könnte uns bald ein böses Erwachen drohen“, so Venske.

Dennoch halten alle parlamentarischen Parteien an dem mörderischen Kurs der Bundesregierung gegen Asylbewerber und geflüchtete Menschen fest. Erst vor kurzem wurde im Land Thüringen, in dem Die Linke mit Bodo Ramelow regiert, die Erstaufnahmeeinrichtung in Suhl durch ein polizeiliches Großaufgebot überfallen.

Am vergangenen Sonntag unterdrückte die Polizei in allen Bundesländer Demonstrationen der Seebrücke. Die Demonstrationen richteten sich gegen die schlimmen Zustände in den Flüchtlingslagern in Griechenland. Auf griechischen Inseln wie Lesbos müssen zehntausende Menschen unter entsetzlichen Bedingungen ausharren, und das Coronavirus kann sich ungehindert ausbreiten.

Die Flüchtlingslager in Europa sind nur die Spitze eines Eisbergs. Covid-19 weitet sich zur globalen Pandemie aus, weil die soziale Polarisierung auf der ganzen Welt die Bedingungen dafür vorbereitet hat. Das zeigt ein (englischer) WSWS-Artikel von Jean Shaoul über die Auswirkungen von Covid-19 auf Afrika anschaulich auf.

Afrikas öffentliche Gesundheitsversorgung als völlig unzureichend zu bezeichnend, wäre noch grob untertrieben. So verfügt zum Beispiel die Zentralafrikanische Republik nur über drei Beatmungsgeräte für fünf Millionen Einwohner. Was Somalia angeht, so gibt es bisher in dem armen Land überhaupt keine Covid-19-Testkits, so dass Abstriche zur Analyse nach Südafrika geschickt werden müssen. In jedem afrikanischen Land machen endemische Armut und dicht gedrängte Städte mit großen Slums die soziale Distanzierung und Selbstisolierung zum Ding der Unmöglichkeit.

Hinzu kommt die Tatsache, dass durch bewaffnete Konflikte, Verfolgung und Naturkatastrophen viele Millionen Menschen zu Flüchtlingen, Asylsuchenden und Binnenvertriebenen werden. Viele von ihnen werden, wie in Libyen, unter grauenhaften Bedingungen in Folterlagern festgehalten. Die Verantwortung dafür tragen die imperialistischen Mächte und im Besonderen die EU. Im Interesse der Großkonzerne heizen sie die Konflikte an, finanzieren einheimische Militärdiktatoren und pressen die Länder aus, um ihre Märkte zu überschwemmen und ihre Ressourcen zu plündern.

Dabei liegt es auf der Hand, dass ohne eine vernünftige Eindämmung von Covid-19 auf der ganzen Welt – und besonders in Afrika! – die Zahl der Todesopfer weiter astronomisch ansteigen wird. Die Pandemie wird sich durch Flucht, Vertreibung und Binnenmigration in vielen afrikanischen Ländern einnisten und von dort in einer zweiten oder sogar dritten Welle erneut über die ganze Welt ausbreiten.

Zu Recht zitiert die WSWS-Autorin zur Einleitung das alte Sprichwort: „Eine Kette ist nur so stark wie ihr schwächstes Glied.“

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