Tarifverhandlungen für Verkehrsarbeiter:

Verdi sorgt dafür, dass Nahverkehr trotz Corona reibungslos läuft

Der Profit muss sprudeln. Damit die Beschäftigten in ihre Betriebe können, müssen ihre Kinder in die Schulen. Damit ihre Kinder in die Schulen kommen, muss der öffentliche Nahverkehr rollen. Dafür sorgt die Vereinigte Dienstleistungsgewerkschaft (Verdi).

BVG-Streik in Berlin

Im Oktober streikten tausende Arbeiter des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) in zahlreichen Städten Deutschlands. Die Warnstreiks und Protestaktionen richteten sich nicht nur gegen die miserablen Löhne und schlechten Arbeitsbedingungen. Die steigende Ansteckungsgefahr durch das Coronavirus angesichts völlig unzureichender Sicherheitsmaßnahmen trat mehr und mehr ins Zentrum der Auseinandersetzung.

Verdi versuchte, die wachsende Wut der Beschäftigten mit einer bundesweiten Kampagne „Tarifvertrag Nahverkehr 2020“ (TVN2020) aufzufangen. Sie organisierte vereinzelte und regional isolierte Streiks und täuschte einen Arbeitskampf vor. Auf keinen Fall sollte eine gemeinsame Mobilisierung von Bus-, Straßen- und U-Bahn-Fahrern mit den Beschäftigten im öffentlichen Dienst der Kommunen und des Bundes stattfinden. Die 2,3 Millionen Beschäftigten befanden sich zur selben Zeit in einer Tarifauseinandersetzung. Kaum hat Verdi den Ausverkauf der Beschäftigten in Bund und Gemeinden unterzeichnet, lässt die Gewerkschaft nun auch die Verkehrsarbeiter fallen.

Großspurig hatte Verdi im Rahmen ihrer TVN2020-Kampagne einen bundesweiten Rahmentarifvertrag für die 87.000 Beschäftigten der etwa 130 kommunalen Verkehrsunternehmen gefordert. Er sollte die regionale Spaltung der Beschäftigten beenden. In einem bundesweiten Vertrag sollten Mindeststandards im Hinblick auf die Urlaubstage, Überstundenvergütung und Schichtzulagen festgelegt werden. In einzelnen Bundesländern fordert Verdi zudem eine Arbeitszeitverkürzung bzw. kürzere Schichten.

Aber inmitten der sich rasant entwickelnden zweiten Pandemiewelle fand sich in den gewerkschaftlichen Forderungen nicht der kleinste Hinweis auf einen Schutz vor der Ansteckungsgefahr mit dem Coronavirus im ÖPNV!

Das ist nicht verwunderlich. Die mörderische Politik der Bundes- und Landesregierungen, die das Ausmaß der Pandemie befeuert und sich in dem brutalen Begriff der „Herdenimmunität“ zusammenfassen lässt, wird von den Gewerkschaften gegen die Belegschaften mitgetragen.

Wie groß die Gefahr der Ansteckung im ÖPNV ist, wo täglich hunderttausende Menschen auf engstem Raum zusammenkommen, weisen mittlerweile viele Studien nach. Gleichzeitig werden bewusst keine statistischen Erkenntnisse über Fahrer gesammelt, die an Covid-19 erkranken, oder sie werden der Öffentlichkeit vorenthalten.

Letzte Woche nun ließ Verdi die Forderung eines bundesweit einheitlichen Manteltarifvertrags unter den Tisch fallen und unterzeichnete in den beiden Bundesländern Sachsen und Baden-Württemberg gesonderte Verträge für die dortigen rund 12.000 Bus-, Tram- und U-Bahnfahrer.

Der am 27. Oktober mit den Arbeitgebern des ÖPNV Sachsens vereinbarte Mantel- und Entgelttarifvertrag hat eine Laufzeit bis Ende 2023. Die geforderte Arbeitszeitverkürzung tritt erst ab 1. April 2023 in Kraft. Die Arbeitszeit soll dann laut Vertrag auf eine 38-Stundenwoche mit Lohnausgleich gekürzt werden. Der Urlaubsanspruch soll auf 30 Tage steigen.

Die Löhne werden erst einmal eingefroren und ab April 2021 gestaffelt um durchschnittlich 1,7 Prozent erhöht. Gemessen an den steigenden Preisen und Mieten bedeutet das Lohnsenkung, was durch eine Erhöhung der Jahressonderzahlung (Weihnachtsgeld) um 200 Euro kaschiert werden soll.

In Baden-Württemberg verkündet Verdi für die 6.400 Arbeiter des kommunalen Nahverkehrs eine Gehaltssteigerung in Ankoppelung an den Tarifabschluss im öffentlichen Dienst, also eine stufenweise Erhöhung um 3,2 Prozent innerhalb von 28 Monaten. Die dort vereinbarte Corona-Prämie soll mit Ausnahme einiger Werkstattmitarbeiter für alle übernommen werden, genauso wie eine Erhöhung des Urlaubsgeld um 120 Euro. Für Fahrer und Fahrerinnen im Schichtdienst mit einer Betriebszugehörigkeit von zehn Jahren soll es ab 2022 einen „Entlastungstag“ geben.

Für die Beschäftigten des Rhein-Neckar-Gebiets mit den Städten Mannheim, Heidelberg und Ludwigshafen wird allerdings noch ein gesonderter Vertrag verhandelt.

In Berlin hatte Verdi aufgrund der besonders angespannten Situation durch den Teil-Lockdown und des großen Unmuts der Beschäftigten vorgeschlagen, die Manteltarifverhandlungen bis zum nächsten Frühjahr einzufrieren. Im Gegenzug sollte der Kommunale Arbeitgeberverband (KAV) der Zahlung einer Corona-Prämie zustimmen.

Der KAV lehnte jedoch ab, bot lediglich einmalig 500 Euro an und forderte gleichzeitig die Aussetzung der Verhandlungen bis Juni 2021. Das stieß innerhalb der Gewerkschaft auf Widerstand und Verdi kündigte daraufhin die Fortsetzung der Verhandlungen an. Im Neusprech der Gewerkschaft hört sich das so an: Nun ist der Weg „frei für erste Eckpfeiler in einem nach vorne gerichteten vollwertigen Tarifabschluss“.

In allen anderen Bundesländern finden ähnliche Verhandlungen statt.

Damit ist ein gemeinsamer bundesweit einheitlicher Tarifvertrag gestorben. Verdi erklärt das auf ihrer Website so: „Die VKA [Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände] weigert sich zwar, jetzt einen bundesweiten Rahmentarifvertrag zu verhandeln, ist aber bereit, mit uns in Gespräche zu einer Verständigung über einen gemeinsamen Prozess in der Zukunft einzutreten. So ein Prozess wird allerdings einige Zeit brauchen.“

In einem Bundesland nach dem anderen wird nun ein Ausverkauf vorbereitet und schöngeredet. In Sachsen schreibt Verdi dazu: „Mitten in der Pandemie und einer ausgeprägten Wirtschaftskrise, also in extrem wirtschaftlichen schwierigen Zeiten und auch noch auf lange Sicht unsicheren Zeiten, konnte folglich ein Kompromiss erzielt werden, der einen Einstieg in die Weiterentwicklung der Arbeitsbedingungen des ÖPNV bietet.“

Wen will die Gewerkschaft damit für dumm verkaufen? „Mitten in der Pandemie und einer ausgeprägten Wirtschaftskrise, also in extrem wirtschaftlichen schwierigen Zeiten“ verteilen die Europäische Union, die Bundesregierung und alle Landesregierungen Billionen Euro an die Großkonzerne. Für die Verkehrsarbeiter – und für alle „beklatschten“ systemrelevanten Beschäftigten – gibt es Almosen.

Die Betroffenen sind sich darüber bewusst. Eine Fahrerin der Münchener Verkehrsbetriebe ärgerte sich in den Sozialen Medien heftig darüber, dass sich die Verdi-Funktionäre wegen des „Abschlusses und der lachhaften Corona-Prämie selbst feiern“. Ein Kollege von ihr, Busfahrer in München, schrieb: „Rechnet man die Corona-Prämie auf drei Jahre, sind das im Monat 16,67 Euro! Juhu!“ Und auf 12 Monate gerechnet würde die Lohnerhöhung in Baden-Württemberg 50 Euro pro Monat ausmachen. „Wette aber“, so der Busfahrer, „in Bayern werden wir genauso verkauft.“

Ein Busfahrer der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) sagte der WSWS: „Die beiden Abschlüsse in Sachsen und Baden-Württemberg zeigen, dass man hier in Berlin genauso wenig erwarten kann von Verdi.“ Erst 2023 „eine Stunde weniger und auf drei Jahre nur geringe Lohnzuwächse sagen alles“. Ein Berliner Kollege sagte: „Dieser Abschluss ist ein Schlag ins Gesicht. Frechheit ist schon kein Ausdruck mehr. Wo ist da die Entlastung? Nach zehn Jahren ab 2023 einen Tag mehr Urlaub bringt den Angestellten jetzt überhaupt gar nichts. Das ist schon kein Witz mehr.“

Ein weiterer BVG-Arbeiter meint: „Das ist typisch Verdi. Erst groß aufrufen und dann nicht einmal gemeinsam einen Kampf führen.“ Bei einem richtigen Streik würden sofort viel mehr mitmachen. „Doch genau das wollen sie ja nicht. Sie sitzen doch alle am gleichen Tisch und wollen ihre Ruhe haben.“

Wie die WSWS während der Warnstreiks warnte, „arbeitet Verdi aufs Engste mit den Arbeitgebern zusammen“. Die Streikaktionen dienten wie in der Vergangenheit dazu, den „Dampf“ innerhalb der Belegschaften abzulassen, „um unabhängige Aktionen zu verhindern. Auf diese Weise soll sichergestellt werden, dass der Fahrbetrieb auch unter den widrigen und gefährlichen Corona-Bedingungen aufrechterhalten wird.“

Denn der öffentliche Nahverkehr ist für die wirtschaftlich und politisch Herrschenden und ihrer Politik der unbedingten Aufrechterhaltung der Profitwirtschaft absolut notwendig. Ohne ÖPNV kommen die Schülerinnen und Schüler nicht in die Schulen. Ohne den Schulbesuch können ihre Eltern nicht in die Betriebe. Das aber ist das ausdrückliche Ziel der Unternehmen und Regierungen in Bund und Ländern.

Verdi steht auf deren Seite und opfert Löhne, Arbeitsbedingungen, Gesundheit und Leben der Beschäftigten, die sie vorgibt zu vertreten, den Profitinteressen. Die Arbeiter können ihre Interessen nur dann wahrnehmen und wirkungsvoll verteidigen, wenn sie auch den Kampf gegen die Gewerkschaft aufnehmen. Sie müssen sich zu unabhängigen Aktionskomitees zusammenschließen und mit Arbeitskollegen in ganz Europa verbinden, um einen europaweiten Generalstreik vorzubereiten.

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