Mecklenburg-Vorpommern: Innenminister Caffier tritt wegen Verbindung zu Terrornetzwerk „Nordkreuz“ zurück

Am Dienstagnachmittag gab Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Lorenz Caffier auf einer Pressekonferenz seinen Rücktritt bekannt, nachdem weitere Einzelheiten über seine engen Verbindungen zur rechtsextremen Terrorgruppe „Nordkreuz“ – dem nördlichen Ableger des sogenannten „Hannibal“-Netzwerks – bekannt geworden waren. Der CDU-Politiker war über einen Zeitraum von 14 Jahren Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern und damit einer der dienstältesten Politiker in Deutschland.

Nachforschungen von taz und Spiegel hatten in den Tagen zuvor ergeben, dass Caffier Anfang 2018 bei dem Rechtsextremisten Frank T. eine Kurzwaffe der Marke Glock erworben hatte – angeblich, um damit auf die Jagd zu gehen. Der Waffenhändler Frank T. betreibt in der Kreisstadt Güstrow ein Schießgelände. Er gehörte laut Recherchen der taz über mehrere Jahre hinweg zur Nordkreuz-Gruppe, deren Mitglieder Waffen und Munition aus Polizei- und Bundeswehrbeständen horteten, Feindeslisten mit 25.000 Einträgen führten und sich auf die Ermordung politischer Gegner an einem „Tag X“ vorbereiteten.

Ende 2019 wurde Nordkreuz-Führer Marko G. nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz zu einer Bewährungsstrafe verurteilt, nachdem auf seinem Grundstück ein Waffendepot und knapp 60.000 Schuss Munition sichergestellt worden waren. Teile davon stammten aus Beständen von Polizei-Sondereinheiten aus mindestens sieben Bundesländern, andere von der Bundespolizei, der Bundeswehr und dem Zoll. Tausende Patronen ließen sich Frank T. oder seiner Firma „Baltic Shooters“ zuordnen.

Die Gruppe – darunter mehrere Beamte des Spezialeinsatzkommandos Mecklenburg-Vorpommerns – führte außerdem eine Bestellliste für 200 Leichensäcke und Ätzkalk. Noch heute verfügen Nordkreuz-Mitglieder über Zugang zu den Eurofighter-Kampfgeschwadern des Luftwaffenstützpunkts Rostock-Laage.

In einer „‘Nordkreuz‘-Standard-Operating-Procedure“, die Frank T. an Marko G. gesandt hatte und die dem ZDF vorliegt, heißt es: „Desto besser die Kommunikation, umso einfacher das Sammeln untereinander am Tag X. (…) Doch bis dahin gilt für jeden von uns, so wenig wie möglich aufzufallen.“

Caffier erklärte gegenüber der Presse: „Ich habe eine Waffe bei jemanden erworben, bei dem ich sie aus der heutigen Sicht nicht hätte erwerben dürfen. Aber: Nicht der Erwerb war ein Fehler, sondern mein Umgang damit. Dafür entschuldige ich mich.“ Gleichzeitig attackierte er heftig die Medien, denen er eine „völlig enthemmte Berichterstattung“ vorwarf. Der Vorwurf irgendeiner Nähe zu rechten Kreisen sei „schlicht absurd“. Sein Landtagsmandat will Caffier bis zum Ende der Legislaturperiode im kommenden Jahr behalten.

Frank T., der Caffier die Waffe verkaufte, arbeitet seit Jahren eng mit dem Innenminister zusammen und ist auf internationaler Ebene einer der führenden privaten Ausbilder von Berufsschützen. Zwischen 2004 und 2012 errang er insgesamt 42 deutsche Meistertitel in verschiedenen Schießdisziplinen.

Das Schusswaffenmagazin Caliber widmete Frank T. 2018 eine Reportage, die ihn als „talentierten Tausendsassa“ feiert. Über ein Dutzend Bilder zeigen ihn bei verschiedenen Schießübungen, eines auch in Anwesenheit Caffiers. Der Artikel zählt T. „zu den ganz wenigen Zivilisten in Deutschland, die in elitären Militär- und Polizeikreisen Schießpraxis-Unterricht erteilen“, und stellt fest, dass T. „die Crème de la Crème der Eliteeinheiten (…) ausgebildet“ habe. Mit seiner Firma „Baltic Shooters“ organisiere Frank T. auf dem Gelände in Güstrow seit 2004 „Wettkämpfe im dynamischen Schießen“, darunter Veranstaltungen „mit weit über 200 Startern aus aller Herren Länder“.

Eines dieser Events ist der alljährliche dreitägige „Special Forces Workshop“, an dem seit 2011 die verschiedensten Spezialkräfte teilnehmen, darunter Teams der GSG-9, EKO Cobra aus Österreich, SWAT-Teams aus den USA, KSK-Soldaten, Spezialeinsatzkommandos und USK-Bereitschaftspolizisten. Ebenfalls regelmäßig vertreten sind Heckler & Koch, Rheinmetall, Ruag und andere „hochkarätige Aussteller aus der Waffenindustrie“. Bilder von dem Bürgerkriegs-“Workshop“ zeigen Gefechtssituationen zwischen zerbombten Autos, Geiselnahmen und andere Straßenkampfszenarios.

Lorenz Caffier, dessen Innenministerium Frank T. für die Ausrichtung dieser Veranstaltung unter Vertrag nahm, war im Zeitraum von 2011 bis 2018 auch jedes Jahr ihr persönlicher Schirmherr.

T. wiederum brüstet sich offen mit seinen „behördlichen Beziehungen“. So erklärte er im Gespräch mit Caliber: „Ich hatte das große Glück, in Mecklenburg-Vorpommern eine sehr offene und mir Vertrauen entgegenbringende Behörde, einen toleranten LKA-Direktor und einen geraden Innenminister, der immer ein offenes Ohr hat, anzutreffen.“ Bei dem verantwortlichen LKA-Direktor handelt es sich um Ingolf Mager, den Caffier nach der Razzia bei G. und seinen Komplizen im SEK zum Landesverfassungsschutz versetzen ließ.

In einem Bericht der spezialkräftenahen Publikation SEK-Einsatz über das Wettschießen von 2016 heißt es, „die 14 verschiedenen Workshops“ seien von Frank T. „in enger Zusammenarbeit mit dem Landeskriminalamt (LKA) und dem Spezialeinsatzkommando (SEK) Mecklenburg-Vorpommern“ erarbeitet worden. Landespolizeiinspekteur Wilfried Kapischke habe den Teilnehmern seinen „Stolz“ und seine „Unterstützung“ zum Ausdruck gebracht, während Innenminister Caffier anreiste, „um sich persönlich bei allen Teilnehmern für ihre wichtige Arbeit zu bedanken“. Auch hier sind Caffier und Frank T. gemeinsam im Bild zu sehen.

Caffier hatte im Interview mit dem Spiegel zuletzt behauptet, beim Kauf der Waffe „arglos“ gewesen zu sein, da im Jahr 2018 angeblich „keiner (…) bei Frank T. mögliche Kontakte zu Rechtsextremisten vermutet“ habe. Das ist eine Lüge. In Wirklichkeit fanden bereits im August 2017 Durchsuchungen des Bundeskriminalamts bei Nordkreuz-Führer Marko G. statt, der in dieser Zeit für T. als Ausbilder auf dessen Schießgelände arbeitete.

Darüber hinaus war das LKA Mecklenburg-Vorpommern laut einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linkspartei bereits 2017 über die Nordkreuz-Chats informiert worden. Chatnachrichten zwischen T. und G., die in einem taz-Artikel vom April zitiert werden, lassen auch an T.s rechtsextremer Gesinnung keinen Zweifel. Sowohl das LKA, als auch der Landesverfassungsschutz, der im März 2018 Unterlagen des ermittelnden BKA erhielt, unterstehen dem Innenminister.

Die Verbindungen zwischen Frank T. und den terrorverdächtigen Nordkreuz-Verschwörern sind Legion. Nicht nur wurde Marko G. in den Güstrower Schießtrainings regelmäßig als Ausbilder eingesetzt – auch die Nordkreuz-Mitglieder Haik J. und Jan Hendrik H. waren „regelmäßig mit Gleichgesinnten auf dem Schießplatz“, berichtet der Spiegel. Bei Kriminaloberkommissar Haik J., einem AfD-Mitglied, und dem Anwalt Jan Hendrik H. handelt es sich um die Verwalter der Todeslisten.

Medienberichten zufolge soll Jan Hendrik H. zudem jedes Jahr am 25. Februar unter den bis zu 40 Nordkreuz-Mitgliedern eigene Schießwettbewerbe veranstaltet haben. Die Trophäe trug laut Zeugenaussagen den Namen „Mehmet-Turgut-Pokal“, benannt nach dem Imbissinhaber, der im Jahr 2004 an diesem Tag vom Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) ermordet worden war. H. war bis 2015 FDP-Mitglied und bis 2017 Abgeordneter der Rostocker Bürgerschaft.

Recherchen des ZDF und der taz machen das Bürgerkriegs-Training der Spezialeinheiten, dem Caffier bis 2018 jedes Jahr vorsaß, übereinstimmend als Umschlagsort der bundesweiten Waffentransfers aus. Demnach lag hier auch der Ursprung der Munitionsbestände von Marko G.. Ein gestohlenes Uzi-Maschinengewehr der Bundeswehr, das man bei Marko G. fand, war 1993 bei dem Panzergrenadierbataillon entwendet worden, bei dem G. zu dieser Zeit Dienst tat.

Die bei G. sichergestellten Gewehre und Patronen sind nur ein Bruchteil der Kriegswaffen, die bei der Bundeswehr in den letzten Jahren „abhanden gekommen“ sind. Insgesamt fehlen laut offiziellen Angaben 60 Kilogramm Sprengstoff Nitropenta (PETN), 74.161 Schuss Munition (diverse Kaliber), 8 Sturmgewehre (G36), 11 Schnellfeuergewehre (G3), 6 Maschinengewehre (MG3), 5 Pistolen (P8), 2 Fliegerfäuste, eine Maschinenpistole (Mp7), 8 Signalpistolen, 30 MG3-Rohre, 8 Waffenrohre (WS Tornados) und 23 Sprengkapseln. Laut gerichtlich festgestellten Aussagen von Nordkreuz-Mitgliedern hat die Hannibal-Gruppe in der Zwischenzeit „knapp 2000 Gleichgesinnte gefunden“ und „ein weites Netz über Europa“ aufgespannt.

Wie die World Socialist Web Site aufgezeigt hat, arbeitet die Regierung – gestützt auf Verfassungsschutz und Militärischen Abschirmdienst (MAD) – systematisch daran, die Existenz dieser Schattenarmee im deutschen Staatsapparat zu vertuschen und zentrale Figuren des Hannibal-Netzwerks vor den Blicken der Öffentlichkeit zu schützen.

Als im September dieses Jahres nach „polizeiinternen Ermittlungen“ zwei Polizisten im Zusammenhang mit rechtsextremen Chats suspendiert wurden, erklärte Caffier, dass ein rechtsextremes Netzwerk „nicht zu erkennen“ sei. Die Beamten hätten sich „von gemeinsamen Trainings“ gekannt und seien „faule Äpfel an einem sonst gesunden Baum“. Auf Presseanfragen von taz und ZDF reagierte Caffiers Innenministerium mit jahrelangem Schweigen und schließlich mit einem Hausverweis gegenüber dem Journalist Dirk Laabs.

Auch Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD), in deren Regierung Caffier bis zu seinem Rücktritt Innenminister und stellvertretender Ministerpräsident blieb, hat zu Fragen mit Nordkreuz-Bezug stets geschwiegen.

Zur gleichen Zeit werden kritische Politiker, Staatsanwälte und Journalisten, die den Nordkreuz-Komplex untersuchen oder kritisieren, mit dem Tode bedroht. Anfang Mai erhielten zwei Bundestagsabgeordnete, zwei Landtagsabgeordnete aus Mecklenburg-Vorpommern und Bayern, die Staatsanwaltschaft Schwerin sowie neun Redaktionen und eine Berliner Rechtsanwaltskanzlei per Mail eine Todesdrohung mit dem Wortlaut: „Wir haben genug Munition, um jeden von euch mit Genickschüssen zu beseitigen.” Wie der betroffene Landtagsabgeordnete Dirk Friedriszik (SPD) feststellte, hatten alle Adressaten der Morddrohung „sich mit ‚Nordkreuz‘ oder den Verbindungen dazu befasst“.

Friedriszik, der auch Mitglied des NSU-Untersuchungsausschusses ist und unter anderem mit dem ZDF-Journalisten Laabs zusammengearbeitet hatte, gab im September bekannt, nicht mehr für den Landtag kandidieren zu wollen. Zu den „zahlreichen Anfeindungen und Drohungen“ gegen seine Person und zu den Schüssen auf sein Haus habe es vonseiten der Landesregierung und der Behörden „kaum Ermittlungen“ gegeben. Deshalb sei er „nach reiflicher Abwägung und Gesprächen mit der Familie“ zu diesem Entschluss gelangt. Gegenüber dem Nordkurier erklärte er: „Ich stehe mit meinem größten Anliegen, dem Kampf gegen Rechts, in meiner Fraktion komplett alleine auf weiter Flur.”

Ministerpräsidentin Schwesig dankte Caffier am Mittwochabend „für seine politische Arbeit für das Land“ und die „vertrauensvolle Zusammenarbeit“. Als Caffiers Nachfolger im Innenministerium soll kommende Woche der bisherige CDU-Fraktionsvorsitzende Torsten Renz vereidigt werden. Renz ist seit 1999 Mitglied des Kreistages und der Stadtvertretung von Güstrow, dem Knotenpunkt des Nordkreuz-Netzwerks.

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