Engels im Fleischwolf

Die Stiftung der Linkspartei feiert den 200. Geburtstag von Friedrich Engels

Man nehme das fünfeinhalb Jahrzehnte umspannende Werk eines genialen Denkers, drehe es durch den Fleischwolf, wähle aus den Millionen Stücken ein halbes Dutzend aus und stelle sie in einen völlig falschen Zusammenhang! Nach diesem Rezept hat die Rosa-Luxemburg-Stiftung der Linkspartei den 200. Geburtstag von Friedrich Engels gefeiert.

Heraus kam ein Engels, der den Bedürfnissen dieser tief in den kapitalistischen Herrschaftsapparat integrierten Partei entsprach: Mal erschien er als Grüner, mal als Feminist, mal als knallharter Militarist, mal als deutscher Patriot. Mit dem wirklichen Engels – dem sozialistischen Internationalisten, dem unversöhnlichen Gegner der bürgerlichen Herrschaft, der Generationen von Arbeitern zu sozialistischen Revolutionären erzog – hatte er nicht das Geringste zu tun. Der Versuch, den geistigen Giganten auf die politischen Bedürfnisse der Linkspartei zurechtzustutzen, nahm teilweise groteske Züge an.

Corona-bedingt fand die Feier am Abend des 27. Novembers online statt. Die Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLS) hatte Funktionäre der Linkspartei, parteinahe Aktivisten sowie Sozialdemokraten eingeladen, um über Engels zu sprechen oder Texte vorzulesen, die Manfred Neuhaus und Michael Brie – zwei Marx-Engels-„Experten“ aus der stalinistischen DDR-Schule – für sie zusammengestellt hatten.

Den Auftakt machte Petra Pau, Linken-Abgeordnete und Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags. Sie verwandelte Engels in einen Grünen. „Friedrich Engels ein Ökologe, ein Grüner?“ fragte sie. „An der Sache ist was dran.“ Zum Beweis führte sie Engels Schrift „Dialektik der Natur“ an, die sie entweder nicht gelesen oder nicht verstanden hat. Denn Engels befasst sich darin nicht mit Umweltschutz, sondern mit der Begründung des dialektischen Materialismus. Er weist nach, dass es nicht nur im Denken, sondern auch in der Natur „dialektisch hergeht“ und das Denken die Natur widerspiegelt.

Welchen politischen Zweck Pau mit ihrem Beitrag verfolgte, wurde schnell deutlich. Sie missbraucht Engels für die Vorbereitung einer möglichen rot-rot-grünen Bundesregierung, die den Militarismus und die sozialen Angriffe weiter verschärfen würde. Linke im 21. Jahrhundert müssten „sozial engagiert (also Rote) und zugleich Grüne und Piraten“ sein, sagte sie.

Peter Brandt (Ausschnitt RLS-Video)

Nächster Redner war Peter Brandt, Vorstandsmitglied der sozialdemokratischen Friedrich-Ebert-Stiftung. Er würdigte Engels als „bedeutenden Philosophen, Ökonomen und Sozialwissenschaftler“, als „großen deutschen Denker“ und als „Meisternetzwerker und Großkommunikator der Internationalen“, nicht aber als Sozialisten und Revolutionär – und machte ihn zu einem Vorläufer der Kriegs- und Außenpolitik seines Vaters Willy Brandt, der von 1969 bis 1974 Bundeskanzler war, sowie späterer sozialdemokratischer Regierungschefs.

Engels theoretisches Interesse für militärische Fragen sei völlig „ideologiefrei“ gewesen, behauptete Brandt. Die Feindschaft gegen den russischen Zarismus habe ihn bis ans Ende seines Lebens als außenpolitische Konstante begleitet. Zusammen mit dem damaligen SPD-Vorsitzenden August Bebel habe er für den Fall eines Krieges mit Russland und das mit Russland verbündete Frankreich Überlegungen einer „revolutionären Vaterlandsverteidigung“ angestellt.

Brandt wärmt hier die alten Propagandalügen wieder auf, mit denen die SPD am 4. August 1914 ihren historischen Verrat begründet hatte. Sie hatte ihre Unterstützung für den Ersten Weltkrieg damit gerechtfertigt, dass Marx und Engels in einer früheren Epoche einen Krieg gegen Russland, das Zentrum der europäischen Reaktion, befürwortet hatten. Leo Trotzki, Rosa Luxemburg und Wladimir Lenin protestierten vehement gegen diese Geschichtsklitterung und wiesen nach, dass Deutschland mit dem Krieg gegen Russland (und Frankreich) rein imperialistische Ziele verfolgte.

Trotzki wies in seiner Schrift „Der Krieg und die Internationale“ darauf hin, dass selbst das SPD-Zentralorgan Vorwärts einen Tag vor der Zustimmung zu den Kriegskrediten noch den entgegengesetzten Standpunkt vertreten hatte.

Der Vorwärts hatte am 3. August 1914 geschrieben: „Freilich ist, seitdem einst die genannten (Bebel, Lassalle, Engels, Marx) Führer der Sozialdemokratie den demokratischen Krieg gegen Russland verlangten, Russland keineswegs mehr bloß der Hort der Reaktion, sondern auch der Herd der Revolution geworden. Den Zarismus zu stürzen ist jetzt die Aufgabe des russischen Volkes im allgemeinen und des russischen Proletariats im besonderen geworden, und wie rüstig gerade die russische Arbeiterklasse diese ihr durch die Geschichte gewordene Aufgabe anpackt, des sind gerade die letzten Wochen Zeugen gewesen.“

Eine Woche vorher hatte der Vorwärts gewarnt, dass, falls der Krieg gegen Russland zum Sturz der Zarenherrschaft führe, „die deutschen Armeen ein revolutionäres Russland mit noch größerer Energie bekämpfen und niederzuwerfen suchen als das absolutistische“. Genau so sollte es kommen. Die Zustimmung der SPD zu den Kriegskrediten stärkte die chauvinistischen Kräfte in Russland, und als die russische Arbeiterklasse schließlich den Zaren stürzte, verschärfte Deutschland – mit Unterstützung der SPD – seine Kriegsanstrengungen.

Der Historiker Brandt, der in seiner Jugend der pablistischen Gruppe Internationale Marxisten (GIM) angehörte, ist mit diesen Fragen bestens vertraut. Nach der deutschen Wiedervereinigung entwickelte er sich dann zu einem hemmungslosen Nationalisten. Als er 2005 in der rechtsradikalen Zeitung Junge Freiheit den rechten Publizisten Wolfgang Venohr verteidigte, der in seiner Jugend Mitglied der Waffen-SS gewesen war, stieß dies selbst in sozialdemokratischen Kreisen auf Befremden. Wenn er nun die Mär vom „Vaterlandsverteidiger“ Engels wieder aufwärmt, dient dies äußerst reaktionären Zielen. Der deutsche Imperialismus rüstet wieder massiv auf – und wird dabei sowohl von der SPD wie von den Grünen und der Linkspartei unterstützt.

Marx und Engels waren seit 1871, als der Krieg Deutschlands gegen Frankreich in einen Annexionskrieg umschlug und deutsche Truppen in Paris, wo die Arbeiterklasse die Macht erobert hatte, die Kommune niederwarfen, kompromisslose Gegner des deutschen Militarismus. Brandt, der dies nicht einfach ignorieren kann, versucht sie als Erfinder der sozialdemokratischen „Friedens- und Abrüstungspolitik“ darzustellen, die nie mehr war als ein Mittel imperialistischer Außenpolitik, mit dem Willy Brandt der deutschen Wirtschaft den Weg nach Russland und Osteuropa bahnte.

Brandt beruft sich auf Engels Artikel „Kann Europa abrüsten?“, der im März 1893 im Vorwärts erschien. Engels habe darin, so Brandt, die „Perspektive allgemeiner europäischer Abrüstung auf deutsche Initiative, ohne dass Herrschende befürchten mussten, ihrer Herrschaft verlustig zu gehen“, entwickelt. Auch dies ist Geschichtsklitterung sondergleichen.

In Wirklichkeit argumentierte Engels in seinem Artikel für die Umwandlung der stehenden Heere, einem Hort der politischen Reaktion, „in eine auf allgemeiner Volksbewaffnung beruhende Miliz“, eine alte demokratische Forderung. Der Aufrüstungswettlauf in Europa hatte zu diesem Zeitpunkt ein Ausmaß erreicht, wo er, so Engels, „entweder die Völker durch die Militärlast ökonomisch ruinieren oder in einen allgemeinen Vernichtungskrieg ausarten“ musste.

Engels weist in seinem Artikel nach, dass das Festhalten der Herrschenden am stehenden Heer rein politische Gründe hat: „Ich suche nur festzustellen, dass vom rein militärischen Standpunkt der allmählichen Abschaffung der stehenden Heere absolut nichts im Wege steht; und dass, wenn trotzdem diese Heere aufrechterhalten werden, dies nicht aus militärischen, sondern aus politischen Gründen geschieht, dass also mit einem Wort die Armeen schützen sollen nicht so sehr gegen den äußern wie gegen den innern Feind.“

Diese prinzipielle Argumentation – auf die Bebel seine einflussreichen Reichstagsreden stützte – mit den außenpolitischen Winkelzügen der SPD-„Friedenspolitik“ gleichzusetzen, ist absurd.

Auch der langjährige Juso-Vorsitzende und SPD-Karrierist Kevin Kühnert, der ebenfalls in der RLS-Geburtstagsshow auftrat, vertrat diese Linie. Er zitierte ebenfalls aus dem Vorwärts-Artikel von 1893 und behauptete, Engels habe darin die allgemeine Abrüstung als realistische Friedensoption dargestellt.

Wir wollen es dem Leser ersparen, hier auf sämtliche Veranstaltungsbeiträge einzugehen. Unter anderem kritisierte Ines Schwerdtner, die Chefredakteurin der deutschen Ausgabe des Jacobin-Magazins, das im Dunstkreis von Joseph Bidens Demokratischer Partei steht, Engels vom „feministischen“ Standpunkt.

Christa Luft (Ausschnitt RLS-Video)

Erwähnt werden muss aber der Auftritt von Christa Luft. Luft hatte 1990 als Wirtschaftsministerin der DDR die Treuhandanstalt gegründet, die dann die DDR-Volkswirtschaft abwickelte, tausende Betriebe verscherbelte und Millionen Arbeitsplätze vernichtete. Später veröffentlichte sie ein Buch, dessen Titel die Stimmung der herrschenden SED-Bürokratie auf den Punkt brachte. Diese war, so Ministerpräsident Hans Modrow, überzeugt, dass „der Weg zur Einheit unumgänglich notwendig (war) und mit Entschlossenheit beschritten werden“ musste. Lufts Buch heißt „Die Lust am Eigentum.“

Nun stellte Luft Engels als „Patrioten und Internationalisten“ dar, der deutsche Interessen stets vehement verteidigt habe. Zum Beleg las sie eine lange Passage aus Engels Buch „Der deutsche Bauernkrieg“ vor, die auf kulturelle Unterschiede zwischen der deutschen und britischen Arbeiterbewegung hinweist und den deutschen Arbeitern attestiert, sie hätten „den theoretischen Sinn bewahrt, der den sogenannten ‚Gebildeten‘ Deutschlands so ganz abhanden gekommen ist“. Von Patriotismus ist darin allerdings keine Spur zu finden – er existiert nur in der Einbildung Lufts.

Man ist versucht zu schreiben, dass sich Engels angesichts derart viel Dummheit und Fälschung im Grabe umdrehen werde. Doch das entspräche nicht seinem Charakter. Er würde eher schallend lachen und eine vernichtende Polemik schreiben, wie er sie 1877 gegen den theoretischen Quacksalber und politischen Reaktionär Eugen Dühring verfasst hatte.

Dass eine derart anti-revolutionäre, tief in den kapitalistischen Herrschaftsapparat integrierte Partei wie Die Linke weiterhin versucht, Engels für sich zu beanspruchen, beweist nur, wie groß seine politische Autorität und wie tief ihre Angst ist, dass sich die Arbeiterklasse und die Jugend dem großen Revolutionär zuwenden. Sein Erbe ist von der trotzkistischen Opposition gegen den Stalinismus verteidigt worden und wird heute vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale und seiner deutschen Sektion, der Sozialistischen Gleichheitspartei, verkörpert.

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