Perspektive

Nein, offene Schulen sind nicht sicher!

Am Montag kündigte der Bürgermeister von New York City, Bill de Blasio (Demokratische Partei), an, dass die Metropole ihre Sicherheitsrichtlinien für Schulen aufgibt und die Bildungseinrichtungen wieder öffnet, obwohl Covid-19 in der ganzen Stadt abermals außer Kontrolle gerät.

Bei der Öffnung ignoriert de Blasio einfach die Verordnung der Stadt, dass Schulen geschlossen bleiben, wenn die Positivrate bei Tests mehr als drei Prozent beträgt. Die Regel wurde ursprünglich eingeführt, um den Massenwiderstand der Lehrer gegen die unsichere Wiedereröffnung des Schulbezirks einzudämmen. Die Quote liegt nicht nur über drei Prozent, sie ist auf fast vier Prozent gestiegen.

Ein Vater legt seinem Kind die Maske an, Bradford-Schule in New Jersey am 10. Juni 2020 (AP Photo/Seth Wenig)

Die Entscheidung des Bürgermeisters, die von den Gewerkschaften unterstützt wird, entspringt nicht wissenschaftlichen oder gesundheitspolitischen Erwägungen. Vielmehr stehen die Forderungen der Wall Street dahinter. Die herrschende Klasse will die Schulen auch unter Bedingungen, die für die Kinder unsicher sind, geöffnet halten, damit ihre Eltern – ebenfalls unter unsicheren Bedingungen – wieder arbeiten können. Die Wiedereröffnung von Schulen in New York City, dem größten Schulbezirk der USA, ist ein Beispiel für das ganze Land und steht im Kontext der „Herdenimmunität“, der zentralen Politik der herrschenden Klasse in der Pandemie.

De Blasio rechtfertigt seine Handlungen mit einem einzigen Satz: „Wir wissen vor allem, weil Studien es durchweg zeigen, dass jüngere Kinder weniger negative Erfahrungen machen, und es weniger besorgniserregend ist, wenn es um die Ausbreitung bei jüngeren Kinder geht.“

Dies ist eine unverschämte Lüge. Alle seriösen wissenschaftlichen Untersuchungen widersprechen dieser Behauptung, dass es jetzt „weniger Sorgen“ wegen der Verbreitung von Covid-19 in Schulen gebe. Eine Studie, die erst vor zwei Wochen in Nature, einer weltweit führenden wissenschaftlichen Zeitschrift, veröffentlicht wurde, weist nach, dass die Schließung von Schulen eine der wirksamsten Methoden zur Eindämmung von Covid-19 ist.

Die Studie „Ranking the effectiveness of worldwide COVID-19 government interventions“ stammt von Medizinern der Universität Wien. Je mehr Daten vorhanden sind, desto deutlicher wird, dass Schulschließungen die Verbreitung von Covid-19 verhindern. So heißt es darin: „Schulschließungen haben in den Vereinigten Staaten die Inzidenz und Sterblichkeitsrate von Covid-19 um etwa 60% reduziert. Dieses Ergebnis steht auch im Einklang mit einer Kontaktnachverfolgungsstudie aus Südkorea, in der festgestellt wurde, dass Jugendliche im Alter von 10 bis 19 Jahren das Virus mit größerer Wahrscheinlichkeit verbreiten als Erwachsene und Kinder im gleichen häuslichen Umfeld.“

Der Nature-Artikel zitiert eine im Juli vom Journal of the American Medical Association veröffentlichte Studie mit dem Titel „Association Between Statewide School Closure and COVID-19 Incidence and Mortality in the US“ (Verbindung zwischen länderweiter Schulschließung und Covid-19-Inzidenz und –Sterblichkeit in den USA). Darin wird festgestellt: „Die Schließung von Schulen war mit einem signifikanten Rückgang sowohl der Inzidenz von Covid-19 (...) als auch der Mortalität verbunden.“ Mit anderen Worten: Die Schließung von Schulen rettet Leben.

Darüber hinaus besagte die Studie, die von Forschern des Cincinnati Children's Hospital Medical Center durchgeführt wurde: „Staaten, die Schulen früher schlossen, als die kumulative Inzidenz von Covid-19 gering war, wiesen die größte relative Verringerung von Inzidenz und Sterblichkeit auf.“

Die Ergebnisse der südkoreanischen Kontaktnachverfolgungsstudie, auf die Nature Bezug nimmt, wurden im Oktober in der Zeitschrift Emerging Infectious Diseases veröffentlicht, die von den US-amerikanischen Centers for Disease Control and Prevention (CDC) herausgegeben wird.

Am 25. Oktober erschien im Medical Journal of Australia eine weitere Studie mit dem Titel „COVID-19, children and schools: overlooked and at risk“ (Covid-19, Kinder und Schulen: übersehen und in Gefahr). Sie stammt von Zoë Hyde, einer Epidemiologin an der University of Western Australia. Darin heißt es: „Kinder sind möglicherweise anfälliger als ursprünglich angenommen, und bei der Übertragung in der Gesellschaft könnten sie eine Rolle spielen.“ Hyde schlussfolgert: „Wenn die Übertragung in der Gesellschaft beträchtlich ist, dürfen Schulen nicht im Präsenzunterricht offen bleiben.“

Dies steht im Einklang mit den Empfehlungen von der Weltgesundheitsorganisation sowie den CDC, Schulen nicht wieder zu öffnen, wenn es eine weite und wachsende Verbreitung von Covid-19 in der breiteren Bevölkerung gibt, wie dies derzeit in New York City der Fall ist.

De Blasios Ankündigung folgt auf eine wochenlange Kampagne in den US-Medien, angeführt von der New York Times. Hier wurde fälschlicherweise behauptet, die Öffnung von Schulen sei sicher, angeblich auf der Grundlage „neuer“ wissenschaftlicher Studien.

Am 22. Oktober veröffentlichte die Times einen Artikel mit dem Titel „Schulkinder scheinen Coronavirus-Wellen nicht zu schüren, sagen Wissenschaftler“, und darin heißt es: „Schulen verstärken offenbar nicht die Übertragung des Coronavirus durch die Gemeinschaft.“ Um die Behauptung in der Schlagzeile zu untermauern, beruft sich der Artikel der Times auf keine einzige Studie, die in einem namhaften wissenschaftlichen Journal veröffentlicht worden wäre. Ohne sich auf irgendeine Quelle zu stützen, die wissenschaftlichen Standards entsprechen würde, zitiert er lediglich vereinzelte persönliche Meinungen.

Außerdem kommt jeder, der den Artikel tatsächlich liest, zu dem Schluss, dass die Überschrift nicht zum Text passt und in Widerspruch zu vielem steht, was die Verfasserin tatsächlich sagt. Im Artikel heißt es: „Trends bei älteren Kindern (...) deuten auf eine größere Wahrscheinlichkeit der Ausbreitung von Infektionen hin.“ Und in Bezug auf die Situation in Schweden: „Lehrer in Schulen mit älteren Kindern hatten eine doppelt so hohe Infektionsrate wie diejenigen, die Distanzunterricht durchführten.“

Die Times verstärkte ihre verzerrte Berichterstattung am 11. November mit einem Kommentar unter der Schlagzeile: „New York, halt die Schulen offen!“

Die Kampagne der Times steht im Widerspruch zu früheren Artikeln, die von der Times selbst veröffentlicht wurden. Am 5. Mai schrieb Apoorva Mandavilli, die Autorin des oben zitierten Artikels, unter der Überschrift „Neue Studien zeigen, dass Kinder das Coronavirus übertragen können“: „Experten deuten die neuen Daten so, dass die Fälle in vielen Städten in den USA sprunghaft ansteigen könnten, wenn die Schulen bald wieder öffnen.“

Ende September berichtete die Times über die Existenz eines Komplotts von „Spitzenvertretern des Weißen Hauses“, welche „die Centers for Disease Control and Prevention in diesem Sommer unter Druck zu setzen, das Risiko herunterzuspielen, um Kinder wieder in die Schule zu schicken“.

Die Bemühungen der Regierung, die CDC unter politischen Druck zu setzen, zeigten Wirkung. Am 23. Juli veröffentlichten die CDC eine Erklärung mit dem Titel „Bedeutung der Wiedereröffnung der amerikanischen Schulen in diesem Herbst“, in der es heißt: „Wissenschaftliche Studien deuten darauf hin, dass die Übertragung von Covid-19 bei Kindern in Schulen gering sein könnte.“

Die Erklärung der CDC wurde von Medizinern und Wissenschaftlern allgemein als feige Kapitulation einer führenden wissenschaftlichen Behörde vor dem politischen Druck des Weißen Hauses verurteilt. Im stillschweigenden Schuldeingeständnis entfernte die CDC am 28. Oktober jene Erklärung von ihrer Website. Sie bleibt verschwunden und ist auf keiner staatlichen Website mehr zu finden.

Der Link zu dem entfernten Dokument leitet die Leser nun zu einer aktualisierten CDC-Aussage weiter. Diese stellt korrekt fest, dass „das vergleichsweise niedrige Risiko für Krankenhausaufenthalte und Todesfälle bei Kindern selbst in Beziehung zu dem Risiko gesetzt werden muss, das für Lehrer, Verwaltung und anderes Personal im schulischen Umfeld besteht“. Und weiter: „Es wird erwartet, dass das Infektionsrisiko von Lehrern, Verwaltung und anderen Mitarbeitern der Schule dem anderer Erwachsener entspricht.“

Mittlerweile ist es die Demokratische Partei, welche die Kampagne zur Wiedereröffnung von Schulen anführt. Einer derjenigen, die de Blasio aufforderten, die Schulschließungsanordnung für New York City zurückzunehmen, war zweifellos der designierte US-Präsident Joe Biden.

Die neue Biden-Regierung ist gegen jegliche koordinierte Maßnahmen, um die Ausbreitung des Virus zu stoppen. Sie hat mehrfach einen landesweiten Lockdown und Stopp der nicht systemrelevanten Produktion abgelehnt, obwohl die Krankheit außer Kontrolle gerät. Unabhängig von ihren taktischen Differenzen sind sowohl die Demokraten als auch die Republikaner einer Politik der „Herdenimmunität“ verpflichtet, bei der die Öffnung der Schulen ein zentraler Bestandteil ist.

Angesichts der bevorstehenden Impfmöglichkeiten, die bereits greifbar nahe sind, darf nicht zugelassen werden, dass auch nur ein einziges Leben riskiert wird! Lehrer, Eltern und die Arbeiterklasse als Ganzes dürfen nicht zulassen, dass sie der Profitgier der Finanzoligarchie zum Opfer fallen.

Die Arbeiterklasse muss eingreifen und Notfallmaßnahmen durchsetzen, um die Ausbreitung des Virus zu stoppen. Das Leben von Hunderttausenden steht auf dem Spiel!

Die Socialist Equality Party fordert die arbeitende Bevölkerung auf, in jeder Schule und an jedem Arbeitsplatz unabhängige Sicherheitskomitees zu gründen, die unabhängig sind von den Gewerkschaften und den beiden großen Parteien des Big Business. Diese Komitees müssen Verbindungen zu allen anderen Teilen der Arbeiterklasse herstellen, um einen gemeinsamen Kampf gegen die Reaktion der herrschenden Klasse auf die Pandemie zu organisieren.

Die Schulen müssen geschlossen bleiben, und die nicht-systemrelevante Produktion muss eingestellt werden. Die Billionen von Dollars, die an die Wall Street und die Großkonzerne ausgehändigt wurden, müssen beschlagnahmt werden, um allen betroffenen Arbeitern ein volles Einkommen zu sichern und qualitativ hochwertige, digital gestützte Bildungsangebote für alle Schüler zu finanzieren.

Immer deutlicher wird, dass der Kampf gegen die Pandemie ein politischer Kampf der Arbeiterklasse gegen die Trump-Regierung, die Demokratische Partei und die gesamte herrschende Klasse ist. Es ist ein Kampf für die Neuorganisation des Wirtschaftslebens und der Gesellschaft auf der Grundlage sozialer Bedürfnisse und nicht des Profits. Schließt euch dem Kampf für den Sozialismus an!

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