Daimler Truck: Nach der Abspaltung steht jeder zweite Arbeitsplatz auf der Kippe

Als Daimler-Truck-Vorstandschef Martin Daum im Anschluss an die Bilanzpressekonferenz vor zwei Wochen beiläufig erwähnte, dass bis zu 50 Prozent der Beschäftigten bis Ende 2033 nicht mehr benötigt werden, konnte er sich voll und ganz auf die Unterstützung der IG Metall und ihres Betriebsrates verlassen. Daum begründete den Stellenabbau mit der Umstellung von Verbrenner- auf Elektromotoren: „Ein elektrischer Antriebsstrang benötigt deutlich weniger Arbeitsstunden als ein Verbrenner.“ Das bedeute auch, dass man deutlich weniger ausbilden müsse, weil man weniger Mitarbeiter benötige.

Michael Brecht, Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats und Betriebsratschef im Getriebe- und Achsenwerk in Gaggenau, flankierte diese Ankündigung von Gewerkschaftsseite. In einem mehrseitigen persönlichen Brief an die Beschäftigten teilte er mit, dass 40 Prozent der Belegschaft von Daimler Truck in den kommenden Jahren ihren Job verlieren werde. An den vier Truck-Standorten Gaggenau, Wörth, Mannheim und Kassel sind mehr als 25.000 Mitarbeiter beschäftigt.

Brecht und Daum sprechen also darüber, mindestens 10.000 Arbeitsplätze allein in Deutschland zu vernichten. Inwieweit der Arbeitsplatzabbau auf die über 50.000 Beschäftigten außerhalb Deutschlands ausgeweitet wird, dazu schweigen sich die beiden aus. Man kann davon ausgehen, dass die IG Metall und ihr Betriebsrat versuchen werden, die Arbeiter nach Nationen und Standorten gegeneinander auszuspielen, um so das bevorstehende Arbeitsplatzmassaker durchzuführen.

Anders als Daum spricht Brecht nicht von 2033, sondern von den „kommenden Jahren“ – ein Hinweis darauf, dass der Stellenabbau sehr bald beginnen wird. Genauso wie der Vorstandsvorsitzende Daum sorgt sich Brecht ausschließlich um die Kapitaleigner. So betont er, dass der Personalabbau vor der Ausgliederung des Bereichs Trucks & Bus aus der Daimler AG und seine Umwandlung in eine eigenständige börsennotierte Aktiengesellschaft den Börsenwert des Unternehmens steigern werde.

Daimler-Chef Ola Källenius hatte im Januar mitgeteilt, dass die Daimler AG in zwei eigenständige DAX-Unternehmen, die Daimler Trucks AG und die Mercedes-Benz AG, aufgeteilt werde. Die Umwandlung soll bis zum Ende dieses Jahres abgeschlossen sein.

Die Entwicklungen seit dieser Ankündigung sind ein Paradebeispiel für die kriminelle Rolle der IG Metall, die die Belegschaft mit Halb- und Unwahrheiten manipuliert, um die Pläne des Managements durchzusetzen. Brechts persönlicher Brief an die Belegschaft diente vor allem einem Zweck: Die Arbeiter, die sich berechtigte Sorgen um ihre Arbeitsplätze machen, zu beschwichtigen und jeden Anschein von Opposition seitens der Arbeiter im Keim zu ersticken.

Denn Brecht ist sich mit Källennius und Daum einig. Unmittelbar nach der Ankündigung der Unternehmensaufspaltung lobte er sie: „Die Transformation unserer Industrie schreitet schnell voran. Damit wir Schritt halten können, müssen wir mutiger und mit schnelleren Entscheidungen Investitionen in Innovationen tätigen.“ „Wir“, also die IG Metall und ihr Betriebsrat, werden dabei „aktiv unsere Ideen einbringen“. Das bringe zusätzliche Perspektiven für „unsere Standorte und sichert Beschäftigung“.

Die Arbeiter teilten seine Begeisterung nicht, so dass er große Anstrengungen unternahm, seinen riesigen Apparat aus Betriebsräten und Vertrauensleuten zu mobilisieren, um die Arbeiter in falsche Sicherheit zu wiegen und diejenigen, die kritische Fragen stellen, einzuschüchtern. Der Stuttgarter Zeitung klagte Brecht, er müsse viel herumreisen, um Tausende von Vertrauensleuten dafür zu gewinnen.

Seine Versprechen auf neue Produkte und Ersatzarbeitsplätze für alle, die jetzt noch in der Produktion von Verbrennungsmotoren beschäftigt sind, sind falsch und verlogen.

Brecht und die Daimler-Betriebsratsspitzen wussten nicht nur im Voraus Bescheid, sondern entwarfen zusammen mit dem Management auch die Pläne zum Abbau der Arbeitsplätze. Daum informierte die Medien unmittelbar nach Bekanntwerden der Trennungspläne, dass sich der Konzern bei den Verhandlungen zur Aufspaltung mit der IG Metall über den Stellenabbau verständigt habe.

Die Gesamtzahl des Arbeitsplatzabbaus, den Management und IG Metall planen, wird höher sein, als Arbeiter derzeit befürchten. So gab Daimler letzte Woche bekannt, dass der Konzern nicht mehr in die Neuentwicklung von Motoren für mittelschwere Lastwagen und Busse investiere. Entsprechend einer vorläufigen Vereinbarung mit dem auf Dieselmotoren spezialisierten US-Hersteller Cummins sollen zukünftig dessen Dieselmotoren in Daimler LKWs und Busse eingebaut werden. Die Produktion von Dieselmotoren, die der strengen Euro 7 Norm entsprechen, soll dabei von Cummins im Mannheimer Daimler-Werk aufgenommen werden. Ob die jetzige 4800-köpfige Belegschaft zu Cummins wechseln muss, und wenn ja unter welchen Bedingungen, ist nicht bekannt.

Die Aufspaltung des Daimler-Konzerns und der damit einhergehende Stellenabbau sollen die Aktionäre auf Kosten der Arbeiter bereichern. Nachdem Daimler-Chef Källenius kürzlich stolz einen Gewinn von 6,6 Mrd. Euro im Corona-Jahr 2020 ankündigen konnte, hat er sofort das Sparprogramm beschleunigt. Diesem sollen im Gesamtkonzern 30.000 Arbeitsplätze zum Opfer fallen.

Vor wenigen Tagen interviewte die Stuttgarter Zeitung Daimler-Arbeiter beim Schichtwechsel am Werkstor in Untertürkheim. Die Stimmung unter ihnen brodelt. Aus Furcht vor Repressionen wollten sie anonym bleiben. Ein Gießereiarbeiter sagte: „Die Stimmung ist schlecht, überall wird gespart.“ Weiter drückte er seine Befürchtung über eine mögliche Werksschließung aus: „Es wird zwar noch teilweise investiert, aber nicht so viel wie in das Werk in Sindelfingen.“ In Sindelfingen wird unter anderem für die Hightech-Fabrik investiert, die die S-Klasse produziert.

Ein anderer Beschäftigter aus der Logistik kommentierte die von der Gewerkschaft oft zitierte Vereinbarung zur Zukunftssicherung. Er halte diese angeblich bis 2030 geltende Vereinbarung für Makulatur: „Mich besorgt ein drohender Stellenabbau.“

Die Stuttgarter Zeitung warnt vor der explosiven Stimmung, die Källenius Vorgehen im Interesse der Aktienbesitzer provoziert: „Die Stimmung in den Werken von Bremen bis Stuttgart ist schon jetzt schlecht, die Menschen sorgen sich um ihre Zukunft, die geplante Aufspaltung des Konzerns hat die Unsicherheit noch vergrößert. Källenius kann sich auf dem vergleichsweise positiven Jahr 2020 nicht ausruhen. Die wirklich großen Auseinandersetzungen stehen erst noch an.“

Die Daimler-Arbeiter machen sich berechtigte Sorgen um ihre Zukunft. Doch die Zukunft ihrer Arbeitsplätze, ihrer Löhne und in Zeiten von Corona auch ihrer Gesundheit können sie nur sichern, wenn sie sich unabhängig von den Co-Managern der IG Metall und ihres Betriebsratsapparates organisieren. Ein kompromissloser Kampf zur Verteidigung jedes Arbeitsplatzes, der Lebensgrundlage aller Arbeiter, muss aufgenommen werden, nicht nur bei Daimler, sondern in der ganzen Industrie.

Überall gärt es, das zeigen die Warnstreiks in der Metall- und Elektroindustrie, zu denen die Autoindustrie gehört. Und das zeigt der Hungerstreik von rund zwei Dutzend WISAG-Beschäftigten gegen ihre Entlassung, und die Weigerung der Geschäftsleitung, ihr Gehalt seit Oktober zu zahlen. Sie waren seit vielen Jahren als Busfahrer am Frankfurter Flughafen beschäftigt und haben zusammen mit 230 anderen Arbeitern der Flughafen-Bodendienste ihren Job verloren. Das Besondere an ihren Aktionen ist, dass sie sich unabhängig von Verdi und ihrem Betriebsrat organisiert haben. Sie rufen andere Arbeiter zur Unterstützung auf: „Heute wir, morgen ihr!“

Es ist dringend notwendig, diese Arbeiter zu unterstützen und den Kampf auszuweiten – über einzelne Branchen und Ländergrenzen hinaus. Dafür tritt das Netzwerk der Aktionskomitees für sichere Arbeitsplätze ein. Wir fordern alle Arbeiter bei Daimler, anderen Autoherstellern und anderen Wirtschaftszweigen auf, diesem Netzwerk mit ihren eigenen unabhängigen Komitees beizutreten.

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