Internes Pentagon-Dokument bestätigt Untätigkeit des Militärs während des Putschversuchs am 6. Januar

Die Nachrichtenagentur Associated Press (AP) hat am Wochenende einen internen Bericht des Pentagon veröffentlicht, in dem mehrere Telefonate zwischen Kongressabgeordneten und dem Verteidigungsministerium während des Sturms auf den Kongress am 6. Januar geschildert wurden. Aus diesem Bericht geht hervor, dass die von Trump ernannten Pentagon-Beamten trotz der eindringlichen Bitten um Hilfe von Abgeordneten und Vizepräsident Mike Pence den Einsatz von Truppen stundenlang bewusst verhindert haben, obwohl faschistische Mobs im Kapitol wüteten und den Tod der Eingeschlossenen forderten.

Laut dem Bericht hat Pence am 6. Januar um 16:08 Uhr, mehr als zwei Stunden nachdem Angehörige der faschistischen Proud Boys Fenster im Kapitol eingeworfen hatten, den amtierenden Verteidigungsminister Christopher Miller telefonisch aufgefordert, „das Kapitol zu räumen“.

AP schrieb, Pences Telefonat mit Miller habe „nur eine Minute gedauert“. Der Vizepräsident, der noch immer an einem „sicheren Ort“ eingesperrt war, forderte eine Frist, in der das Kapitol geräumt sein sollte. Laut AP musste Pence den Anruf tätigen, weil Trump, der Organisator des Coups, während des Angriffs auf den Kongress „nicht verfügbar“ war.

Randalierer versuchen am 6. Januar 2021 eine Polizeiabsperrung vor dem Kapitol in Washington zu durchbrechen. (AP Photo/John Minchillo, Archiv) [AP Photo/John Minchillo]

Das bedeutet, dass der amtierende Verteidigungsminister Miller, ein ehemaliger Offizier der Special Forces und Trump-Anhänger, die Befugnis zum Einsatz der Nationalgarde von Washington DC hatte.

Der Bericht lässt außerdem erkennen, dass außer Pence auch führende Kongress-Politiker verzweifelt an Vertreter des Militärs appellierten, die Nationalgarde zu mobilisieren.

Mehr als eine Stunde nachdem Randalierer in den Sitzungssaal des Senats eingedrungen waren, erklärte der Mehrheitsführer im Senat, Chuck Schumer, dem Generalstabschef Mark Milley und anderen Militär- und Pentagon-Funktionären: „Wir brauchen Hilfe.“ Um 15:19 Uhr forderten Schumer und die Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, vom Pentagon die Entsendung der Nationalgarde zum Kapitol.

Die Abgeordneten wurden in unterirdische Tunnel gebracht, weg von dem Mob aus Trump-Anhängern, rechtsextremen Milizen und Neonazis, die teilweise mit Knüppeln, Pfefferspray und Seilen bewaffnet waren. Offensichtlich ging es hochrangigen Pentagon-Funktionären weniger um die Sicherheit der Abgeordneten, als darum, sich selbst zu schützen.

Laut AP hat das Pentagon um 15:37 Uhr „seine eigenen Sicherheitskräfte mobilisiert, um die Häuser von führenden Persönlichkeiten des Verteidigungsministeriums zu schützen. Allerdings hatten zu dieser Zeiten noch keine Truppen das Kapitol erreicht.“

Um 15:44 Uhr rief Schumer erneut im Pentagon an und forderte die Verantwortlichen auf: „Sagen Sie dem Präsidenten, er soll auf Twitter allen den Rückzug befehlen.“ Gleichzeitig forderte der Mehrheitsführer des Repräsentantenhauses, Steny Hoyer, vom Pentagon die Entsendung von aktiven Soldaten zum Kapitol.

Obwohl Pence um 16:08 Uhr bei Miller anrief, erteilte Miller dem Befehlshaber der Nationalgarde von Washington, William Walker, erst eine Stunde später, um 17:08 Uhr, die Erlaubnis zum Einsatz der Nationalgarde. Das Telefonat zwischen Pence und Miller erfolgte etwa zwei Stunden und 19 Minuten, nachdem Walker von Miller erstmals die Erlaubnis beantragt hatte, seine Soldaten zur Unterstützung der überwältigten Polizei zum Kapitol zu schicken.

Um zirka 16:30 Uhr, etwa 13 Minuten nachdem Trump seine „besonderen“ Anhänger per Twitter aufgerufen hatte, „friedlich nach Hause zu gehen“, gab Miller Walker die Erlaubnis, die Nationalgarde zum Kapitol zu schicken. Dies erfuhr er jedoch erst nach fast 40 Minuten.

Obwohl Walker scheinbar die Erlaubnis zur Mobilisierung erhalten hatte, telefonierten Pelosi und Schumer um etwa 16:40 Uhr erneut mit General Milley und dem Rest der Militärführung und forderten, der amtierende Minister Miller solle „das Gelände sichern“.

In der Chronik der Ereignisse heißt es dazu, während des halbstündigen Telefonats hätten Pelosi und Schumer „dem nationalen Sicherheitsapparat vorgeworfen, er habe von den Plänen der Demonstranten gewusst, das Kapitol anzugreifen“.

Diese erstaunliche Enthüllung widerlegt einmal mehr die Behauptungen der Geheimdienste, der Polizei von Washington DC und der Chefs der Capitol Police, die Geheimdienste hätten keine Anhaltspunkte dafür gehabt, dass die Kundgebung am 6. Januar gewalttätig werden könnte und dass der Kongress selbst das Ziel war.

Der Bericht enthüllt außerdem, dass Milley, Trump und sein ganzes Kabinett am 3. Januar gemeinsam über die Mobilisierung der Nationalgarde zur Vorbereitung der geplanten Kundgebung diskutiert hatten. Diese Enthüllung verdeutlicht, dass die gesamte zivile und militärische Führung des Pentagon und die Leiter der diversen Geheimdienste gerichtlich vorgeladen werden müssen, um ihre Beteiligung und ihre Kenntnisse über den Versuch, das Ergebnis der Wahl zu kippen, zu ermitteln. Während des Treffens genehmigte Trump laut AP die Mobilisierung der Nationalgarde von Washington und erklärte gegenüber Miller, er solle „tun, was immer angesichts der Ereignisse notwendig ist.“

Nach dem Treffen veröffentlichten Miller und der Secretary of the Army, Ryan McCarthy, zwei Anweisungen, die die Fähigkeit der Nationalgarde von DC, am 6. Januar eine effektive Rolle für die Sicherheit zu spielen, deutlich einschränkte.

Am 4. Januar erhielt Walker ein Memorandum von McCarthy, in dem ihm untersagt wurde, ohne vorherige Genehmigung von Miller Nationalgardisten mit Waffen, Helmen, Körperpanzern und Straßenkampfausrüstung zu mobilisieren. Zudem wurde ihm erlaubt, die zuvor genannte schnelle Eingreiftruppe von Soldaten nur als „letzte Option“ einzusetzen. Am 5. Januar folgte ein weiteres Memorandum, das ihm die Mobilisierung einer schnellen Eingreiftruppe aus Soldaten ohne McCarthys Genehmigung untersagte.

Am 3. März erklärte Walker in einer Anhörung vor den Ausschüssen für Verfahrensregeln und Heimatschutz, derartige Memoranden hätte er in seiner ganzen militärischen Laufbahn noch nie erhalten: „Es sah vor, dass ich die Genehmigung des Secretary of the Army und des Verteidigungsministers brauche, um auch nur meine Nationalgardisten schützen zu können.“

Walker sagte aus, die Verzögerung von drei Stunden und 19 Minuten habe ihn „fassungslos gemacht und frustriert“. Weiter erklärte er, während der Proteste gegen Polizeigewalt am 1. Juni sei Secretary of the Army McCarthy „direkt neben mir“ gestanden und war bereit, alle Anforderungen zu genehmigen. Doch während des Angriffs am 6. Januar war McCarthy laut Aussage von Walker „nicht erreichbar“ und konnte seine Anträge nicht genehmigen.

Miller wurde zum amtierenden Verteidigungsminister ernannt, nachdem Trump seinen Vorgänger Mark Esper am 9. November entlassen hatte. Esper hatte sein Schicksal besiegelt, als er sich öffentlich gegen Trumps Drohung vom 1. Juni gestellt hatte, den Insurrection Act anzuwenden, um aktive Soldaten zur Unterdrückung der Proteste gegen Polizeigewalt in die wichtigsten Großstädte der USA zu schicken. Milley teilte Espers Haltung, da beide fürchteten, der Einsatz von Soldaten würde in der Arbeiterklasse massiven und möglicherweise unkontrollierbaren Widerstand auslösen.

Obwohl das ganze Kabinett, General Milley und Trump drei Tage vor dem Putschversuch über mögliche Gewalt und den Einsatz der Nationalgarde am Kapitol diskutiert hatten, veröffentlichte kein Inlandsgeheimdienst irgendwelche Berichte, die normalerweise mit solchen Bedrohungen einhergehen. Damit sind sie selbst tief in das Komplott verwickelt, die Bestätigung des Wahlergebnisses zu verhindern.

FBI-Direktor Christopher Wray bestätigte Anfang letzten Monats bei Anhörungen vor dem Kongress, dass das FBI für den 6. Januar keine Bedrohungsanalyse veröffentlicht hatte. Melissa Smislova, eine hohe Beamtin im Heimatschutzministerium (DHS), bestätigte bei der gleichen Anhörung, dass das DHS die gemeinsame Sitzung des Kongresses am 6. Januar trotz zahlreicher bekannter Drohungen nicht als nationales Ereignis mit besonderer Bedrohungslage eingestuft hatte.

Der Bericht ist der aktuellste schlagkräftige Beweis dafür, dass am 6. Januar nicht etwa nur ein paar übereifrige Trump-Anhänger die verdächtig schlecht vorbereitete Capitol Police überwältigt haben. Vielmehr handelte es sich um eine koordinierte Operation von faschistischen Milizen, Teilen der Polizei, des Militärs, der Geheimdienste und der Republikaner mit dem Ziel, das Wahlergebnis zu kippen und Trump als diktatorisch regierenden Präsidenten einzusetzen.

Die Veröffentlichung des Berichts ist Ausdruck der beispiellosen Krise innerhalb des kapitalistischen Staats, die auch mehr als drei Monate nach dem Putschversuch noch andauert. AP erklärte, sie hätte das Dokument „erworben“, und seine Inhalte seien „von Vertretern der derzeitigen und der früheren Regierung geprüft.“

Die Mainstream-Medien orientierten sich an der Reaktion von Präsident Joe Biden und der Demokratischen Partei und ignorierten den skandalösen Bericht weitgehend. Die Demokraten-nahen Zeitungen Washington Post und New York Times veröffentlichten auch mehr als 24 Stunden nach der Veröffentlichung des spektakulären Berichts keinen einzigen Artikel darüber.

Sie folgen dabei der Haltung von Biden und den Demokraten, die vor allem die „Einigkeit“ mit ihren „republikanischen Kollegen“ anstreben, um vor der Arbeiterklasse die Gefahr des Faschismus zu verheimlichen und ihren gemeinsamen Klassenkurs fortzusetzen. Wenn die Beteiligung der Polizei und des Militärs an dem Putschversuch enthüllt würde, könnte dies eine massive soziale Explosion von unten gegen den Staat und beide Parteien auslösen.

Um dies zu verhindern haben Pelosi und ehemalige Vertreter des Heimatschutzministeriums die Diskussionen über eine gemeinsame Untersuchungskommission über die Ereignisse vom 6. Januar, ähnlich wie nach dem 11. September 2001, wieder aufleben lassen. Tatsache ist jedoch, dass die Schaffung einer solchen Kommission eher dazu dienen würde, das volle Ausmaß der „Bedrohung von innen“ zu verheimlichen statt zu enthüllen.

Obwohl die Demokraten beide Kammern des Kongresses und die Exekutive kontrollieren, haben sie auch drei Monate nach dem Putschversuch noch nicht einen einzigen hochrangigen Pentagon-Vertreter vorgeladen, um deren aufrührerische Aktionen zu erklären. Allein diese Tatsache verdeutlicht, dass eine unabhängige Untersuchung notwendig ist, die außerhalb der Kontrolle der Demokraten durchgeführt wird, einer Partei der Wall Street und des Militärs.

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