Flutkatastrophe: dramatische Schäden und wachsende Wut

In den letzten Tagen ist es zu weiteren starken Regenfällen und Überschwemmung in Süddeutschland, Sachsen und Berlin gekommen. Auch in Belgien wurden erneut starke Überschwemmungen gemeldet. Besonders betroffen ist diesmal die Stadt Dinant in der Nähe von Namur.

In den vom Unwetter und den Überflutungen Mitte letzter Woche am schwersten betroffenen Gebieten in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen ringen die Menschen weiter mit der enorm hohen Zahl an Todesopfern, Verletzten und den ungeheuren Schäden, die an Häusern, Betrieben, Geschäften, Gaststätten, Hotels, Straßen, Brücken und der gesamten Infrastruktur angerichtet worden sind.

Allein im Ahrtal in Rheinland-Pfalz sind mindestens 132 Menschen ums Leben gekommen. Sie ertranken in ihren Häusern und Wohnungen oder wurden von den Wassermassen mitgerissen. Der normalerweise recht friedliche Fluss Ahr verwandelte sich innerhalb weniger Stunden in einen reißenden – stellenweise über acht Meter hohen – Strom. Über 149 Menschen werden in dieser Region noch vermisst.

In Nordrhein-Westfalen sind nach offiziellen Angaben 47 Menschen bei diesem Unwetter ums Leben gekommen. Auch hier sind viele Häuser, Straßen und andere grundlegende Infrakstruktur zerstört worden. Belgien hat mindestens 36 Todesopfer zu beklagen

Die Deutsche Bahn schätzt die Schäden an Strecken, Bahnhöfen und Fahrzeugen in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen auf insgesamt rund 1,3 Milliarden Euro. Nach ihren Angaben sind 600 Kilometer Gleise, 50 Brücken, Dutzende Stationen und Haltepunkte betroffen.

In vielen vom Hochwasser heimgesuchten Gebieten fehlt es nach wie vor an Trinkwasser- und Stromversorgung. Auch die Mobilfunknetze sind teilweise noch gestört. Die Schäden an Häusern und Infrastruktur in den betroffenen Gebieten gehen in die Milliarden.

Die bisher zugesagten Soforthilfen von Bundes- und Landesregierungen im Gesamtumfang von 400 Millionen Euro sind da nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Sie belaufen sich auf 1500 Euro für einen Haushaltsvorstand und je 500 Euro für jedes weitere Familienmitglied bis zu einem Höchstbetrag von 3500 Euro.

Viele der Betroffenen haben auch Zweifel, ob diese Hilfe wirklich schnell bei ihnen ankommt. Nicht wenige befürchten aufgrund von Erfahrungen in vergleichbaren Situationen – nicht zuletzt den Auswirkungen der Pandemie – leer auszugehen.

Von den etwa 50.000 Anwohnern der Ahr sind über 40.000 von den Flutschäden betroffen. Notunterkünfte für Menschen, deren Häuser und Wohnungen zerstört sind, sind in teilweise erbärmlichem Zustand. Die unmittelbare gegenseitige Hilfe und Solidarität unter Betroffenen ist sehr groß, Hilfe von staatlicher Seite dagegen kaum zu sehen, wie Menschen aus dem Kreis Ahrweiler einem Reporterteam der World Socialist Web Site am vergangenen Donnerstag berichteten.

Die WSWS hat bereits früheren Artikeln und Statements erklärt, dass die Katastrophe nicht einfach ein unvermeidliches Naturereignis ist. Dass die Flut so viele Menschen getötet und solch verheerende Schäden angerichtet hat, ist eine direkte Folge der kriminellen Untätigkeit der Regierungen auf Bundes- und Landesebene.

Als die Menschen von den tödlichen Wassermassen überrascht wurden, waren Regierung und Behörden längst gewarnt. Doch sie blieben untätig, weigerten sich, Evakuierungen und Schutzmaßnahmen einzuleiten. Sie informierten die Bevölkerung nicht einmal über die heraufziehende Gefahr.

Die britische Zeitung Sunday Times berichtete bereits vor einer Woche, dass die ersten Anzeichen der drohenden Katastrophe bereits neun Tage vorher durch einen Satelliten angezeigt worden seien. Vier Tage vor der Flutkatastrophe warnte dann das Europäische Hochwasser-Warnsystem (Efas) die deutsche Regierung. Weitere Warnungen sagten mindestens 24 Stunden vorher sehr präzise voraus, welche Bezirke am schlimmsten betroffen sein würden.

Das Wochenmagazin Der Spiegel geht in seiner aktuellen Titelstory mit dem Titel „Schutzlos: Mehr als 170 Tote – Chronik einer vermeidbaren Katastrophe“ einigen Aspekten des staatlichen Versagens durch mangelnde Vorsorge und angemessene Warnungen der Bevölkerung nach.

Angesichts der Warnungen des Deutschen Wetterdienstes sowie Warnungen von Meteorologen und Wissenschaftlern vor den heftigen Unwettern und den damit verbundenen Gefahren kommt Der Spiegel zu dem Schluss: „Man hätte es also wissen können. Man hätte es wohl sogar wissen müssen.“

Das Magazin beschreibt, wie Straßen trotz des heraufziehenden Starkregens nicht gesperrt wurden, Warnsysteme entweder nicht vorhanden waren oder nicht funktionierten, Behörden die Gefahr unterschätzten und bestehende Katastrophenschutzstrukturen nicht ineinander griffen.

Im Bericht werden einige Lokalpolitiker zitiert. Darunter Hubertus Kunz, der Bürgermeister von dem kleinen Ort Mayschoß an der Ahr, der sich nicht vorstellen konnte, dass das Wasser so hoch steigen würde. Als plötzlich „ein Pegelstand von mehr als 5 Metern vorhergesagt“ wurde, habe er gedacht, „die spinnen, das konnte unmöglich stimmen“. In der Flut verlor mindestens jeder vierte Einwohner des Orts sein Zuhause und mindestens fünf Menschen starben. „Mit dem Wissen von heute, hätten wir evakuieren müssen“, so Kunz.

Der Spiegel lässt auch einige Anwohner zu Wort kommen. Sie bestätigen, dass die Warnungen zu spät kamen und die Behörden die heraufziehende Katastrophe dramatisch unterschätzten. Achim Lorenz (52) aus dem Landkreis Ahrweiler berichtet, dass der Pegelstand bereits am Abend bei über 5,70 Meter – und damit weit über dem Wert von früheren Hochwassern – lag.

„Da hätten alle Alarmglocken schrillen müssen“, zitiert ihn der Spiegel. Aber erst viel später, gegen Mitternacht, habe die Feuerwehr erstmals per Lautsprecher gewarnt. Sie habe die Menschen lediglich aufgefordert, nicht in die Keller zu gehen und sich in den oberen Stockwerken aufzuhalten. Danach habe „niemand wirklich“ geglaubt, „dass eine historische Katastrophe bevorsteht“.

Für Lorenz – und für viele andere – ist klar, dass die Regierungen und Behörden für die Toten verantwortlich sind. „Es wäre genügend Zeit gewesen, angemessen zu warnen und Menschen zu retten“, macht er seiner Wut Luft. Hätten „die Verantwortlichen richtig gehandelt, wären wahrscheinlich nicht so viele Menschen gestorben“.

Die Autoren des Spiegel erfüllt die wachsende Wut und Opposition in der Bevölkerung mit Sorge. Es habe „sich etwas verschoben in Deutschland“ stellen sie fest. Es gehe „um die Frage, wie sicher sich die Menschen hier noch fühlen können. Ob die Bürger den Eindruck haben, dass der Staat sie schützt, ob auf ihn Verlass ist, wenn es gefährlich wird, lebensgefährlich.“

Bereits während der Pandmie habe sich gezeigt, Deutschland funktioniert „nicht annähernd so gut wie angenommen.“ Die Flutkatastrophe potenziere nun „dieses Unbehagen, es belegt, wie schlecht dieses Land auf Extremsituationen vorbereitet ist.“

Der Spiegel versucht, die „Probleme“ auf „Lücken, Versäumnisse und ein Kompetenzgerangel zwischen Bund, Ländern, Kommunen“ zurückzuführen, durch das „Fachkenntnis nicht abgerufen“ werde. Das ist nichts als Augenwischerei und ein Versuch, die wirklichen Gründe zu verschleiern. In beiden Fällen sind der Kapitalismus und seine politischen Vertreter für das Leid und die Zerstörung verantwortlich.

In der Pandemie lassen alle Regierungsparteien bewusst die Ausbreitung des Virus zu und lehnen die notwendigen Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung ab. Es geht ihnen vor allem darum, die Profite der Finanzoligariche sicherzustellen, die sich im letzte Jahr enorm bereichert hat. Die Konsequenzen sind über 91.000 Tote in Deutschland und mehr als vier Millionen weltweit.

Die gleiche menschenverachtende Gleichgültigkeit gegenüber der Sicherheit und dem Leben der Bevölkerung offenbarte sich nun auch in der Flutkatastrophe. Trotz jahrzehntelanger Warnungen von Wissenschaftlern wurde nichts gegen den Klimawandel unternommen. Der Katastrophenschutz wurde kaputt gespart und von Experten angemahnte Anschaffungen – wie ein flächendeckendes, robustes Warnsystem – ignoriert. Stattdessen werden den Banken und Konzernen Milliarden ausgehändigt und fließen in die militärische Aufrüstung.

Die herrschende Klasse ist zu Recht besorgt. „Nach dem ersten Schock werden Arbeiter und Jugendliche beginnen, aus den Erfahrungen weitreichende Konsequenzen zu ziehen“, scheibt die WSWS in einer aktuellen Perspektive. „Der Kampf gegen den Klimawandel ist – wie der Kampf gegen die Pandemie und die Gefahr von Faschismus und Krieg – eine politische Frage, eine Frage der revolutionären Mobilisierung der Arbeiterklasse gegen den Kapitalismus.“

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