Perspektive

USA: Demokraten lassen Moratorium für Zwangsräumungen auslaufen – Millionen Familien am Rande des Abgrunds

Neben dem jüngsten Anstieg der Covid-19-Infektionen und Todesfälle droht in den USA eine weitere soziale Krise, da das im vergangenen September eingeführte nationale Moratorium für Zwangsräumungen am Wochenende ausgelaufen ist. Millionen von Menschen droht der Verlust ihres Zuhauses, was die ohnehin schon katastrophale Lage der amerikanischen Bevölkerung weiter verschärft, während die Pandemie in eine neue tödliche Phase eintritt.

Vertreter einer Koalition von Gruppen, die sich für Gerechtigkeit beim Wohnen einsetzen, während einer Pressekonferenz vor dem Statehouse in Boston am 30. Juli 2021, mit Schildern, die gegen Zwangsräumungen protestieren. (AP Photo/Michael Dwyer)

Die Biden-Regierung kündigte am Donnerstag an, dass sie das landesweite Verbot von Zwangsräumungen am Samstag auslaufen lassen werde, und erklärte, es sei Aufgabe des Kongresses, die Maßnahme zu verlängern, da nur noch zwei Tage dafür Zeit seien. Das Weiße Haus behauptete, dem Präsidenten seien die Hände gebunden. Biden könne nichts für die mehr als sechs Millionen Familien tun, die mit der Miete im Rückstand seien. Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom letzten Monat lasse nur eine Verlängerung des Moratoriums bis Ende Juli zu.

Nach Angaben des Ministeriums für Wohnungsbau und Stadtentwicklung waren in den USA Ende März etwa 6,4 Millionen Haushalte mit ihrer Miete im Rückstand. Im Juli gaben etwa 3,6 Millionen Menschen in den USA an, dass ihnen in den nächsten zwei Monaten eine Zwangsräumung drohe, wie aus der Household Pulse Survey des US Census Bureau hervorgeht.

Eine Analyse der Umfragedaten durch die New York Times ergab, dass in 250 Bezirken mindestens 20 Prozent der Mieter mit ihren Zahlungen im Rückstand sind, was zu einem starken Anstieg der Obdachlosigkeit im ganzen Land führen könnte. In einigen Bezirken des ländlichen Südens ist der Trend noch besorgniserregender, da mehr als jeder vierte Mieter im Rückstand ist. Landesweit belaufen sich die Mietschulden auf schätzungsweise 23 Milliarden Dollar, wobei der durchschnittliche Haushalt mit 3.800 Dollar im Rückstand ist.

In den 84 bevölkerungsreichsten Stadtbezirken haben Mieter insgesamt 13 Milliarden Dollar Schulden. In Los Angeles County sind fast 300.000 Mieter mit ihren Zahlungen im Schnitt 5.300 Dollar im Rückstand. Mehr als 400.000 Mieter in New York City sind mit insgesamt 2 Milliarden Dollar verschuldet. In Chicago, Houston, Dallas, Miami, Philadelphia, Phoenix und San Diego laufen mindestens 55.000 Familien Gefahr, auf die Straße gesetzt zu werden.

Der Kongress hat im Rahmen des CARES-Gesetzes fast 47 Milliarden Dollar an Bundesmitteln für Mietnotfälle bereitgestellt, aber nur ein winziger Bruchteil davon wurde an bedürftige Mieter verteilt. Nach Angaben der Bundesstaaten und des Bundes vom Juni wurden nur etwa 3 Milliarden aus den ersten 25 Millarden an Hilfsgeldern von den Bundesstaaten und Kommunen verteilt. Einige Bundesstaaten wie New York haben so gut wie nichts verteilt, während andere nur ein paar Millionen Dollar bewilligt haben.

In Kalifornien beispielsweise wurden nur 158 Millionen Dollar an die Mieter ausgezahlt, wobei die Einwohner über 1 Milliarde Dollar an Miethilfe beantragt hatten. In South Carolina sieht es noch viel schlimmer aus: Von den beantragten 39 Millionen Dollar wurden weniger als 1 Million Dollar ausgezahlt, was weniger als ein Prozent der verfügbaren Mittel ausmacht. Bis Mitte Juli hatte das Soforthilfeprogramm des Bundesstaates nur 226 Anträge auf Miethilfe bearbeitet. Inzwischen gaben 29 Prozent der Mieter in South Carolina an, mit der Miete im Rückstand zu sein, der höchste Prozentsatz im ganzen Land.

Eine Umfrage von NBC News ergab, dass 26 von 41 untersuchten US-Bundesstaaten weniger als 10 Prozent ihrer ersten Runde der Mietsoforthilfe verteilt hatten, wobei viele Staaten erst im Juni mit der Auszahlung der Gelder begannen. Experten nennen zahlreiche Gründe dafür, dass die Hilfe noch nicht bei den Mietern angekommen ist. Dazu gehören fehlende Richtlinien auf Bundesebene für die Verteilung, zu komplizierte Antragsverfahren und zu hohe Anforderungen bezüglich der Dokumentation zum Nachweis der Bedürftigkeit.

Erschwerend kommt hinzu, dass die Hälfte der Familien, die von einer Zwangsräumung bedroht sind, aufgrund ihres Einkommens keinen Anspruch auf Bundeshilfe haben. Infolgedessen erreichen die Mittel nur einen kleinen Teil derjenigen, die sie am dringendsten benötigen.

In einem Bericht des Aspen Institute aus dem Jahr 2020 wurde festgestellt, dass fast ein Viertel aller US-Haushalte mehr als die Hälfte ihres monatlichen Einkommens für Miete ausgibt. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Mieter in dieser Gruppe an oder unter der Armutsgrenze leben, ist sehr hoch. Diese Haushalte repräsentieren Millionen von Arbeitern, die von Gehaltsscheck zu Gehaltsscheck leben müssen oder – bedingt durch Unfälle oder unglückliche Ereignisse – vom finanziellen Ruin bedroht sind. Diesen Arbeitern und ihren Familien – 30 bis 40 Millionen Menschen, die bereits von den sozioökonomischen Folgen der Pandemie betroffen sind – droht die Zwangsräumung, was sie wiederum einem erhöhten Risiko aussetzt, sich mit Covid-19 anzustecken und daran zu sterben.

Auf individueller Ebene werden sich die Familien, die ihrer Wohnungen beraubt werden, nicht so leicht von ihrem Rauswurf erholen können. Eine Zwangsräumung ist ein „Makel“, der einen Menschen über Jahre hinweg verfolgen kann. Oft werden Personen mit einer Zwangsräumung in ihrer Kreditgeschichte von Vermietern diskriminiert, die ihnen eine Unterkunft verweigern.

Dass die rasche Ausbreitung der Delta-Variante mit potenziellen Zwangsräumungen in Millionen Fällen in den kommenden Wochen zusammenkommt, birgt die Gefahr einer sozialen Katastrophe.

Die Impfkampagne der Regierung Biden, die den Charakter eines Flickenteppichs hat, hat dazu geführt, dass die Menschen in vielen Teilen des Landes für das Virus und seine verschiedenen Mutationen immer noch anfällig sind. Die Organisation PHICOR (Public Health Informatics, Computational, and Operation Research) schätzt, dass mehr als 40 Prozent der Amerikaner möglicherweise nicht ausreichend gegen die sich schnell ausbreitende Delta-Variante geschützt sind.

Laut Schätzungen der Organisation leben darüber hinaus mehr als 98 Prozent der US-Bürger in Bezirken, in denen weniger als 70 Prozent der Bevölkerung vollständig geimpft sind. Zudem wohnen 82 Prozent der Bevölkerung in Orten, in denen weniger als 60 Prozent der Einwohner vollständig geimpft sind.

Selbst diejenigen, die geimpft sind, sind weiterhin gefährdet, da die Delta-Variante nachweislich in der Lage ist, die durch den Impfstoff erreichte Immunität zu umgehen. Und in den gesamten Vereinigten Staaten sind Kinder unter 12 Jahren von der Impfung ausgeschlossen, was die Ausbreitung der Krankheit weiter begünstigt, während die Regierung Biden auf die vollständige Wiedereröffnung der Schulen drängt.

Das Weiße Haus gab eine schwache Erklärung ab, in der Biden sein Mitgefühl gegenüber den Mietern bekundete, die sich in einem Moment „erhöhter Verletzlichkeit“ befänden, und forderte den Kongress kleinlaut auf, „das Räumungsmoratorium zu verlängern, um diese gefährdeten Mieter und ihre Familien unverzüglich zu schützen“.

„Angesichts der jüngsten Ausbreitung der Delta-Variante, auch unter jenen Amerikanern, die am ehesten von Zwangsräumungen bedroht und nicht geimpft sind, hätte Präsident Biden eine Entscheidung der CDC, das Räumungsmoratorium weiter zu verlängern, um Mieter in diesem Moment erhöhter Verletzlichkeit zu schützen, nachdrücklich unterstützt“, so das Weiße Haus in einer Erklärung. „Leider hat der Oberste Gerichtshof deutlich gemacht, dass diese Option nicht mehr zur Verfügung steht.“

Der Oberste Gerichtshof entschied letzten Monat mit einer 5:4-Mehrheit, dass das Räumungsverbot bis Ende Juli aufrechterhalten werden kann. Richter Brett Kavanaugh, der sich bei der Entscheidung dem „liberalen“ Flügel des Gerichts anschloss, machte deutlich, dass er jede weitere Verlängerung blockieren würde, wenn es keine „klare und spezifische Ermächtigung durch den Kongress“ gäbe.

Die Demokraten im Repräsentantenhaus haben am Donnerstag in letzter Minute einen Gesetzesentwurf eingebracht, um das Moratorium bis zum Jahresende zu verlängern, doch geschah dies lediglich, um das Gesicht zu wahren. Die Demokraten sind sich darüber im Klaren, dass der Gesetzesentwurf im Senat, wo die Demokraten eine einmonatige Verlängerung per Abstimmung durchsetzen wollten, sofort in der Versenkung verschwinden würde. Eine einzige Gegenstimme der Republikaner würde genügen, um das Gesetz sofort zu Fall zu bringen. Angesichts der Tatsache, dass die große Mehrheit der Republikaner und viele „gemäßigte“ Demokraten gegen eine Verlängerung sind, ist klar, was das Schicksal des Gesetzes sein wird.

Die bevorstehenden massenhaften Zwangsräumungen sind nicht einfach das Ergebnis der anhaltenden Pandemie, sondern wurzeln vielmehr in der bewussten Politik der Finanzelite. Jede Entscheidung, die in Bezug auf die Pandemiepolitik getroffen wird, beruht auf den Interessen der Wall Street und des amerikanischen Imperialismus. Die herrschende Klasse ist fest entschlossen, weiterhin Profite aus der Arbeiterklasse herauszupressen, und hat alle ernsthaften Maßnahmen zur Eindämmung von Covid-19 ausgehöhlt und aufgegeben.

Die Aktienmärkte reagierten auf den Verzicht auf Social Distancing und auf die erzwungene Wiederöffnung von Schulen und Unternehmen mit Höhenflügen, wobei der Dow Jones Industrial Average und der S&P in dieser Woche Rekordstände erreichten. Im Laufe der Pandemie sind die Vermögen der Milliardäre der Welt in die Höhe geschnellt, während die Zahl der Todesopfer weltweit auf über vier Millionen angestiegen ist.

Die sich ausbreitende soziale Krise in den Vereinigten Staaten ist eine Anklage gegen das kapitalistische System, seine Unfähigkeit, mit sozialen Krisen umzugehen, und die Notwendigkeit, eine Arbeiterbewegung aufzubauen, die sich zum Ziel setzt, die Gesellschaft auf der Grundlage menschlicher Bedürfnisse und nicht des Strebens nach Profit umzugestalten.

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