Philadelphia: Verkehrsarbeiter stimmen für Streik zum Ende des Monats

Am Sonntag stimmten Arbeiter, die 5.000 Fahrer der Southeastern Pennsylvania Transportation Authority (SEPTA) und anderes Personal repräsentieren, einstimmig für einen Streik, sofern sie nicht bis Ende des Monats einen akzeptablen Tarifvertrag erhalten. Der aktuelle Tarifvertrag zwischen dem Verkehrsbetrieb und den Arbeitern, die vom Ortsverband 234 der Transit Workers Union (TWU) vertreten werden, läuft am 31. Oktober aus.

Die Arbeiter im Südosten von Pennsylvania, in dem sich auch die Metropolregion Philadelphia befindet, fordern Lohnerhöhungen, bessere Elternzeitregelungen und Gefahrenzulagen sowie Entschädigung für Familien von Verkehrsarbeitern, die an Komplikationen durch Covid-19 gestorben sind. Laut dem TWU-Ortsverband 234 sind elf Beschäftigte von SEPTA an Covid-19 gestorben, ohne dass das Unternehmen den betroffenen Familien eine Entschädigung gezahlt hätte.

Ein Bus der SEPTA (GKTramrunnerRU/Wikipedia CC BY-SA 4.0)

Die SEPTA-Beschäftigten sind wirtschaftlich und politisch in einer starken Position. Ein Streik der Verkehrsarbeiter in Philadelphia würde faktisch eine der zentralen wirtschaftlichen Arterien der amerikanischen Ostküste lahmlegen und in den Wochen vor Beginn der Weihnachtszeit Wirtschaft und Reiseverkehr zum Erliegen bringen.

Die Abstimmung für einen Streik bei SEPTA ereignet sich vor dem Hintergrund einer Streikwelle der internationalen Arbeiterklasse. Neben den 5.000 Verkehrsarbeitern in Philadelphia streiken bereits mehr als 10.000 Arbeiter des Landmaschinenherstellers John Deere im mittleren Westen. Sie schließen sich außerdem einer wachsenden internationalen Bewegung der Arbeiterklasse an, zu der u.a. streikende Verkehrsarbeiter in Sydney (Australien) gehören. Laut der School of Industrial and Labor Relations der Cornell University breitet sich die Welle der Arbeitskämpfe „von einer Gruppe zur anderen aus. Streiks sind ansteckend.“

In der Region hatten weniger als eine Woche vor der Urabstimmung bei SEPTA bereits 350 Flugbegleiter von Piedmont Airlines am Internationalen Flughafen von Philadelphia beschlossen, für höhere Löhne zu streiken, nachdem sich die Verhandlungen bereits seit drei Jahren hinziehen. In Lancaster (Pennsylvania) streiken mehrere hundert der landesweit 1.400 Arbeiter des Lebensmittelkonzerns Kellogg's.

Im nahegelegenen Pottstown befindet sich ein Werk des Autozulieferers Dana Inc., dessen Beschäftigte zu den landesweit 3.500 Arbeitern gehören, die zwar mit überwältigender Mehrheit für einen Streik gestimmt haben, aber seit August von der Gewerkschaft United Auto Workers (UAW) mit einem verlängerten Tarifvertrag zum Weiterarbeiten gezwungen wurden. Dabei hatten die Dana-Arbeiter im September die erste vorläufige Vereinbarung, die die UAW ausgehandelt hatte, mit 90 Prozent Mehrheit abgelehnt.

Laut dem Philadelphia Inquirer liegen die Fahrgastzahlen der SEPTA nur bei 47 Prozent des Niveaus vor der Pandemie, und der Betrieb verliert weiterhin eine Million Dollar pro Tag. Er hat im Rahmen des CARES Act eine Zuwendung von 1,5 bis 2 Milliarden Dollar erhalten, mit der das Management hofft, bis 2023 über die Runden zu kommen. SEPTA-Sprecher Andrew Busch erklärte gegenüber der Zeitung: „Wir wissen nicht, wann die Fahrgäste wiederkommen. Es ist schwer, langfristige Prognosen anzustellen.“

Das Unternehmen hat den Arbeitern zwei beleidigende Alternativen unterbreitet: Entweder sie akzeptieren einen Zweijahresvertrag, der eine geringe Lohnerhöhung und eine einmalige Pandemiezahlung beinhalten würde, oder einen Vierjahresvertrag ohne Lohnerhöhung, bei dem alle künftigen Erhöhungen von der „Zahlungsfähigkeit“ von SEPTA abhängen würden. Die TWU hat dagegen protestiert, dass sich die SEPTA als bankrott hinstellt, obwohl sie erst kurz zuvor angekündigt hat, 40 Millionen aus ihrem Rettungspaket in den Ausbau des Schienennetzes zu investieren.

Letzte Woche provozierte die Managerin von SEPTA, Leslie Richards, die Arbeiter in der Lokalpresse. Sie lobte die angeblich „einmalige“ Chance für Modernisierungen aufgrund der Gelder aus dem CARES Act und behauptete wahrheitswidrig: „Es gab seit Beginn der Pandemie bisher noch keinen einzigen Fall, weder hier bei der SEPTA, noch im Commonwealth Pennsylvania, noch in diesem Land oder irgendeinem anderen Land, wo sich der Bus- und Bahnverkehr als Vehikel für die Ausbreitung von Covid-19 erwiesen hat.“

Die SEPTA-Arbeiter sind seit 1975 ein Dutzend Mal in den Streik getreten. Im Jahr 2016 streikten sie für sechs Tage, weil sich SEPTA weigerte, einen Rentendeckel für Arbeiter mit mehr als 50.000 Dollar Jahreseinkommen aufzuheben. Doch der Streik wurde abgebrochen, als die TWU mit dem demokratischen Gouverneur Tom Wolf zusammenarbeitete, um den Arbeitskampf zu beenden, damit er die Präsidentschaftswahl im gleichen Jahr nicht stört.

Die Nachricht über einen potenziellen Streik löste in der Wirtschaft und dem politischen Establishment der Region Panik aus. Der Leiter des Schulbezirks von Philadelphia, Michael Hite Jr., drückte die Befürchtung aus, ein Streik im Verkehrswesen würde „verheerende Auswirkungen auf den Betrieb unseres Schulbezirks und unsere Fähigkeit zum Erhalt des Präsenzunterrichts an fünf Tagen pro Woche haben“. Weiter erklärte er, dieses angebliche Untergangsszenario würde „etwas gefährden, woran wir sehr hart für alle Schüler dieses Schuljahrs gearbeitet haben“.

Hite, der sich Anfang des Jahres auf die Komplizenschaft der Philadelphia Federation of Teachers verlassen hatte, um eine unsichere Wiederöffnung des städtischen Schulsystems mit 200.000 Schülern durchzusetzen, erklärte zynisch: „Inmitten der steigenden Schusswaffengewalt und der vielen anderen Traumata, die unsere Kommunen angesichts der anhaltenden Pandemie beeinflussen, sind unsere Schulen eine sichere Zuflucht für Tausende von jungen Einwohnern Philadelphias.“ Fast 60.000 der 200.000 Schüler des Bezirks sowie Tausende seiner Beschäftigten sind auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen.

Ein Lehrer aus dem Schulsystem von Philadelphia widersprach gegenüber der World Socialist Web Site diesen Lügen und erklärte, seine Schule befände sich „wegen eines Ausbruchs im Online-Unterricht. Natürlich haben wir nichts Näheres erfahren.“ Er erklärte jedoch, fast die gesamte Klasse befände sich in Quarantäne.

In Philadelphia waren die Demokraten für die unsichere Wiederöffnung der Schulen und der Wirtschaft verantwortlich. Letzte Woche erklärte der TWU-Ortsverband 234 in einem Newsletter: „Bei dem, was wir am Verhandlungstisch sehen, könnte man meinen, dass es zwischen den beiden Parteien keine Differenzen gibt.“ Die TWU drohte mit einer „sehr unhöflichen Reaktion“ gegenüber den „Politikern“ beider Parteien.

Trotz dieser leeren Rhetorik plant die TWU keine Maßnahmen, die ihre Verbündeten, die Demokraten, beunruhigen würden. Im Wahljahr 2020 spendete die TWU laut OpenSecrets.org mehr als 909.000 Dollar an die Demokraten, d.h. 93 Prozent der Gesamtsumme ihrer Wahlkampfbeiträge.

Der Inquirer schreibt, der Streik sei zwar autorisiert worden, aber „nicht unausweichlich. Wenn kurz vor Ablauf des Tarifvertrags ein Abkommen in greifbare Nähe rückt, könnte die Gewerkschaftsführung beschließen, die Mitglieder ohne Tarifvertrag weiterarbeiten zu lassen oder sich mit der SEPTA auf eine Verlängerung des derzeitigen Tarifvertrags zu einigen. Dann würden die Verhandlungen fortgesetzt werden.“

Das kämpferische Gerede des TWU-Ortsverbandes 234 wurde noch weiter unterhöhlt durch öffentliche Äußerungen des SEPTA-Sprechers Andrew Busch am letzten Sonntag: „SEPTA und Vertreter des TWU-Ortsverbandes 234 haben am Verhandlungstisch einen produktiven Dialog geführt. ... Wir hoffen, dass ein Abkommen ohne Störungen für die Fahrgäste abgeschlossen werden kann.“

Unter diesen Umständen müssen die SEPTA-Arbeiter gegen den Verrat der TWU gewappnet sein. Die TWU hat in allen Betrieben, in denen sie tätig ist, mit dem Management zusammengearbeitet, um den Mitgliedern die Kosten für die Auswirkungen der Pandemie aufzubürden. In New York hat die Metropolitan Transport Authority (MTA) die TWU benutzt und sogar in diverse Komitees aus Gewerkschaften und Management eingebunden, deren Ziel es ist, die „Produktivität“ zu maximieren. Dies war während der Pandemie von entscheidender Bedeutung, da wegen der Risiken durch Covid-19 Arbeitskräftemangel herrschte.

Bei der Elternzeit haben die Führer des TWU-Ortsverbands 100 sogar mit der MTA zusammengearbeitet, um Gerichtsprozesse von Arbeitern gegen den Verkehrsbetrieb zu sabotieren. In einer Anklage heißt es, dass das brutale Verhalten der Betriebsgesellschaft dazu geführt habe, dass eine schwangere Arbeiterin bei der Arbeit Wehen bekam, woraufhin sie eine Totgeburt erlitt.

Die SEPTA-Arbeiter müssen Aktionskomitees gründen, die unabhängig von der TWU sind und die die Kämpfe der SEPTA-Arbeiter mit den Kämpfen von tausenden weiteren Arbeitern verbinden. Gemeinsam werden sie die Speerspitze einer Offensive sein, die sich gegen die Versuche des Großkapitals und ihrer politischen Vertreter richtet, die von der katastrophalen Reaktion auf die Pandemie verursachte wirtschaftliche und soziale Katastrophe auf die Schultern der Arbeiter abzuladen.

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