Warum die Schlichtungsempfehlung der EVG abgelehnt werden muss

Nach heftigen Protesten vieler Mitglieder und mehrerer Ortsgruppen sah sich die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG nun doch gezwungen, den ganzen Text der Schlichtungsempfehlung bekannt zu geben.

EVG- und Verdi-Warnstreik und Demonstration, 27. März 2023 in Leipzig (Foto: WSWS)

Vergangene Woche hatte Vorstandsmitglied Frank Hauenstein auf einer Mitgliederversammlung noch erklärt, der Wortlaut der 140-Seiten-Vereinbarung sei vertraulich. Es sei am Ende der Schlichtung von allen Beteiligten Stillschweigen vereinbart worden, ihm seien „leider die Hände gebunden“. Der EVG-Vorstand wollte nur über seine Zusammenfassung der „Empfehlung“ abstimmen lassen. Erst als Mitglieder dagegen sturmliefen, gab die EVG-Spitze nach.

Eine Analyse der Schlichtungsvereinbarung macht klar, warum die Gewerkschaft sie ihren Mitgliedern verheimlichen wollte: Sie ist ein Schlag ins Gesicht der EVG-Mitglieder, die systematisch nach Unternehmen, Berufsgruppen und selbst innerhalb der Berufsgruppen gespalten werden.

Wir rufen alle Bahnbeschäftigten auf, jetzt aktiv zu werden und sich am Aufbau eines unabhängigen Aktionskomitees zu beteiligen, um die Schlichtungsempfehlung zurückzuweisen. Die Kampagne für eine Nein-Stimme muss zum Auftakt für eine Rebellion gegen die EVG-Führung gemacht werden.

Nehmt am kommenden Dienstagabend, dem 15. August, 19 Uhr, am Online-Treffen teil, um das Aktionskomitee zu konstituieren und weitere Schritte im Kampf gegen den EVG-Ausverkauf einzuleiten. Meldet euch dazu per Whatsapp bei dieser Nummer +49-163-337 8340 oder registriert euch auch über das Formular am Ende des Artikels.

Die Schlichtungsempfehlung, die der EVG-Vorstand unter Martin Burkert und Cosima Ingenschay (beide SPD) durchdrücken will, ist voller Angriffe auf Löhne und Arbeitsbedingungen.

Schon die Rahmenbedingungen der Schlichtung, die die EVG von Beginn an bekanntgegeben und bejubelt hatte, machen deutlich, dass auf alle Berufsgruppen gewaltige Reallohnsenkungen zukommen.

Die ersten mindestens acht Monate sind eine Nullrunde. Das erste Geld sind die 2850 Euro Inflationsausgleichszahlung für Vollzeitbeschäftigte. Auszubildende und Dual Studierende erhalten nur eine Prämie von 1425 Euro. Anschließend werden die Löhne und Gehälter ab Dezember 2023 um monatlich 200 Euro und dann erst im August 2024 um 210 Euro erhöht. Die Laufzeit beträgt 25 Monate bis Ende März 2025.

Angesichts der niedrigen Abschlüsse in 2020 sowie der anhaltenden Inflation sind das gewaltige Reallohnsenkungen. Berücksichtigt man, dass die meisten Beschäftigten den Großteil ihres Einkommens für Lebensmittel, Energie und Mieten ausgeben, werden sie Anfang 2025 ein Fünftel oder sogar ein Viertel ihres realen Einkommens eingebüßt haben.

Jetzt, nach Veröffentlichung des gesamten Textes der Vereinbarung einschließlich dem „Kleingedruckten“, wird offensichtlich, dass zahlreiche Sondervereinbarungen getroffen worden sind, die den Slogan der EVG, „Gemeinsam bleibt Gemeinsam“, ad absurdum führen.

Die hochgejubelten 410 Euro erhalten nur die Minderheit der Beschäftigten, nämlich diejenigen, die in der Vergangenheit keine zusätzlichen Urlaubstage anstatt Lohnerhöhungen gewählt haben. Die meisten Bahnbeschäftigten haben aufgrund der immer schwerer werdenden Arbeit sechs, viele sogar zwölf zusätzliche Tage gewählt und auf Lohnerhöhungen verzichtet.

Nun werden ihnen rund 2,6 Prozent, denjenigen mit zwölf zusätzlichen Urlaubstagen sogar 5,2 Prozent von der tabellenwirksamen Erhöhung genommen. Sie erhalten also nicht 410, sondern 399 bzw. 389 Euro (Seite 76 der Schlichtungsempfehlung).

Auch die Zulagen und das Urlaubsgeld werden zum 1. Dezember 2023 und zum 1. August 2024 nur um je 4 Prozent erhöht, und nicht wie üblich mit dem prozentualen Wert, der für jeden Beschäftigten ja zu errechnen ist.

Die Inflationsausgleichszahlung (2850 Euro für Vollzeitbeschäftigte, 1450 Euro für Auszubildende und Dual Studierende), die frühestens im Oktober ausgezahlt wird, erhalten nur diejenigen vollständig, die zwischen März und Oktober 2023 ununterbrochen bei der Bahn Entgelt bezogen haben. Keine Sonderzahlung erhalten demnach Beschäftigte im Kranken- oder Elterngeldbezug. Für jeden Monat, den man in dieser Zeit nicht im Entgeltbezug bei der Bahn war, werden 310 Euro abgezogen (155 bei Auszubildenden und Dual Studierenden). Für Teilzeitbeschäftigte wird die Prämie anteilig gekürzt.

Beschäftigte, die sich entschieden haben, die Bahn zu verlassen, gehen ganz leer aus: „Sind Arbeitnehmer vor dem 25. Oktober 2023 ausgeschieden, besteht kein Anspruch auf Zahlung der Inflationsausgleichsprämie“ (Seite 53). Auch für Kolleginnen und Kollegen in der Freistellungsphase ihrer Altersteilzeitarbeit besteht überhaupt kein Anspruch auf die Inflationsausgleichszahlung (Seite 54).

Dass langjährig Beschäftigte kurzfristig die DB verlassen, wird durch eine Ausweitung der Kündigungsfristen des Arbeitgebers auf die Arbeitnehmer erschwert. Kolleginnen und Kollegen, die zehn Jahre und länger bei der Bahn arbeiten, haben nun eine Kündigungsfrist von einem halben Jahr (Seite 102). Welcher potenzielle neue Arbeitgeber macht das mit?

Auch die folgenden Vereinbarungen bedeuten zum Teil erhebliche Verschlechterungen:

  • Das Einstiegsalter für die Altersteilzeit soll auf 61 Jahre angehoben werden, zuvor konnten Beschäftigte ab 59 Jahren davon Gebrauch machen (Seite 13).
  • Die allen zustehenden mindestens zwölf Ruhetage im Jahr als freies – mindestens 60 Stunden langes – Wochenende zählen nun auch, wenn sich der Beginn des freien Wochenendes „infolge von Verspätung der letzten Fahrleistung um bis zu 2 Stunden verschiebt“, also z. B. selbst dann, wenn man Freitagnacht erst um 2 Uhr früh die Schicht beendet – und dann noch lange nicht zuhause ist (Seite 74).
  • Für den Bereich Bordgastronomie sind besondere Arbeitszeitbestimmungen vereinbart worden. Bislang konnte eine Schicht pro Kalenderwoche zwölf Stunden betragen, zwei Schichten gab es mit Genehmigung des Betriebsrates. Nun soll die maximale Schichtlänge auf 15 Stunden erhöht werden. Im „grenzüberschreitenden Verkehr oder – mit Zustimmung des Betriebsrates – aus beschäftigungspolitischen Gründen“ sollen sie noch verlängert werden können. Und das nicht nur ein- oder maximal zweimal pro Woche, sondern dreimal pro Woche. Mit Zustimmung des Betriebsrates sollen Beschäftigte sogar zu vier dieser Mega-Schichten verpflichtet werden können (Seite 122).

Zudem schneiden einige Fachgruppen noch schlechter als andere ab. Die Fachgruppen 1 (Facharbeiter), 3 (Fahrdienstleister) und 5 (Zugbetreuer) erhalten am Ende (!) der 25-monatigen Laufzeit gesonderte Lohnerhöhungen in Form von „Strukturanpassungen“. Diese bewegen sich laut EVG zwischen 18,7 Prozent und 27,6 Prozent.

Die Fachgruppen 2 (Rangierbegleiter), 4 (Triebfahrzeugführer) und 6 (Steward Bordgastronomie) erhalten diese nicht. Die Fachgruppen 2 und 6 werden auf eine entsprechende Vereinbarung in den nächsten Tarifverhandlungen 2025 vertröstet. Die Triebfahrzeugführer erhalten nicht einmal dieses Versprechen.

Diese Spaltung der EVG-Mitglieder erstreckt sich auch auf die einzelnen Gesellschaften der DB. Viele Kolleginnen und Kollegen bei den DB-Tochterunternehmen sollen sich mit zusätzlichen Angriffen abfinden.

  • Beschäftigte der regionalen Busgesellschaften der DB müssen eine Stunde pro Woche mehr arbeiten. Das sind 4 bis 5 Stunden im Monat oder 6 Tage im Jahr. Zudem erhalten neu eingestellte Kolleginnen und Kollegen nur geringfügige Lohnerhöhungen, wenn es nach der EVG geht. Sie erhalten nicht 410 Euro in zwei Schritten, sondern je nach Tarifgruppe jeweils zweimal 4 Prozent, 5 Prozent oder 6 Prozent Gehaltserhöhung. Die oberen Lohngruppen haben demnach nur eine Erhöhung von 8 Prozent über die nächsten 25 Monate (Seite 46). Hier wird ein Zwei-Klassen-System in die Belegschaften eingeführt!
  • Für die DB Netze AG sollen „freiwillige Arbeitszeiterhöhungen“ eingeführt werden, bis zu 2192 Stunden im Jahr, das bedeutet, dass dauerhaft 42-Stundenwochen möglich werden. (Seite 15).
  • Die Lohnerhöhungen bei der DB Dialog betragen je nach Tarifgruppe jeweils in zwei Schritten nur 5 Prozent, 6 Prozent oder 7 Prozent. Die oberen Lohngruppen erhalten also bis März 2025 nur eine zehnprozentige Entgelterhöhung (Seite 26).
  • Bei der DB Cargo AG sollen „Strecken- und Auslandslokomotivführer sowie Fachtrainer […] zukünftig multifunktional eingesetzt werden“. Sie sollen wagentechnische Untersuchungen an Güterzügen durchführen und „Triebfahrzeuge und/oder Rangierlokomotiven innerhalb von Bahnhöfen und/oder Gleisanschlüssen unter Zuhilfenahme einer Funkfernsteuerung“ führen (Seite 11 sowie Seiten 58ff)
  • Die DB Cargo will auch das Modell „Arbeiten in Arbeitszyklen“ schnellstmöglich einführen. Dieses Einsatzmodell ermöglicht bis zu zehntägige auswärtige Arbeitszyklen. Dieses Einsatzmodell ist „freiwillig“. (Seite 11 sowie Seiten 68ff)

Die Schlichtungsempfehlung macht unmissverständlich deutlich, dass die EVG und ihr Vorstand vollständig auf der Seite des DB-Managements und der Regierung stehen.

EVG-Chef Martin Burkert wechselt seit 35 Jahren zwischen der EVG, bzw. deren Vorgängerinnen und der SPD hin und her. Für die SPD saß er 15 Jahre lang – von 2005 bis 2020 – im Bundestag. Burkert ist stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der DB AG und sitzt zusätzlich in den Aufsichtsräten der DB Regio AG und S-Bahn Berlin GmbH.

Seine Stellvertreterin Cosima Ingenschay ist ebenfalls SPD-Mitglied, sitzt im Präsidium der SPD-Betriebsgruppen Eisenbahnen, ebenfalls im Aufsichtsrat der DB AG und in dem der DB Station & Service AG sowie der DB Cargo AG. Auch die anderen Vorstände, wie Kristian Loroch und Frank Hauenstein, sitzen in den Aufsichtsräten von Gesellschaften der DB und erhalten zusammen Hunderttausende Euro an Tantiemen.

In den Aufsichtsräten arbeiten sie mit den Vertreterinnen und Vertretern des Bahneigentümers zusammen. Da die Bahn dem Bund gehört, sind das zahlreiche Bundestagsmitglieder, Staatssekretäre und Ministeriumsvertreter der Regierungsparteien.

Der EVG-Vorstand ist aufs engste mit der Regierung verbunden und unterstützt deren Kriegspolitik und militärische Aufrüstung. Während die 100 Milliarden Sondervermögen für die Armee stillschweigend auf 300 Milliarden ausgeweitet werden, wälzen die EVG und die anderen DGB-Gewerkschaften die Kosten der Aufrüstung durch Reallohnsenkungen und Sozialabbau auf die Beschäftigten ab.

Diese verschworene Gemeinschaft ist entschlossen, die Schlichtungsempfehlung mit Brachialgewalt durchzusetzen. Die EVG droht den EVG-Mitgliedern. Sie warnt davor, die Knebelverträge in der Schlichtungsempfehlung abzulehnen und in der Urabstimmung mit „Nein“ zu stimmen. „Alles, was wir bislang erreicht haben“, warnt sie, sei dann weg. „Auch die Inflationsausgleichsprämie. Bei einem unbefristeten Streik fangen wir wieder ganz von vorne an.“

Gegen diese Erpressung können Eisenbahner nur angehen, wenn sie sich unabhängig von EVG – und auch der GDL – organisieren.

Wir rufen daher nochmals alle Bahnbeschäftigten auf, am kommenden Dienstagabend, 15. August, 19 Uhr, am Online-Treffen teilzunehmen, um das Aktionskomitee zu konstituieren und die notwendigen Schritte einzuleiten. Meldet euch per Whatsapp bei dieser Nummer +49-163-337 8340 oder registriert euch auch über das folgende Formular.

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