Urabstimmung bei der Bahn: Enorme Opposition gegen EVG-Ausverkauf

Um gegen die von der EVG durchgesetzten Reallohnkürzungen vorzugehen, organisiert das unabhängige Aktionskomitee Bahn am heutigen Dienstag um 19 Uhr ein Online-Treffen, an dem alle Bahnbeschäftigten teilnehmen können.

Laut Angaben der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) hat eine knappe Mehrheit von 52,3 Prozent das Schlichtungsangebot bei der Deutschen Bahn angenommen. Knapp zwei Drittel der Mitglieder hätten sich an der Urabstimmung beteiligt. Der EVG-Bundesvorstand teilte dies am Montagnachmittag auf einer Pressekonferenz mit, volle drei Tage nach dem Ende der Urabstimmung.

EVG-Pressekonferenz am 29. August. Von links: Verhandlungsführer Loroch und Ingenschay, EVG-Vorsitzender Burkert [Photo by Screenshot Videoübertragung]

Die erste Reaktion zahlreicher EVG-Mitglieder und Bahn-Beschäftigter war Ungläubigkeit und Misstrauen. Die vorherrschende Stimmung unter Kolleginnen und Kollegen war gegen das Angebot und für Streik.

Doch selbst wenn das Ergebnis korrekt sein sollte, was überprüft werden muss, ist es ein Misstrauensvotum gegen die EVG und Ausdruck einer gewaltigen Opposition. Obwohl die EVG massiven Druck ausübte und der Bundesvorstand die Annahme empfahl, stimmte nur gut ein Drittel der Stimmberechtigten für das Schlichtungsergebnis. Ein knappes Drittel lehnte es ab und ein weiteres Drittel beteiligte sich nicht an der Abstimmung.

Dabei kann man voraussetzen, dass viele mit Ja stimmten, weil sie der Auffassung sind, dass man mit dieser Gewerkschaft ohnehin kein besseres Ergebnis erzielen kann, und nicht weil sie das Ergebnis unterstützen.

Die EVG hatte von Anfang an deutlich gemacht, dass sie keinen Vollstreik will und die Streikbereitschaft der Beschäftigten ins Leere laufen lassen. So blieb es bei zwei größeren Warnstreiks, die für die Beteiligten heftige Lohneinbußen bedeuteten, da die EVG fest auf der Streikkasse saß und kein Streikgeld zahlte.

Als sich eine Urabstimmung über einen Vollstreik nicht mehr hinausschieben ließ, stieg der EVG-Vorstand in die Schlichtung ein. Die Urabstimmung verband er dann mit der Abstimmung über das Schlichtungsergebnis. Damit wollte er sicherstellen, dass für eine Ablehnung und einen Streikbeschluss 75 Prozent – und nicht wie bei einer einfachen Abstimmung nur 50 Prozent – erforderlich sind.

Auf der Pressekonferenz am Montag bemühte sich der EVG-Vorstand, das Ergebnis schönzureden und als großen Erfolg darzustellen. Vor allem die unteren Lohngruppen würden eine kräftige Erhöhung erhalten, die in einigen Fällen über 50 Prozent liege.

In Wirklichkeit gilt dies höchstens für einige wenige Fälle, die bisher nicht einmal den gesetzlichen Mindestlohn von 12 Euro in der Stunde bekamen, wie die weniger als 2000 Beschäftigten der DB Sicherheit in Ostdeutschland, die zu absoluten Niedriglöhnen für die DB arbeiten.

Als Ulrich Rippert, der für die WSWS an der Pressekonferenz teilnahm, fragte, weshalb der Vorstand nicht offen zugebe, dass eine zehnmonatige Nullrunde vereinbart worden sei, bevor die erste Stufe der Erhöhung von 410 Euro monatlich in Kraft trete, schwadronierte Verhandlungsführer Kristian Loroch von unvermeidlichen Kompromissen. Ihm sei nicht bekannt, dass es jemals einer Gewerkschaft gelungen sei, ihre volle Forderung durchzusetzen, bemerkte er zynisch.

Trotz aller Rechenkunststücke des Vorstands, Tatsache bleibt, dass das Schlichtungsergebnis eine massive Reallohnsenkung bedeutet. Von einem Journalisten nach der durchschnittlichen Erhöhung der Löhne und Gehälter gefragt, nannte EVG-Verhandlungsführerin Cosima Ingenschay die Zahl von 14,2 Prozent.

Auch wenn nicht klar ist, wie sie auf diese Prozentzahl kommt, deckt sie noch nicht einmal die Verluste aus dem letzten Tarifvertrag ab. 2021 hatte die EVG wegen der Corona-Pandemie enorme Zugeständnisse an die Bahn gemacht. Bei einer Laufzeit von 24 Monaten vereinbarte sie eine Gehaltserhöhung von lediglich 1,5 Prozent. Die Verbraucherpreise stiegen aber laut Statistischem Bundesamt im selben Zeitraum um 17,1 Prozent, der Preisanstieg bei Lebensmitteln, Energie und Mieten war noch wesentlich höher.

Das gleichen die von Ingenschay genannten 14,2 Prozent nicht aus. Und für die Preissteigerung während der Laufzeit des neuen Vertrags, die 25 Monate beträgt, gibt es überhaupt kein zusätzliches Geld. In diesem Zeitraum dürften die Preise erneut um deutlich mehr als 10 Prozent steigen.

Ein durchschnittlicher Bahnarbeiter wird also 2025 real mindestens 15 Prozent weniger verdienen als 2020. Bei einigen Lohngruppen ist dieser Reallohnverlust vielleicht etwas geringer, umso höher ist er dafür bei anderen. Die EVG-Spitzen bezeichneten das auf der Pressekonferenz als „solidarischen Abschluss“, in Wirklichkeit dient es der Spaltung der Belegschaft.

Die eigentliche Krux bei dem Vertrag ist aber nicht nur die Reallohnsenkung, sondern der Deal, den die EVG offensichtlich mit dem Bahn-Management geschlossen hat. Letzteres musste für einige Lohngruppen finanzielle Zugeständnisse machen, weil sich wegen der schlechten Bezahlung schlicht kein Personal mehr finden lässt. Als Gegenleistung hat die EVG einer Steigerung der Arbeitshetze zugestimmt, obwohl die Arbeitsbedingungen schon jetzt in vielen Bereichen unerträglich sind.

So hat die EVG in mehreren Bereichen längere Arbeitszeiten vereinbart:

  • Die Arbeitszeit aller DB-Busfahrerinnen und -fahrer wird um eine Stunde pro Woche erhöht.
  • In der Bordgastronomie sind bis zu zweimal pro Woche 15-Stundenschichten möglich, mit Einwilligung des Betriebsrates auch mehr als 15 Stunden und dreimal pro Woche.
  • Für die DB Netze AG kann die Jahresarbeitszeit auf bis zu 2192 Stunden erhöht werden, was bedeutet, dass dauerhaft 42-Stundenwochen möglich werden.
  • Wasch- und Umkleidezeiten werden durch geringe pauschale Geldbeträge ersetzt, was eine verkappte Arbeitszeiterhöhung und damit eine zusätzliche Lohnsenkung bedeutet.

Man kann davon ausgehen, dass die EVG-Spitze andere Dinge unter der Hand versprochen und signalisiert hat, dass sie beide Augen zudrücken wird, wenn Bahnarbeiter wegen Personalmangels weiterhin die zwei- oder dreifache Arbeit leisten müssen.

Das Tarifergebnis zeigt, dass der EVG-Apparat nicht die Interessen der Mitglieder, sondern des DB-Konzerns vertritt. Hinter dem DB-Vorstand steht die Bundesregierung, schließlich ist die DB im vollständigen Besitz des Bundes. Wie schon bei der Post und im öffentlichen Dienst des Bundes und der Kommunen drängt die Ampelkoalition darauf, empfindliche Reallohnsenkungen zu verordnen.

Die Bundesregierung nutzt den von der NATO angeheizten Ukraine-Krieg für eine gewaltige Aufrüstungsoffensive, die Hunderte Milliarden verschlingt. Sie wird dabei von allen Bundestagsparteien und den Gewerkschaften unterstützt. Gleichzeitig werden Konzerne und Banken mit immer neuen Geldgeschenken überhäuft, die durch die Kürzung von Sozialausgaben und Löhnen wieder hereingeholt werden.

Diese Entwicklung hat erst begonnen und beschleunigt sich immer mehr. Sie findet in jedem Land der Welt statt. In den USA drohten im letzten Jahr 300.000 Eisenbahner, den Verkehr lahmzulegen. Sie wurden durch die Intervention der Biden-Regierung gestoppt, die ein gesetzliche Streikverbot erließ. In Großbritannien haben die Eisenbahner 18 Monate lang für die Verteidigung ihrer Löhne und Arbeitsbedingungen gekämpft, erst letzte Woche hat die Gewerkschaft Rail, Maritime and Transport (RMT) das faktische Ende des Streiks bekannt gegeben.

Der Kampf bei der Deutschen Bahn ist mit der Urabstimmung nicht beendet, sondern er hat erst begonnen. Um die weitere Erosion der Löhne und Arbeitsbedingungen zu stoppen und für eine Verbesserung zu kämpfen, müssen die Beschäftigten selbst die Initiative ergreifen. Die gesamte Erfahrung zeigt, dass der Apparat der EVG gegen Druck von unten unempfindlich ist. Dasselbe gilt auch für die Konkurrenzgewerkschaft GDL. Es müssen Strukturen aufgebaut werden, die von der Basis selbst kontrolliert werden.

Die Gründung des Aktionskomitees Bahn war ein wichtiger Schritt in diese Richtung. Solche Aktionskomitees werden überall auf der Welt gebildet, auch bei Autoarbeitern, Arbeitern bei Royal Mail und Eisenbahnern in den USA, Kanada und Deutschland. Diese Komitees sind unter dem Dach der Internationalen Arbeiterallianz der Aktionskomitees (IWA-RFC) zusammengeschlossen.

Die nächste Aufgabe des Aktionskomitees besteht darin, den Tarifvertrag und die Methoden, mit denen er durchgesetzt wurde, zu entlarven. Das Abstimmungsergebnis und die Art, wie es zustande kam, müssen unter die Lupe genommen werden. Die Beschäftigten sind nicht an einen Vertrag gebunden, über den sie offensichtlich getäuscht wurden.

Der Kampf zur Verteidigung des Lebensstandards, der Löhne, Arbeitsplätze und -bedingungen kann nur Erfolg haben, wenn er organisiert, geleitet und politisch bewusst geführt wird. Das ist die wichtigste Lehre aus der Tarifrunde bei der DB. Daher muss das Aktionskomitee Bahn gestärkt und ausgebaut werden.

Es verfolgt das Ziel, alle Beschäftigten – EVG-, GDL- und Nichtgewerkschaftsmitglieder – zu vereinen, die bereit sind, sich den nicht enden wollenden Angriffen entgegenzustellen und die Interessen der Belegschaft zu vertreten.

Wir rufen alle Eisenbahnerinnen und Eisenbahner auf, heute, am 29. August, um 19 Uhr am Online-Treffen des Aktionskomitees Bahn teilzunehmen, und wenn sie verhindert sein sollten, sich per per Whatsapp bei dieser Nummer +49-163-337 8340 zu melden und sich über das folgende Formular zu registrieren.

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