In Polen zeichnet sich ein Regierungswechsel ab

In Polen zeichnet sich nach der Parlamentswahl vom Sonntag ein Regierungswechsel ab. Laut dem vorläufigen Ergebnis der Wahlkommission bleibt die rechtsnationale PiS-Partei, die seit acht Jahren an der Macht ist, mit rund 36 Prozent zwar trotz Verlusten stärkste Kraft, doch für eine Mehrheit fehlt ihr der Koalitionspartner. Selbst zusammen mit der faschistischen Konfederacja (7,1 Prozent) käme sie nur auf voraussichtlich 211 von 460 Sitzen im Sejm, der ersten Kammer des polnischen Parlaments.

Donald Tusk [Photo by Silar via wikimedia / CC BY-SA 4.0]

Die vom einstigen EU-Ratspräsidenten Donald Tusk angeführte Bürgerkoalition käme hingegen zusammen mit der sozialdemokratischen Lewica (Linke) und dem konservativen Parteienbündnis Trzecia Droga (Dritter Weg) auf eine Mehrheit von etwa 249 Sitzen. Die Opposition sprach daher von einem „Sieg der Demokratie“ und Tusk vom „Ende der PiS-Herrschaft“. „Wir haben sie von der Macht entfernt,“ jubelte er.

Das offizielle amtliche Endergebnis wird erst für den heutigen Dienstag erwartet.

Der Wahlsieg der Opposition ist eine Folge der hohen Wahlbeteiligung, die mit 74 Prozent so hoch wie noch nie in der Dritten Republik war. Vor den Wahllokalen bildeten sich teils bis in die Nacht hinein lange Schlangen, und auch die Zahl der im Ausland lebenden Polen, die sich in Botschaften oder Konsulaten zur Wahl registrierten, erreichte mit 600.000 einen neuen Rekord.

Die PiS verlor zwar einen Stimmenanteil von rund 8 Prozent, gewann aber in absoluten Zahlen Wähler hinzu. Sie wurde „nicht besiegt, sondern nur überstimmt“, wie es ein Kommentar formulierte. Die Opposition konnte vor allem Wähler mobilisieren, die in den vergangenen Monaten in Massen gegen die Angriffe auf demokratische Rechte und die anhaltende soziale Krise protestiert haben.

Die PiS hat in den acht Jahren ihrer Herrschaft große Teile der Presse und der Justiz gleichgeschaltet, Schlüsselstellen in staatlichen Unternehmen wie dem Mineralölkonzern Orlen und in der Armeeführung mit ausgewählten Leuten besetzt, das Recht auf Abtreibung beseitigt, Bildung und Kultur auf einen ultranationalistischen Kurs getrimmt und antisemitische und faschistische Kräfte gestärkt.

Vor diesem Hintergrund ist das Wahlergebnis Ausdruck der weitverbreiteten Ablehnung der reaktionären Politik der PiS. Die Wahlsieger werden aber den Erwartungen, die mit der Abwahl der PiS verbunden sind, in keiner Weise gerecht.

Tusk selbst war bereits von 2007 bis 2014 polnischer Regierungschef und von 2014 bis 2019 Präsident des Europäischen Rates. Er wurde deshalb von der PiS, die einen Wahlkampf gegen Deutschland und die EU führte, als Handlanger Brüssels und Berlins bezeichnet. Seine Bürgerplattform (PO) ist Mitglied der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP), der Tusk von 2019 bis 2022 vorsaß. Zur Bürgerkoalition, als deren Spitzenkandidat Tusk zur Wahl antrat, gehören drei weitere rechte Parteien: u.a. die Bauernpartei Agrounia und die Grüne Partei

In sozialen Fragen steht der wirtschafsliberale Tusk deutlich rechts von der PiS, die vor allem durch die Erhöhung von Kindergeld und Renten Unterstützung unter ärmeren Schichten auf dem Land gewann. Im Ukrainekrieg unterscheidet sich Tusks Politik nicht von jener der PiS. Beide unterstützen uneingeschränkt den Stellvertreterkrieg der Nato gegen Russland.

Die PiS hat sich im Wahlkampf allerdings aus nationalistischen Gründen mit der ukrainischen Regierung angelegt. Große Gebiete der heutigen Westukraine gehörten früher zu Polen, und die OUN des Nazi-Kollaborateurs Stepan Bandera, der in der Ukraine als Held verehrt wird, hat zehntausende Polen auf dem Gewissen.

Gleichzeitig nutzt der deutsche Imperialismus den Ukrainekrieg, um sich wieder zur führenden Militärmacht auf dem Kontinent aufzuschwingen, was innerhalb der PiS auf Opposition stößt. Tusk hingegen spricht für den Flügel der polnischen Bourgeoisie, der ein engeres Bündnis mit Berlin und Brüssel anstrebt.

Bei der Hetze gegen Flüchtlinge aus Afrika und dem Nahen Osten, ein Kernthema der PiS im Wahlkampf, versuchte Tusk die PiS sogar rechts zu überholen.

Das Bündnis Trzecia Droga (Dritter Weg), das Tusk für eine Regierungsmehrheit braucht, setzt sich vor allem aus der konservativ-grünen Partei Polska 2050 und der rechtskonservativen Bauernpartei PSL zusammen. Viele seiner Führer waren früher Koalitionspartner der PiS. Der Dritte Weg kommt aktuell auf 14 Prozent.

Lewica (8,5 Prozent) wurde aus den Scherben verschiedener poststalinistischer und sozialdemokratischer Parteien zusammengekittet, die um die Jahrtausendwende unter Präsident Aleksander Kwaśniewski die polnische Politik dominierten und sich aufgrund ihrer rechten Politik im Interesse des Kapitals völlig diskreditiert haben. Auch bei diesen Wahlen haben sie nach der PiS die zweitgrößten Verluste.

Trotz des eindeutigen Wahlerfolgs der Oppositionsparteien ist es keineswegs sicher, dass es tatsächlich zu einem Regierungswechsel kommt. Am Wahlabend spekulierten Kommentatoren darüber, wie geschlossen die drei oppositionellen Wahllisten in ihrem Willen seien, die PiS abzulösen.

Die PiS wird alles daransetzen, die Opposition zu spalten und zu ködern. PiS-Chef Jaroslaw Kaczyński drohte noch am Wahlabend: „Wir haben Tage des Kampfes vor uns, Spannungen verschiedener Art, aber das Finale wird unser und vor allem Polens Sieg sein.“ Er fügte hinzu: „Wie auch immer die Stimmenverteilung sein wird, wir werden gewinnen!“

Die PiS verfügt über beachtliche Machtmittel, um die Bildung einer neuen Regierung zu sabotieren. Präsident Andrzej Duda, der zum PiS-Lager gehört und dessen Amtszeit noch bis 2025 dauert, hat freie Hand, wen er mit der Bildung einer Regierung beauftragt. Schöpft er alle Möglichkeiten der Verfassung aus, kann die Opposition frühestens Mitte Dezember eine neue Regierung bilden – wenn sie dann noch zusammenhält.

Auch nicht verfassungsmäßige Mittel (das oberste Gericht ist fest in den Händen der PiS) und selbst ein möglicher Putsch, wie ihn Donald Trump in den USA versuchte, werden nicht ausgeschlossen. Die von der PiS 2016 geschaffene Nationalmiliz WOT könnten dabei eine Schlüsselrolle spielen.

Bereits Anfang des Jahres hatte Jaroslaw Kurski, der stellvertretende Chefredakteur der Gazetta Wyborcza, gewarnt: „Hinter unserer Grenze herrscht Krieg, und die PiS wird nicht zögern, außergewöhnliche Maßnahmen zu ergreifen, um ihre Macht zu erhalten.“ Woran dachte Kurski damals? Eine autoritäre Präsidialdiktatur? Das bereits mehrfach angedrohte Eingreifen der polnischen Armee in der Ukraine und die Verhängung des Kriegsrechts im Innern?

Auch Rechtsprofessor Wojciech Sadurski warnte kurz vor der Wahl in der Wyborzcza, Kaczyński werde sich wie Donald Trump und Jair Bolsonaro weigern, die Gültigkeit der Wahlen anzuerkennen. Er habe seine „Zweifel“, dass die polnischen Institutionen einen solchen Putsch vereiteln würden.

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung, das Sprachrohr der Frankfurter Börse, feiert Tusks Wahlerfolg als „eine gute Nachricht für die Europäische Union“ und macht sich ebenfalls Sorgen, ob der „Richtungswechsel auch wirklich rasch vollzogen werden kann“.

„In der EU sollte man nicht damit rechnen,“ warnt die F.A.Z., „dass Polen sehr schnell wieder zu einem verlässlichen Partner wird. Es besteht vielmehr die große Gefahr, dass das Gegenteil der Fall sein wird: Das größte EU-Mitglied in Ostmitteleuropa, das von kaum zu überschätzender Bedeutung für die Unterstützung der Ukraine ist, könnte zunächst in eine gefährliche Phase politischer Instabilität eintreten.“

All jene in Polen, die Tusk und seine Verbündeten gewählt haben, um die reaktionäre PiS loszuwerden, sollten gewarnt sein. Tusk, der Mann des europäischen und polnischen Kapitals, wird alles tun, um eine solche „Phase politischer Instabilität“ zu verhindern und sich mit der PiS zu arrangieren.

Der Kampf für demokratische Rechte, gegen Sozialabbau und gegen den verheerenden Krieg in der Ukraine erfordert den Aufbau einer unabhängigen Bewegung der internationalen Arbeiterklasse, die für ein sozialistisches Programm kämpft.

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