Internationaler Gerichtshof warnt vor Hungersnot und ordnet ungehinderte Bereitstellung humanitärer Hilfe für Gaza an

Am Donnerstag hat der Internationale Gerichtshof ein Urteil gefällt, in dem Israel angewiesen wird, den 2,3 Millionen verzweifelten Einwohnern von Gaza die dringend benötigte humanitäre Hilfe zukommen zu lassen. Das Urteil erklärt in aller Deutlichkeit, dass die Palästinenser eine Hungersnot erleben, und ist eine vernichtende Anklage gegen die rechtsextreme Netanjahu-Regierung und ihre imperialistischen Hintermänner in Washington und Europa.

Palästinenser warten dicht gedrängt auf die Ausgabe von Lebensmitteln in Rafah im südlichen Gazastreifen, 8. November 2023. Seit Beginn des Angriffs auf den Gazastreifen hat Israel die Menge an Lebensmitteln und Wasser begrenzt, die in das Gebiet gelangen, was eine Hungersnot ausgelöst hat. (AP Photo/Hatem Ali) [AP Photo/Hatem Ali]

Der IGH hatte Israel erstmals im Januar angewiesen, vorläufige Maßnahmen zu ergreifen, nachdem Südafrika eine Klage wegen Völkermords in Gaza eingereicht hatte. Südafrikas Klagebegründung war eine vernichtende Entlarvung des Völkermords. Durch Aussagen hochrangiger israelischer Regierungsvertreter und die Brutalität der Militäroperationen in Gaza wurde bewiesen, dass das zionistische Regime die Absicht verfolgt, die Palästinenser auszulöschen. Israel wurde u.a. angewiesen, innerhalb eines Monats mehr Hilfslieferungen durchzulassen und mehr zu tun, um die Zahl der zivilen Todesopfer zu verringern.

In dem Urteil vom Donnerstag heißt es: „Die katastrophalen Lebensbedingungen der Palästinenser im Gazastreifen haben sich weiter verschlechtert, vor allem angesichts des anhaltenden und weit verbreiteten Mangels an Nahrungsmitteln und anderen Grundgütern, unter denen die Palästinenser im Gazastreifen zu leiden haben. Für sie ist eine Hungersnot nicht mehr nur eine drohende Gefahr, wie im Urteil vom 26. Januar 2024 dargelegt, sondern sie hat bereits begonnen.“

Der IGH ermahnte Israel außerdem, dafür zu sorgen, dass die Israelischen Verteidigungskräfte (IDF) keine Verstöße gegen die UN-Völkermordkonvention begehen. Dazu gehört auch „durch irgendwelche Maßnahmen dringend benötigte humanitäre Hilfe zu verhindern.“

Angesichts der unbestreitbaren Tatsache, dass Israel systematisch Hilfslieferungen nach Gaza blockiert und Palästinenser massakriert hat, die an die wenigen Lieferungen gelangen wollten, die durchgekommen sind, wirft das Gericht Israel implizit vor, Völkermord zu begehen. Zuvor hatte das UN-Hilfswerk für Palästinaflüchtlinge UNRWA am Donnerstag erklärt, dass die „Uhr sehr schnell in Richtung Hungersnot tickt“, und sich darüber beschwert, seine Hilfslieferungen könnten den Norden des Gazastreifens nicht erreichen.

Als Reaktion auf das Urteil erklärte die südafrikanische Regierung: „Die Tatsache, dass die Palästinenser nicht nur durch Luft- und Bodengriffe zu Tode kommen, sondern auch durch Krankheit und Hunger, zeigt die Notwendigkeit, das Existenzrecht der Gruppe zu schützen.

Am wirkungsvollsten lässt sich dieses Recht durch Prävention verteidigen. Die Maßnahmen des Gerichts beinhalten eine besondere Verantwortung, Völkermord zu verhindern.“

Laut dem Gesundheitsministerium von Gaza sind mindestens 27 Kinder an Unterernährung gestorben. Das jüngste Opfer war ein fünfjähriger Junge im Kamal-Adwan-Krankenhaus im Norden des Gazastreifens, wo laut dem medizinischen Personal ständig unterernährte Patienten eintreffen. Ein Pfleger schilderte gegenüber Al Jazeera den Zustand eines unterernährten Kinds: „Man sieht, dass ihr Alter nicht ihrem Gewicht entspricht. Sie ist zwei Monate alt, aber wiegt nur etwas mehr als zwei Kilo. Wir haben uns daran gewöhnt, täglich eine große Zahl derartiger Fälle zu bekommen. Sie führen oft zum Tod.“

Israel verweigert den Palästinensern nicht nur Nahrung, Wasser, Strom und Medikamente, sondern greift auch weiterhin in der gesamten Enklave gezielt Krankenhäuser an. Die Weltgesundheitsorganisation berichtete am Donnerstag, dass nur zehn der 36 Krankenhäuser teilweise funktionsfähig sind. Zuletzt hatte das al-Amal-Krankenhaus in Chan Yunis den Betrieb eingestellt, nachdem es am Dienstag von Soldaten der IDF umstellt worden war, die alle zum Verlassen aufgefordert hatten. Das al-Shifa-Krankenhaus in Gaza-Stadt, das größte im Gazastreifen, wurde zehn Tage lang von der IDF belagert, die bei dieser blutigen Operation mindestens 200 Menschen getötet haben. Unter den jüngsten Opfern befand sich auch der Journalist Muhammad Abu Sakhil, der von den IDF gezielt ausgesucht wurde.

In den wenigen Krankenhäusern, die noch in Betrieb sind, herrschen erbärmliche Bedingungen. Laut Al-Jazeera befinden sich im al-Aqsa-Märtyrer-Krankenhaus 800 Patienten, aber es gibt nur 160 Betten.

Der höllische Alptraum, in dem die Bevölkerung von Gaza lebt, ist das Ergebnis der uneingeschränkten Unterstützung des israelischen Völkermords durch den US-Imperialismus und seine europäischen Verbündeten. Die USA, Deutschland, Großbritannien und Frankreich haben die Bomben und das Kriegsgerät geliefert, mit dem die IDF Gaza in eine Todeszone verwandelt hat. Angesichts der weltweiten Empörung über den Völkermord haben diese Regierungen jeden Widerstand gegen Israels Kriegsverbrechen brutal unterdrückt, Demonstranten als „Antisemiten“ verleumdet und Demonstrationen durchweg kriminalisiert.

Die Komplizenschaft der imperialistischen Mächte bei dem Völkermord wurde am Montag erneut deutlich, als der UN-Sicherheitsrat eine „nicht bindende“ Resolution für einen Waffenstillstand in Gaza verabschiedete. Der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats, John Kirby, gab offen zu, dass Washingtons Entscheidung, sich bei der Abstimmung zu enthalten, damit die Resolution verabschiedet werden konnte, nichts weiter als ein PR-Gag war, um die Wut der Bevölkerung zu beschwichtigen. Er erklärte weiter, die Resolution werde „keinerlei Auswirkungen“ auf Israels Militäroperationen haben.

Diese Tatsache hat sogar der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu eingeräumt, der anfangs seinen Unmut über Washingtons Enthaltung geäußert und ein Treffen von israelischen Regierungsvertretern mit der Biden-Regierung abgesagt hatte, bei dem der Angriff auf Rafah geplant werden sollte. Am Donnerstag bestätigte Netanjahus Büro, die Regierung habe ihren Kurs geändert und das Treffen werde neu angesetzt.

Israel hat die Bombardierung Rafahs nach der UN-Resolution ohne Unterbrechung fortgesetzt. Reuters berichtete unter Berufung auf einen Einwohner, dass in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch vier Häuser getroffen wurden. Am Donnerstag wurden mindestens zwölf Palästinenser getötet, als ein weiteres Haus getroffen wurde.

Der internationale Präsident von Ärzte ohne Grenzen (MSF), Christos Christou, erklärte gegenüber AFP: „Wir haben nicht gesehen, dass sich nach dieser Resolution etwas vor Ort geändert hätte. Wir konnten keine Auswirkungen... auf das Alltagsleben der Menschen dort feststellen.“

Der israelische Sender Channel 12 berichtete derweil am Mittwochabend, dass die Vorbereitungen für einen Angriff auf Rafah unvermindert weitergehen. Das Militär plane Angriffe auf „Tunnel, Kommandozentralen und Häuser, in denen sich Hamas-Führer verstecken.“ Unter Hinweis auf den Besuch von Verteidigungsminister Yoav Gallant in Washington, wo er zwei Tage lang Gespräche mit Vertretern der Biden-Regierung führte, fuhr Channel 12 fort: „Verteidigungsminister Gallant koordiniert die Militäroperation in Rafah mit seinen Amtskollegen in Washington.“

In dem Bericht hieß es, Netanjahu habe den Kauf von 40.000 Zelten aus China angeordnet, angeblich als Teil des „Umgangs mit der Zivilbevölkerung in Rafah.“ Da in der südlichsten Stadt des Gazastreifens 1,5 Millionen Menschen zusammengepfercht sind, wäre es noch großzügig, von einem Tropfen auf den heißen Stein zu sprechen.

Präsident Isaac Herzog lobte während eines Besuchs von US-Kongressabgeordneten in Israel am Donnerstag die „unverwüstlichen Bande“ zwischen den USA und Israel und erklärte: „Wir haben das gleiche Ziel, den Terror zu eliminieren.“

Der bevorstehende Angriff auf Rafah, der von den imperialistischen Mächten uneingeschränkt unterstützt wird, droht Israels Völkermord an den Palästinensern auf eine neue und noch blutigere Ebene zu heben. Washington unterstützt die Verschärfung des Massenmords, weil es Israels „Endlösung“ der Palästinenserfrage als wichtigen Teil seiner Vorbereitungen auf einen Krieg in der gesamten Region gegen den Iran betrachtet. Washington hofft, durch einen solchen Konflikt seine Vorherrschaft über den energieeichen und strategisch wichtigen Nahen Osten zu festigen. Die unmittelbare Gefahr einer Ausweitung des Konflikts wurde am Donnerstag deutlich, als die IDF eine „überraschende“ Übung für alle Einheiten im Norden ankündigte, um sich auf einen potenziellen Krieg im Libanon vorzubereiten.

Nur die unabhängige politische Mobilisierung der internationalen Arbeiterklasse kann eine weitere Verschärfung der Katastrophe verhindern, unter der die Bevölkerung des Gazastreifens leidet. Die Massenproteste gegen den Völkermord, an denen sich in den letzten Monaten weltweit Millionen von Menschen beteiligt haben, zeigen die weit verbreitete Ablehnung von Völkermord und imperialistischem Krieg. Doch diese Ereignisse haben auch den Bankrott der selbst ernannten Führungen der Proteste demonstriert. Die Behauptung, dass sich durch Druck auf die imperialistischen Mächte und Appelle an die Vereinten Nationen ein Waffenstillstand und ein Ende der Angriffe herbeiführen ließen, wurde durch und durch entlarvt. Die dringendste Aufgabe für Arbeiter und Jugendliche, die über den Völkermord im Gazastreifen empört sind, besteht darin, ihren Kampf mit dem mächtigen Ausbruch von Arbeiterkämpfen in jedem größeren Land gegen die Verschlechterung der Arbeits- und Lebensbedingungen zu vereinen und eine internationale Antikriegsbewegung unter Führung der Arbeiterklasse aufzubauen. Diese Bewegung muss auf einem sozialistischen und internationalistischen Programm beruhen, um den Kapitalismus abzuschaffen – der Ursache für imperialistische Kriege und Völkermord.

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