UN-Bericht zeigt wachsende globale Ungleichheit nach der Corona-Pandemie auf

Der jüngste „Human Development“-Bericht der Vereinten Nationen schildert detailliert die extrem ungleiche wirtschaftliche und soziale Entwicklung, durch die die ärmsten Teile der Weltbevölkerung zurückgelassen werden, die Ungleichheit verschärft und die politische Polarisierung vorangetrieben wird.

Der Bericht über die menschliche Entwicklung für 2023/24 mit dem Titel Breaking the Gridlock: Reimagining cooperation in a polarized world (Den Stillstand durchbrechen: Kooperation in einer polarisierten Welt neu denken) zeigt, dass der Wiederanstieg des globalen Index der menschlichen Entwicklung (Human Development Index, HDI) – ein Maßstab, der das Bruttonationaleinkommen pro Kopf, Bildung und Lebenserwartung eines Landes widerspiegelt – nach der Pandemie nur teilweise, unvollständig und ungleichmäßig war.

Menschen stehen Schlange für eine Impfung gegen Covid-19. Aufgenommen in Lawley südlich von Johannesburg (Südafrika), 1. Dezember 2021

Die Pandemie hat die weltweit größte Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg ausgelöst. Die globale Wirtschaftsleistung ist dreimal stärker zurückgegangen als während der globalen Finanzkrise 2007–2008 und zudem viel abrupter, da wirtschaftliche Aktivitäten zum Erliegen kamen. Die weltweite Arbeitslosenquote hat noch nicht wieder das Niveau vor der Pandemie erreicht, sodass immer mehr Arbeiter in den informellen Sektor gedrängt werden, wo sie für Niedriglöhne arbeiten.

Trotz der für derartige Publikationen üblichen farblosen und zurückhaltenden Sprache nennt der Bericht wichtige Fakten über die zunehmende wechselseitige Abhängigkeit der Welt vor dem Hintergrund „anhaltender Machtungleichgewichte“.

Während die menschliche Entwicklung in den Industrienationen auf Rekordniveau liegt, hat die Hälfte der ärmsten Länder der Welt noch nicht das Niveau vor der Pandemie erreicht. Laut dem Bericht hat die Pandemie mindestens 15 Millionen Tote gefordert, mehr als alle Pandemien in der jüngeren Vergangenheit zusammen (asiatische Grippe, Hongkong-Grippe, Schweinegrippe, SARS, Ebola und MERS). Die HDI-Schätzung der globalen Pandemietoten ist konservativ. Die genauere Schätzung der Economist-Studie kommt auf eine globale Übersterblichkeit von annähernd 30 Millionen Toten bis Ende 2023. Die Pandemie hat nicht nur die Lebenserwartung ab Geburt in den meisten Ländern gesenkt, sondern auch andere Komponenten des HDI beeinträchtigt, den Zugang zu Bildung unterbrochen und bleibende Schäden in der Wirtschaft hinterlassen.

Dazu kommt das, was der Bericht als „Missmanagement der globalen wechselseitigen Abhängigkeiten“ beschrieb. Eine passendere Bezeichnung wäre Kriminalität der Großmächte im Interesse der Finanzoligarchie. Er verweist darauf, dass die größten Industrienationen und Pharmakonzerne weder innerhalb ihrer Länder, noch zwischen den Ländern für einen allgemeinen und gerechten Zugang zu wirkungsvollen Corona-Impfstoffen gesorgt haben, obwohl deren Entwicklung das Ergebnis internationaler wissenschaftlicher Zusammenarbeit war. Er erwähnte weiter – ohne es zu erklären – die „enormen Unterschiede bei den Maßnahmen der Regierungen“, d.h. die Weigerung aller Regierungen, die strengen Maßnahmen einzuführen, die China anfangs ergriffen hatte, und die eine Ausbreitung des Virus verhindert hätten.

Der globale HDI-Wert ist im Jahr 2023 zwar auf einen prognostizierten Höchststand angestiegen, liegt aber immer noch unter den prognostizierten Trends vor der Pandemie und verbirgt tiefgreifende Unterschiede zwischen den Ländern. Alle 38 Mitglieder der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) erzielten höhere HDI-Werte als im Jahr 2019. Doch unter den 35 am wenigsten entwickelten Ländern ging der HDI während der Pandemie zurück, und mehr als die Hälfte (18 Länder mit 328 Millionen Einwohnern) haben noch nicht wieder den Stand von 2019 erreicht.

Keine der „Entwicklungs“-Regionen hat ihr erwartetes HDI-Niveau auf der Grundlage des Trends vor 2019 erreicht, sondern ist stattdessen auf eine niedrigere HDI-Kurve eingeschwenkt, was darauf hindeutet, dass diese Verluste wahrscheinlich dauerhaft sein werden. Am deutlichsten zeigt sich dies in Afghanistan und der Ukraine. Der afghanische HDI ist um sage und schreibe zehn Jahre zurückgegangen, der HDI der Ukraine auf den niedrigsten Stand seit 2004.

Der Bericht warnt davor, dass der globale HDI-Wert zwar ein wichtiger Wert ist, aber nur ein grober Maßstab zur Messung der menschlichen Entwicklung. Wichtige Faktoren wie die belastenden Auswirkungen von Krankheiten wie Long Covid, der Anstieg psychischer Erkrankungen, Gewalt gegen Frauen und Verlust von Schulbildung werden, wenn überhaupt, nur unvollständig abgebildet. Bestimmte Verluste, darunter der Tod von 15 Millionen Menschen, können nie wieder aufgeholt werden. Subjektiv wahrgenommener Stress, Trauer und Sorge, die in den meisten Ländern schon vor der Pandemie angestiegen sind, und die zunehmende Stimmung von Unzufriedenheit, über die in früheren „Human Development“-Berichten referiert wurde, hatten bereits 2019 zu zahlreichen Sozialprotesten geführt.

Der Bericht warnt, dass die Ungleichheit durch die beträchtliche wirtschaftliche Konzentration noch verstärkt wird. So wird erwähnt, dass sich 40 Prozent des globalen Güterhandels auf drei oder vier Länder konzentrieren, während die Marktkapitalisierung jedes der drei größten Technologiekonzerne der Welt im Jahr 2023 das Bruttoinlandsprodukt (BIP) von mehr als 90 Prozent der Länder in diesem Jahr überstiegen hat.

Der UNHD-Bericht wies auch auf die zunehmende gegenseitige Abhängigkeit auf der Welt hin.

  • Das Handelsvolumen mit Zwischenprodukten übersteigt inzwischen leicht den Handel mit Endprodukten, wobei Waren doppelt so weit und über mehr Grenzen befördert werden als vor 60 Jahren.
  • Die gegenseitige finanzielle Abhängigkeit ist gestiegen. Da die Zentralbanken nach Beginn des US/Nato-Kriegs gegen Russland in der Ukraine die Zinssätze erhöht haben, um die Inflation zu bekämpfen, ist das Niveau der Schuldentilgung für Länder mit kleinem und mittlerem Einkommen in die Höhe geschnellt.
  • Die Exporte digitaler Dienstleistungen machen inzwischen mehr als die Hälfte des weltweiten Handels mit Dienstleistungen aus. Fast jeder Mensch befindet sich heute in Reichweite eines mobilen Breitbandnetzwerks und 5,4 der acht Milliarden Einwohner der Welt haben 2023 das Internet genutzt.
  • Die Zahl der Menschen, die außerhalb ihres Geburtslands leben, hat sich seit 1970 von 84 Millionen auf fast 280 Millionen im Jahr 2020 verdreifacht. Das entspricht 3,6 Prozent der Weltbevölkerung. Abgesehen von zunehmenden sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Verbindungen führt diese Entwicklung auch zu grenzübergreifenden Finanzströmen.

Zusätzlich erwähnt der Bericht die Pandemie, den Klimawandel, den Verlust von Biodiversität, die grenzüberschreitenden Folgen der Umweltverschmutzung und neue oder wieder auftauchende zoonotische Krankheiten, die zu künftigen Pandemien führen können, die keine Grenzen kennen. Er warnt, dass jeder Winkel der Erde die Auswirkungen gefährlicher planetarischer Veränderungen zu spüren bekommt, die durch politische Entscheidungen verursacht werden. Gleichzeitig beeinträchtigen geopolitische Spannungen, Kriege und Konflikte die menschliche Entwicklung – sowohl in den direkt betroffenen Ländern als auch oft für viele andere. Diese Konflikte überschreiten nicht nur geografische, sondern auch die Grenzen zwischen den Generationen. Die Kriege in Gaza, der Ukraine und dem Jemen machen die über Generationen hinweg erzielten Fortschritte in der menschlichen Entwicklung zunichte und verringern die Aussichten für junge Menschen.

Die Zahl der Länder, die in Konflikte außerhalb ihrer eigenen Grenzen verwickelt sind, hat sich in den letzten zehn Jahren verfünffacht. Von den 55 staatlichen Konflikten im Jahr 2022 waren 22 international, verglichen mit nur vier von 37 im Jahr 2000. Dies, sowie Verfolgung und Menschenrechtsverletzungen haben 108 Millionen Menschen zur Flucht aus ihrer Heimat gezwungen, die höchste Zahl seit dem Zweiten Weltkrieg und zweieinhalb Mal so viele wie 2010. Die jüngsten Vertreibungen von Palästinensern aus dem Gazastreifen und die Flüchtlingskrise in Armenien sind dabei noch gar berücksichtigt.

Ein Fünftel aller Kinder weltweit lebt in einem Konflikt oder flieht davor. Etwa 80 Prozent der Flüchtlinge weltweit leben in Ländern mit niedrigem oder mittlerem Einkommen. Die Zahl der Menschen, die auf humanitäre Hilfe angewiesen sind, wird im Jahr 2024 vermutlich 300 Millionen erreichen, während die für humanitäre Hilfe verfügbaren Mittel bei weitem nicht ausreichen.

Der Bericht beklagt die Zunahme von „Populismus“, der laut seinen Angaben durch soziale Ungleichheit und den allgegenwärtigen „Unsicherheitskomplex“ angeheizt wird. Dieser hat „einen sehr langen Schatten auf die menschliche Entwicklung im Allgemeinen geworfen, wobei die letzten Jahre vielleicht eine unglückliche und vermeidbare Weggabelung statt einen kurzlebigen Rückschlag markieren“. Der Bericht zitiert Forschungen, laut denen Länder mit populistischen Regierungen niedrige BIP-Wachstumsraten haben – zehn Prozent weniger als man bei einer nicht-populistischen Regierung erwarten würde.

Genau wie bei allen derartigen Berichten forderten die Autoren, dass „Multilateralismus“ die Hauptrolle bei der Entwicklung und Umsetzung einer „neuen Generation von globalen öffentlichen Gütern“ spielen sollte, um diese Herausforderungen anzugehen und Gleichheit zu fördern. Eine solche bankrotte Perspektive steht im Widerspruch zu allen Erkenntnissen darüber, dass die gleichen multilateralen Organisationen, die von den kapitalistischen Großmächten dominiert werden und im Interesse ihrer eigenen globalen Banken und Konzerne handeln, die von ihnen dokumentierten Prozesse befeuert haben.

Die globale Ungleichheit aus der Welt zu schaffen, erfordert die Massenmobilisierung der internationalen Arbeiterklasse gegen ihre Ausbeuter, die Kapitalistenklasse, ihre Regierungen und Banken, die für die Verarmung der Menschheit und das Abgleiten der Welt in Krieg verantwortlich sind. Dies wiederum erfordert eine internationale sozialistische Strategie, die die Arbeiter und Jugendlichen in den fortgeschrittenen und den weniger entwickelten Ländern vereint, um die Aufteilung der Welt in verfeindete Nationalstaaten zu beenden und durch den Kampf für die sozialistische Weltrevolution eine geplante Produktion für den Bedarf und nicht für den Profit einzuführen.

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