Großbritannien:

Mehrere Wahlbündnisse wollen gegen die Kandidaten der Labour Party antreten

Im Vorfeld der britischen Parlamentswahlen, die voraussichtlich in der zweiten Jahreshälfte 2024 stattfinden werden, haben sich mehrere Aktivistengruppen gebildet, die mit unabhängigen Kandidaten gegen die Labour Party antreten wollen. Sie alle wenden sich gegen Labours Unterstützung für den Massenmord und die ethnische Säuberung, die Israel an den Palästinensern im Gazastreifen verübt, und viele protestieren auch gegen den allgemeinen Rechtsruck der Labour Party unter ihrem Vorsitzenden Sir Keir Starmer.

Keir Starmer in der Sendung „Never Mind The Ballots“ am 21. März 2024 in London [Photo by Keir Starmer / Flickr / CC BY-NC-ND 2.0]

Zu diesen Gruppen zählen „We Deserve Better“ unter Führung des Guardian-Kolumnisten Owen Jones; „No Ceasefire, No Vote“ aus dem Umfeld der „Stop the War Coalition“; die Gruppe „The Muslim Vote“, die von mehreren muslimischen Organisationen unterstützt wird, und das Bündnis „Collective“, das von dem ehemaligen südafrikanischen ANC-Abgeordneten Andrew Feinstein gegründet wurde.

Die „Workers Party of Britain“ von George Galloway und die „Trade Union and Socialist Coalition“ (TUSC) der Socialist Party werden ebenfalls mit eigenen Kandidaten antreten und haben eine Koordination ihrer Wahlkämpfe angekündigt.

In der Gründung dieser Anti-Labour-Wahllisten äußert sich die Ablehnung der Partei unter Arbeitern und Jugendlichen. Der unmittelbare Hauptgrund dafür ist, dass Labour den Völkermord in Gaza unterstützt. Aber auch ihre völlige Anpassung an die Wirtschafts- und Sozialpolitik der Tories und ihre offene Feindseligkeit gegenüber Streiks und demokratischen Rechten stoßen auf Ablehnung.

Laut aktuellen Berichten sind weitere 23.000 Mitglieder aus der Labour Party ausgetreten, hauptsächlich als Reaktion auf den Gazakrieg. Bereits zuvor hatten Hunderttausende die Partei verlassen und Millionen waren zu dem Schluss gelangt, dass unter Starmer der Austeritäts- und Kriegsapparat ungemindert weiterlaufen würde, auch wenn die Tory-Regierung von großen Teilen der Bevölkerung abgelehnt wird und ein Erdrutschsieg von Labour wahrscheinlich ist.

Immer mehr Menschen suchen nach einer linken Alternative. Doch die diversen Wahlbündnisse versuchen die Arbeiter in die eine oder andere Sackgasse zu führen. Die einen wollen die Labour Party nach links drücken, vor allem zur Unterstützung eines Waffenstillstands im Gazastreifen, die anderen eine neue „linke“ Partei nach dem Vorbild der Labour Party gründen, die vom ehemaligen Labour-Parteichef Jeremy Corbyn geführt werden soll.

Insbesondere lehnen diese Wahlbündnisse den dringend notwendigen politischen Bruch der Arbeiterklasse mit Labour und ein neues revolutionäres internationalistisches Programm zum Kampf gegen Kapitalismus und Imperialismus ab.

Die Gründung von „We Deserve Better“ vermittelt einen Eindruck von der Krise der Labour Party. Ihr Gründer Owen Jones hat diesen Monat im Guardian eine selbstherrliche „Abschiedserklärung“ veröffentlicht, nachdem er dem Labour-Apparat jahrzehntelang unerschütterlich die Treue gehalten hatte. Er hatte sich zunächst als Unterstützer des „Linken“ Corbyn ausgegeben, zugleich aber die verlogene Antisemitismuskampagne gegen dessen Anhänger vorangetrieben. Zu diesem Zweck war er bei der Jewish Labour Movement aufgetreten, die als Front der Hexenjagd der Blairisten, der Tories und der Regierungen Israels und der USA agiert.

Im selben Kontext warf Jones Corbyn und seinen Anhängern im November 2020 auf BBC Politics Live „fehlende emotionale Intelligenz“ vor und betonte, Labour müsse gemeinsam den Antisemitismus in der Partei bekämpfen, den die Equality and Human Rights Commission ausgemacht hätte: „Es gab hier schon die ganze Zeit das Problem fehlender emotionaler Intelligenz. Wenn es dazu kommt, dass es die Linken sind, die im Fernsehen Antisemitismus verteidigen, gibt es in diesem Land keine Zukunft für die Linke.“

Den gleichen Geist atmet eine Kolumne im Guardian von 2020 mit dem Titel „Starmer kann siegen, und er verdient unsere Unterstützung“. Darin argumentiert der Gründer von „We Deserve Better: „Wer Sympathien für das Progressive hegt, sollte sich uneingeschränkt hinter ihn [Starmer] stellen.“

Jones rief zweimal zur „kritischen Freundschaft“ gegenüber dem Labour-Parteichef auf und erklärte, Corbyns Anhänger sollten „keine Politik der verbrannten Erde betreiben“, indem sie „Starmers Führung aktiv destabilisieren“, wie es die Blairisten mit Corbyn getan hätten. Damit würde man „nichts erreichen, außer den Tory-Alptraum zu verlängern und die Mitglieder zu entfremden … Dissens sollte im Kontext des Willens zum Sieg einer radikalen Labour-Regierung ausgetragen werden.“

Owen Jones 2016 [Photo: Gary Knight / Flickr]

Im Februar 2023 räumte Jones in einem Artikel über den Ausschluss Corbyns aus der Labour-Parlamentsfraktion ein, dass Starmer „die Linke in der Labour Party auslöschen will“. Dennoch begnügte er sich mit warnenden Kassandra-Rufen, dass die „interessantesten Ideen von den Linken stammen: Sie aus Zukunft der Labour Party zu verbannen, ist ein Akt der Selbstverstümmelung.“

Jones argumentiert auf seiner Website, die Tories seien heute erledigt. „Wir sollten Labour eine Botschaft schicken … Wenn wir nicht handeln, geben wir Labour zu verstehen, dass sie uns ignorieren und weiter nach rechts rücken können, ohne sich rechtfertigen zu müssen.“

In der Praxis bedeutet dies, eine Ansammlung von „grünen und linken unabhängigen Kandidaten“ zu unterstützen. Als Beispiele nannte Jones die Co-Vorsitzende der Grünen Carla Denyer und die Aktivistin Leanne Mohamad sowie „sozialistische Labour-Abgeordnete“. Mit anderen Worten, ein begrenztes Wahlbündnis, das die Farce propagiert, die hartgesotten rechte, kriegs- und wirtschaftsfreundliche Labour Party könne durch Druck zu einem Kurswechsel gebracht werden.

Nichts von alledem hindert die Socialist Workers Party daran, dem Projekt ihren Segen zu erteilen: „Jones zeigt, in welche Richtung bei beträchtlichen Teilen der Labour-Aktivisten der Wind weht. Es bleibt zu hoffen, dass er noch viele weitere Menschen dazu ermutigt, aus der Labour Party auszutreten und über eine sozialistische Alternative zu debattieren.“

Alle derartigen Projekte, selbst wenn sie von Jones angeführt würden, müssten als „neue Chancen“ angesehen werden. „Etwas davon wird sich in den Wahlen widerspiegeln, und in Wahlkämpfen kann sich die Wut der Bevölkerung äußern.“

Noch begeisterter zeigt sich die SWP über „No Ceasefire, No Vote“, das ebenfalls „massiven Druck auf jeden Kandidaten ausüben will, einen Waffenstillstand und ein Ende der Besatzung zu fordern … Bei Labour darf es keinen Platz geben, an dem man sich für seine Komplizenschaft beim Völkermord verstecken kann. Jeder Kandidat muss wiederholt und mit Nachdruck gefragt werden, wo er steht – und dazu gedrängt werden, für das einzustehen, was richtig ist. Wir sind bereit, parlamentarische Kandidaten zu unterstützen, die einen Waffenstillstand fordern, und diejenigen zur Rede zu stellen, die es ablehnen.“

In Wirklichkeit würde sich überhaupt nichts ändern, wenn sich Labour im Nachhinein für einen Waffenstillstand aussprechen würde. Die Partei hat dies bereits im Februar vorgegaukelt, um einigen ihrer Abgeordneten einen Vorwand dafür zu liefern, eine viel weiter gehende Forderung der Scottish National Party nicht unterstützen zu müssen. Selbst „Genocide Joe“ Biden stellt sich mittlerweile zum Schein gegen die Pläne der Netanjahu-Regierung, eine Bodenoffensive gegen Rafah zu beginnen, die zehntausende Tote zur Folge hätte. Alles Gerede über die Vorzüge eines Waffenstillstands ist ein Versuch von Israels Komplizen, ihre eigene Schuld zu vertuschen.

Auch die Socialist Party (SP) unterstützt „We Deserve Better“, „No Ceasefire, No Vote“ und andere unabhängige Kampagnen und versucht, sie in ihre „Trade Union and Socialist Coalition“ einzubinden. Ihre eigentliche Perspektive besteht darin, erneut eine Aktionsgruppe in einer von Starmer geführten Labour-Regierung zu bilden. Die SP fordert eine „Liste von Arbeiterkandidaten“ und schreibt: „Einige davon könnten in einen linken Block unter einer Starmer-Regierung gewählt werden und dabei als Blitzableiter für die Unzufriedenheit der Arbeiter fungieren, die unweigerlich entstehen wird.“

Der Aufbau einer eigenen Massenpartei der Arbeiter wird auf unbestimmte Zeit vertagt. Der vorgeschlagene „Block aus Abgeordneten im nächsten Parlament“ könnte, so heißt es, „dabei helfen, die Grundlage für den Aufbau einer Arbeitermassenpartei zu schaffen“.

Als Anwärter auf diese Rolle haben sich bereits zwei Organisationen in Stellung gebracht: George Galloways Workers Party und Feinsteins Collective. Besonders die populistisch-nationalistische Politik der Workers Party werden wir in Kürze in einem gesonderten Artikel unter die Lupe nehmen.

Collective wurde am 2. März 2024 auf der Konferenz von No Ceasefire, No Vote ins Leben gerufen. Ihr Personal zeigt, worin ihre Politik besteht. Weitere Führungsfiguren neben Feinstein sind Pamela Fitzpatrick, die an Corbyns „Peace and Justice Project“ mitwirkt, die ehemalige Labour-Abgeordnete Claudia Webbe, die Gründerin von „Stop the War“ Lindsey German, der ehemalige Corbyn-Berater Andrew Murray, die ehemalige Chefin der „Respect Party“ und heutige Labour-Politikerin Salma Yaqoob und Jamie Driscoll, der früher Mitglied der Labour Party war und heute als unabhängiger Bürgermeister von North Ryne amtiert.

Zu den „solidarischen“ Organisationen gehören „Transform Politics“ und das Bündnis „For The Many Network“. Transform ist die neueste Inkarnation von Left Unity, der Totgeburt unter der Führung von Filmregisseur Ken Loach, der bald seinen 90. Geburtstag feiert und für eine Rückkehr zum „Geist“ der Labour-Regierung von 1945 eingetreten war. For the Many will „die Linke um die sozialistischen Prinzipien vereinen, die im Programm der Labour Party von 2016-2019 festgeschrieben wurden“.

Collective ist eine Ansammlung der Überreste von Corbyns Projekt, nachdem dessen erklärtes Ziel, die Labour Party nach „links“ zu rücken, kläglich gescheitert war.

Collective wurde aus dem widerwilligen Eingeständnis geboren, dass Millionen von Arbeitern und Jugendlichen sich dem frommen Wunsch verweigerten, die Labour Party in ein Werkzeug für den Sozialismus zu verwandeln. Ihnen wird nun eine neue politische Sackgasse angeboten: eine Bewegung auf der Grundlage eines Programms, das von Corbyns Beratern entworfen wurde, um seine rechten Kritiker um Blair zu beschwichtigen. In diesem Programm wird die Nato-Mitgliedschaft mitsamt ihren Zielvorgaben zu Militärausgaben und Atomwaffen akzeptiert. Dies wird mit ein paar Sozialreformen aufgehübscht, die so mager sind, dass in der Nachkriegszeit selbst die rechtesten Labour-Politiker darüber gelacht hätten.

Jeremy Corbyn bei einer Rede vor dem High Court in London am 20. Februar 2024.

Bezeichnenderweise wurde die offizielle Gründung von Collective als Partei auf die Zeit nach der Parlamentswahl verschoben, vermutlich, um Corbyn entgegenzukommen. Diese heiß umworbene Galionsfigur will als Unabhängiger um seinen Sitz für den Londoner Wahlkreis Islington North antreten und keinen Widerstand gegen Starmers Wahlsieg leisten.

Das also wird den Arbeitern und Jugendlichen vorgesetzt, denen es bei ihrem Widerstand gegen Labour vor allem um den Kampf gegen die offene Kriegstreiberei dieser Partei geht.

Was ist die wirkliche Bilanz des Projekts Corbyn, das Collective wiederbeleben will? Eine Massenbewegung der Arbeiter und Jugendlichen, die mit den Blairisten abrechnen wollte, wurde blockiert und demobilisiert. An die Stelle von Widerstand gegen Krieg trat die Akzeptanz der Nato und Atomwaffen. Es wurde den Labour-Abgeordneten freigestellt, für Luftangriffe im Nahen Osten zu stimmen. Stadträte wurden angewiesen, die Austeritätsdiktate der Tories durchzusetzen. Corbyn kapitulierte vor der Hetzkampagne gegen angeblichen Antisemitismus, die jetzt als Grundlage für die Kriminalisierung von Massenprotesten gegen den Völkermord im Gazastreifen benutzt wird.

Das Ergebnis dieser Verrätereien ist eine Partei unter der Führung Starmers, der Margaret Thatcher lobt, weil sie „Großbritannien aus seinem Stupor geholt hat, indem sie unseren natürlichen Unternehmergeist entfesselte“, der Labour als „die Partei der Nato“ bezeichnet und unerschütterlich den Zionismus und den Völkermord an den Palästinensern unterstützt.

Die selbst verursachte Niederlage der Corbynisten ist so vollständig, dass laut parteiinternen Umfragen vier von fünf Mitgliedern Starmers Führung unterstützen, nachdem die Zahl der Mitglieder von 552.000 im Jahr 2020 auf heute 336.000 gesunken ist.

Unter solchen Umständen ist die Behauptung, Labour könne durch Druck zu einer progressiven Politik gezwungen und ihr „linker Flügel“ wiederbelebt werden, schlicht lächerlich. Es ist eine Unverschämtheit, dass die Verantwortlichen für Corbyns Fiasko jetzt als Führer einer neuen „Alternative“ zur Labour Party dargestellt werden. In jedem anderen Berufsfeld außer der Politik würden Menschen mit einer solchen Leistung hinausgeworfen werden.

Unabhängig von der Distanz der SWP und der SP zu Collective und den strengen Worten der SWP über eine „Labour Party Version II unter Jeremy Corbyn“ zeigt die Vergangenheit dieser Organisationen, dass sie sich schnell anpassen würden, wenn Corbyn die für ihn reservierte Führungsposition ergreifen würde. Jede „Kritik“ würde entweder verstummen oder als freundschaftlicher Rat dargestellt werden.

Die Socialist Equality Party (SEP) unterstützt keine dieser bankrotten Tendenzen und verurteilt deren Bestrebungen, die beginnende Rebellion gegen Labour einzudämmen und zu kastrieren.

Die SEP wird zu der Wahl mit einem Programm auf der Grundlage des sozialistischen Internationalismus und mit dem Ziel antreten, die internationale Arbeiterklasse gegen Krieg und die damit verbundenen Angriffe auf demokratische Rechte und Löhne zu mobilisieren.

Dies erfordert die Zurückweisung aller Labour-Abgeordneten. Unabhängig von ihrer formellen Haltung zu einem Waffenstillstand stehen sie für eine Partei des Völkermords und des Kriegs. Die SEP stellt sich gegen alle Kampagnen, die Personen wie Corbyn und seine Mitstreiter in der „Socialist Campaign Group of Labour MPs“ als Verbündete betrachten. Solche Initiativen sind nicht die Welle der Zukunft, sondern ein Hindernis für die massive Radikalisierung von Arbeitern und Jugendlichen, deren voller revolutionärer Ausdruck der Aufbau einer trotzkistischen Massenpartei sein muss.

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